Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Krone des Lebens –
Glück ohne Ruh',
Liebe bist Du! –
Goethe.        

Im weißen Brautgewand standen die Linden des Lehrbacher Parks. Geheimnißvolles Summen und Schwirren ging durch die Blüten, als ob sich die laubigen Wipfel gegeneinander neigten, um sich holden Märchenklang von Liebe und Glück verheißungsvoll in das Ohr zu flüstern.

Die weißen Blattflocken wehten auf das blondlockige Haar Josephinens hernieder, welche, das Köpfchen tief über ein Buch geneigt, neben dem Rollstuhl des Ministers saß, um dem alten Herrn vorzulesen. Die wundervollen Sommertage hatten ihren Einfluß auf sein Befinden nicht verfehlt.

Noch war es allerdings ein marmorbleiches Antlitz, um welches die Silberlocken wehten, und welches noch unverkennbar die Spuren größter Leiden trug, dennoch war der starre, apathische Ausdruck vollkommen daraus gewichen. Und der noch 258 vor kurzer Zeit so verständnißlose Blick der grauen Augen war jetzt klar und ausdrucksvoll, und schmolz in Liebe und Weichheit, wenn er auf dem reizenden Gesichtchen seiner kleinen Pflegerin haftete. Die Lähmung war allerdings noch nicht gehoben. Und es schien auch wenig Hoffnung vorhanden, daß dieselbe sich jemals geben würde, Excellenz war schon zu alt und gebrechlich, um sich von einem solchen Leiden vollkommen erholen zu können. Schien es den Aerzten doch schon ein Wunder, daß der getrübte Geist sich in dieser Weise erfrischt und geklärt hatte. Graf Lehrbach beherrschte seit zwei Wochen die Sprache wieder, verstand Alles und nahm an Allem den regsten Anteil; das war ein großes Glück und eine namenlose Freude für seine Umgebung. Geduldig hatte er der unglaublich nüchternen und in jeder Weise unschädlichen Erzählung, welche ihm Josephine vorlas, zugehört. Plötzlich hob er die bleiche Hand und legte sie auf den Arm des jungen Mädchens.

»Laß genug sein, mein Haideröschen, Du ermüdest Dich!«

Mit schelmischen Augen blickte sie auf. »'s ist zu langweilig, gelt?! Aber das soll's ja sein, soll Ihnen, Excellenz, als bester Schlummerpunsch zu einer kleinen Siesta verhelfen, welche Ihnen so gut thut! Wenn Sie erst wieder die ganze Nacht von A bis Z durchschlafen, wird Ihnen auch diese interessante Lectüre geschenkt, deren treffliche Dienste wir vorläufig noch nicht unterschätzen dürfen!«

259 Der Minister lächelte. »Ich bin heute ganz und gar nicht müde, mein Liebling!« sagte er zärtlich, »und habe heute Nacht so fest geschlafen, daß ich sogar einen wunderschönen Traum hatte! Der schwebt mir immer noch vor, so klar und deutlich, daß ich mir einbilden könnte, ich wäre noch gar nicht daraus erwacht. Leg' die Reisebeschreibungen, vor welchen ich dankbar den Hut ziehe, bei Seite, und laß uns plaudern, Phining! Du böses Mädchen hast mir noch gar nicht erzählt, was Günther heute Morgen geschrieben hat, und dabei sah ich doch einen Expreßboten über die Terrasse gehen. Also schnell gebeichtet, Mademoiselle l'avare! Gönne auch anderen Leuten ein Brosämlein von dem Reichtum Deiner Neuigkeiten.«

Josephine war neben den Krankenwagen niedergekniet und hatte beide Arme auf der Lehne verschränkt. Mit neckischen Augen blinzelte sie zu dem alten Herrn empor, während ein höheres Rot verräterisch in ihre Wangen stieg.

»Fehlgeschossen, Gestrengster! Graf Günther und Briefe schreiben? Du lieber Gott, wo bliebe die deutsche Reichspost, wenn sie sich von dem Porto dieses Herrn ernähren sollte! Alle vier Tage eine Karte mit den lakonisch diktatorischen Worten: »Wie geht es Papa? Bitte dringend um Bulletins! Brief folgt.« Punktum! Oft spart er sich sogar die Unterschrift, und wenn dann wirklich dieser Brief folgt, dann ist er immer an Sie, und niemals an mich gerichtet!«

260 »Der arme Junge!« Ein fast schalkhaftes Zucken ging um den Mund des alten Herrn, »er wird denken: aut Caesar aur nihil! – entweder Alles an die Josephine schreiben, was ich will, oder gar nichts.«

Josephine schlug ganz erschrocken die Augen nieder. »Der Brief war von Herrn von Hattenheim!« sagte sie schnell.

