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Die Nautch

In Indien ist's grad wie bei uns zu Haus. Man schaue sich einmal eine Karte an, aber nicht eine aus unsern Schulatlanten: da ist ganz Indien rot gemalt und das soll heißen »Britischer Besitz«. Große Karten aber sind etwas gewissenhafter, sie sehen genau so buntscheckig aus wie eine Karte Deutschlands und zeigen außer dem Rot der Engländer noch alle Farben des Malkastens. Wir haben zu Hause Könige und Großherzöge und Fürsten und Herzöge und Grafen und Regenten und weiß der Himmel was für kleine Herrscher; in Indien ist es genau so, nur heißen sie da Radjas und Maharadjas, Nizams und Moguls, Sultane und Nabobs, Mudeliars, Adigars, Ratemahatmeas, Gaekwars, Sindhias und alles mögliche noch. Diese Menschen sind Hoheiten genau so gut wie die Herrscher unserer Staaten, nur sind sie meist viel reicher und viel mächtiger. Ihre Länder sind unendlich viel größer, allein in des Nizam von Hyderabad Reich kann man Deutschland bequem hineinstecken. Freilich dürfen sie auch nicht alles tun, was sie wollen und haben einen Mann, der noch mehr zu sagen hat wie sie – genau wie bei uns der Kaiser. Das ist der Vizekönig von Indien, der in Kalkutta oder – im Sommer – in Simla wohnt.

Was mich angeht, so ist am Ende doch ein Ding anders in Indien. In Deutschland bin ich nämlich ein armer Poet, um den sich keine Katze bekümmert, in dem Kaiserreiche der Ganga aber bin ich ein großer Sahib, ein sehr vornehmer Herr und das ist zur Abwechslung eine recht angenehme Sache. Man kann gar nicht sagen, wie leicht man sich an so etwas gewöhnt. Zu Hause ist man sehr froh, wenn Köchin und Stubenmädchen mit einem zufrieden sind, behilft sich mit einer sogenannten Etage, die die Berliner allen Ernstes »Wohnung« nennen, und fährt für zehn Pfennige in der Tram oder für eine Mark in Mietauto. Aber nach einer paarwöchentlichen Mastkur auf dem Dampfer – der Norddeutsche Lloyd hält es für seine Ehrenpflicht, Indienreisende tüchtig heranzumästen und so würdig vorzubereiten – wohnt man in seinem eigenen Palaste mitten in einem gewaltigen Parke, hat Diener, Autos, Wagen, Pferde und Elefanten. Freilich, man muß einige Empfehlungen haben.

Aber man hat eben einige Empfehlungen. Eine genügt eigentlich völlig: wenn man mit dem einen indischen Fürsten gut Freund ist, wird man vom Nachbar ebenso königlich aufgenommen. Wenn die beiden sich gut leiden mögen, was auch vorkommt, tut es der Zweite aus Freundespflicht; wenn sie sich aber nicht ausstehen können, was meistens der Fall ist, so empfängt einen der Nächste erst recht großartig: um seinen Nachbar auszustechen und zu ärgern.

Der Nabob von Prawankhur fragte mich, wie es mir denn bei seinem Nachbar gefallen habe? Ich sagte: großartig. Ob ich Tiger gejagt habe? Ja. Ob eine Parsentruppe Komödie gespielt habe? Ja. Ob ich mit Geparden und Cheetahs auf den Gazellenfang geritten sei? Ob der Maharadja Pferderennen für mich veranstaltet habe? Ob ich Schach gespielt habe mit lebenden Figuren? Ich nickte immer und der Nabob wurde ganz ungeduldig. Der Maharadja hatte dreimal so viel Millionen im Jahre zu verzehren wie er selbst, aber es war sicher, daß er ihn doch ausstechen mußte. Ob ich alle Tänze gesehen habe? Ja, sagte ich, Speertänze und Lotosspiele von geschmeidigen Jungen aus Birma. Und den Schwertsprung, von des Maharadja weißen Knaben aus Radschutana –

Auch Nautch? – Nein, Nautchgirls hatte ich nicht gesehen. Der Maharadja hatte keine Bajaderen, und ich glaube, in seinem ganzen Lande waren keine aufzutreiben.

