Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)
Alwin
Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)

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Achtes Kapitel.

Die beiden Freunde saßen bald darauf in der Abenddämm'rung beisammen. Man erwarte in Anselmo's Wohnung das tiefre Hereinbrechen der Nacht, um, wie es schon lange Sitte bei ihnen war, zum Serenatengesang vor Alinens und Beatrix Fenstern auszugehn. Diesmal sollte Jeder für sich allein sein Glück versuchen. Beim Wiederzusammentreffen pflegte man sich alsdann zu erzählen, wie es ergangen sei, ob man von der Geliebten einen verstohlnen Gruß durch die erleuchteten Scheiben empfangen habe, ob wohl gar ihr freundliches Gesichtchen im geöffneten Fenster erschienen sei.

108 Alwin war diesmal ungewöhnlich still, es fehlte ihm selbst an der Ungeduld, mit welcher er sonst aufzublicken pflegte, zum weilenden Abendstern, so daß ihn Anselmo endlich um die Ursach dieses veränderten Betragens fragte. Die Antwort schien nicht ungern zu erfolgen; ja, dem Bekümmerten eine Last vom Herzen zu nehmen, so daß er sehr ausführlich ohngefähr auf folgende Weise erwiederte:

Wir sind nicht allemal was wir sein sollen: einem bessern Bewußtsein zum Trotz erwacht diese oder jene Lust in dem ungezügelten Herzen, und streift gewaltsam über alle Gränzen hinaus, verderblich uns selbst, verderblich dem Liebsten, was wir auf der Welt kennen.

Eine Untreue! rief Anselmo lachend, eine Untreue an Fräulein Beatrix! Ich könnte mein Leben drauf verwetten.

109 Und hättest verloren, erwiederte Alwin sehr ernsthaft, wenigstens in Deinem Sinn ganz gewiß. Was meinst Du, wenn ich Dir mein Ehrenwort darauf verpfände, daß ich nie ein freundlich Wort erhalten habe, noch weniger eine höhere Gunst empfangen, von der, die mich Heute so innig betrübt, ja, daß ich nicht einmal etwas Aehnliches wünsche.

Du bist mir ein seltsamer Genosse, sagte Anselmo. Ich werde es nimmermehr begreifen, wie wir als zwei so vertraute Freunde zusammentreffen konnten. Aber Gott hat es nun einmal so gewollt, oder die Götter, und deshalb erzähle mir nur, damit ich mich mehr verwundre, und Dich dennoch immer lieber gewinne.

Es ist schon viele Wochen her, begann Alwin, daß ich hier in der Stadt ein äusserst 110 liebliches Mädchen bemerkte. Das Wo thut nichts zur Sache, genug, wenn ich Dir sage, daß sie einem Hause gegenüber wohnt, in welches mich meine Verhältnisse zu verschiednen Malen an jedem Tage einführten. Ich sah', ich staunte! Andern jungen Leuten schien es weniger auffallend, wie unverkennbar sie dem schönsten Gesicht ähnlich sah, welches wir Alle nur bis jetzt im Bilde erblickten, der Königinn Elisabeth von Böhmen. Zugegeben, daß meine Schöne in vieler Hinsicht gegen das Ideal verlor – sie erinnerte mich daran, und ich wandte meine Blicke bei jedem Vorbeireiten auf das ersehnte Fenster. Unseelige Blicke! Thöriger Wahn! Sie bemerkte meine Aufmerksamkeit, meine Spielerei kam ihr vor wie Ernst, bald erwiederte sie meinen flüchtigen Gruß, ihre Seele sprach aus ihren Augen, und ich Thor, ich Verbrecher blieb 111 täglich in meiner Rolle, durch klägliche Eitelkeit verlockt.

Was ist denn nun draus entstanden? fragte Anselmo.

Wie Du fragst! rief Alwin, Entstanden! Noch eben nichts. Aber sag selbst, was muß draus entstehn? Sehnendes Welken so lieblicher Blume. Uebers Jahr vielleicht gehn wir an ihrem Grabmal vorbei; Niemand wohl schreibt auf den Stein: Alwin ist ihr Mörder! Aber hier steht es, hier in meiner Brust. Und Was soll ich thun? Sage, was soll ich thun?

Nichts was ich rathen könnte, erwiederte Anselmo. Du weißt, wir stehn eben hier am weitesten auseinander. Aber sieh doch, sagte er, in der guten Absicht, seinen Freund zu erheitern, sieh doch den blöden Friedbert. Er weiß doch was bessres, als Rüben zu zählen, 112 wozu Du ihn letzthin ungerechter Weise verdammt hast. Sieh! Mir gegenüber wohnt ein allerliebstes Bäckermädchen, und jetzt eben öffnet sie ihm die Thür. O nicht mehr Blöder! Wie dreist er sie umfängt!

Alwin trat erbleichend ans Fenster. Er sah', und wankte erschrocken zurück. Wie nun? fragte Anselmo, seinen Arm umfassend. Was hast Du? Oder ist es Deine Schöne, die eben in Friedeberts Armen liegt?