»So? Und was will denn unser braver Reimar?«

Halb unschlüssig blickte das junge Mädchen empor. »Das sollte Ihnen eigentlich erst als Dessert aufgetischt werden!« lächelte sie, »wenn Sie recht brav eingenickt wären und die Freude Ihnen nicht mehr das Nachmittagsschläfchen hätte stehlen können. Da Sie aber Gott Morpheus doch nun einmal den Gehorsam gekündigt haben, so brauche ich nicht länger mit meiner Ueberraschung hinter dem Berge zu halten!«

Der Minister streichelte liebevoll ihr Köpfchen. »Da sieht man's, wie sie mit mir altem Manne umgehen!« scherzte er.

»Voilà das Skriptum Hattenheim,« fuhr Josephine heiter fort, einen Brief aus der Kleidertasche ziehend, um ihn feierlichst zu entfalten und seinen Inhalt laut vorzutragen: »Mein gnädigstes Fräulein! Da haben Sie nun bereits geglaubt, Sie wären den ›guten alten‹ Hattenheim für ein Weilchen los?! Trügerischer Wahn! Wenn diese Zeilen Sie erreichen, haben Sie gerade noch Zeit, 261 um in der Logirstube die Fenster aufzusperren und sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß mein Besuch als Damoklesschwert über Ihrem Haupte schwebt! Ich habe die Absicht, dem lieben Lehrbach meinen Besuch wieder meuchlings beizubringen, nachdem ich vor kaum acht Tagen von seinem gastlichen Dache Abschied genommen habe! Motiv der That ist ein Brief Günthers, welcher mich soeben hier in der Residenz überrascht. Seine Ferien beginnen bereits in den nächsten Tagen, und er bittet mich, »nach Lehrbach Staffet tu lopen«, um seine Ankunft bei Ihnen Allen vorzubereiten. Ich glaube, der eitle Gesell wünscht Guirlanden über die Thür! Haben Sie die Güte, mein gnädigstes Fräulein, Seiner Excellenz diese Freudenbotschaft im passenden Moment mitzutheilen. Ich schreibe vorsichtshalber an Sie, weil ich seit acht Tagen keine Nachricht über das Befinden meines teuern väterlichen Freundes erhielt. Um Wagen und Pferde an die Bahn bitte ich ebenso dringend wie ergebenst. Mich allseits zu Gnaden empfehlend, küßt Ihnen respektvollst die Hand Ihr

gehorsamster

R. v. Hattenheim.«    

Josephine blickte mit strahlenden Augen empor; schon während des Lesens glühte es über ihr geneigtes Gesichtchen, und durch die Stimme zitterte es wie mühsam unterdrücktes Jauchzen. Aber sie beherrschte sich meisterlich und fuhr eifrig fort. »Sehen Sie, Excellenz, welch eine Neuigkeit Ihnen 262 die geizige Josephine zwei volle Stunden lang vorenthalten hat! Du lieber Gott! schwer genug ist es mir wahrlich geworden! So, hier haben Sie den Brief! Erfreuen Sie sich noch einmal an seiner Lectüre und malen Sie es sich aus, welch eine Freude das sein wird, wenn Graf Günther plötzlich als leibhaftige Ueberraschung hier vor Ihnen stehen wird!«

Wie verklärt schaute der alte Herr in die glückseligen Augen des Haiderösleins, seine Hand erzitterte leicht auf dem Arm des jungen Mädchens. »Mein Günther, mein Herzensjunge wird kommen!« flüsterte er mit feuchtem Blick.

Josephine erhob sich, eine nervöse Unruhe erfaßte sie plötzlich. Es war ihr, als müsse jeder Blick, jedes Wort zum Verräter an ihrem Herzen werden.

