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Vorwort.

Die Neigung und der Gebrauch der Menschen, sich selbst oder Andern, mittelst eigener Werkzeuge, körperlichen Schmerz zuzufügen, gehört zu den seltsamsten Erscheinungen in der Sittengeschichte. Aberglaube und Betrug, Selbsttäuschung und Schwärmerei, Lüsternheit und Wollust, Brutalität und Grausamkeit hatten gleich großen Theil hieran und leider sah man die Sache von den ältesten bis in die neueren Zeiten immer sich wiederholen, wiewohl Priester, Moralisten, Gesetzgeber, Erzieher und Aerzte auf die schlimmen Folgen in mehr als einer Beziehung häufig aufmerksam gemacht.

Sehr viele Schriftsteller, geistlichen und weltlichen Standes, und darunter die ehrwürdigsten und sittlichtaktfestesten Männer, beschäftigten sich zu verschiedenen Zeiten mit diesem Gegenstande, theils historisch, theils psychologisch, theils humoristisch, theils medizinisch ihn zergliedernd; doch fehlte bis jetzt eine erschöpfende Darstellung des Flagellantismus in allen seinen Verzweigungen. In seinen kirchengeschichtlichen Forschungen war der Verfasser dieses Werkes bereits vor sieben Jahren zuerst auf die Idee gerathen, den interessanten Gegenstand auf solche Weise zu behandeln; dringendere Arbeiten und allerlei Bedenklichkeiten hielten ihn davon ab und das Manuscript wurde vernichtet. Auf die Bitte mehrerer Freunde und Bekannten, worunter sich sehr achtbare Pädagogen, Aerzte, und Priester und einige liebenswürdige, durch Solidität des Charakters und musterhafte Erziehung ihrer Kinder ausgezeichnete, Frauen befanden, denen der Verfasser seinen frühern Entschluß zufällig einst mitgetheilt, nahm er die Materie wieder vor und schrieb das Ganze, theils aus dem Gedächtniß, theils aus den noch vorhandenen Excerpten noch einmal nieder.

Wiewohl die Materie etwas heiklicher Natur erscheinen mag, so darf wenigstens in unsern Tagen die so überaus romantische und in Wahl der Stoffe unbedenkliche Litteratur eine falsche Schaam nicht abhalten, über eine höchst bedeutsame Sache wissenschaftlich sich mit vernünftigen Leuten zu besprechen, indem das Buch nicht zu einem Exempelbuch für die Jugend bestimmt ist, und nach Gerson, Schöttgen, Boileau, Thiers, Voltaire, Rousseau, Helyot, Walch, Crome, Gavin, Meteren, Theiner, Santo Domingo, Lipowski, Bucher, Lanjuinais, Förstemann u. A. braucht der Verfasser keine Entschuldigung für sich. Nirgendswo sind die Dinge mehr ausgemalt worden, als sie historisch belegt werden können und nicht selten hat man gemildert und umgangen, was ganz nahe und nackt vorlag. Wenn dessen ohngeachtet Plastisches, Erheiterndes, ja selbst Ueppiges genug noch vorliegt, so bringt dieß der Gegenstand selbst mit sich, und gerade um in die Natur desselben einzudringen und die Gefahren und die Folgen richtig zu schildern, mußten die, bisweilen naiven, Details getreu mitgetheilt werden. Wirklich Unsittliches ist mit Wissen nirgends im Detail geschildert worden, wiewohl auch die Zeichnung des Lasters dem historischen Maler erlaubt ist und die allzufurchtsame Tugend nur ein bischen auf die Seite zu blicken braucht, wenn sie ein Erröthen befürchtet. Mit Wolfgang Menzel in der Vorrede zu seiner anziehenden Bearbeitung des Gavin'schen Werkes über die Geheimnisse des Beichtstuhles, bemerken daher auch wir zartsinnigen Lesern zum voraus, daß sie im Ganzen unser Werk mit solchen Augen anzusehen haben, wie man etwa Kriminalgeschichten ansieht, da es, wenn auch in dem dezentesten Vortrag, doch Sachen berührt, die Schaam und Sittlichkeit aufs ärgste beleidigen, oft blos durch Nebenideen und die nahe Verwandschaft des Lächerlichen mit dem Frivolen und Unmoralischen. Wir fügen auch noch bei: man muß diese Gemälde des Flagellantismus auch als Krankengeschichten des menschlichen Verstandes, als Denkmale des Wahnsinns, als Nachtstücke der Phantasie, als eine anatomische Gallerie von moralischen Skeletten und Abnormitäten betrachten. Der Verfasser hat sich nicht genannt, weniger aus Scheu vor irgend einer schiefen Deutung wegen der Behandlung dieses Gegenstandes, als um einige der darin angeführten Personen von der Verlegenheit zu bewahren, in welche sie durch die Nennung seines Namens, in Folge besonderer Verhältnisse, gerathen würden. Da während der Ausarbeitung für mehrere Rubriken der Stoff unter den Händen des Verfassers wuchs, so erklärt es sich, weßhalb mehrere der im Eingang des Werkes nur kurz und im Allgemeinen angedeuteten Thatsachen später in den einzelnen Abtheilungen noch einmal und spezieller behandelt worden sind.


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