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Die Stadt der Nabob

Es war einmal ein frommer Nabob. Der war so reich, daß er die Straße seiner Hauptstadt mit Gold pflastern konnte, und war so fromm, daß ihn schon bei Lebzeiten all seine Untertanen für einen Heiligen erklärten. Und er baute Tempel und Tempelstädte, und von weither kamen die Pilger, um diese gewaltige Herrlichkeit zu sehen. Der Nabob hatte auch hundert Frauen, weiße und braune und ganz schwarze, und wenn die einen so strahlend waren wie der junge Tag, so waren die andern so schön wie die tiefe Nacht. – Nur eines fehlte dem reichen und frommen König: er hatte keine Kinder –

Aber nein, ich will gar kein Märchen erzählen. Das alles ist ganz wahr, und es ist noch gar nicht einmal so lange her, daß es geschah. Der südindische Fürst hieß Tirumala Nayak, und er starb vor genau 250 Jahren. In den drei Jahrzehnten, als der große Krieg in Europa tobte, als in Deutschland Kirchen und Städte in Flammen aufgingen und die Junker und Bauern und Bürger sich gegenseitig totschlugen, in dieser selben Zeit baute der Nabob seinen Göttern unerhörte Werke.

Es waren die Tage, als der letzte Stern des brahmanischen Hindureiches erloschen schien. Längst waren des Propheten Scharen in das heilige Land gebrochen, hatten überall festen Fuß gefaßt. Über den Nordwesten und die Gangesebene herrschte zu Delhi der Großmogul, an der Mündung des Flusses saß der Nabob von Bengalen, im Dekkan der Nisam von Hyderabad. Selbst in Benares, der heiligen Stadt des Schiwa, überstrahlte Kaiser Aurangzebs Moschee stolz die Ganga, während alle tausend indischen Tempel in Trümmer lagen. Und dazu überall im Lande kleinere und größere mohammedanische Herrscher. Dann kamen die Europäer; auf der Malabarküste saßen die Portugiesen in Bom Bahia und Goa, auf Ceylon hatten die Holländer sich festgesetzt. Längst hatten die Engländer Madras gegründet und die Franzosen Pondichery: so war der Pandyan-König von Karnatak von allen Seiten von Feinden bedroht. Ja, in Madura selbst, seiner eigenen Hauptstadt, hob schon der Islam das Haupt, stolz auf die Ruhestätte Alladins, des Heiligen, der hier begraben lag.

In diesem Augenblick, als Indiens Schicksal schon völlig besiegelt war, raffte der südindische Fürst noch einmal alle gewaltigen Kräfte des Hindutumes zusammen. Zu keinem Kriege – – sein Volk, vom Kastengeiste zerrissen, konnte keine Siege mehr erringen. Nur zu einem noch ließ sich die Energie dieses Volkes sammeln, nur dazu noch, dem wahnsinnstarken religiösen Fanatismus einen neuen gewaltigen Ausdruck zu geben. Dieser Fanatismus des Hindu ist weit stärker, weit gewaltiger als bei irgendeinem andern Volke der Erde. Freilich fehlt ihm jedes aggressive Moment, jede Stoßkraft, die doch Islam wie Christentum in so reichem Maße kannten; diese wilde Glut ist passiv und still und besteht im tiefsten Grunde in einer grenzenlosen Angst vor den entsetzlichen Göttern, die der Hindu nicht liebt, die er aber aufs äußerste fürchtet und stets nur durch neue Opfer, Tempelbauten und selbstquälerische Bußen zu versöhnen hofft. – Dieser grandiosen fanatischen Angst verdanken Madura, Tanjore, Trichinopoli ihre gewaltigen Tempelstädte, verdankt Indien die einzige Kunst, die bis zur letzten Wurzel rein indisch ist.

Kunst? Ich weiß nicht, ob das Kunst ist. Wenn es eine ist, so liegt sie unserem westlichen Empfinden so ungeheuer fern, daß keine Brücke zu ihr hinüberführt. Wir stehen da, starr und wortlos, reißen die Augen weit auf und staunen. Wir suchen und suchen und finden doch nirgends etwas, das wir fassen können, nirgends einen kleinen Weg, auf dem wir eindringen könnten in dieses merkwürdige Land.