»Ich will noch einmal die Fremdenzimmer revidiren, Excellenz,« sagte sie hastig, »und auch gleichzeitig die Wohnung für Ihren Herrn Sohn herrichten lassen. Denn nachher muß ich mit Tante Renate und Ange nach Groß-Stauffen zurück, und kann in den nächsten Tagen nicht wiederkommen. Vielleicht morgen noch einmal. Später leistet Ihnen ja dann Graf Günther Gesellschaft und Sie werden mein Ausbleiben nicht empfinden!«

Ein feines Lächeln spielte um die schmalen Lippen des Kranken. »So, so!« sagte er nur, »also untreu will mir mein Haideröslein werden und nach Stauffen zurückgehen! Daß ich doch einen Magnet 263 hier hätte, um den lieben Flüchtling zu halten! Aber sieh da,« unterbrach er sich plötzlich, den Kopf etwas hebend, um nach dem Gitterthor, welches die Parkallee vor ihnen abschloß, auszuspähen, »da kommt ja schon die gelbe Chaise! Oh, und alle Pastors drinnen, ich höre sie schon!«

Richtig, da schwankte es citronengelb auf hohen Rädern heran, das liebe, alte Stauffener Ungeheuer, diesmal halb geöffnet und wie es schien, mit einer Anzahl von Flachsköpfen bevölkert, deren hellstimmiges Juchzen soeben die Einfahrt von Lehrbach begrüßte.

»Ja, da kommen sie schon!« lachte Josephine glückselig, »all Ihre kleinen Verehrer, welche die Sehnsucht hertreibt! Ich will mich aufopfern, Excellenz, und Ihnen die Landplage noch ein bischen fern halten! Oder wünschen Sie geräuschvolle Unterhaltung?«

»Gewiß, mein Liebling! Laß mir die kleinen Schreihälse herzu, wir sind uns ja gegenseitig von Herzen gut, wenn sich auch gewaltige Extreme in unserem Verkehr berühren.«

Josephine faßte das sehr einfache, aber doch moderne und außerordentlich kleidsame Mousselinkleid leicht zusammen und eilte leichtfüßig und graziös, wie ein schlankes Reh, die schattige Allee hinab, dem Wagen entgegen.

Der entlud bereits seine reiche Bevölkerung. Ein kleiner Pastor nach dem andern kollerte über den rechtsseitigen Wagenschlag, dessen Griff zerbrochen 264 war und welcher darum, praktisch wie Alles in Groß-Stauffen, einfach zugenagelt wurde; so daß Tante Renate und Ange, Jede mit einem verdeckten Korb beladen, auf der linken Seite, welche sich in normal passirbarem Zustande befand, ausstiegen. Frisch, blühend und rosig wie die verkörperte Jugend und Gesundheit lachte Gräfin Ange der Freundin entgegen.

Ihre Wangen hatten sich gerundet und völlig jene blasse durchsichtige Färbung verloren, welche ihr in der Residenz ein so viel beneidetes vornehmes Aussehen gab. Die Sonne hatte sich ein Vergnügen daraus gemacht, das zarte Gesichtchen etwas südlich zu färben, denn die junge Dame lief mit Passion ohne Hut umher, und wusch sich mit hartem, eiskaltem Brunnenwasser, nach Gräfin Aostas Ansicht das absurdeste Beginnen einer Dame, und der vollständige Ruin jedes guten Teints! Lauwarmes filtrirtes Regenwasser mit einem Zusatz von Floridatinktur, voilà ce qu'il faut, um so schön zu sein, wie Gräfin Susanna.

Aber Ange Lattdorf hatte jegliche Eitelkeit in der Residenz zurückgelassen; ihre Verwandlung war eine fast unglaubliche.

»Siehst Du, Phine, das nenne ich eine tüchtige Wirthschafterin!« hatte Tante Renate oft mit entzücktem Schmunzeln gesagt, wenn das mit viel Mißtrauen in Stauffen aufgenommene Stadtdämchen, begeistert von dem Landleben, bereits am frühen Morgen im Kuhstall erschien, sich mit Passion beim 265 Buttern, Brodbacken, Gemüse- und Obsternten beteiligte, und mit strahlenden Augen versicherte, »jetzt erst habe sie die eigentliche Freude am Leben!«

Hattenheim stand oft mit hochatmender Brust und blickte wie verklärt auf die junge Dame, welche ihre eleganten Toiletten in dem Schrank hängen ließ, und sich zur dankbarsten Freude Josephinens die alten, fürchterlichen Kattunkleider des Gänseliesels hervorkramte, um sie voll Wohlbehagens aufzutragen.

Tapp tapp ging es dann in den Nägelschuhen über das Hofpflaster, die Zöpfe über den Rücken hängend, einen Korb am Arm und rechts und links einen Flachskopf im Schlepptau.

