Joseph Smith Fletcher
Kampf um das Erbe
Joseph Smith Fletcher

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18. Kapitel.

Der Rosenholzkasten.

Tertius ließ das Telegramm auf die Tischplatte fallen und seufzte. Peggie wollte ihm eben einschenken, aber sie setzte die Teekanne nieder und trat an seine Seite.

»Was ist es? Eine schlechte Nachricht?«

Mr. Tertius nahm sich zusammen, versuchte zu lächeln und reichte ihr das Blatt.

»Nun, das war ja wohl zu erwarten nach allem, was wir erlebt haben. Aber ich dachte nicht, daß es schon so bald kommen würde. Sie müssen sich auf viel Unannehmlichkeiten und Ärger gefaßt machen, denn Ihr Vetter scheint fest entschlossen zu sein, zu kämpfen. Und doch muß ich sagen, daß ich es nicht recht verstehen kann.«

»Was folgt nun daraus?« fragte sie.

»Es wird einen Prozeß geben, und wir müssen wahrscheinlich vor Gericht als Zeugen aussagen.«

»Wir werden uns vor Barthorpe nicht fürchten! Es ist recht töricht von ihm, so zu handeln. Ich hatte die Absicht, mit ihm zu teilen, das kann mir kein Gesetz verbieten, aber wenn er das Testament für nichtig erklären und alles haben will, bestehe ich auf meinem Recht. Und ich glaube bestimmt, daß ich gewinne. Ich begreife nur nicht, wie es überhaupt möglich ist, gegen das Testament Protest einzulegen. Mr. Halfpenny hat doch erklärt, daß es richtig und ordnungsmäßig aufgesetzt, unterschrieben und beglaubigt ist!«

Tertius erhob sich.

»Ihr Vetter ist schwer zu durchschauen. Er hat irgendeinen Plan, und dies ist der erste Schritt, den er in dieser Richtung tut. In gewissem Sinne ist es eine Entspannung, denn wir wissen nun wenigstens, woran wir sind.«

»Wir vergessen über diesem Testament noch vollständig, den Mord an meinem Onkel aufzuklären! Warum vereinigen wir nicht alle unsere Anstrengungen, um den Täter zu fassen?«

Tertius beruhigte sie.

»Die Polizei ist eifrig an der Arbeit, und wir hören sicher bald von neuen Entwicklungen.«

Mr. Tertius suchte sie noch zu trösten und ging dann in seine eigenen Räume. Peggie kämpfte mit den Tränen, als sie an das traurige Schicksal ihres Onkels dachte, und sie starrte in trüben Gedanken vor sich hin. Schließlich erhob sie sich und trat in sein Wohnzimmer, das mit spartanischer Einfachheit ausgestattet war. Seit seinem Tode war sie nicht hier gewesen, und sie sehnte sich danach, durch die Dinge, die ihm gehörten, wieder mit ihm in Verbindung zu kommen. Einige Zeit ging sie ruhelos auf und ab, berührte die Möbel und Gegenstände und setzte sich schließlich in den Lehnsessel, in dem er jeden Abend noch kurze Zeit las, bevor er zu Bett ging. Die schlichten Möbel stammten aus dem Hause seiner Eltern, und er hatte sie vor vielen Jahren in sein großes, palaisartiges Haus nach London gebracht. Oft hatte er Peggie erzählt, daß er diese Umgebung liebte, weil sie ihn an seine Mutter erinnerte. Einen Gegenstand in diesem Raum verehrte er besonders, einen alten Rosenholzkasten, der seiner Mutter und vor ihr seiner Großmutter gehört hatte. Peggie hatte ihn früher manchmal geöffnet und all die vielen Ecken und Winkel daran betrachtet. Ihr Onkel hatte immer davon gesprochen, daß er ihr diesen Rosenholzkasten nach seinem Tode vermachen würde, aber zu seinen Lebzeiten mußte er dort auf der Kommode stehen, damit er ihn immer sehen konnte.

Jacob Herapath war nun tot und begraben, und dieses Stück war mit allen anderen Dingen in ihren Besitz übergegangen. Sie ging zu der Kommode hinüber, nahm den Kasten in die Hand, öffnete den Deckel und hob den Einsatz heraus. Plötzlich begannen ihre Hände zu zittern, als sie einen Brief ihres Onkels darin sah. »Für Peggie« hatte er in seiner charakteristischen Handschrift darauf geschrieben.

