Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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20. Kapitel.

Der Diamantring.

Triffitt überlegte. Seine persönliche Neigung lockte ihn, sofort zu dem Chauffeur zu gehen, da er aber fremdes Geld zu verwalten hatte, war er außergewöhnlich vorsichtig.

»Dieser Chauffeur hat seine Kenntnis bereits Mr. Tertius verraten«, sagte er. »Und der hat es aller Wahrscheinlichkeit nach den Leuten von Scotland Yard gesteckt, damit sie bei gegebener Gelegenheit Vorteil daraus ziehen können. Was wir aber brauchen, ist eine aufsehenerregende Neuigkeit, eine Sensation!«

»Genügt es Ihnen nicht, wenn wir die Persönlichkeit des Doppelgängers von Jacob Herapath feststellen können? Das ist doch ein großer Schritt vorwärts. Ist Ihnen das nicht gut genug?«

»Das hängt ganz davon ab, wieviel ich aus ihm heraushole. Wann kann ich den Mann sehen?«

»Heute abend um sieben Uhr.«

»Und wo?«

»Ich bringe Sie hin. In einem Gasthaus in der Nähe der Orchard Street will er mit Ihnen zusammenkommen. Nehmen Sie aber genügend Geld mit, denn der Bursche will seine Bezahlung gleich haben.«

»Schon gut. Aber nutzlos verschwende ich es nicht, ich muß einen Gegenwert dafür bekommen.«

Carver lachte, denn Triffitts plötzliche Sparsamkeit kam ihm spaßig vor.

»Bei solchen Gelegenheiten muß man schon die Katze im Sack kaufen, ganz gleich, ob uns der Mann etwas Wichtiges oder etwas Unwesentliches erzählt. Also, holen Sie mich hier um halb sieben ab.«

Triffitt versah sich mit reichlichen Mitteln und war pünktlich zur Stelle. Carver führte ihn in den Schankraum eines kleinen, schmutzigen Gasthauses, das um diese Zeit wenig besucht war. Punkt sieben trat der Chauffeur ein und winkte ihn zu sich. Nachdem er seinen Freund Triffitt vorgestellt hatte, ließ er einige Getränke kommen.

»Ich habe nichts dagegen, Ihnen alles zu erzählen«, begann der Mann, »wenn Sie ordentlich zahlen und nichts in die Zeitung bringen. Der alte Herr vom Portman Square soll nichts davon erfahren, daß ich nicht geschwiegen habe. Ich habe ihn seit unserer ersten Unterredung überhaupt nicht mehr zu sehen bekommen. Damals hat er mir gleich ein paar Pfund gegeben und mir mehr versprochen. Aber das dauert mir jetzt ein bißchen zu lange, und wenn sich eine Gelegenheit bietet, Geld zu verdienen, so muß man dahinter sein.«

»Ich verstehe vollkommen«, beruhigte ihn Triffitt. »Wieviel wollen Sie denn haben?«

Der Chauffeur betrachtete ihn einige Zeit schweigend. Von Carver hatte er bereits fünf Pfund, aber aus seinen habgierigen Blicken konnten die beiden schließen, daß ihm diese Summe nicht genügte.

»Na, Herr, sagen Sie doch, was Sie sich gedacht haben. Ich bin ein armer Teufel, wie Sie wissen, und komme nicht oft in die Lage, auf diese Art Geld zu verdienen. Was meine Nachricht wert ist, und was ich Ihnen erzählen kann, das wissen Sie. Der junge Herr hier war heute nachmittag ganz wild darauf.«

»Vorher möchte ich noch wissen, ob Sie Mr. Tertius mehr als meinem Freunde hier gesagt haben?«

»Kein Wort mehr. Ich habe ihn doch seitdem nicht mehr gesehen.«

»Und der Polizei haben Sie auch nichts mitgeteilt?«

»Ich habe nichts mit der Polizei zu tun gehabt. Aber auf den alten Herrn habe ich lange genug gewartet und nichts mehr von ihm gehört.«

»Deshalb möchten Sie gern noch etwas mehr verdienen?«

»Daraus können Sie doch keinem Menschen einen Vorwurf machen! Wenn ich nicht sehe, wo ich bleibe, wer kümmert sich denn um mich?«

»Nun also, wieviel wollen Sie haben?«

Der Chauffeur betrachtete Triffitt heimlich von der Seite.