Da wurde es dem braven Hattenheim plötzlich eng um das Herz, und er wandte ganz erschrocken den Kopf zur Seite, als könne man ihm seine Gedanken über Cousine Ange von der Stirn lesen.

Was war es denn plötzlich, was ihn so wundersam an ihr entzückte? Just dasselbe, was einst sein Herz beim Anblick Josephinens hatte höher schlagen lassen, dieses schlichte, weibliche Aussehen, welches sein Ideal einer Gutsfrau verwirklichte.

Ange war nicht halb so hübsch und ideal mehr wie in der Residenz, keine Spur von der Salondame war geblieben, und der »kalten Schönheit« blühten warme Rosen auf den Wangen. Aber Reimar Hattenheim däuchte es, als habe sich ein unglaublich holdes Wunder mit ihr begeben, welches 266 ihm plötzlich die Augen geöffnet, um Gräfin Ange reizender, liebenswerter und anmutiger zu finden denn je zuvor im Leben. Josephine dahingegen glich dem Schmetterling, welcher die bunte Pracht der einmal entfalteten Flügel nicht wieder in unscheinbarer Hülle verstecken kann. Sie kleidete sich mit sehr viel modernem Geschmack, und blieb in jeder Bewegung und jedem Kostüm die elegante Vertreterin der vornehmen Welt.

»'s ist gut, sehr gut so!« nickte Reimar oft vor sich hin, »für Günther paßt's nicht anders, er hat einen allzu künstlerischen und exquisiten Geschmack: unmoderne Tournüre ist ihm ein Gräuel.«

Und dann blickte er unwillkürlich zum Himmel und dachte mit dankbarem Herzen: »Wie herrlich der liebe Herrgott doch Alles zu lenken weiß! Der weiß am besten, wie's zusammen paßt!« – –

So war die gelbe Chaise in den Lehrbacher Park eingefahren, und brachte, wie fast allabendlich, einen Pulsschlag Stauffner Lebens in diese Stille und Einsamkeit. Die Landplage war anfänglich in strengster Weise dressirt, in Gegenwart des kranken alten Herrn keinerlei geräuschvolle Kundgebung ihrer Anwesenheit zu wagen, was auch in gehorsamster Weise befolgt wurde, da das starre, ausdruckslose Antlitz in seiner leichenhaften Blässe die jungen Seelchen in ängstlicher Scheu erhielt.

Als aber nach und nach die Besserung vorschritt, und der Minister im Stande war, hie und da mit den Kleinen zu verkehren, da schmolz das Eis der 267 Befangenheit, und ließ den alten, sprudelnden Uebermut wieder aus dem Herzen quellen.

Da begann ein Wettstreit, den »liven ollen Griskopp« möglichst launig und originell zu unterhalten.

Wie ein Spatzenschwarm flatterte es sofort um den kleinen Krankenwagen, nur da, wo »Excellenzing« sein Hauptquartier aufgeschlagen hatte, wurde der Spielplatz erwählt.

Auch heute sah sich der alte Herr sofort wieder von seinen Getreuen umringt. Tante Renate und Ange begrüßten ihn nur »vorläufig«, da die Freifrau ihrer Angewohnheit gemäß sofort den Lehrbachschen Haushalt einer Musterung unterzog, um zu sehen, »ob's dem armen alten Mann auch an nichts fehle?« Seine Haushälterin war ja eine vorzügliche, von Frau von Wetter selbst empfohlene Person, »aber du lieber Gott! wie kann man heut zu Tage noch einem Menschen trauen. Außerdem ist die Phine viel zu quakelich, hat recht viel Geschick zur Krankenpflege, aber absolut keinen Feldherrnblick für Küche und Keller.« Das war ja seit jeher das Herzeleid der Tante gewesen.

»Sehen Sie, Excellenzchen, heute habe ich Ihnen schönen Himbeergelée und Saft mitgebracht!« nickte sie dem Kranken zu, und hob die weiße Serviette ein wenig von ihrem Handkörbchen, »ganz frisch eingekocht, nach speciellem Recept für Patienten, also nicht in kupfernem Kessel, sondern in Flaschen, verstehen Sie, das hat aber leider zur Folge, daß die Farbe nicht so schön bleibt! Na, da kommt's 268 ja aber nicht drauf an! Zeige mal Deine Butter, Ange! hm . . . . ein Bischen weich geworden, trotz der vielen frischen Kohlblätter! Das macht die miserabele Hitze in dem engen Wagen! Wollen sie gleich in kaltes Wasser stellen. Sehen Sie mal, Excellenz, wie goldgelb und lecker die ist! Und von wem höchst eigenhändig gebuttert? Hier, von unserem Prachtmädel, unserer Angelica! Hörst Du, Phine? . . . . so lasse ich mir es gefallen!«

Dann trat die Freifrau ihre Wanderung durch Küche und Keller an, dieweil die beiden jungen Mädchen die Logirzimmer inspicirten.