Da lachte der Nabob. Er klatschte sich mit den flachen Händen an die Wangen und war sehr vergnügt. »Wir werden Nautchgirls haben,« sagte er, »heute abend noch.« Und er drückte auf den Knopf und ließ den Haushofmeister kommen. Er befahl sogleich zum Schiwatempel zu fahren und sie holen zu lassen.

Dann unterbrach er sich: »Oder sollen wir lieber selbst zum Tempel fahren und sie dort tanzen lassen?«

»Dort natürlich!« rief ich. »Jeder Fisch schwimmt am besten in seinem eigenen Wasser.«

* * *

Der Nabob von Prawankhur ist in Paris erzogen und seine Frau – oder wenigstens seine Hauptfrau – ist eine Amerikanerin. Sie hält ihn ziemlich streng, glaube ich; aber nun war sie auf Besuch nach Chicago, und der Nabob war Strohwitwer. Deshalb war er auch gleich dabei, als es galt, mir die Nautch zu zeigen. Er ließ anspannen; dann fiel ihm ein, daß wir noch den Herrn Generalmusikdirektor mitnehmen könnten. Der hieß Jakob Schulze und stammte aus Neuß – übrigens gibt es gar keinen indischen Fürsten, der nicht einen deutschen Kapellmeister hätte. Herr Jakob Schulze war ein guter Fünfziger und ziemlich dick; er hatte einen struppigen Vollbart, große rote Hände und trug eine goldene Brille. Er sah aus wie ein Schulprofessor und so war er auch – der Nabob hatte ihn holen lassen, daß er mir die theoretische Seite der Einrichtung der Nautch erklären solle. Was die praktische Seite anginge, meinte der Nabob, wolle er schon selbst helfen, er verließe sich im übrigen auf meine angeborenen Talente.

»Nach oder Nauch, sprich Nautch,« begann der Herr Kapellmeister, »ist ein den Drawidasprachen angehöriges Wort und bedeutet Tanz. Ein Nautchgirl ist also ein Tanzmädchen oder eine Tänzerin, wie wir uns auszudrücken pflegen. Ich habe es mir zur Pflicht gemacht, während meines nunmehr zwanzigjährigen Aufenthaltes hierselbst, die Sitten des Landes, Licht- wie Schattenseiten, gründlich kennen zu lernen und ich kann demnach über die Institution der Nautch, wie folgt, berichten. In früher Jugend schon – –«

Der dicke Generalmusikdirektor schnurrte ab, schnaufte und prustete und hüpfte dabei, wie ein aufgezogener Brummkreisel. Ich erfuhr, daß die Nautchgirls schon als Wickelkinder zum Tempel gebracht und dort Schiwa geschenkt werden. Sie sind bestimmt, die Tempel zu reinigen – dieser Aufgabe scheinen sie sich aber sehr erfolgreich zu entziehen, wenigstens starrten die vielen hundert Tempel, die ich in Indien besuchte, von Schmutz und namentlich von dem heiligen Mist der Kühe und Elefanten. »Nebenbei« lernen die Mädchen dann tanzen und singen. Da nun, nach der brahmanischen Kastenlehre, nur »Angehörige« die Wohnung, hier also Schiwas Wohnung, reinigen dürfen, so werden die Nautchgirls, wenn sie herangewachsen sind, feierlich mit dem Gotte verheiratet. Wenn dann dieser Heirat Kindlein entspringen, so werden die Jungen später Tempelmusikanten, während die Mädchen, als neue Nautchgirls, der unermüdliche Schiwa wieder heiratet, wenn ihre Zeit gekommen ist. Die Nautch sind gewiß von allen Frauen Indiens die beneidenswertesten; obwohl recht eigentlich Kehrfrauen, tun sie doch nichts, als tanzen, singen, dichten, lieben und Betel kauen. Als Gattin Schiwas oder eines andern Gottes sind sie dabei hoch angesehen, und wenn sie außerdem hübsch sind und ihre Künste verstehen, können sie leicht sehr große Reichtümer aufhäufen. Es gibt Nautchgirls in Indien, die für einen Tanz bis zu tausend Pfund verlangen und bekommen und die im Jahre Hunderttausende verdienen. Es ist dabei recht bezeichnend, daß dieselben Mädchen ihre Liebe weit billiger hergeben und sich oft mit wenigen hundert Mark begnügen. »Es ist«, sagte der Herr Kapellmeister Schulze, »eine im Grunde doch wohl mehr unmoralische als moralische Institution. Ich für mein Teil würde mich nie dazu hergeben, zu diesen leichtfertigen Geschöpfen in andere als rein künstlerische Beziehungen zu treten.«

