Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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27. Kapitel.

Der letzte Scheck.

Die drei älteren Herren lauschten aufmerksam und gespannt Selwoods Bericht. Sie hörten allerdings nur wenig Neues, und Tertius und Halfpenny machten enttäuschte Gesichter. Nur Professor Cox griff das wenige begierig auf.

»Diese Spur muß verfolgt werden, und zwar sofort!« rief er. »Das ist ein äußerst wertvoller Anhaltspunkt.«

Halfpenny war offenbar gegenteiliger Ansicht.

»Ich kann das nicht einsehen«, sagte er. »Wirklich nicht, mein lieber Cox. Was ist denn daran, wenn Barthorpe eine Hundertpfundnote von dem Schreibtisch seines Onkels nahm? Jeder von uns weiß doch, daß für Jacob Herapath Hundertpfundnoten ebenso alltäglich waren wie für unsereinen Zweieinhalbschillingstücke. Er war doch ein Mann, der immer große Summen bei sich hatte. Ich habe ihn deshalb öfter gewarnt. Sie und Tertius wissen es vielleicht nicht einmal, weil Sie nur freundschaftlich mit ihm verkehrten. Jacob hatte eine Eigenheit – Mr. Selwood als sein Sekretär weiß sicher davon.«

»Was meinen Sie denn?« fragte der Professor. »Ich kenne verschiedene Charakterzüge an Jacob, die man als Eigenheiten bezeichnen könnte.«

»Im geschäftlichen Umgang hatte er eine sonderbare Angewohnheit. Er handelte doch mit Grundstücken, kaufte dauernd und verkaufte ebenso schnell auch wieder. Und merkwürdigerweise bezahlte er alle seine Käufe in bar, das heißt in Banknoten. Niemals gab er einen Scheck, selbst wenn Werte von Hunderttausenden in Frage kamen. Er brachte den Handel stets durch Barzahlung zum Abschluß, und ich machte ihm deshalb öfter Vorhaltungen. Er lachte mich aber nur aus und sagte, daß er sich das nicht mehr abgewöhnen könnte. Und ich muß es doch wissen, denn Jacob Herapath hat viele Geschäfte gerade hier in diesem Büro abgeschlossen. Viele Hunderttausende sind in meiner Gegenwart auf dieser Platte ausgezahlt worden. Nun verstehen Sie wohl, warum ich der Hundertpfundnote, die auf dem Schreibtisch lag, keinen besonderen Wert beilege!«

»Ja, das stimmt«, mischte sich Mr. Tertius ein. »Jacob war ein sehr reicher Mann. Auch ich habe bemerkt, daß er sehr viel bares Geld bei sich trug.«

Aber Professor Cox ließ sich nicht beirren.

»Mein lieber Halfpenny, Sie betrachten die Dinge nur oberflächlich. Was Sie mir eben erzählten, beweist mir, daß meine Theorie viel für sich hat. Hören Sie einmal zu. Jacob Herapath mag am Tage seines Todes eine große Summe in Banknoten bei sich gehabt haben. Vielleicht hat ihn jemand ausgezahlt, vielleicht hat er sie auch von der Bank geholt, um jemand auszuzahlen. Es wäre doch nun leicht möglich, daß irgendeine verbrecherisch veranlagte Person davon Kenntnis erhielt, sich Eintritt zu seinem Büro verschaffte und sich dort verborgen hielt, um ihn zu berauben. Vergessen Sie nicht, daß die Türen zu den Büroräumen und zu dem Privatarbeitszimmer offen standen, als Barthorpe um zwölf Uhr dorthin kam. Außerdem haben wir doch die Aussage des Chauffeurs Mountain, daß Jacob Herapath fünfundzwanzig Minuten vor zwölf die Büroräume betrat. Die Zeit genügt zu einem Mord und einem Raub vollkommen. Ich wiederhole: das Motiv zur Tat wird wahrscheinlich reiner Raub gewesen sein, und wir müssen uns an diese Theorie halten, wenn wir Barthorpe um der Familienehre willen helfen wollen.«

Mr. Tertius nickte und äußerte seinen Beifall, während Mr. Halfpenny unruhig wurde.