»Hat Ihnen dieser Herr erzählt, was ich Ihnen sagen kann?« fragte er schließlich. »Meine Nachrichten sind sehr wichtig.«

»Ich weiß, daß Sie mir den Namen des Mannes verraten können, den Sie an jenem Morgen von der Ecke der Orchard Street nach Kensington gefahren haben. Das mag wichtig sein – vielleicht auch nicht. Sie sehen ja, die Polizei hat sich nicht gerade beeilt, Sie zu verhören. Also nennen Sie Ihren Preis.«

»Sie zahlen mich doch sofort in bar?«

»Natürlich. Hier auf den Tisch.«

»Nun, wie wäre es denn mit zehn Pfund? Das ist die Sache doch mindestens wert?«

»Mit dem Preis bin ich einverstanden«, entgegnete Triffitt. »Hier ist das Geld.«

Er nahm zwei nagelneue Fünfpfundnoten aus der Tasche, legte sie auf den Tisch und setzte ein Glas darauf.

»Nun erzählen Sie Ihre Geschichte. Hier liegt das Geld, wenn Sie fertig sind.«

Der Chauffeur betrachtete die Scheine, rückte mit seinem Stuhl näher in die wenig erleuchtete Ecke, in der Triffitt und Carver saßen, und sprach ganz leise.

»Also der Mann, den ich an dem Morgen fuhr, war der Neffe!«

»Was? Sie meinen doch nicht etwa Mr. Barthorpe Herapath?« fragte Triffitt in demselben Ton.

»Doch, das ist er. Genau derselbe. Als ich den alten Herrn am Portman Square sprach, wußte ich das noch nicht. Bei der Totenschau wurde ich nicht als Zeuge aufgerufen, obwohl ich das bestimmt erwartet hatte. In der Nähe der Orchard Street ist viel über den Mord gesprochen worden, und man kennt dort alle Leute, die an der Sache beteiligt sind. Und so hat man mir auch den Neffen gezeigt, den Sie Barthorpe nennen. Und dann wußte ich gleich, daß er es war, den ich an jenem Morgen gefahren hatte.«

»Woher wußten Sie denn das?« fragte Triffitt.

Der Chauffeur hob eine Hand und zeigte auf den dritten Finger.

»Von dem Ring, den er trägt«, sagte er triumphierend. »Das ist ein feiner Diamant, wie ihn nur ganz reiche Leute haben. Als er damals in meinen Wagen stieg, legte er die Hand einige Zeit auf die Tür, und ich habe ihn funkeln sehen. Und neulich habe ich nun diesen Ring an der Hand von Barthorpe Herapath wiedererkannt, als er sich eine Zigarre ansteckte. Ein Irrtum ist ausgeschlossen, das ist der Mann. Er muß den Mantel und den Hut seines Onkels angezogen haben.«

»An Ihrer Stelle würde ich diese Schlußfolgerungen für mich behalten, wenigstens ist das mein Wunsch. Hier«, sagte Triffitt und zog die zusammengefalteten Banknoten unter dem Glase hervor. »Stecken Sie das in die Tasche. Halten Sie Ihren Mund, und sagen Sie niemand, daß Sie mich gesehen und mir das erzählt haben. Ich mache in der Öffentlichkeit keinen Gebrauch von Ihrer Mitteilung, und wenn Mr. Tertius wieder zu Ihnen kommt, oder wenn sich die Polizei meldet, können Sie ihnen sagen, was Sie wollen. Es kommt jetzt nicht mehr darauf an. Aber unter keinen Umständen dürfen Sie den Leuten sagen, daß Sie mich gesehen und es mir verraten haben. Verstanden?«

Natürlich hatte der Chauffeur begriffen.

»Wenn Sie wirklich reinen Mund halten, können Sie später noch einmal fünf Pfund bekommen«, fuhr Triffitt fort.

Dann entfernte er sich mit Carver. Auf der Straße klopfte er seinem Kollegen auf den Arm.

