Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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24. Kapitel.

Handschellen.

Halfpenny und Cox waren Barthorpes Ausführungen gespannt gefolgt. Seine Rede hatte Eindruck auf sie gemacht, aber es war ihnen nicht der gehässige Ton entgangen, in dem er sprach. Aus jedem Wort sprach bittere, persönliche Feindschaft gegen Tertius, und die beiden zogen ihre eigenen Schlüsse daraus. Cox flüsterte Halfpenny einige Worte zu. Der Rechtsanwalt nickte und erwiderte ihm leise, bevor er sich an Barthorpe wandte.

»Selbst wenn man annimmt, daß Ihre Erzählung stimmt, ist sie kein Beweis dafür, daß das Testament, das Sie eben gesehen haben, gefälscht ist. Wir halten es für das echte Testament von Jacob Herapath, und es ist Ihnen hoffentlich selbst klar, daß Sie einem Richter und Geschworenen andere Gründe angeben müssen als die eben vorgebrachten.«

»Nun, ich will Ihnen meine Gründe gern mitteilen«, antwortete Barthorpe eifrig. Er beugte sich über den Tisch, und in dem Augenblick wurde Halfpenny bewußt, daß Barthorpe persönlich felsenfest von seinem Recht überzeugt war. »Ich will sie Ihnen rückhaltlos sagen und Punkt für Punkt aufzählen.

Erstens war es mir wohlbekannt, daß mein Onkel kein Testament gemacht hatte.

Zweitens wäre er zu mir gekommen, wenn er ein Testament hätte aufsetzen wollen, da ich seit langen Jahren als sein Rechtsbeistand gehandelt habe.

Drittens hatte ich vor etwa einem Jahr eine Unterredung mit ihm wegen Abfassung eines Testamentes. Damals sagte er mir, er hätte keine letztwillige Verfügung getroffen und wollte seinen Besitz zwischen mir und meiner Kusine teilen.

Viertens lehnt Mr. Burchill jede Kenntnis dieses angeblichen Testamentes ab.

Fünftens war die Handschrift meines Onkels, wie Sie alle wissen, sehr einfach und ist leicht nachzuahmen. Burchills Handschrift ist ebenfalls kalligraphisch schön und infolgedessen leicht zu fälschen.

Sechstens habe ich die Akten jenes Prozesses eingesehen. Dort ist hinlänglich nachgewiesen, mit wie großer Sachkenntnis und wie unheimlich klug Wynne zu Werke ging. Wahrscheinlich hat er selbst nach all diesen Jahren diese Begabung nicht verloren.

Siebtens hatte dieser Mann dort reichlich Gelegenheit und Zeit, das Testament zu fälschen. Bei seiner Erfahrung und Kenntnis war das eine Kleinigkeit für ihn. Er hatte dabei offenbar die Absicht, das ganze Vermögen in die Hand seiner Tochter zu spielen und meine Ansprüche auszuschalten. Seit dem Tode meines Onkels hat er zweimal den Versuch gemacht, Mr. Burchill privatim zu sprechen. Warum? Um ihn für sich zu gewinnen! Und –«

Mr. Tertius, der auf die Tischplatte gesehen hatte, während Barthorpe seine verschiedenen Punkte aufzählte, schaute plötzlich zu Halfpenny hinüber. Ein verächtliches Lächeln spielte um seine Lippen, als er Barthorpe unterbrach.

»Halfpenny«, sagte er ruhig, »ich glaube, diese ganze Farce – denn weiter ist es nichts – kommt jetzt am besten zu Ende. Darf ich einige Fragen an Mr. Herapath stellen?«

»Ich habe nichts dagegen, Tertius. Ob er sie aber beantwortet, ist eine andere Sache. Meiner Meinung nach wäre er allerdings moralisch dazu verpflichtet.«

»Ich werde nach meinem Belieben handeln«, erwiderte Barthorpe düster. »Sie können mich ruhig fragen, an den Tatsachen wird dadurch ja doch nichts geändert.«

»Sie haben eben behauptet, daß ich in Wirklichkeit Arthur Wynne, der Vater Ihrer Kusine und der Schwager von Jacob Herapath, bin. Was Sie von Arthur John Wynne gesagt haben, ist unglücklicherweise nur zu wahr. Es stimmt, daß er auf Abwege geriet und eine schwere Strafe durchmachen mußte. Er kam nach Portland. Aber nun möchte ich Sie fragen, was später aus ihm wurde.«

»Als Sie aus dem Gefängnis entlassen wurden, kamen Sie nach London, wo sich Jacob Herapath Ihrer annahm«, erwiderte Barthorpe gehässig.