»Ja, die Familienehre«, sagte er dann. »Das ist schon richtig. Es wäre tatsächlich schrecklich, wenn der Neffe gehängt würde, weil er seinen Onkel ermordet hat!«

»Aber es ist noch viel schrecklicher, wenn man zusieht, wie ein unschuldiger Mensch gehängt wird, ohne Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um seine Unschuld zu beweisen«, warf der Professor dazwischen.

»Aber was können wir denn tun?« fragte Halfpenny.

»Ich möchte vorschlagen, daß wir die Bank aufsuchen«, erwiderte Cox. »Ich habe nicht gehört, daß man dort schon Nachforschungen angestellt hat. Sind Sie mit den Leuten in Verbindung getreten?«

»Er arbeitete mit Bittleston und Stocks«, entgegnete der Rechtsanwalt. »Ich habe Mr. Playbourne, den Leiter der Filiale in Westend, aufgesucht, und er hat mir die Versicherung gegeben, daß er nichts Außergewöhnliches an den Geldgeschäften entdeckt hat, die Jacob kurz vor seinem Tode mit ihnen machte. Auch auf dem Kontoauszug konnte er nichts finden, das seiner Meinung nach zur Aufklärung des Mordes beitragen könnte.«

»Seiner Meinung nach?« sagte der Professor ironisch lächelnd. »Er ist mit derartigen Dingen schlecht vertraut. Also ich schlage vor, daß wir alle diesen Mr. Playbourne aufsuchen. Wir haben noch reichlich Zeit, bevor die Bank schließt.«

»Nun gut, ich bin dabei«, entgegnete Halfpenny. »Ich fürchte nur, er wird dasselbe sagen wie vorher.«

Mr. Playbourne war der typische Vertreter eines etwas altmodischen Bankdirektors. Er empfing die verhältnismäßig große Deputation von vier Herren in seinem Privatbüro und wiederholte seine früheren Aussagen. Er war sehr erstaunt, als die anderen die Vermutung aussprachen, man könnte doch vielleicht einen Anhaltspunkt bei ihm finden; er schien es sogar als eine Art Beleidigung aufzufassen, daß eine so geachtete Bankfirma wie die seine auch nur im entferntesten etwas mit einem Mord zu tun haben könnte.

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß eine unserer geschäftlichen Transaktionen mit dem verstorbenen Mr. Herapath Anhaltspunkte geben könnte«, meinte er verletzt. »Unsere Beziehungen zu Herapath waren bis zu seinem Tode stets die gleichen, Jahr für Jahr. Natürlich bin ich bereit, Ihnen alles zu sagen und Ihnen Einblick in alle Bücher zu geben. Sie handeln im Auftrage von Miß Wynne, Mr. Halfpenny?«

»Ja, ich habe eine Generalvollmacht in dieser Angelegenheit«, erwiderte der alte Rechtsanwalt. »Die Abwicklung der ganzen Geschäfte liegt in meiner Hand.«

»Dann sehen Sie wohl am besten einmal das Paßbuch von Jacob Herapath durch.« Er drückte auf eine Klingel. »Wir hielten es schon in Bereitschaft, falls die Erben oder deren Beauftragte Einsicht verlangten. – Sellers«, fuhr er fort, als ein Angestellter erschien, »bringen Sie das Paßbuch von Mr. Herapath.«

Alle rückten näher, als Mr. Playbourne ein umfangreiches, pergamentgebundenes Buch auf den Tisch legte, dessen Stärke dem Umfang der Geschäfte des Verstorbenen entsprach. Der Bankdirektor schlug die letzte Seite der Eintragungen auf.

»Sie wissen, daß Jacob Herapath stets mit großen Summen umging. Er hatte ein erhebliches Konto bei unserer Bank. Dauernd zahlte er ein und hob große Beträge ab. Sie können ja selbst am besten hier kontrollieren, welche Transaktionen er mit uns während seiner letzten Lebenstage hatte. Ich kann jedenfalls nichts Besonderes daran entdecken – aber vielleicht finden Sie mehr!«

Professor Cox überflog schnell die einzelnen Zeilen, bis er an das verhängnisvolle Datum des 12. November kam. Sofort wies er auf eine Eintragung hin.

»Sehen Sie hier: Für eigene Rechnung fünftausend Pfund. Die Summe ist am zwölften ausgezahlt.«

Mr. Playbourne lachte ironisch.