Ange glühte wie die dunkle Rose an ihrer Brust, als sie von Reimars plötzlicher Rückkehr vernahm. Sie brach im Vorübergehen einen duftigen Strauß, um sein Zimmer damit zu schmücken, sie lachte und jubelte, wie ein ausgelassenes Kind.

Droben in dem kühlen Dämmerlicht der Stuben schlang Josephine plötzlich den Arm um den Nacken der Komtesse. »Ange!« rief sie mit zitterndem Jubel, »ist es Dir denn auch so wunderlich zu Sinn? Mir ist die Welt plötzlich zu eng, und ob mir schon der Himmel weit offen däucht, ist doch nicht Platz genug für all meine Glückseligkeit!«

Da strahlte ein Lächeln über das Antlitz der jungen Gräfin. »Das macht, es hat die Nachtigall die ganze Nacht gesungen, da sind bei ihrem süßen Schall, da sind bei Schall und Wiederhall die Rosen aufgesprungen!« sang sie leise, wie ein flüsterndes Bekenntnis in das Ohr der Freundin. – –

269 Währenddessen ließen es sich die Flachsköpfe angelegen sein, den Minister mit ihren vortrefflichsten Unterhaltungskünsten zu erfreuen. Renatchen, bei welchem noch jeder Begriff von Behaglichkeit mit der Sorge um den nicht zu klein geratenen Magen Hand in Hand ging, entlud aus dem zweifelhaft sauberen Ledertäschchen, auf welchem in blauem Perlengrund eine Katze gestickt war, eine Portion schwarze Kirschen, welche unverkennbare Spuren an sich trugen, daß ihre Besitzerin in der Enge des Wagens schon zum öfteren auf ihnen gesessen hatte.

Nicht gerade appetitlich triefte es von den kleinen Fingern, welche die Gequetschten mit energischer Nötigung den Lippen des alten Herrn präsentirten. »Iß doch man 'n beten, die Maden hevv ik schon all' rutpolkst!« offerirte Renatchen voll herzgewinnender Liebenswürdigkeit, und als sich »de oll Grieskopp« beharrlich weigerte, zuzulangen, und mit freundlichstem Lächeln sagte, »die Kirschen sind ja ganz zerdrückt, Renatchen, wirf sie fort, und laß Dir von Josephine frische aus dem Garten hier geben!« da nickte die kleine Dame ganz einverstanden und sagte: »die frischen könn' man better nach die ollen kommen, wegsmieten thue ik die noch lang' nich'!« sprach's und aß mit vollen Backen.

Lieschen überraschte inzwischen den alten Herrn mit einem neuen Kunststück. »Paß mal uff, Herr Excellenz! jetzt schieß ich Dir een' Purzelbock!« worauf hin sie sich ächzend bemühte, ihre korpulente kleine Gestalt um die eigene Achse zu rollen. Die 270 Leistung wurde anerkannt und nach einmaliger Wiederholung der hohen Temperatur halber eingestellt.

Gottholdchen dahingegen hatte bereits raffinirtere Dinge ersonnen, welche seiner Ansicht nach nicht wirkungslos an dem Kranken vorüber gehen konnten.

»Du! kiek mal! Wat de Padde mit de Been' slenkert, wenn he se mi'm Strohspier onnern Liev kittelt!« juchzte es im Chor, als der kleine Unmensch ein Fröschlein in besagter Weise maltraitirte, und es schien Allen schier unbegreiflich, daß der Herr Excellenz so geschmacklos sein konnte, dieses Plaisir sofort zu untersagen.

»Kannste ok de Padde in' Mund nehmen? . . . . nee? Aewerst ik! kieck mal dar!«

»Du! to Hus spölen wi jetzt immer ›Exellenzing‹, dann muß Gottholding sich akkerad so hinsetzen wie Du, un' zu uns seggen: ›Kinnigs, kiekt mal tau, ob de Mamsell ok Kauken fer euch hett!‹ un' dann is Liesing de Mamsell un' backt' 'em fixing ut Sand!!«

Der Minister verstand diese zarte Anspielung sofort: »Na lauft mal hin zur Mamsell und sagt ihr, sie soll euch Obst und Kuchen geben!« lächelte er höchlichst amüsirt, worauf hin die Landplage wie bei gefallenem Stichwort in höchsten Jubel ausbrach und wie eine losgeschossene Schrotladung davonstob.

