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Indien und ich

Ich und die Bajadere

Es ist ein ganz beschämendes Gefühl, in Indien gewesen zusein und dann gar keine Bajadere gesehen zu haben. Und mir wäre es, weiß Gott, beinahe so gegangen. Die Bajaderen sind nämlich in Indien durchaus nicht so billig wie Brombeeren, sie sind vielmehr teuer wie Radium und wie dieses ein sehr seltener Artikel – für den Fremden wenigstens.

Ich war schon ein paar Wochen bei meinem guten Freunde, dem Maharadja von Vigatpuri zu Gast. »Hoheit,« sagte ich zu ihm, »Hoheit sind einer der reizendsten Fürsten von ganz Indien! Hoheit haben mir in liebenswürdigster Weise Gastfreundschaft erwiesen und wollen mich durchaus nicht wieder fortlassen, weil ich der einzige Mensch bin, den Hoheit im Schach hineinlegen können. Hoheit haben mir dafür ihren Silberpalast zur Verfügung gestellt und den schönsten Pfauenpark, den ich je sah. Ich schlafe in einem zwar etwas verwanzten, aber doch schwer goldenen, wundervollen Prachtbette, ich habe ein herrliches Marmorbad mit Wasserkünsten, ich habe vier Elefanten, drei Kamele, fünf Pferde und einen hübschen, kleinen Esel zu meiner Verfügung. Durch Hoheits gnädigen Befehl harren einige hundert Diener meiner Winke, und mit den Genüssen der indischen Küche bin ich viel besser nun vertraut als Brillat-Savarin. Hoheit haben mir ihren prächtigen Opelwagen gegeben, der mir viel lieber wäre als alle Elefanten, Kamele, Pferde und Esel, als alle meine Landauer, Maultierwagen, Ochsenkarren, Jinrickschas und Kulisänften, wenn nur Hoheits brauner Chauffeur ein klein wenig fahren könnte und ich nicht immer selbst auf den Lenksitz müßte. In Summa: ich bin mit Hoheits gnädiger und huldvoller Aufnahme ganz außerordentlich zufrieden und werde nicht verfehlen, für Hoheit überall Reklame zu machen. Aber – aber – mir fehlt etwas –«

Der Maharadja nahm den Schlauch seiner Wasserpfeife langsam aus den Zähnen. »Was fehlt Ihnen?« fragte er teilnahmsvoll.

»Zum Teufel,« sagte ich, »eine Bajadere fehlt mir! Jeder Dummkopf in Europa, der gar nicht einmal weiß, wo Indien liegt, weiß ganz genau, daß es da die herrlichsten Bajaderen gibt, auf deren überirdischen Reize selbst die Houris in Mohammeds Himmel neidisch sind. Ich aber laufe in diesem Lande von einem Ende zum andern, und ich habe, straf mich die Jungfrau, noch nicht die leiseste Bajadere auch nur durch ein Gitter gesehen!«

Mein Fürst rauchte und schwieg. »Es ist nicht so leicht«, brummte er dann.

»Hoheit,« erwiderte ich, »es ist nichts leichter als das! Wir brauchen nur alle zwei- und vierbeinigen Trabanten zu Hause zu lassen und hinabzusteigen in die Stadt. Inkognito natürlich! Und vermummt, wie Harun der Kalif und sein Großwesir!« Ich wurde ganz warm bei dem Gedanken und deklamierte mit Pathos:

»Wenn wir dann hinausgegangen,
Wo die letzten Häuser sind,
Sehn wir, mit gemalten Wangen
Manch verlornes schöne Kind.«

»Ja, ja,« nickte der Fürst, »so stellt sich das der gute Herr von Goethe vor. Ich kenne ihn so gut wie Sie! Aber glauben Sie mir: das Indien, von dem er erzählt, liegt irgendwo auf dem Mond! Wenn wir irgendwo da hinausgehen, wo einst Mahadöh ging, der Herr der Erde, – so werden uns zwar viele Krähen, Schweine und schmutzige Kinder begegnen, aber wir werden ganz gewiß keine Bajadere finden! – Übrigens, was wollen Sie mit den Weibspersonen? Ich will Ihnen meine gelben Knaben aus Birma rufen lassen, die sollen tanzen und den Dinggong singen. Oder soll ich die hübschen Pagen kommen lassen, meine blauäugigen Jungen aus Radschputana, die den Schwertsprung tanzen? Sie sind so weiß wie Sie selber und sind schön wie der Mond! Ihre Augen sind wie –«

