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X.
Heimliche Geißlersekten in Deutschland und deren Verfolgung wahrend des 14.und l5.Jahrhunderts.

Durch das kräftige Einschreiten der weltlichen und geistlichen Behörde war das öffentliche Geißlerwesen in Deutschland unterdrückt, jedoch nicht ganz in seiner Wurzel ausgerottet worden, wie wir oben bereits bemerkt haben. Es bildeten sich, dem Arme des Gesetzes nicht immer erreichbar, heimliche Sekten, welche nicht nur den alten Spuck unter manigfacher Gestalt und Beigabe fortsetzten, sondern auch manch' gefährliche Irrthümer in Glaubenssachen unter sich nährten und durch Steigerung phantastischer Träumereien der Sittlichkeit noch größere Gefahr, als ihre Vorgänger brachten. Aber auch viele reine und fromme Gemüther, von dem Verfall der Kirchenzucht und von der Leichtfertigkeit des Zeitalters angeeckelt, und von einem wahrhaft christlichen Eifer ergriffen, betraten oft diesen Pfad und lebten zurückgezogen in verborgener Einsamkeit, unter Entsagung von allen Weltfreuden und in strenger Selbstabhärtung ihres Körpers, religiösen Ideen und Empfindungen nach. Manche von ihnen traten in geheime Sekten zusammen, welche das System der Büßung des äußern Leibes und auf die Geisselung ausdehnten, und diese entweder an sich vornahmen, oder durch Andere vornehmen ließen. Die Päpste und die hohen Prälaten erkannten sie für Ketzer und suchten den Arm der Behörden, namentlich dadurch gegen sie in Bewegung zu setzen, daß sie ihnen das Verbrechen der Verläugnung der Sakramente und eine Verbindung mit dem Teufel aufbürdeten. Man nannte sie abwechselnd Geißler, Fraticellen, Begharden und Begutten. Ueber diese zwei letzteren insbesondere, von denen die einen männlichen, die andern weiblichen Geschlechts waren, sind die Kirchenhistoriker ungemein abweichend, und ihr Prozeß ist noch immer sehr oberflächlich behandelt worden. Es war in den Begharden und Begutten etwas Geheimnißvolles, Poetisches, was nähere Untersuchung verdient. Eine Menge ehrenvoller Züge zeugen von ihrer tiefen Gemüthskraft, ihrem hellen Naturverstand und ihrer Kenntniß der Natur und deren Kräfte, endlich von verschiedener Opposition gegen manche Wahnlehren des Jahrhunderts, wie gegen den allgemeinen Leichtsinn der Generation, unter welcher sie lebten. Aber es scheint auch, daß sie allmählig ausarteten, daß der geistesschwelgerische Mysticismus die so nahe gelegene Gränze überschritt und in raffinirte Sinnlichkeit, gepaart mit religiöser Spielerei, ausartete. Geißler und Begharden vermischten sich und verschmolzen in einander, und wahrscheinlich kamen sie auch mit den Adamitten in Berührung. Der Stifter der Begharden war ein Thüringer und wurde zu Erfurt wegen Ketzerei verbrannt.