Nun war für kurze Zeit wieder Ruhe um den 271 alten Herrn. Dann bestürmten Pastors die Komtesse, mit ihnen dem Wagen Reimars entgegenzugehen. Josephinen suchten sie vergebens, sie war wohl allzusehr im Fremdenzimmer beschäftigt.

Den sandigen Fahrweg entlang rollte die Lehrbachsche Equipage.

Als sie in die Nähe des Schloßparkes kam, hielt sie auf Befehl an, und zwei Herren stiegen aus, um den Fußweg durch die Wiesen und die Anlagen einzuschlagen.

Graf Günther und Hattenheim.

Als das Gebüsch sie den Blicken des Kutschers entzog, blieb der junge Graf stehen und legte tief aufatmend die Hand um den Nacken des Freundes.

»Daheim, Reimar! . . . wieder daheim! . . . Gott sei gelobt, daß ich mit solch frohem und leichtem Herzen diesen Boden wieder betreten kann! Eine Zeitlang hatte ich die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder Besitzer von Lehrbach zu sein. Und wenn ich heute daran zurückdenke, will's mich dünken, als hätte mich nur ein schwerer Traum gequält.«

Hattenheim blickte in das schöne Antlitz des Sprechers. »Seine Spuren hat er aber dennoch zurückgelassen, dieser Traum,« scherzte er, »ich werde morgen eine Lupe holen und die weißen Haare suchen, von welchen Du mir in Deinen ersten Briefen schriebst! Wo sitzen sie denn, Kleiner, he? ich will diesem frechen Altweibersommer doch 'mal energisch mit der Scheere zu Leibe gehen!«

Günther lachte. »Um mir meinen mühseligst 272 verdienten Orden, mit welchem Schicksal und Erfahrung ihre Kämpen auszeichnen, abzuknöpfen? Nein, Dicker, meine grauen Haare verteidige ich, wie eine Wildkatz' ihre Jungen! Nicht Jeder kann ein solches Denkmal an den Schläfen aufweisen! Siehst Du, mit diesen grauen Haaren ist der alte Günther von ehedem zu Grab gelegt, und ein Grenzstein gesetzt, welcher den großen Wendepunkt meines Lebens markirt! Sieh hier,« und Job Günther zog den Hut von den dunkeln Locken, »überzeug' Dich, welch ein ehrwürdiger Mann aus der Welt heimkehrt!«

Lachend neigte er das Haupt und Reimar konstatirte voll feierlichen Ernstes, daß sich thatsächlich über den Schläfen etliche ›Silberflocken in dem Pelz‹ befänden, daß sonst aber noch keine Motte darin gewesen sei! »Ja, ja, Kleiner, es ist die höchste Zeit, an die Zukunft zu denken, werde nächstens ein reelles Heiratgesuch für Dich in das Deutsche Tageblatt einrücken lassen!«

Günther lachte. »Hast Du so wenig Hoffnung und Vertrauen auf die Unwiderstehlichkeit Deines Freundes, daß Du Dich bereits zu solchem Akt der Verzweiflung versteigen willst?«

Es war noch immer das sonnige Antlitz des Glückskindes, welches sich mit strahlenden Augen der Ruine zuwandte, deren graues Gemäuer bereits dicht vor ihnen aus den laubigen Wipseln stieg.

»O nein!« schüttelte Reimar seufzend den Kopf, »ich fürchte sogar diese Unwiderstehlichkeit recht sehr!«

273 »Also doch! Na Mut, Dicker! Wem soll ich aus der Nähe bleiben?!« Es zog trotz der scherzenden Worte dennoch wie ein Schatten über seine Stirn.

»Es ist ein seltsames Zusammentreffen, Günther«, fuhr Reimar mit gesenktem Haupt und sehr ernsthaft fort, »daß vor wenigen Tagen ganz plötzlich die jetzige Besitzerin von Lehrbach hier eingetroffen ist, um das Gut wenigstens noch einmal mit Augen zu sehen, ehe sie es Dir zurückgibt. Sie wollte die ganze Sache eigentlich mit mir abwickeln, da sie aber von Deiner Ankunft hörte, zog sie es vor, lieber direkt mit Dir zu verhandeln. Dieses tête-à-tête macht mir nun viel Kummer, lieber Günther, denn die Dame ist bezaubernd und vielleicht noch unwiderstehlicher wie Du – –«

Günther, welcher zuerst aufmerksam lauschend stehen geblieben war, that ein paar ungeduldige Schritte.