»Lassen Sie mich aus, Hoheit!« unterbrach ich ihn. »Ich habe sie oft gesehen und kann sie durchaus nicht vertragen! Und wenn Hoheit selber keine Bajaderen auftreiben können, trotz aller Ihrer Paläste und Steine und Perlen und trotz der schönen Jahresrente von einer runden Million Pfunden, die Sie von der englischen Regierung beziehen – nun so werde ich es eben allein tun. Salam!«

Ich stand auf und ging entrüstet hinaus. Wohl fünftausend Kerle lungerten in den Gärten des Maharadja herum und in den Palästen, die darin lagen – aber nicht eine Frau war dabei! Und ich fand, daß der Fürst ein wenig zu sehr seinen Neigungen nachgehe, und daß ein richtiger indischer Maharadja geradezu die Pflicht habe, eine Schar von Bajaderen zu beherbergen! Aber so sind diese Leute – Autos haben sie, Telephone und Phonographen, auch Vakuumreiniger, Lifts, Warmwasserversorgungen und alle solche Sachen – aber Bajaderen? Keine Spur!

Ich ging in meinen Palast und rief meinen Leibsklaven Nadir Jahan; der war der größte Gauner, von allen und deshalb sehr bevorzugt von mir.

»Sohn eines Meerschweines,« rief ich ihn an, »ich werde dir heute Nacht noch stumpfe Nägel in die Kniescheiben schlagen und dir dreitausend Ameisen in deine schmutzige Nase setzen, wenn du mir nicht in einer Stunde die besten Bajaderen verschaffst, die aufzutreiben sind!«

Der Schuft Nadir hob seine Vorderpfoten zur Stirn und verbeugte sich. Er meinte, daß nichts leichter sei als das, und daß er nur mit dem Haushofmeister sprechen müsse, der in solchen Dingen Autorität sei. Er bat um fünf Minuten Urlaub, dann würde er mir genauen Vortrag halten.

Fünf Minuten sind in Indien immer eine Stunde – bei Nadir waren es gewöhnlich zwei. Aber diesmal war er in der Tat schon nach zehn Minuten zurück. Die Wünsche der Goldflamme – das bin ich – seien allerdings nicht ganz so leicht zu erfüllen, aber er, Nadir, der eifrigste aller Diener, und sein treuer Freund, der sehr ergebene Haushofmeister Mustapha Turkuman, würden alle Hebel in Bewegung setzen. Freilich wäre es teuer, und ich müsse einen kleinen Vorschuß geben.

»Wieviel braucht Ihr?« fragte ich. Er meinte, zweitausend Rupien. Ich sagte ihm, daß er das schmutzigste aller Schweine sei, und daß sein Freund Mustapha ein stinkender Igel sei, und daß sie beide, das Schwein und der Igel, ganz gewiß noch einmal am Galgen baumeln würden. Dann bot ich ihm zwanzig Rupien.

Drüben auf dem breiten Balkon seines italiänischen Renaissancepalastes saß der Maharadja neben der Fontäne auf seinem Marmortisch, von dem aus er Audienz erteilte; irgendeiner seiner Minister hielt ihm Vortrag. Der Mann war reicher wie Morgan – und ich handelte ein paar hundert Schritte neben ihm um den Preis für die herrlichsten Bajaderen, schlimmer wie ein Chinese. Ich brauchte ja ihm nur ein Wort zu sagen, aber ich war ihm heute böse und wollte meine Bajaderen allein bezahlen. »Tausend«, sagte Nadir. Fünfzig bot ich dagegen.

Aber der Kerl war hartnäckig wie ein Maultier, und ich mußte ihm schließlich zweihundertundfünfzig bewilligen. Dafür sollte ich aber auch das herrlichste bekommen, das es gäbe im ganzen Indien: dreißig engelschöne Frauen, die wie die Houris tanzen konnten, singen und dichten. Sie seien in dem Perlenpalaste, unten in der Stadt, nahe beim Delhitore.

Ich wäre gerne zu Fuß hingegangen, aber das erlaubte Nadir nicht. Er selbst eilte voraus mit seinem Freunde Mustapha, um alles zu besorgen, und bestellte für mich den weißen Landauer. Er ließ die Schecken anspannen, die schönen Schecken mit den Glasaugen. Das war auch so ein Gedanke von meinem Fürsten. Er sprach Lateinisch und Griechisch, kannte Shakespeare und Goethe und von seinem Grammophon sangen Caruso und die Melba. Aber daß ein blindes Pferd mit schönen roten Glasaugen sehr viel besser sei als eines mit richtigen Augen – das hätte ihm kein Kaiser ausreden können.