Wenn Jacob Herapath plötzlich selbst in diesem Zimmer vor sie hingetreten wäre, hätte der Eindruck auf sie nicht größer sein können. Sie starrte auf den Brief, der eine Botschaft für sie enthielt, aber es dauerte einige Zeit, bevor sie es wagte, ihn zu öffnen. Dann trat sie an das Fenster und las die wenigen Zeilen.

»Wenn mir plötzlich einmal etwas zustoßen sollte, so findest du mein Testament ordnungsgemäß aufgesetzt und von Mr. Tertius und Mr. Frank Burchill beglaubigt in einem Geheimfach meines alten Schreibtisches hinter der dritten kleinen Schublade rechter Hand.

Jacob Herapath.«

Das war alles. Nur ein Datum stand noch darauf, aus dem hervorging, daß er den Brief erst kürzlich geschrieben haben mußte.

»Wenn mir plötzlich etwas zustoßen sollte«, wiederholte sie leise. War ihm damals eine Vorahnung gekommen, daß der Tod ihn sobald wegraffen sollte? Warum hatte er niemals etwas davon gesagt? Aber sie wußte, daß diese Fragen nutzlos waren. Sie legte den Brief wieder in den Kasten zurück, trug ihn in ihr eigenes Zimmer und verwahrte ihn sicher. Gleich darauf kam Kitteridge herein und überreichte ihr eine Karte Burchills. »Würden Sie so liebenswürdig sein, mich kurz zu empfangen?« hatte er darauf geschrieben.

Peggie überlegte einen Augenblick.

»Wo ist Mr. Burchill?« fragte sie den Hausmeister dann.

»Im Arbeitszimmer.«

»Ich komme gleich.«

Sie gab sich die größte Mühe, ruhig und gesammelt zu erscheinen, als sie ihrem Besucher gegenübertrat. Aber sie reichte ihm nicht die Hand und bot ihm auch keinen Stuhl an. Sie selbst trat zu dem Kamin und betrachtete ihn von dort aus.

»Was führt Sie zu mir, Mr. Burchill?«

Sie beobachtete, daß er sehr selbstbewußt auftrat. Er war viel zu ruhig, zu geschäftsmäßig, zu gewandt, um gefahrlos zu sein. Und die tadellose Verbeugung, mit der er sie begrüßte, war ihrer Meinung nach nur äußerer Schein.

»Ich möchte Sie meiner aufrichtigen Ergebenheit versichern. Gestatten Sie mir, daß ich frei zu Ihnen spreche? Dann möchte ich Sie fragen, ob die Antwort endgültig war, die Sie mir vor einiger Zeit auf eine gewisse Frage gaben?«

»Ja. Ich bin erstaunt, daß Sie noch einmal darauf zurückkommen, denn ich habe Ihnen meine Meinung damals wohl klar genug gesagt.«

»Die Umstände haben sich geändert. Ich stehe vor einer Entscheidung und muß wissen, welchen Weg ich wählen soll. Wenn Sie mir einen Hoffnungsschimmer lassen könnten –«

»Nein, das muß ich entschieden ablehnen«, erwiderte Peggie scharf. »Wir verlieren nur Zeit. Wenn Sie mir weiter nichts zu sagen haben –«

Die Tür öffnete sich, und Selwood trat ein, der noch mit dem Ordnen des Nachlasses beschäftigt gewesen war. Er blieb auf der Schwelle stehen und machte Miene, sich wieder zurückzuziehen. Aber Peggie lächelte ihn an.

»Treten Sie doch näher, Mr. Selwood. Ich wollte Sie gerade herbitten lassen.« Dann wandte sie sich wieder an Burchill. »Dieser Punkt ist ein für allemal erledigt«, erklärte sie ruhig. »Ach, Mr. Selwood, würden Sie so freundlich sein und nach dem Hausmeister klingeln?«

Burchill machte noch eine tiefe Verbeugung vor Peggie, als Kitteridge erschien, und folgte ihm.

 


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