»Zum Kukuk mit solchen Schnacken, Reinz, ich heirate überhaupt niemals!« entgegnete er förmlich ärgerlich.

»Wir wollen uns wieder sprechen, wenn Du dem entzückendsten aller weiblichen Ideale, der Besitzerin von Lehrbach in die Augen geschaut hast!«

Der junge Graf biß sich auf die Lippe. »Kennst Du mich so schlecht?« fragte er gepreßt. »Erlaß es mir, mich über Herzensangelegenheiten zu äußern.« 274 Dann fuhr er ruhiger und gleichgültig fort: »Wie heißt die Dame eigentlich? Es ist unglaublich, aber wahr, daß ich bis jetzt trotz all meiner Anfragen noch keine Antwort von Dir erhalten habe, wer unser Gut eigentlich angekauft hat? Eine Ausländerin, schriebst Du?«

Reimar kraute sich hinter dem Ohr, es wurde ihm unsagbar schwer, seinen Schalk zu bemeistern.

»Ja weißt Du, Kleiner, es ist so ein ›Donnerwetterscher‹ Namen, daß ich Mühe habe, ihn auszusprechen, ich will Dir aber ihre Visitenkarte verschaffen. Was Rares von Familie ist sie allerdings nicht, etwas parvenue, man sagt, sie solle in ihrer Jugend Gänse oder Puten gehütet haben, was weiß ich! Aber auf alle Fälle ist sie reizend.«

Günther war zerstreut. »Ist . . . . ist Josephine in Lehrbach?«

»Zeitweise!«

»Sie kennt die Dame auch?«

»Ei gewiß!«

»Harmoniren sie zusammen?«

»Oh, ein Herz und eine Seele!«

»So schnell?!«

»Wo die Wetter ist, da ist die . . . . die Dingsda auch, und was Josephine will, das will sie auch, und was Gänseliesel bestimmt, dazu gibt sie ihren Segen, mit einem Worte, unzertrennlich!«

Günther blickte starr vor sich nieder, sonst hätte ihn Reimars verschmitztes Schmunzeln irritiren müssen.

275 »Ist denn das Frauenzimmer eigentlich Wittwe, daß sie so allein in der Welt herumsegelt und so selbständig über derartig große Summen, wie sie zum Ankauf von Lehrbach erforderlich waren, verfügen kann?«

»I wo! . . . . ein alter Onkel heftet sich an ihre Fersen! Na gedulde Dich nur, Du wirst sie wohl noch heute Abend von Angesicht zu Angesicht schauen!«

Gedankenvoll blickte Günther auf: »Ist wohl Josephine jetzt auch bei Papa?« fragte er.

»Ich hoffe es, mein Mausel; gewiß weiß ich nichts, denn ich komme ja soeben, gleich Dir, von der Reise!«

Der junge Graf blieb plötzlich stehen, faßte Hattenheims Arm und blickte ihm fest in das Auge.

»Reimar«, sagte er sehr bewegt, »Du hast die Anspielungen in meinen Briefen stets ignorirt, und mir niemals aus freien Stücken irgend welche Konfidenzen gemacht, wie es um Dich und Josephine steht. Jetzt nun, ehe ich ihr wieder entgegentrete, schenke mir klaren Wein ein, damit ich weiß, in welcher Art ich mich ihr gegenüber zu verhalten habe. Liebst Du sie, Reimar?«

»Nein, Günther, ich liebe sie nicht!«

»Undenkbar!

»Höre mich an.« Die Stimme des jungen Mannes klang sehr fest, sein Antlitz wurde feierlich ernst.