Der König von Karnatak, Tirumala Nayak, war sehr reich und war sehr fromm, er lebte sein Leben in der Furcht des Herrn. Des Herrn: Schiwa, des Zerstörers, und dazu in der Furcht vieler anderer göttlicher Herren, deren Hände nicht weniger schwer auf ihm lasteten. Denn der Nabob hatte wohl seine dreihundert Frauen, aber er hatte keine Kinder. Darum mußte er die Götter versöhnen, mußte büßen und mußte opfern und sehr viele Tempel bauen.

Mitten in der Stadt Madura liegt die Tempelstadt, die man den großen Tempel nennt. Eine gewaltige Gopura, fünfundvierzig Meter hoch, dient als Eingangstor, eine riesige viereckige Turmpyramide, von oben bis unten in wildem Durcheinander mit großen Figuren besetzt. Auf jeder Seite der vier mächtigen Umwallungsmauern hebt sich solch eine Gopura und läßt uns in die erste Ringstraße der Tempelstadt ein. Vier weitere Gopuren führen durch die zwei Umwallungen in die innere Stadt; alle acht sind gleich groß, gleich wild und bizarr. Nicht eines der vielen tausend Bildwerke darf nach unseren Begriffen den Anspruch erheben, ein Kunstwerk zu heißen, nicht eines ist »schön« für unsere Augen. Aber es soll ja gar nicht »schön« sein, soll nur Furcht erregen und Entsetzen. Und doch muß man den drawidischen Steinmetzen bewundern, der all diese verrenkten Götter und Helden schnitzte, stets aus einem großen Steine und stets aus dem härtesten, sprödesten Material. Goethe tut gewiß unrecht, wenn er den armen Bildhauern allein die Schuld zuschreibt:

»In Indien möchte ich selber leben,
Hätte es nur keine Bildhauer gegeben!«

Es war die brahmanische Kultur und nicht der Bildhauer, es war die indische Furcht vor der schrecklichen Gottheit, die diese Teufelsfratzen schuf. Aber der Olympier hat vielleicht recht, als er mit einem Striche diese grotesken indischen Tempel aus dem heiligen Buche der Kunst hinausstrich.

* * *

Ehe die Sonne aufging, kam ich zur Tempelstadt. Aber ich durchschritt noch nicht die große Gopura, ging herum um die mächtige Umwallung zu dem Pudu Mandapam, »der neuen Galerie«. Durch die breite Maasistraße, vorbei an den großen hölzernen Wagen, in denen der Gott und die Göttin spazieren fahren, jedes Jahr am Tage ihrer Hochzeit.

Der Gott – Sundareswarar, der kein anderer ist, als der Zerstörer Schiwa, und Sri Minakschi, die Göttin, Radja Pandyas, des Königs von Karnatak schöne Tochter. Standen doch seit alter Zeit Maduras Herrscher in reger Verbindung mit den Göttern. Einmal kamen drei böse Tiere, ein Elefant, eine Kobra und eine Kuh, die wollten die Stadt verschlingen. Aber Radja Pandya wandte sich an Sundareswarar, und der verwandelte die drei schlimmen Tiere in Berge: Anamalai (Elefantenhügel), Nagamalai (Schlangenhügel) und Pasumalai (Kuhhügel). Als nun der Gott des Fürsten Tochter heranreifen sah, wollte er sie zum Weibe und meinte, das ginge sehr leicht, da doch alle tempeltanzenden Nautchgirls Schiwas kleine Frauen seien. Der Fürst sagte auch ja, aber bald darauf starb er und Sri Minakschi wurde Königin. Als nun der Gott zu Kanjana Malai kam, ihrer Mutter, da sagte diese, ihr Töchterlein sei so stark und wild und wolle nur den zum Manne, der es im Kampfe besiege. Die kleine Prinzessin hatte wahrscheinlich das Nibelungenlied gelesen oder die Edda und wollte nun auch so mutig sein, wie tausend Jahre früher Brunhilde. Es kam aber noch ein Grund hinzu, weshalb sie sich vor der Hochzeitsnacht ein wenig schämte: die schöne Königin hatte nämlich drei Brüste, und das ist für jede Frau sehr peinlich, besonders aber, wenn man einen großen Gott heiraten soll. Sundareswarar war zufrieden mit dem Handel, aber die Königstochter dachte, es wäre besser, nicht gleich mit ihm zu beginnen, sondern andern Leuten auch eine Chance zu lassen. So zog sie dann aus, rund durch die Welt, und besiegte alle Götter, die es da gab. Nachdem sie so viermillionensechshundertundsiebenundzwanzigtausenddreihundertundneunundvierzigmal über Götter und Dämonen gesiegt hatte – der indische Mythologe kennt sich aus im Himmel! – kam sie auf den Berg Kilas; da begegnete sie dem Sundareswarar, dem Herrn der Welten. Wie sie ihn nur erblickte, verschwand auf einmal ihre dritte Brust – und das war traurig, denn gerade darin saß ihre große Stärke, wie bei Simson im Haarschopf. Aber dann war es auch wieder gut, denn nun konnte sie den Gott heiraten, und das tat sie auch –