In Thüringen war es auch, wo die Krypto-Flagellanten den meisten Anhang gewannen. Man verfolgte sie mit schonungsloser Wuth und verhängte über die Betretenen die strengsten Strafen. Ein gewisser Heinrich Schönfeld, Dominikanermönch, stand an der Spitze der Inquisition. Aus den mit ihnen angestellten Verhören ergab es sich, nach Spangenberg und Förstemann, daß sie folgende Lehren in ihrer Sekte geltend gemacht hatten: 1) Die Geißler oder Kreutzbrüder haben ihren Anfang genommen vor ungefähr sechzig Jahren durch einen Brief, den ein Engel vom Himmel gebracht und auf Sankt Peters Altar gelegt. 2) Bei ihrer Entstehung nahm Gott dem Papste, den Kardinälen und Bischöfen und der ganzen Geistlichkeit alle Gewalt und Aufsicht über das Volk in geistlichen Dingen, alle Macht zu lösen und zu binden, oder etwas zu weihen. 3) Wie Christus um der Priester Bosheit, um des Kaufens und Verkaufens willen das jüdische Priesterthum aus dem Tempel warf und abschaffte, so hat er, um der lasterhaften Pfaffen willen, das römische Priesterthum verworfen und abgeschafft. 4) Seitdem die Kreutzbrüder umgegangen, müssen Kirchen, Kirchhöfe, Wasser, Salz, Asche und Oel, Chrisma und andere geweihte Dinge als ungeweiht angesehen werden; denn kein Priester konnte sie weihen. 5) Seit der Kreuzbrüder Auftritt sind die Kirchen nichts als Steinhaufen, Wohnungen der Sünde und Mördergruben. 6) Indem die Priester die Taufe und die andern Sakramente als Gesetze predigen, ermorden sie sich selbst und das Volk geistlich. 7) Der Sprengwedel ist des Todes Keule und die Tropfen des Weihwassers sind lauter Funken des höllischen Feuers. 8) Das lange Schreien und Amt-Singen in der Kirche ist nicht besser als Hundegeheul. 9) Durch der Geißler Umgehen ist die Wassertaufe von Gott aufgehoben und dagegen die Taufe mit eines jeden Blut eingesetzt. 10) Wie Christus gegen das Ende des Hochzeitgelages zu Kana das weiße Wasser in rothen Wein verwandelt hat, so muß auch vor der Welt Ende die Wassertaufe in die Bluttaufe verwandelt werden. Wie den Gästen auf jener Hochzeit der letzte Wein besser geschmeckt, als der frühere, so hat Gott an der Bluttaufe weit mehr Gefallen, als an allen früheren Sakramenten. 12) Seitdem die Geißelbrüder umgegangen, wird Niemand ein Christ, er geißele sich denn selbst und werde so durch sein eigenes Blut getauft. 13) Die Confirmation nutzt nichts, und ist eitel Narrenwerk; denn die Juden, welche von den Pfaffen weder das Chrisma noch sonst etwas bekommen, haben eben so wohl Bärte und Seelen, als die Gefirmten. 14) Das Sakrament der Priesterweihe ist mit den Priestern von Gott verworfen. 15) Der Leib Christi ist nicht wesentlich gegenwärtig im Sakramente des Altars; 16) denn wäre sein Leib wahrhaftig zugegen, so hätte man ihn längst aufgezehrt, und sollte er auch so groß sein als ein Berg; 17) und da Christus sich nach der Auferstehung von Maria Magdalena nicht wollte anrühren lassen, wie viel weniger wird er es thun im Sakramente. 18) Es ist mit den Pfaffen nichts als Geiz, denn sie verkaufen dem Volke einen kleinen Bissen Brod mindestens für einen Pfennig. 19) Wäre Christus wahrhaftig im Sakramente, so wären die Pfaffen ärger als Judas, denn dieser verkaufte Christum für 30 Silberlinge, jene aber verkaufen ihn für einen Pfennig. 20) Das Sakrament des Altars ist der Pfaffen Kuckuk. 21) Zur Vergebung ist Beichte und Absolution oder Sakrament nicht nöthig. 22) Wer einem Pfaffen beichtet, wird nicht reiner, als wenn er sich an einer unfläthigen Sau reibt. 23) Eine Sünde sei noch so groß, wenn man sie herzlich bereuet und sich freiwillig geisselt, wird sie vergeben. 24) Der Ablaß taugt nichts, und ist mit den Pfaffen von Gott verworfen. 25) Der Segen und andere Ceremonien der Pfaffen bei der Trauung schänden und entehren den Ehestand, anstatt ihm Ehre und Würde zu verleihen. 26) Es ist besser, daß einer mit wohlgestäupter und gegeisselter Haut sterbe, als wenn die Pfaffen ein ganzes Pfund Oel an ihm verschmierten. 27) Das hochzeitliche Kleid im Evangelio bedeutet nichts, als des Menschen Haut, freiwillig bis aufs Blut durchstäupt und gegeisselt. 28) Nach dem Auftritt der Geißelbrüder kann niemand selig werden, er habe sich denn bis aufs Blut gegeisselt, und 29) niemand, nach der römischen Kirche Gebrauch, der sieben Sakramente sich bedienen ohne schwere Todsünde. 30) Statt der sieben Sakramente ist es künftig hinlänglich, zum Andenken an Christi Leiden seinen eigenen Leib bis aufs Blut zu geisseln. 31) Seitdem die Geißler zuerst umgegangen sind, ist kein Mensch ein wahrer Christ, als wer sich zu ihnen hält. 32) Der Priester und der Levit, welche an dem Verwundeten ohne Erbarmen vorüber gingen, sind die jetzigen Pfaffen und das Volk, das ihnen anhängt und glaubt, und Christo für seine Leiden keinen Dank weiß; 33) aber der Samariter, der den Verwundeten auf sein Thier legte, ihn in die Herberge führte, und zwei Groschen für ihn bezahlte, bedeutet die Geißler, die Christum an ihrem eigenen Leibe tragen, und ihn mit dem Vater Unser und Erfüllung der zehn Gebote ehren. 34) Der Antichrist sind die Prälaten und Pfaffen, die bis jetzt die armen Geißler verfolgen. 36) Elias ist der Beghard gewesen, der vor acht und vierzig Jahren zu Erfurt verbrannt worden. 37) Henoch ist Konrad Schmid gewesen, der die Weise der Geißler in Thüringen eingeführt hat und schon lange aus der Welt gegangen ist. 38) Gott schuf im Anfange aller Menschen Seelen zugleich, und setzte sie mit Adam ins Paradies. 39) Wenn nun die Frucht im Mutterleibe belebt werden soll, so bringen die Engel die bestimmte Seele aus dem Paradiese; dieselbe wird der Frucht eingeblasen. 40) Als nun jener Beghard und Konrad Schmid empfangen wurden, brachten die Engel die Seelen des Elias und Henoch, und gossen sie ihnen ein; so daß der Eine der wahrhaftige Elias, der Andere der wahrhaftige Henoch war. 41) Es wird kein jüngstes Gericht gehalten werden durch Christus, sondern es werden sieben oder acht Gerichte durch einige dazu verordnete Richter gehalten werden. 42) Nicht Christus, sondern statt seiner Konrad Schmid, der Geißler Oberpriester, wird das letzte Gericht anstellen. 43) Alle Schwüre und Eide sind Todsünde; doch ist es besser, die Geißler thun einen Meineid und schwören falsch vor den Inquisitoren, als daß sie ihre Sekte verrathen sollten; denn die Meineide können sie selbst durch die Geissel wieder versöhnen. 44) Es gibt kein Fegfeuer nach diesem Leben; darum ist das Gebet für die Verstorbenen unnütz. 45) Vigilien, Begräbniß und Seelenmessen nützen den Verstorbenen nichts; sie trösten blos die lebenden Freunde und füllen der Pfaffen Beutel. 46) Du sollst kein Bildniß Christi, Mariä, oder irgend eines andern Heiligen anbeten; denn das kann nicht geschehen ohne Abgötterei. 47) Feiere kein Fest außer dem Sonntage, Christi Geburt und Mariä Himmelfahrt. 48) Faste nicht auf der Pfaffen Gebot, außer am Weihnacht-Heiligenabende, am Heiligenabende vor Mariä Himmelfahrt und alle Freitage. 49) Fiele der Tag der Geburt Christi auf einen Freitag, so unterlaß das Fasten darum nicht. 50) Die Geißler ehren die Priester, gebrauchen die Sakramente, sind den Geboten der Kirche gehorsam, bringen den Geistlichen zur gewöhnlichen Zeit die Opfer, behalten die Bilder und feiern die Feste, blos damit sie nicht in Verdacht kommen bei den Leuten; doch sie bereuen es immer, und büßen es mit der Ruthe oder Geissel.

