Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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23. Kapitel.

Eine Fälschung.

Mr. Halfpenny starrte den Mann an, aber Burchill erwiderte seinen Blick sicher und überlegen. Tiefes Schweigen herrschte sekundenlang im Raum, bis Professor Cox plötzlich mit den Fingern auf der Tischplatte zu trommeln begann. Dieses Geräusch brachte den alten Rechtsanwalt wieder zu sich. Er neigte sich noch einmal zu Burchill und legte die Hand auf das Testament.

»Das ist nicht Ihre Unterschrift?« fragte er ruhig.

Burchill schüttelte den Kopf, und diesmal hatte seine Bewegung fast etwas Verächtliches.

»Nein, das ist nicht meine Unterschrift.«

»Haben Sie gesehen, daß der verstorbene Jacob Herapath dies schrieb?«

»Nein.«

»Haben Sie gesehen, daß Mr. Tertius hier mit seinem Namen zeichnete?«

»Nein!«

»Haben Sie jemals früher dieses Testament gesehen?«

»Nein, niemals!«

Mr. Halfpenny nahm das Schriftstück ungeduldig an sich und steckte es in das große Kuvert, aus dem er es genommen hatte.

»Damit sagen Sie also, daß Sie niemals bei der Ausfertigung dieses Schriftstücks zugegen waren, niemals gesehen haben, daß Jacob Herapath ein Testament aufsetzte, niemals dabei waren, als er seine Unterschrift darunter setzte. Das ist doch der Inhalt Ihrer Aussage? Bestätigen Sie das?«

»Ja, Sie haben mich vollkommen richtig verstanden«, entgegnete Burchill.

»Und doch haben Sie soeben gehört, was Mr. Tertius sagte. Was haben Sie darauf zu erwidern?«

»Ich habe mit der Aussage von Mr. Tertius nichts zu tun, ich habe nur Ihre Fragen beantwortet.«

»Mr. Tertius erklärt, daß er und Sie sahen, wie Jacob Herapath dieses Schriftstück unterzeichnete, und daß Sie das Schriftstück durch Ihre Unterschrift beglaubigten. Ihre Aussage straft Mr. Tertius direkt Lügen und –«

»Verzeihen Sie, Mr. Halfpenny«, unterbrach ihn Burchill ruhig. »Mr. Tertius mag unter irgendeiner außergewöhnlichen Sinnestäuschung gelitten haben. Vielleicht hatte er eine Halluzination, das kann ich nicht beurteilen. Ich will meine Aussage noch einmal kurz zusammenfassen. Ich habe nicht gesehen, daß der verstorbene Jacob Herapath dieses Testament unterzeichnet hat, und ich habe es selbst nicht unterzeichnet. Ebensowenig habe ich gesehen, daß Mr. Tertius es unterzeichnet hat, und das Schriftstück selbst ist mir unbekannt.«

Mr. Halfpenny stand auf, verwahrte das Dokument wieder in seinem Safe und sah dann Barthorpe scharf an.

»Es hat wohl nicht den geringsten Zweck, daß wir fortfahren. Wir haben gehört, was Mr. Burchill aussagt, und wir haben gehört, was Mr. Tertius auf der anderen Seite behauptet. Wir wollen keine Zeit mehr versäumen – es ist besser, wir trennen uns.«

Barthorpe lachte böse.

»Meiner Meinung nach hat es wenig Sinn, daß wir jetzt auseinandergehen. Auf Ihren eigenen Vorschlag hin bin ich hergekommen, und nachdem wir nun die Aussagen der beiden Herren gehört haben, möchte ich auch noch verschiedenes erklären. Mr. Halfpenny, Sie sind von der Voraussetzung ausgegangen, daß das Papier, das Sie eben in den Safe zurückgelegt haben, ein wirkliches Testament ist. Das haben Sie vorher behauptet, und ich glaube, Sie behaupten es noch. Ich bin aber nicht Ihrer Ansicht!«

»Was ist es dann?« fragte Mr. Halfpenny.

Barthorpe sprach jetzt leiser.

»Ich behaupte, daß es eine Fälschung ist, und hoffe, mich damit klar genug ausgedrückt zu haben. Es ist eine Fälschung von Anfang bis zu Ende.«

»So? Und wer ist denn der Fälscher? Können Sie mir das vielleicht auch verraten?«

»Dieser Mann!« Barthorpe zeigte plötzlich auf Mr. Tertius. »Ich sage es ihm ins Gesicht, und ich klage ihn an, daß er jedes Wort, jeden Buchstaben dieses Dokumentes gefälscht hat. Ich habe Beweise in der Hand, die vor jedem Richter und jeder Geschworenenbank standhalten.«

Mr. Halfpenny setzte sich wieder. Er war jetzt wieder ruhig und objektiv und hielt Peggie zurück, die während der letzten Worte Barthorpes aufspringen und sprechen wollte.

»Warten Sie noch«, bat er sie. »Sie haben später noch Gelegenheit zu sprechen. Überlassen Sie es im Augenblick lieber mir. Sie wollen also den Beweis antreten, daß dieses Testament eine Fälschung ist, Mr. Herapath? Nun gut, da ich Sie aufgefordert habe, hierherzukommen, sollen Sie sich auch aussprechen. Aber vorher möchte ich noch an Mr. Tertius eine Frage stellen. – Bleiben Sie bei Ihrer Behauptung, Mr. Tertius?«

»Ich stehe zu jedem Wort, das ich gesagt habe, und ich will meine Aussage überall wiederholen. Ich habe mich nicht geirrt, und ich leide durchaus nicht unter Halluzinationen. Ich kann nur sagen, daß ich aufs höchste verwundert bin.«

Mr. Halfpenny wandte sich wieder an Barthorpe.