* * *

Ich schreite vorbei an dem Teiche Jelukadal – das heißt: die sieben Meere. Der dankbare Gott schuf ihn selbst und schenkte ihn seiner Schwiegermutter, damit sie hier baden und die heiligen Riten für den toten Fürsten erfüllen könne. Ich finde nicht, daß der Gott sehr großmütig war, die »sieben Meere« sind ein schäbiger kleiner Tümpel, und er hätte der königlichen Schwiegermama auch etwas Besseres schenken können. Denn ihm gegenüber ließ sich des Radja Familie wirklich nicht lumpen; nun freilich, man hat ja auch Verpflichtungen, wenn man seine Tochter so gut verheiratet –

Durch den weiten Basar zu der großen schönen Fontäne, dem schwiegermütterlichen Gegengeschenk. Vorbei an des Radja Appaya halbfertiger Gopura und der großen Tschultri, dem Rathause für die Pilger. Und nun schnell in die Pudu Mandapam. Dort stehe ich, zwischen den Säulen, im Dunkeln –

Wenige Minuten nur – –

Und nun bricht von Osten des Tages junges Licht herein. In kaum einer Sekunde flutet es durch die weite Säulenhalle, tausend Figuren leben, alle Farben jagen sich. Das ist der große Trick des Tirumula Nayak, des Enkels des Pandya, und er war stolzer auf diesen Lichtgedanken wie auf irgend etwas an seinen Bauten. Vier Reihen mächtiger Säulen tragen das Steindach der Halle, und jede einzelne Säule ist besonders gearbeitet. Alle königlichen Ahnen des Fürsten sind an diesen Säulen der Nachwelt bewahrt; in der Mitte ist eine große Säule mit dem lebensgroßen Bilde des Tirumala und seiner sechs Lieblingsfrauen; alle sieben beten eifrig um Kinder. Darüber strahlt die Decke in goldenen Lettern, zeigt den indischen Zodiak: möchte der erhoffte Thronfolger unter günstigen Sternen geboren werden. Alle die Säulen und Figuren sind Monolithe, sind aus einem großen Stück gehauen; sie sind bunt angestrichen und glänzen in Blau, Rot und Grün. Aber ich kann mir nicht helfen, sie sehen alle aus wie aus Holz und erinnern mich immer wieder an die bunten Karusselltiere auf den Jahrmärkten. Und doch arbeiteten tausend Steinmetzen zweiundzwanzig Jahre lang an dieser Halle, und doch gab König Tirumala hundertundfünfzig Lac Ein Lac ist 100 000 Rupien. Also etwa 20 Millionen Mark. dafür aus – und vollendete sie nicht einmal zur Hälfte.

Die Pudu Mandapam ist nicht für Schiwa bestimmt, sondern für Sundararaja Perumal, den Lokalgott Maduras. Dieser Gott – jede Stadt, jedes Dorf, ja jedes Haus in Südindien hat seine besonderen Götter – wohnt in seinem Tempel zu Alagar Koil, zwölf Meilen von Madura. Aber jedes Jahr im April zieht er zur Stadt, um im Fluß Vygai zu baden; deshalb hat auch Tirumala auf diesem Wege zweihundert Mandapams bauen lassen, falls es dem Gott belieben sollte, zu rasten. Für die königliche Familie aber baute er an diesem Wege das prächtige Tamkam, die Sommerresidenz; von hier aus konnte er bequem die Badereise des Gottes betrachten. Eines Tages versprach der Gott dem Fürsten, er wolle ihn jedes Jahr zehn Tage lang in Madura besuchen: um ihn würdig zu empfangen, baute der fromme Mann das gewaltige Pudu Mandapam. Man sieht, die Pandya-Familie des Nayak von Karnatak stand auf bestem Fuße mit den Göttern des Landes.