Man gab diesen Unglücklichen die gröbsten Verbrechen Schuld, so z. B. daß sie oft sämmtlich, Mann und Weib, Bruder und Schwester, in Keller sich geflüchtet und daselbst den Teufel angebetet hätten; derselbe sei sodann in Gestalt einer Hummel Jedem in den Mund geflogen; wer gegen die Hummel sich verneigt, dem sei viel Gutes widerfahren. Am Ende habe man die Lichter ausgelöscht und ohne Unterschied sich umarmt. Die meisten Punkte wurden nicht, oder nur von Wenigen und theilweise eingestanden. Der Scheiterhaufen bestrafte Erwiesenes und Unerwiesenes, Büßende und Verstockte gleich. Es ist ein bemerkenswerther Umstand in dieser Geschichte der thüringischen Krypto-Flagellanten, daß sie hartnäckig behaupteten: Alles Böse komme ursprünglich von dem schlechten Leben der Geistlichen her. (1414–1456.)

Außer der vom Inquisitor Schönefeld untersuchten Sekte kam auch zu Nordhausen im Jahr 1446 eine ähnliche an's Tageslicht, und ein Professor der Theologie, Friedrich Müller, ebenfalls dem Dominikaner-Orden angehörig, übernahm hier die Rolle des Ketzerrichters und Glaubensrächers. Eine Reihe von Notaren, Kommissarien und Zeugen wohnte den Verhandlungen bei, welche dießmal mit etwas Regelmäßigkeit vor sich gingen.

Die entdeckten Individuen waren größtentheils Weiber, ältere und jüngere. Sie waren der festen Ueberzeugung, daß durch Geisselungen, vorzüglich am Charfreitage, alle Sünden gesühnt werden könnten; seit den großen Geisselfahrten sei die Bluttaufe an die Stelle der Wassertaufe getreten. Sie gestanden frei: daß die Sakramente und die Gebräuche der römischen Kirche von ihnen verachtet würden, daß sie aber denselben sich keineswegs entzögen, um nicht verdächtigt und verfolgt zu werden.