»Das ist ja ganz gut gegangen. Und ich muß sagen, ich bin nicht sehr erstaunt über diese Mitteilung, beinahe hatte ich das erwartet. Besonders erbaut bin ich davon, daß Barthorpe Herapath, auf dem schwerer Verdacht liegt, mit Burchill in Verbindung steht. Ich traf ihn heute nachmittag auf der Treppe zu dessen Wohnung. Nun, auf jeden Fall kann ich jetzt meinem Chef etwas berichten. Ich sehe zwar in der ganzen Sache noch nicht klar, aber Marcledew ist gewitzt und hat viel Erfahrung. Der schaut durch drei Ziegelwände und kann sicher etwas daraus machen. Ich muß es ihm berichten, sobald ich ihn morgen früh treffen kann.« –

Der Chefredakteur hörte Triffitts Geschichte am nächsten Morgen schweigend an, dann erhob er sich und nahm Hut und Mantel.

»Sie können mit mir kommen. Wir wollen nach Scotland Yard gehen.«

Triffitt fühlte selbst, daß er blaß wurde. Nach Scotland Yard? Es wollte ihm nicht in den Sinn, daß seine Entdeckung den Beamten mitgeteilt werden sollte. Trotz der hohen Verehrung, die er seinem Chef zollte, mußte er ihm in diesem Fall widersprechen.

»Was, zur Polizei?!«

»Ja. Ich will mit der Polizei zusammenarbeiten. Machen Sie doch nicht ein so entsetztes Gesicht, junger Mann. Ich weiß wohl, was Sie denken, aber Sie sollen dabei auch nicht zu kurz kommen. Ich bin mit Ihnen soweit ganz zufrieden. Aber ohne die Polizei können wir doch nichts anfangen, und die Beamten sind wahrscheinlich dankbar für den kleinsten Wink, den wir ihnen geben können. Also nun vorwärts. Besorgen Sie ein Auto.«

Triffitt war noch nie im Polizeipräsidium gewesen und hatte sich schon immer gewünscht, einmal dorthin zu kommen. Sein Chef schien sich dort ebensogut auszukennen wie in der Redaktion des »Argus«. Triffitt mußte im Vorzimmer warten, während Marcledew mit einem hohen Beamten sprach. Als er später hineingerufen wurde, fand er auch Detektivinspektor Davidge dort.

»Wollen Sie uns die Geschichte noch einmal berichten?« fragte der höhere Beamte. »Mr. Davidge hat die Untersuchung des Falles in der Hand.«

Zu Triffitts größtem Erstaunen zeigte dieser Mann nur wenig Interesse, hörte der Erzählung schweigend zu und sah dann seinen Vorgesetzten teilnahmlos an.

»Es ist wohl das beste, wenn ich zu Mr. Halfpenny gehe«, sagte er. »Vielleicht begleitet mich Mr. Triffitt. Wir könnten uns dann ein wenig über die neue Mitteilung unterhalten.«

Triffitt sah den Chefredakteur beunruhigt an, aber Marcledew nickte nur.

»Gehen Sie ruhig mit. Inspektor Davidge weiß genau, was er zu tun hat.«

Unterwegs sprachen sie über den ungewöhnlichen Nebel, aber kein Wort von dem Herapath-Fall. Erst nach dem Besuch bei Mr. Halfpenny zeigte sich Davidge plötzlich aufs höchste interessiert, ja beinahe begeistert.

»Nun, mein junger Freund, Sie sind es gerade, den ich brauche«, sagte er, als er mit Triffitt die Straße entlangging. »Stimmt es, daß Sie eine Wohnung neben F. B. haben?«

»Ja, das stimmt«, entgegnete Triffitt erstaunt.

»Ausgezeichnet! Das könnte gar nicht besser sein. Sie haben doch nichts dagegen, daß ich Sie dort besuche? Natürlich ganz ruhig und unauffällig? Ich komme heute abend um sieben.«

»Aber das wird mir eine große Freude sein!«

»Dann bleibt es also dabei. Schweigen Sie inzwischen. Wenn ich komme, erfahren Sie auch, warum Sie das tun sollen.«

 


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