»Also wir sind bereit, Ihnen zuzuhören, Mr. Herapath.«

»Ich danke Ihnen«, entgegnete Barthorpe. »Ich habe Sie von vornherein gewarnt, daß diese Enthüllungen meiner Kusine sehr peinlich sein werden. Es wäre bedeutend besser gewesen, wenn wir sie ferngehalten hätten. Allerdings hätte sie früher oder später doch davon erfahren müssen.«

»Ich glaube, wir bekommen vor Gericht noch sehr viel zu hören«, unterbrach ihn Mr. Halfpenny trocken und mit einem gewissen Unterton. »Sie brauchen auf Miß Wynne keine Rücksicht zu nehmen. Erzählen Sie nur ruhig, was Sie uns zu sagen haben.«

»Barthorpe, du kannst mich kaum noch mehr verletzen, als du es heute morgen schon getan hast«, sagte Peggie und wandte sich dann bittend an den alten Rechtsanwalt, indem sie ein versiegeltes Päckchen aus ihrer Tasche nahm. »Gestatten Sie mir doch, vorher noch zu sagen –«

»Ich rate Ihnen dringend, das nicht zu tun«, schnitt ihr Mr. Halfpenny energisch das Wort ab. »Erlauben Sie, daß Mr. Herapath jetzt spricht. Bitte.« Er machte eine auffordernde Bewegung. »Lassen Sie uns jetzt Ihren Beweis hören.«

»Nicht auf Ihre Aufforderung hin, sondern aus freien Stücken«, entgegnete Barthorpe etwas scharf. »Sie sind kein Richter über mich, das wissen Sie wohl. Und wenn ich dich verletzen muß, Peggie, dann ist das nicht mein Fehler. Mr. Halfpenny, da dies nur eine informatorische Besprechung ist, so möchte ich Sie zunächst fragen, ob Sie wissen, wer dieser Mann wirklich ist?« Dabei zeigte er verächtlich auf Mr. Tertius.

»Dieser Herr ist Mr. John Christopher Tertius, mein guter, alter, geschätzter Freund«, erwiderte Mr. Halfpenny schroff.

Barthorpe wandte sich an Professor Cox.

»Ich stelle dieselbe Frage an Sie. Wissen Sie, wer dieser Herr ist?«

»Ich kann Ihnen nur dieselbe Antwort geben«, entgegnete der Professor kurz.

»Dann muß ich Ihnen also die Wahrheit sagen, wenn sie keiner von Ihnen weiß. Er ist ein früherer Sträfling, der lange wegen einer Fälschung gesessen hat. Achten Sie genau auf diesen Umstand. Er heißt auch nicht Tertius!«

Mr. Tertius war bleich geworden, aber er erhob sich ruhig von seinem Sitz.

»Bevor Mr. Herapath weiterspricht, Halfpenny, möchte ich Miß Wynne privatim etwas mitteilen. Es wird nicht lange dauern. Dann mag Mr. Herapath fortfahren. Miß Wynne, bitte kommen Sie einen Augenblick zu mir.«

Er trat mit Peggie in eine Nische und sprach mit ihr. Sie fuhr zusammen, aber sie faßte sich schnell, und als sie sich wieder am Tisch niederließ, sah sie zwar bleich, aber fest entschlossen aus. Barthorpe sah sie an, und seine Stimme klang weniger aggressiv und höflicher, als er fortfuhr.

»Ich bringe nur ungern alten Familienskandal in die Öffentlichkeit, Mr. Halfpenny, und deshalb habe ich Ihren Vorschlag gern angenommen, diese Angelegenheit in privatem Kreise zu besprechen. Ich muß weit zurückgehen. Susan, die einzige Tochter meines Großvaters, heiratete im Alter von zwanzig Jahren Arthur John Wynne, der damals ungefähr fünfundzwanzig war. Er arbeitete als Sekretär und Kassierer bei einer Eisenbahngesellschaft, die ihren Hauptsitz in Southampton hatte. Dort ließ sich Wynne mit seiner jungen Frau nieder, und nach einjähriger Ehe wurde meine Kusine Margaret geboren, die hier bei uns ist. Als sie ungefähr achtzehn Monate alt war, wurde ihr Vater, der weit über seine Verhältnisse gelebt hatte, plötzlich verhaftet und wegen Fälschung angeklagt. Die nähere Untersuchung ergab, daß er sehr schlaue und kluge Fälschungen verübt und seine Gesellschaft um eine hohe Geldsumme betrogen hatte. Er wurde vor Gericht gestellt und zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Kurz darauf starb seine Frau. Mein Onkel Jacob griff nun ein, brachte Margaret nach Buckinghamshire und gab sie dort in die Pflege einer Familie Bristowe. Als sie sechs Jahre alt war, nahm er sie in sein eigenes Haus am Portman Square, wo sie seit der Zeit immer gelebt hat. Meine Kusine muß sich noch genau an ihren Aufenthalt im Hause der Bristowes erinnern können.«

Barthorpe machte eine Pause und sah Peggie an, die mit gesenktem Kopf aufmerksam zugehört hatte. Als sie keine Bemerkung machte, fuhr er fort.

»Einige Zeit später kam noch ein anderer als dauernder Gast in das Haus meines Onkels, der Mr. Tertius genannt wurde. Eine Reihe von Räumen war für ihn reserviert, und er tat alles, was er wollte, nach seinem freien Belieben. Ein gewisses Geheimnis schwebte über ihm, und dieses Geheimnis will ich jetzt aufklären. Mr. Tertius, wie Sie ihn nennen, ist der Vater Peggie Wynnes! Er ist in Wirklichkeit Arthur John Wynne, der frühere Sträfling, der die vielen Fälschungen begangen hat!«

 


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