Der Herr Generalmusikdirektor kaute auch, aber nicht Betel, sondern Stangentabak. Und als ich ihn so vor mir herumhüpfen sah, mit dem feisten Wanste wackelnd und mit dem dicken Mittelfinger sich beharrlich in der Nase bohrend, möchte es mir scheinen, als ob vielleicht auch die leichtfertigen Nautchgirls sich nur sehr schwer dazu verstehen würden, zu ihm in andere als rein künstlerische Beziehungen zu treten.

* * *

Der Wagen hielt, wir stiegen aus und schritten in die Tempelstadt. Durch den Torbogen der ersten gewaltigen Gopura. Ein paar Tausend Menschen wohnten in diesem großen Heiligtume, liefen geschäftig herum, nun da der Abend fiel. Kamen zu uns heran, hoben die Hände zur Stirne und neigten sich tief. Die Mahauts trieben die Tempelelefanten heran, denen Schiwas rotes Mal auf der riesigen Stirne flammte, die Mahrattentreiber nahten mit ihren Kamelen. Und die großen Tiere ließen sich zur Erde nieder, knieten und grüßten.

Wir schritten weiter, durch eine Gopura nach der andern. Wir kamen durch Tempel und Säle, vorbei an dem großen marmornen Lotosteich, auf dessen Treppen die Brahmanen mit dem heiligen Wasser die Brust befeuchteten. Schritten durch die Halle der Minakschi und den großen Spiegelsaal des Nabob Marimala, des Urahnen meines Fürsten.

Die Sonne sank, als wir die goldenen Kuppeln des heiligsten Schreines sahen. Aber wir ließen sie zur Linken, gingen weiter an den haushohen Dschaggernauthwagen vorbei, deren riesige Räder einst sich über die nackten Leiber der Gläubigen wälzten, Knochen brachen und voll klebten von Fleischfetzen und rotem Blute. Traten hinein in die große Halle der tausend Säulen –

* * *

»Sie trägt ihren Namen zu Unrecht«, erklärte Herr Schulze aus Neuß. »Es sind nur neunhundertundvierundfünfzig Säulen, es fehlen also nicht weniger wie –

»Um Gottes willen schweigen Sie!« fauchte ich ihn an. Der Herr Kapellmeister sah mich sehr erstaunt an – aber er schwieg nun.

* * *

In dem Saale der tausend hohen Säulen brannten viele tausend gelbe Dochte und sogen Kokosöl aus den bronzenen Lampen. Es war ein Lager da mit Teppichen und Kissen, und wir lagen und rauchten die langen Wasserpfeifen, die die Knaben brachten, aßen süße Zuckerfeigen und Melonenscheiben und tranken einen schweren blutroten Wein.