Mein Gefährt hielt im Park, ich stieg ein. Der Kutscher und der Kerl, der neben ihm saß, trugen schwarz-weiß-rote Turbans und Bauchtücher, ebenso die Burschen, die hintenauf standen, und meine Vorreiter und Nachreiter. Das war eine kleine Aufmerksamkeit des Fürsten für mich, und ich war immer sehr stolz, wenn ich so herumfuhr. Ich lehnte mich zurück und konnte träumen von den Genüssen der nächsten Stunden. Nadir und Mustapha waren beide Mohammedaner, zwei der wenigen in des Maharadjas Dienst; so waren sie gewiß anstelliger und geschickter als die ewig indolenten Hindu. Und sie waren beide verdammt gerissene Schurken – ich war also ziemlich sicher, daß ich heute mit ihren Diensten zufrieden sein würde.

Meine Schecken flogen wie Rustems Recksch und hielten dann auf einen Ruck. Ich starrte in die Dunkelheit – ich befand mich in einer sehr engen und unglaublich schmutzigen Gasse. Vor einer niedrigen Türe standen Nadir und Mustapha, sie hoben mich mit vielen Verbeugungen aus der Kutsche.

»Ist das der Perlenpalast?« fragte ich.

Nadir nickte; die Goldflamme möge geruhen, den Sammetfuß über die Schwelle zu setzen. Die Goldflamme geruhte auch, nachdem sie vorher dem Schuft eine Ohrfeige gegeben hatte; dann kroch sie in den Stall hinein.

»Ist dies der Saal der silbernen Lotosblumen?« fragte ich wieder. Diesmal nickte Mustapha und bekam auch eine Ohrfeige. Die Goldflamme ist eben ein gerechter Mann.

Das Meerschwein schleppte einen Teppich heran, und ich setzte mich. Dann kam die Kapelle: ein Kerl mit einer dicken Trommel und ein anderer mit einer Art Triangel.

Und endlich, endlich nahte die Bajadere.

»Wo sind die anderen neunundzwanzig?« fragte ich. Aber Nadir und Mustapha waren außer dem Bereich meiner Arme. Ich schwor, sie morgen gründlich durchzuprügeln, dann wandte ich mich zu der Bajadere. Und um mich selbst anzufeuern, deklamierte ich laut:

»Sie rührt sich, die Cymbel zum Tanze zu schlagen,
Sie weiß sich so lieblich im Kreise zu tragen,
Sie schmiegt sich und biegt sich und reicht mir den Kranz.«

O du – – Aber man darf beileibe nichts gegen Goethe sagen, weil der längst ein Heiliger ist bei uns!

Die Bajadere war fett wie eine von Bischeschwars heiligen Mastkühen im goldenen Kuhtempel zu Benares. So ungefähr muß Sulamith ausgesehen haben, König Salomons Geliebte, die er so hübsch im Hohen Liede besingt – ihre Beine waren wie zwei hohe Säulen, ihr Hals war wie der Turm Davids, ihre Arme waren wie zwei Zedern und ihre Brüste waren wie die Berge des Libanon.

Nun hob sich die Schöne – sie kam wirklich hoch. Und sie bewegte sich auch, kam hüpfend näher heran, so daß ich bei der Kokoslampe ihr Gesicht sehen konnte. Ich weiß nicht, ob sie schön war oder häßlich – sie hatte eben gar keine Züge, nur Fett, nur ungeheure Massen von Fett. Das Orchester brach los, und an den Zedern und Säulen klapperten die metallenen Reifen. Sie hob die Zedern und schob die Säulen vor, dann wackelte sie mit dem Bauch. Augenscheinlich strengte sie diese Art Tanz gewaltig an, denn sie schwitzte wie ein Kohlentrimmer im Roten Meer. Aber ich ließ sie ruhig hupfen: einmal aus Nächstenliebe, weil sie doch ganz gut ein paar Dutzend Kilo abnehmen konnte – und dann wollte ich doch auch etwas haben für mein Geld. So tanzte sie, schwitzte, keuchte und stöhnte – dazwischen spuckte sie, gute knallrote Betelspucke. Als sie meinte, daß es nun genug sei, griff sie meine Hand und begann zu singen.

Sie sang: »Meine Haare triefen von Kokosöl, für dich, o Goldflamme, habe ich mich gesalbt! Komm in mein Haus und ruhe, ich will dein weiches Bette sein. Komm zu deiner weißen Kuh, ein Bad ist dir bereitet, und meine Lippen bieten dir Pan-Supari –«

Und wirklich bot sie mir Pan-Supari, das ist Arekanuß, Betelblatt und Kalk. Jeder Inder kaut es und kann dann prachtvoll rot spucken. Ich mag aber Pan-Supari gar nicht und finde, daß es ganz scheußlich schmeckt.

Ich ging, stieg in meinen Landauer und fuhr wütend nach Hause. Die beiden braunen Halunken waren verschwunden.

– »Nun, war's schön?« fragte am anderen Morgen der Maharadja von Vigatpuri –


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