Die vorzüglich thätigste war eine gewisse Schwenhild Hemelstoß, welche durch Konrad Stockhausen aus Stolberg verführt worden. Diese Frau gab zu: Gott könne im Altarsakramente zugegen sein, wenn er wolle; doch glaubte sie nicht, daß er es thue; sie hielt nichts vom Abendmahl und aß vor dem Genusse desselben ohne Bedenklichkeit Bohnen. Einer ihrer alten Bekannten, Leinweber von Profession, der in Erfurt sich niedergelassen, hatte ihr eine Geissei nach Nordhausen geschickt. Eine zweite Person, Adelheid Brüchter, war durch ihren ersten Mann, schwärmerischen Anhänger der Kreuzbrüder, zur Flagellantin gemacht worden. Seit dreißig Jahren war sie darüber mit sich einig, daß die Kirche ein Unding, die Hostie nichts als geweihtes Brod und die Geisselung des sündigen Körpers der sicherste Weg zum Himmelreich sei. Eine dritte, Katharina Dymerod, hatte sich, unterwiesen von ihrer Großmutter, vom fünfzehnten Jahre an gegeisselt; eine vierte, Gertrude Becke, bekannte, daß sie seit vierzehn Jahren jeden Freitag frühe Morgens sich geissele. Ihr Mann hatte ihr gesagt: nicht die Hostie, welche man bei der Messe in die Höhe hebe, sondern die Hand des Priesters, der sie hebe, sei das Fleisch und Blut. Sowohl ihre Mutter, als ein Gast, der bei ihnen wohnte, Heinrich Nebening, überzeugten sie, daß Geisselung statt aller Sakramente diene. Dieser Nebening war eine Art von Missionar für die Sekte.

Man geisselte sich meist in Gesellschaft, Becke und Andere oft blos aus dem Grunde, um die Heuchelei abzubüßen, mit welcher sie zum Schein gleich den übrigen Gemeindebewohnern zum Abendmahl gegangen. Ihre Großmutter war ein so starker Geist, daß sie der Enkelin die Ansicht einprägte: der Gottesdienst der Geistlichen sei pure Raserei und Abgötterei. In gleichem Sinne drückten verschiedene Männer sich aus, welche alle sich jedesmal am Freitage disciplinirten. Ott standen sie mit ihrem Glauben allein in der Familie, und entweder waren die Eltern, oder die Kinder, oder die Eheleute selbst nicht in das Geheimniß der Andern eingeweiht. Der eine, Becke's Mann, gestand, daß diese sich ordentlich erzürnt habe, wenn er zum Abendmahl gegangen, ohne vorher gespeist zu haben; sie war von ihrer Sache so sehr eingenommen, daß sie selbst ihre Kinder gleich nach der Geburt geissein wollte und nur mit Mühe durch ihren Gatten davon abgehalten werden konnte. Ein zweiter, Heinemann, erklärte: die Kreuzbrüder hätten sich gegeisselt, um dem irdischen Tode (der Pest) zu entgehen; er aber thue es, um dem ewigen zu entrinnen. Christine Berge hatte schon als junges Mädchen sich pönitenzirt, später jedoch es bereut, gebeichtet und eine heimliche Buße empfangen; in noch späterer Zeit habe sie ihre Reue bereut und von Neuem sich gekasteit. Dasselbe that Ayla Weyner, eine Zöglingin der Dymerod, dreißig Jahre lang und auch ihre Töchter ward im Flagellantismus und in der damit zusammenhängenden Ketzerei unterrichtet. Dieß und Anderes mehr gestanden die Inquisiten, erklärten sich höchst strafbar und baten um Gnade. Merkwürdig genug wurden zwölf von diesen armen Leuten, welche der menschlich gesinnte Inquisitor zwar als der Buße unterworfen, aber doch mehr für verführt durch Finsterniß, denn durch Bosheit, erklärt und somit begnadigt hatte, alsbald nach seiner Abreise auf öffentlichem Markte zu Nordhausen verbrannt, vermuthlich auf Befehl der weltlichen Obrigkeit, welche Gefahr für die Zukunft aus solch' unbedingter Freilassung besorgte.

Auch im Anhaltischen kamen mehrere dergleichen Beispiele vor. Der Fürst des Landes war jedoch gnädiger, als die thüringischen Richter und entließ sie mit leichten Strafen.

Um dieselbe Zeit kämpften auch Gelehrte in eigenen Werken und Abhandlungen. Der thätigste unter ihnen war Johann von Hagen, auch ab Indagina genannt, Verfasser von mehr als 500 theologischen und andern Schriften.


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