Frag' noch lange! rief Alwin. S'ist meine Schuld, meine, meine Schuld, daß sie sich einem so lächerlichen Burschen in Verzweiflung ergiebt. Ewiger Vorwurf!

Sei darüber unbesorgt, sagte Anselmo. Du quälst Dich mit unnöthigen Gewissensbissen. Was wir eben sahen, habe ich schon ein halbes Jahr vor Deiner Ankunft gesehn. Wird das schöne Christianchen ihrem Namen zum 113 Trotz verdammt, so bist Du unschuldig dran; glaub's auf mein Wort. Ehe müßte Friedebert zum Höllenbrand werden, und auch der kann wohl die Schuld auf Andre schieben.

Alwin hatte sich in einen Lehnstuhl geworfen, weit vom Fenster ab, und biß in seine Lippen.

Welch ein Geschlecht! rief er endlich aus. Und doch liegt zuletzt wenig daran, und ist gar nichts dabei zu verwundern, daß es so kalt ist, und herzlos und feindseelig. Nur, daß wir uns darüber wundern, das ist das Wunderliche, nachdem wir erfahren haben aus alten Sagen, erlebt im eignen Umgang mehr oder weniger, wie es mit ihnen beschaffen ist. Aber wir wollen nicht glauben, nicht wissen, nicht sehen, bis uns der Brand im eignen Busen wüthet. Wer hat von seiner frühsten Kindheit an, nicht Lieder und Mährchen 114 gehört, deren Inhalt der Weiber List und Gefallsucht war? Wer führt sie nicht täglich noch im Munde? Und doch glaubt Jeder bei jeder neuen Gelegenheit, er mache die Ausnahme vom menschlichen Geschlechte, müsse aus den Trümmern aller Andern, ein neuer Phönix, emporschweben. Wie recht geschieht uns drum, daß wir immer wieder neue Täuschungen erfahren! Wir machen die Großmüthigen, Niemand soll für uns den Eintritt bezahlen, wir erleben Alles auf eigne Kosten. Sei es dann! Ich habe mit Keinem Erbarmen, am wenigsten mit mir selbst, und kann mir vielmehr noch Glück wünschen, daß ich so wohlfeilen Kaufs davon komme. Das Spiel war auf noch bessern Wegen. Schmachten hätt' ich sollen, für buhlerische Blicke meine ganze Existenz hingeben, ein gloriöser Scheiterhaufen sein, damit ihr gemeiner Günstling über 115 den blöden Thoren gespottet hätte. So wollen sie's, so legen sie es klüglich an.

Sollte wirklich des Beckers Christianchen dergleichen große Plane entworfen haben? fragte Anselmo mit kaum verhaltnem Lachen.

Was Bäckertochter, was Fürstenkind! rief Alwin. Alle sehn einander gleich. Und Du solltest Dich am wenigsten darüber wundern, dessen ganze Lebensweise Dich so genau mir ihnen bekannt gemacht hat. Ich wenigstens verstehe nun Deine Reden über sie weit besser, und bin fest entschlossen zu der lustigen, zwangfreien Fahne überzugehn, welcher Du folgst.

Arme Beatrix, sagte Anselmo, mußt des Bäckermädchens Sünden büßen! Also Heut gehst Du wohl nicht zur Serenade?

Warum nicht? erwiederte Alwin. Man muß doch irgend einen Spaß im Leben 116 treiben, und vor der Hand mag der angefangne gelten.

Ist die Nachfolgerinn noch nicht bestimmt? fragte Anselmo.

Höre, sagte Alwin, es würde nicht mir, nicht Dir ziemen, wenn ich Geheimnisse bewahrte, Deinem Ohre fremd. Vernimm drum, wie es mit mir steht. Deine Warnungen vor einer ernsthaften Verbindung sind schon längst bei mir auf guten Boden gefallen. Nur fehlte es mir an einer neuen Liebschaft, und ich will unternehmen, sie zu finden, sobald Du Deine Reise nach Italien angetreten hast.

Und warum eben dann? fragte Anselmo.

Weil mir von allen unsern jungen Damen nur eine einzige ausser Beatrix gefällt, erwiederte Alwin. Du erräthst, daß ich Alinen meine.

117 Um Gotteswillen nicht! rief Anselmo, todtenbleich in Alwins Arme sinkend. Ich überleb' es nicht, sie in eines Andern Besitz zu wissen, und eben Du – um Gotteswillen nicht!

Wir haben bis jetzt sehr ungleiches Spiel gespielt, sagte Alwin, sich von ihm losmachend. Mein ganzes einfältiges Gemüth lag offen vor Dir ausgebreitet, und Du hattest noch eine so wichtige Fallthür verborgen. Schäme Dich, Anselmo.

Der Italiäner stand niedergeschlagen vor seinem Freunde, keines Wortes mächtig, bis Alwin sagte.

Du liebst Alinen ernsthaft, und sie ist von nun an ein heiliger Juweel für mich, unberührbar.

Und über Deine Schwäche habe ich noch vor einem Augenblick lachen können! rief 118 Anselmo weinend. Verzeihe mir, liebes, frommes Kind.

Beide Freunde nahmen sehr gerührt Abschied, um ihre gewohnten Wege zu gehn.


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