Aber es scheint, daß Gott Sundararaja Perumal zu Tirumala ebenso undankbar war wie Gott Sundareswarar zu seinen Ahnen. Trotz alles Betens und aller Opfer und Bauten bekam der Nabob doch keine Kinder. Das war schlecht von dem Gott, und ihm geschieht ganz recht, wenn heute seine herrliche Halle vermietet ist, vermietet an Hunderte von Händlern. Sie machen gute Geschäfte, und die Schiwapriester, die das Geld nehmen, noch bessere. Ich kaufe Kukumam, heiligen roten Puder, kaufe Vipudhi, heilige Schiwaasche, kaufe lange Schnüre weißer Opferblumen. Dann gehe ich in die Tempelstadt –

Vier Straßen laufen außen herum, drei andere führen innen herum um das Heiligtum des Sundareswarar und der Sri Minakschi. Tirumala Nayak baute es.

Die Mandapam der Lakschmi, Wischnus Frau, nimmt mich auf; Schiwas Söhne, Subramaniar und Ganescha, der Elefantenköpfige, bewachen es. Hier wohnt Lakschmi in achterlei Gestalt, als Dhana, Thanya, Santhana, Sowbagya, Veera, Vijia, Gaja und Dheera, als Göttin des Reichtums, der Ernte, der Kinder, der Gesundheit, der Ehre, des Sieges, der Elefanten und der Kühnheit. Von der andern Seite her, aus der Atehya Mandapam, schallt wilde Musik herüber.

Ich gehe hin und rufe: »Wer will mich führen?« Ein paar Brahmanen kommen. Aber ich mag die Brahmanen nicht. Sie sind unerträglich stolz und doch zudringlich, und sie kennen die Menschen so schlecht: sie betteln stets und verachten dabei den, den sie anbetteln. »Ich will eine Nautch.« Da holen sie eine Tänzerin. Sie ist wie eine reife Mangofrucht; die Zähne sind rot vom Betelkauen und die Augen sprühen. Aber sie spricht nur Telugu – und ich bin froh, ein wenig Tamil zu verstehen. »Eine andere.« Und sie bringen eine.

Die ist Tamilin, dieses Kind, die Frau Schiwas. Im Tempel geboren von einer Nautch, und im Tempel erzogen von den Nautch: zu Tanz, zu Gesang und zur Liebe. Kaum zwölfmal sah sie das große Fest der Gottheit und ist jung und ist unschuldig. Denn für sie ist die Liebe ein frommes Werk; und es ist ein Wohlgefallen in der Gottheit Augen, wenn sie mit dem Pilger schläft. Und wenn sie ihm dann viel Geld abnimmt – um so besser: die Priester bekommen ihr Teil davon und die Gottheit. Was wir Sünde nennen, ist große Tugend hier – und ich liebe die tugendhaften Frauen.

»Kleine Nautch,« sage ich zu ihr, »komm, führe mich!«

»Ich heiße Attam«, sagte sie. – Attam – das ist dünnes Gold, junges Gold, Blattgold, wie es auf den Tempeldächern liegt. »Du bist schön,« sagt sie, »mein Geliebter. Du bist schön, Feringhi, mein Fremder. Du bist weiß wie der Marmor an Minakschis Schrein. Deine Haare sind golden wie des Weltengotts Krone, und deine Augen leuchten grün, mein geliebter Herr, wie die Wasser im Teiche der Goldlotos.«