»Mein lieber Herr, Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß Sie einer solchen Eintragung großes Gewicht beilegen? Jacob Herapath zog dauernd Schecks auf eigene Rechnung über fünf-, zehn-, zwanzig- und dreißigtausend, ja fünfzigtausend Pfund! Fünftausend sind eine Kleinigkeit im Vergleich zu seinen sonstigen Abhebungen.«

»Trotzdem möchte ich gern wissen«, bemerkte der Professor ruhig, »ob Jacob Herapath diesen Scheck selbst präsentierte. Und wenn das der Fall ist, in welchen Scheinen er ausbezahlt wurde.«

»Nun gut, wenn Sie es wünschen«, erwiderte der Bankdirektor resigniert, klingelte wieder und sah müde auf den Beamten, der gleich darauf erschien. »Forschen Sie nach, ob der verstorbene Mr. Herapath den Scheck über fünftausend Pfund am 12. November selbst präsentierte, und falls ja, wie er das Geld ausgezahlt erhielt.«

»Hier ist noch eine Eintragung«, bemerkte Mr. Halfpenny. »Dimambro – dreitausend Guineen. Auch am zwölften.«

Mr. Playbournes Interesse erwachte nun plötzlich.

»Das war wahrscheinlich der letzte Scheck«, sagte er, »den Jacob Herapath in seinem Leben ausstellte. Und wenn man genau nach dem Gesetz geht, hätte er nicht mehr ausbezahlt werden dürfen.«

»Warum nicht?« fragte Professor Cox.

»Weil der Aussteller zu der Zeit, als der Scheck bei der Bank präsentiert wurde, bereits tot war. Aber wir wußten das nicht. Der Scheck wurde am 12. November ausgestellt und am nächsten Morgen vorgezeigt, sobald wir öffneten. Wir hatten natürlich noch nichts von den Ereignissen der Nacht erfahren und lösten ihn infolgedessen ein.«

»War Ihnen der Empfänger bekannt?« bemerkte Mr. Halfpenny.

»Nein, aber sein Name und seine Adresse standen auf der Rückseite des Schecks, und es lag kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß der Scheck rechtmäßig in seinen Besitz gekommen war. Die Sache ist nur deshalb bemerkenswert, weil ein Scheck nach dem Tode des Ausstellers seinen Wert verliert.«

Professor Cox sah plötzlich auf.

»Könnten wir diesen Scheck vielleicht einmal sehen?«

»Aber gewiß«, entgegnete Mr. Playbourne. »Ich will ihn bringen lassen. Aber hier kommt schon die Information über den anderen Scheck über fünftausend Pfund, die Sie haben wollten.«

Er nahm dem Angestellten, der eintrat, das Blatt ab und las es laut vor.

»Mr. Herapath kassierte den Scheck über fünftausend Pfund selbst ein, und zwar um drei Uhr nachmittags. Er erhielt das Geld in fünfzig Banknoten zu je einhundert Pfund. Die Banknoten hatten folgende Nummern – aber Sie können das Blatt haben, wenn Sie wünschen«, sagte er und reichte es Professor Cox, der das größte Interesse an dem Fall zeigte. »Hier sind die Nummern der Scheine. Ich verstehe allerdings nicht, wie Sie daraus den Mord an Mr. Herapath ableiten wollen. Aber vielleicht haben Sie Glück. – Sellers, holen Sie mir diesen Scheck.« Er zeigte auf eine Stelle des Paßbuches.

In wenigen Minuten kam der Beamte zurück, und Mr. Playbourne legte seinen Besuchern den Scheck vor.

»Sehen Sie, hier ist seine bekannte Unterschrift mit dem kleinen Geheimzeichen, das nur ihm und der Bank bekannt war. Man wird direkt traurig bei dem Gedanken, daß er wahrscheinlich hier zum letztenmal seinen Namen schrieb.«

Professor Cox nahm das Formular in die Hand. Die Vorderseite interessierte ihn wenig, dagegen die Rückseite mit der Signatur des Empfängers um so mehr. Ohne den anderen etwas zu sagen, prägte er sie sich genau ein und wiederholte sie noch leise für sich, als sie einige Minuten später die Bank verließen.

»Luigi Dimambro, Hotel Ravenna, Soho.«

 


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