»Mehr wissen Sie nicht?« fragte Tertius.

»Ich denke, das ist genug! Es hat keinen Zweck, mich zu bluffen, ich habe Ihre Bewegungen genau verfolgt!«

»Zweifellos unter Hilfe und Assistenz von Mr. Burchill«, bemerkte Mr. Tertius trocken. »Aber –«

Burchill richtete sich steif auf.

»Mein Herr, das ist eine ganz ungerechtfertigte Anmaßung«, sagte er scharf. »Ich werde –«

»Solche ungerechtfertigten Anmaßungen, Mr. Burchill, scheinen zur Zeit sehr zu grassieren«, unterbrach ihn Tertius mit ungewohnter Schärfe, die alle in Erstaunen setzte. »Unterbrechen Sie mich bitte nicht. Mit Ihnen werde ich in nächster Zeit noch ganz anders verfahren!« Er wandte sich energisch an Barthorpe. »Sie werden sehr erstaunt sein über das, was ich Ihnen jetzt sagen muß, denn ich glaube, daß Sie ehrlich von dem überzeugt sind, was Sie vorhin vorbrachten. Ich bin nicht Arthur John Wynne, sondern John Christopher Tertius, wie viele Leute hier bezeugen können. Aber ich kannte Arthur John Wynne, der auf Veranlassung von Jacob Herapath nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zu mir nach London kam. Ich lebte damals in Bloomsbury und hatte kurz vorher meine Frau verloren. Aber Wynne hatte nicht mehr lange zu leben, als ich ihn aufnahm. Hätten Sie etwas genauere Nachforschungen angestellt, so hätten Sie herausgebracht, daß er wegen seiner schlechten Gesundheit vorzeitig entlassen wurde. Er war sehr krank, als er zu mir kam, und starb schon sechs Wochen später. Er liegt auf dem Kirchhof seines Heimatortes in Wales begraben, und Sie können alle Dokumente über seinen Tod und seine Beerdigung einsehen. Sie können auch sein Grab aufsuchen, wenn Sie wollen. Nach seinem Tode habe ich aus Gründen, die ich hier nicht näher auseinanderzusetzen brauche, im Hause meines Freundes Jacob Wohnung genommen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin sollte Peggie Wynne niemals erfahren, wer ihr Vater eigentlich war, und was er sich hatte zuschulden kommen lassen, und wenn Sie die Vergangenheit nicht angerührt hätten, wäre es ihr auch nie bekannt geworden. Ich denke, das ist eine klare Antwort auf Ihre Anklage gegen mich. Nun möchte ich aber noch von Ihnen erfahren, wer diese Lügengeschichte erfunden hat. – Sie antworten nicht? Wollen Sie nicht? Soll ich Ihnen ein wenig helfen? War es nicht Mr. Burchill, der hier neben Ihnen sitzt? Er weiß ganz genau, daß er heute morgen schändlich und schamlos gelogen hat, er weiß, daß er zugegen war, als Jacob Herapath dieses Testament unterzeichnete. Er hat es ja selbst in meiner Gegenwart als Zeuge beglaubigt, das ist ihm gut genug bekannt!« Tertius schlug heftig mit der Faust auf den Tisch. »Und noch eins: Ihre Kusine Margaret hat ein Dokument in Besitz, das zweifellos beweist, daß das Testament vollkommen zu Recht besteht. Zeigen Sie ihm dieses Schriftstück, Peggie, und überzeugen Sie ihn durch einen unwiderleglichen Beweis!«

Aber bevor sie seinem Rat folgen konnte, erhob sich Burchill, um sich zu entfernen. Barthorpe stand auch auf. Er war bleich vor Ärger und Bestürzung.