»Du bist lustig,« sage ich, »Attam, mein Goldherz, du bist fein und klug wie kaum eine Nautch in Schiwas heiligem Tempel. Aber denke, du kleiner Vogel von Kalis Palmen, denke, daß ich gut dich kenne und all deine Schwestern. Mein Haar ist blond wie das aller Feringhi; in dem heiligen Teiche starben längst die goldenen Lotos, und der schöne Marmor von Sri Minakschis Schrein ist schwarz, braun und grün von geschmolzener Butter und vom Miste der Kühe und Elefanten. Ihr solltet ihn rein halten, Attam, du und die andern Nautch. Aber ihr tanzt viel lieber, küßt nur und schwatzt!«

Da lachte Attam und sprang hoch auf. Und die Silberringe um ihre Zehen und die Goldringe um ihre Finger leuchteten in der Sonne, und die Fußreifen und Armreifen klangen hell, und die Halsketten und Stirnketten und die Nasenringe und Ohrringe strahlten auf ihrem braunen Fleisch.

»Tag ist es, kleine Attam, und nicht kerzenhelle Nacht. Ich will wandeln durch die weiten Tempel der Götter – willst du mich führen, Attam, meine süße Nonne?« Da lachte sie wieder – und nickte. Und sie zog mich hinüber zu einer andern Halle und sagte ernst: »Samukam Minakschi Naiker Mandapam.« Die Säulen waren dicht verhangen mit Kokosmatten; sie schlug eine zurück und zog mich hinein.

Und sie rief: »Schau um dich, mein geliebter Herr. Hier ist noch Nacht.«

Kronleuchter hingen von der Decke, große Kerzen brannten überall an den Seiten der großen Halle. Tausend Lichter leuchteten. »Du bist klug wie der junge Tag«, sagte ich. Und sie schlug ihre Hände zusammen und jauchzte und lachte mit den roten Zähnen. »Nein, nein!« rief sie. »Komm, mein schöner Herr, ich will dich führen!«

Händler kauerten auf dem Boden, und Attam kaufte und ließ mich zahlen. Wir kamen zu den Elefanten; die Nautch ließ sie knien und gab ihnen große Brotfrüchte. »Du mußt sie neu malen lassen«, sagte sie. Und ich gab den Mahauts Geld, daß sie von neuem Thiruman, Schiwas rundes rotes Zeichen, auf die Stirne der zwölf Riesen malen sollten.

Wir kamen zu den heiligen Kühen und den Kamelen; die fraßen meine Opferblumen. Kamen zur Thiruvachi, die mit siebenhundert Lichtern strahlte, und zum Puschkarani, dem Teiche der Goldlotos, der so grün ist wie meine Augen. Auf den weißen Treppen saßen Brahmanen und Büßer, beteten und tranken; Frauen kamen und füllten ihre Metallkrüge. »Du mußt Geld geben, mein einzig Geliebter«, sagte Attam. Und ich gab, Silberstücke, hierhin und dorthin, ohne Ende. Da war ein Sangam, eine heilige Schule; die Knaben sagten mir Sprüche der Vedanta – und nicht einen vergaß meine Nautch.

»Geh, Attam, meine Hibiskusblüte, du süßer Duft aus Labore! Nimm du mein Geld! Es ist nicht gut, daß ein Sahib allen Bettlern gibt.« Das verstand sie; sie nahm die Silberstücke und knüpfte sie in ihr Tuch.

Zu den Dwajasthambam kamen wir, den riesigen Flaggenmasten, über und über mit schwerem Golde bedeckt. »Attam,« lachte meine Nautch, »Attam, Attam!« Sie griff in ihr Tuch und gab den Brahmanen. Aber zögernd – ungern – langsam.

Und dann lief sie weg. Ich sah sie bei dem Händler, der in der Ecke kauerte. Sie kaufte Tempelblumen und feilschte lange mit ihm und wechselte. Sie sprang zurück, tobend, schreiend, überschlug sich fast. Und sie zeigte mir stolz ihr Tuch: einen großen Haufen von Kupfer. »Das ist besser!« rief sie.

– »Da ist sie geboren«, sagte sie und zeigte auf den Goldlotusteich. »Wer?« fragte ich. »Sri Minakschi,« sagte sie, »die Fischäugige, unsere Göttin.«

»Im Teiche? Aber ich denke, sie war Radja Pandyas Tochter und der Kajana Malai, seiner Frau?«

Nun, das verschlug Attam wenig; Kajana Malai war eben hinuntergestiegen in den grünen Teich, um dort ihr Töchterlein zu bekommen. Das war doch einfach?