Weit, zwischen den Säulen, saß die Musik. Einer, der eine Trommel schlug, und wieder einer, der eine kleine Schilfflöte blies. Zwei schlugen Triangel und einer blies in einen Schweineschlauch. Und in diesen Lärm hinein sprangen dreißig junge Frauen. Sie wiegten sich her und wiegten sich hin, gingen zurück und kamen nahe heran. Blaue Seidentücher deckten sie, gelbe, rote und malvenfarbene; tief vom Knie bis hinauf zur Schulter. Ein breiter Silbergürtel schlang sich um den Leib und alle herrlichen Steine funkelten an ihren Armen, an der Stirne, der Nase und den Ohren, an Fingern und Zehen. Ich wußte nicht, ob das schön war oder nicht – so seltsam war es. Doch sah ich, wie der Kapellmeister unruhig hin und her rückte, und merkte wohl, wie der Lärm, den die Leute Musik nannten, ihn nervös machte. – Da gab ihm der Nabob ein Zeichen; er stand auf und verschwand hinter den Säulen.

Zugleich aber zerstoben rings die jungen Frauen, und es schwieg die Musik. Es schien kalt und leer in dem Saale der tausend hohen Säulen. Der Nabob reichte mir selbst die schwere Schale und ich trank sie leer.

Und dann begann es, hinten, ganz am Ende der großen Halle. Es war das Orchester des Nabob, das sein Kapellmeister leitete. Und im Augenblick liebte ich diesen Mann, den ich noch eben gehaßt. Das war Musik, war deutsche und gute Musik. Aber es war doch indisch, war das, was in diesem seltsamen Lande blühte und wuchs. Diese häßliche, plumpe Plebejerfaust, die dort den Taktstock schwang – sie hielt alle Rätsel und alle Mysterien des Wunderlandes; die Klänge, die sie hervorlockte, gaben alles das wieder, was keiner sagen konnte. O, dieser Jakob Schulze aus Neuß war ein rohes, häßliches Tier, war ein stinkender, plumper Bürger – und doch lebte irgendwo in ihm die sengende Flamme heiligster Empfindung. Es war, als sängen alle die tausend Säulen und atmeten die vielen tausend kleinen Flammen ein großes Mysterium tiefgeheimer Klänge.

Und hinaus aus dieser ewigen Musik traten zwei junge Frauen. Sie schreiten näher in kataleptischen Bewegungen, biegen sich, beugen sich, berühren den Boden mit den Fingerspitzen, mit der Stirne und den Schultern. Ihr glattes, schwarzes Haar ist gescheitelt in der Mitte, zwei schwere Zöpfe fallen nach vorne über die Brüste. Und weiße Tempelblumen stecken in dem glatten schwarzen Haar. Schwarze Opale singen von ihren Fingern, und auf den Zehen träumen die grünen Smaragde. Ein Alexandrit aber leuchtet im linken Nasenflügel, Rubinen strahlen aus den Ohren, und die Stirne schmücken viele große Brillanten. Sie biegen sich wie ein Reif, greifen jeden Klang, fassen in jeder Bewegung die geheimnisvolle Lust der Musik –

Sie stehen dicht vor mir, und die eine singt:

»0 du Flamme meines Lebens, o du Herr meines Leibes und meiner Seele! Du mein erster und mein einziger Geliebter! Warum hörst du nicht, mein König, auf den Ruf deiner Sklavin? Einst gabst du mir Perlen aus Ormuzd und alle Steine Golkondas, seidene Tücher aus Bokhara und süße Düfte aus Bagdad – o du, meine Sonne, was sollen mir die Schätze, da dein Herz sich mir abneigt? O komm, mein Geliebter, zurück – dein Bad wartet in meinem Hause und mein Lager trägt rote Rosen aus Ambers Gärten. Ich habe mich geschmückt für dich, du süßer Herr, meine Glieder duften nach guten Narden von Delhi! Laß mich deine Füße küssen, du Flamme meines Lebens, du mein erster und einziger Geliebter! Ambal bin ich, die zu küssen weiß wie keine im Lande, Ambal, deren weiße Arme sterben in Sehnsucht, dein Leben zu fassen, mein süßer Herr. Ambal bin ich – o koste, du Geliebter, so wie einst, den roten Trank meiner Lippen!«

Sie griff die Schale und nippte von dem Weine. Und sie bot mir den Wein in ihren granatroten Lippen – –


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