Mr. Halfpenny sah die beiden an und zeigte auf die Stühle.

»Wäre es nicht besser, daß Sie noch einmal Platz nehmen? Es scheint mir, daß wir jetzt in ein sehr interessantes Stadium eingetreten sind.«

Aber Burchill ging zur Tür.

»Ich habe nicht die Absicht, länger in einer Gesellschaft zu bleiben, in der ich so rücksichtslos beleidigt werde. Tatsächlich steht mein Wort gegen das Wort von Mr. Tertius. Das weitere werden wir ja später sehen. Im Augenblick ziehe ich es jedenfalls vor, zu gehen.«

»Warten Sie!« rief Barthorpe. »Ich muß noch mit Ihnen sprechen!«

Aber Burchill ließ sich nicht aufhalten. Halfpenny stieß Professor Cox an.

»Ich sage, bleiben Sie!« wiederholte Barthorpe scharf. »Sie müssen erklären –«

Burchill wollte gerade die Tür öffnen, als Mr. Halfpenny eine elektrische Klingel berührte. Bei dem schrillen Klang öffnete sich die Tür von außen. Burchill schrak zurück.

»Um Himmelswillen! Polizei!« rief Barthorpe.

Inspektor Davidge trat schnell in das Zimmer. Drei andere Beamte folgten ihm, und im Vorraum waren noch weitere Polizisten mit dem aufgeregten jungen Berichterstatter des »Argus« zu sehen.

Barthorpe wurde plötzlich gewahr, daß ihn zwei große, kräftige Beamte an den Armen packten, während zwei andere Burchill ergriffen. Die Blässe wich aus seinem Gesicht, und er wurde dunkelrot vor Zorn.

»Zum Teufel, was hat das alles zu bedeuten?«

»Sie sind beide in derselben Lage, Mr. Herapath«, antwortete Mr. Davidge ruhig und sachlich. »Ich werde Sie und Mr. Burchill unter Anklage stellen, sobald wir auf der Polizeistation angekommen sind. Sie sind jetzt beide verhaftet, wie Sie wohl wissen, und ich warne Sie –«

»Unsinn!« rief Barthorpe. »Wie können Sie mich verhaften? Welche Anklage wollen Sie denn gegen mich vorbringen?«

»Die Anklage lautet gleich gegen Sie beide«, entgegnete Davidge kühl. »Es handelt sich um den Mord an Jacob Herapath.«

Totenstille herrschte im Raum, aber dann schrie Peggie auf, und Barthorpe wollte sich auf Burchill stürzen.

»Sie Schuft!« rief er wild. »Sie sind an allem schuld! Sie haben mich auf dem Gewissen, Sie Teufel! Wenn ich Sie nur an der Gurgel packen könnte –«

Die anderen Beamten und Triffitt kamen auf einen Wink des Inspektors in den Raum.

»Legen Sie den beiden Handschellen an!« befahl Davidge. »Ich kann mir nicht helfen, Mr. Herapath. Wenn Sie sich nicht ruhig verhalten, bin ich zu diesem Schritt gezwungen. Der andere Herr –«

Aber während sich Barthorpe törichterweise erhitzt und erregt hatte, war Burchill kühl und berechnend geblieben. Als die anderen Beamten in das Zimmer strömten, hatte er sich durch eine kurze, aalglatte Bewegung freigemacht und war durch die offene Tür verschwunden, ehe Davidge seine Leute warnen konnte. Der Inspektor und die Polizisten folgten ihm. Mr. Halfpenny klingelte wütend und rief nach seinen Angestellten, aber keiner war flink genug, Burchill aufzuhalten, der als ehemaliger Sekretär von Jacob Herapath mit allen Einzelheiten des Hauses vertraut war. Er entkam auf einer dunkeln Seitentreppe, die in eine benachbarte Nebenstraße führte.

Inspektor Davidge fluchte auf seine Leute und sein Mißgeschick. Auf jeden Fall nahm er aber Barthorpe Herapath mit sich, während Triffitt Hals über Kopf zu seiner Redaktion eilte, um einen flammenden, sensationellen Artikel zu schreiben.

 


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