»Ja, das ist ganz einfach«, nickte ich.

Wir schritten zu einer großen Säule am Nordrand; sie trägt das Bild König Pandyas, wie er seine Tochter anbetet und seinen Schwiegersohn –

In der Säulenhalle, rings um Puschkarani, sind vierundsechzig Wandbilder – sie zeigen die vierundsechzig Wunder, die der Gott einst vollbrachte. »Ist kein neues hinzugekommen?« fragte ich. »Nein, heute tut er keine Wunder mehr«, lachte die Nautch.

An der Westseite ein anderer Tempel aus schwarzem Granit; hier zieht sich Sri Minakschi aus, wenn sie an den Festtagen im Lotosteiche baden will. Vorbei an der Mandapam der Königin Rani Mamgammal, durch des dickbäuchigen Elefantengottes Tempel in die große Halle der Papageien. Manche Hundert Vögel schaukeln hier in den Ringen, Weihgeschenke frommer Pilger. Und endlich zu Sri Minakschis Heiligtum.

Attam erzählt mir, wie die Göttin bedient wird. Sechsmal am Tage, von morgens fünf Uhr bis nachts um zwölf – lange darf sie also nicht schlafen, die Arme. Zuerst wird sie ausgezogen, gewaschen und abgestaubt, dann wird sie wieder angezogen, dann bekommt sie zu essen und endlich werden die Lichter angezündet. Dann fängt es wieder von vorne an, sechsmal am Tage –

Durch Subramaniars Tempel zu dem Bade des Gottes Sundareswarar. Vorbei an Nandi, der heiligen Kuh, und an vielen großen Säulen, die alle das Bild irgendeiner Gottheit tragen. Chetties von Nattu-Kotta stifteten sie und tun es noch heute, diese schlimmsten Wucherer in ganz Indien. Vorbei an den Bildern der neuen Planeten, zu der Halle der tausend Säulen –

Attam gibt keine Rupien mehr, sie gibt Kupferstücke. Und sie lacht vergnügt, wenn sie irgendeinem stolzen Brahmanen einen schmutzigen Pei in die Hand drückt.

Oh, die Vahanams – die muß ich sehen! Und sie zerrt mich weiter.

Es sind die Wagen und Reittiere der Götter, und sie sehen genau so aus wie unsere Karusselltiere. Wischnu reitet den Adler, Ganescha die Ratte, Schiwa den Stier, Brahma den Schwan, Kali den Tiger und Hanuman den Affen. Ach, es müßte lustig sein, mit Göttern – »aux petits chevaux« zu spielen!

Nun aber wird sie ernst, die kleine Nautch. Der Götter Schmuck – der Götter Schmuck! – Es ist das herrlichste, was es gibt auf der Welt – aber ein Blick nur kostet fünfzehn Rupien! »So zahl sie doch!« sage ich.

Aber Attam schüttelt den Kopf. Sie springt zu dem Brahmanen und handelt. Sie schimpft, sie schreit, sie keift – – und dann läuft sie zurück.

»Zehn Annas!« sagt sie strahlend. »Nur zehn Annas hab ich bezahlt.« Und sie führt mich in das Schatzhaus.

Perlen, größer wie Haselnüsse, Rubinen, Brillanten und Smaragde. Das alles mag viele Hunderttausende, mag viele Millionen wert sein – ich weiß es nicht. Nur ein Wort brummt in meinem Hirne: »Alle Schätze Golkondas!« Aber das Herrlichste ist doch das berühmte, wunderbare Saphirenhalsband: wie Maulbeeren groß sind die Steine, alle gleich und von gleicher strahlender Farbe. Kein Mensch kann seinen Wert schätzen: es ist zu kostbar, um geschätzt zu werden.

Attam schweigt; ihre ganze Seele liegt in den Augen. »Geliebter Herr,« sagt sie endlich, »habt ihr so etwas im Lande der Feringhi?«

»Natürlich,« sage ich; »jeder Sahib schenkt seiner Frau das zur Hochzeit.« Oh, das möchte sie wohl sehen! Und ich sage ihr, sie solle nur mit umkommen nach Europa. Aber sie darf ja nicht – kein Hindu darf übers Meer fahren. Doch will sie sich's überlegen. Vielleicht kann sie Mohammedanerin werden; dann darf sie. »So?« frage ich. »Und warum denn nicht Christin?« »Chi! Chi!« macht sie, und das heißt: Pfui! – »Aber alle Feringhi sind Christen«, sage ich. Das weiß sie. Aber das ist was anderes. Die Feringhi sind große Leute, sind vornehme, sehr edle Christen: Sahibs. Aber die Hinduchristen sind niedrig geboren, nur schlechte Kaste, die das Essen verdirbt, wenn ihr Schatten darauffällt. Sie aber ist eine Brahmanin, ist eine Nautch, ist des großen Gottes Schiwa angetraute Frau. Nein, nein – Christin kann sie nicht werden – –

Wir gehen zum Tempel des Thirugnanasambandar – o Himmel, welche Namen doch diese indischen Götter haben! – und trinken dort Gnanapal, die Milch der Weisheit. Wir kommen zur großen Kalyana Mandapam, der Hochzeitshalle des Gottes und der Göttin, und von dort zu der Halle der tausend Säulen, der Ayarakal Mandapam. Viele der Säulen tragen Bilder von Göttern, Helden, Dämonen und Heiligen. Da ist die Statue des Kannapa Nayanar, des frommen Mannes, der sich zu Schiwas Ehren die Augen aus dem Kopfe riß, da ist König Haridjandra und Radja Pandya mit dem langen Ohr. Da ist Arjuna, der Blitzgott, halb Mann und halb Frau, ist Puruscha Mirugam, halb Mann und halb Tier –

Und Attam nahm mich zu den Orten, die verboten sind für den Europäer. Die Brahmanen murrten und Verstellten mir den Eintritt; hätte ich noch soviel Silber geboten – sie hätten es sicher genommen und mich doch nicht eingelassen. Aber die kleine Nautch gab ihnen Kupferstücke, schimpfte und stieß sie zur Seite. Ich sah die Lingams, Schiwas steinerne Gliede – der Himmel weiß, warum die Priester hier so geheim damit tun, während sie in Benares doch überall in allen Gassen stehen. Ich sah viel obszöne Bilder aus Stein und aus Holz, und die Kleine erklärte mir alles genau: es war heilig, war Gottesdienst, wie alles andere – da wird Unzucht zur frommen Zucht.

Als ich ging, gab sie mir den Rest des Geldes zurück – alle die Kupferstücke. Aber zum Abend solle ich kommen, wenn sie tanzen würde –

Und sie gab mir eine Pille zum Angedenken; die reinigt von allen schwersten Sünden und heilt alle schlimmen Krankheiten. Pantschagawia ist es, aus all dem geknetet, was uns die heilige Kuh gibt: Milch, Quark, Butter, Urin und Kot – –

* * *

Mein leichter Wagen trug mich hinaus. Zu König Tirumala Nayaks Palast, der heute als Gerichtshof dient. Merkwürdig, für sich selbst verschmähte der Fürst die indische Kunst; sein Palast, prachtvoll und prunkend, hebt sich auf Riesensäulen, die drei Männer nicht umspannen können, in spätem sarazenischem Stile, der dazu mit italienischer Renaissance Hindumotive verbindet. Ich fahre weiter zum Teppakalum, vorbei an dem riesigen Banyanenbaum, dessen Stamm vierzig Fuß breit ist, und dessen tiefer Schatten über vierhundert Fuß im Umkreise faßt, in deren Bereich ein paar hundert Luftwurzeln in die Erde wachsen, um die Zweige zu schützen. Teppakialum, ein großer künstlicher Teich, ist das Wasser, in dem die Gottheiten alljährlich einmal im Boote spazieren fahren, rund herum um die kleine Insel mit der Miyahalle, die die Bildsäulen Tirumalas schmücken und seiner Lieblingsfrauen.

Und ich fahre zurück in die Stadt, hinein in Maasi Veedhi, die große Basarstraße. Ich muß Seide kaufen, schwere, rote Maduraseide, goldgestickt. Die muß ich Attam bringen, dem kleinen Nautchgirl –

Heute – zur Nacht – –


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