»Als ich Josephine zuerst kennen lernte, das schlichte, einfache Naturkind, mit dem grauen 276 Regensack bedeckt im Heu liegend, da ging es plötzlich wie ein seliges Aufleuchten durch mein Herz, welcher Art das Weib sein müsse, welches mich dereinst beglücken könne. Ich lernte meinen eigenen Geschmack verstehen. Solange ich Josephine in Groß-Stauffen sah, erschien sie mir die Verwirklichung des Ideals, welches ich mir von einem Mädchen gemacht hatte, obwohl ich einsah, daß ihm noch Manches zur Vollkommenheit fehlte. Ich bemerkte, daß Alles, was sie für Haus und Hof that, nur Gehorsam war, daß sie aus Lust und Liebe, aus eigenem Herzensdrang keine Landwirtin war. Ich entschuldigte es mit ihrer Jugend. Von dem Augenblicke an jedoch, wo ich sie modernisirt und elegant im Lattdorfschen Hause wiedersah, war das Traumbild zersplittert, welches ich mir bei unserer ersten Begegnung für die Zukunft gemalt hatte, da war Josephine nicht mehr das naive, ländliche Gänseliesel aus Groß-Stauffen, da war sie eben das, was all die tausend anderen Großstädterinnen für mich waren, eine Salondame. Wohl ist sie mir auch da noch liebreizend und entzückend, im Sinne der Schönheit wohl sogar noch viel anmutender wie früher erschienen, aber ich sah sie nur noch mit den Augen und nicht mit dem Herzen an, ich war ihr Freund, nichts weiter. Du weißt, ich bin ein wunderlicher Gesell, Du darfst mich nicht mit dem normalen Maßstab messen, ich gehe eigene Wege, welche ich mir oft selber mit Dornen pflastere. Daß ich Dich lange Zeit in dem Wahn gelassen, ich sei ein Freier 277 Josephinens, das – das – that ich Deinetwegen. Und den Grund hierfür erzähle ich Dir ein andermal. So, nun ist Dir hoffentlich der Wein klar genug eingeschenkt, darling, und schmeckt wohl auch doppelt süß nach der vielen bitteren Arzenei, die ich Dir vorher zu kosten gab, zürn' mir nicht deswegen, sie hat einen ganzen, einen Staatskerl aus Dir gemacht!«

Reimar zog den Freund an die Brust, durch seine Stimme klang es wie ein Aufjubeln nach Todesangst.

Prüfend sah ihm Günther in die Augen. »Du bist eine so unglaublich brave Seele, Reinz, die mir schon mehr wie einmal ein ungeahntes Opfer gebracht hat, daß Du mir einen Argwohn in diesem Augenblick nicht übelnehmen darfst! Hand aufs Herz, Reimar, sind Deine Worte Wahrheit, oder erzähltest Du mir nur ein schönes Märchen, um Dein Herzeleid und meine Scrupel in schönen Traum zu wiegen?«

Hattenheim lächelte und legte die Hand feierlich auf das Herz. »Lauter Wahrheit, Job Günther, vorläufig nur Worte, aber, so Gott will, auch bald eine That, welche Dir besser denn alles Reden beweisen wird, daß Dein alter Freund mit keinem Gedanken mehr an ein Haidenröslein denkt, welches einzig für den wilden Knaben hier an meiner Seite erblüht ist!«

Wie ein erstauntes, fast betroffenes Aufzucken ging es durch die Züge des jungen Grafen.

278 »Reimar . . . Du . . .?« Dann unterbrach er sich und faßte die Hand des Freundes mit herzlichstem Druck. »Das würde mein Glück vollkommen machen, Reimar, kein Wunsch würde mir mehr bleiben!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann fragte Günther hastig und leise: »So glaubst Du, daß ich Hoffnung habe, daß Josephine die Meine wird? All die namenlosen Opfer, welche sie meinem Vater gebracht hat, bürgen mir wohl dafür, daß sie mir all meine Schuld vergeben hat, was aber kann mir Gewißheit geben, ob sie mich auch liebt? . . Ich werde nun und nimmer den Mut haben – –«

»Pst!« sagte Reimar, den Sprecher jäh zurückhaltend, »stop my Darling!« Dabei hob er die Hand und wies auf ein lichtes Frauengewand, welches durch das Gebüsch von der Ruine herüberschimmerte.

Der Weg hatte sich mälig gehoben und führte in kleinem Bogen zu dem alten Gemäuer empor, welches überwuchert von blühendem Gezweig, rosig, weiß und goldig überhangen von Jasmin, Rotdorn und Herlizien einem verzauberten Dornröschenschloß glich, auf dessen moosigem Fenstersims das süße, goldlockige Königskind mit sehnsuchtsfeuchten Augen ihrem kühnen Heldenjüngling entgegenträumt.

»Da sitzt die Herrin von Lehrbach!« flüsterte Reimar geheimnißvoll, »komm' schnell, daß ich Dich als Opfer auf den Altar ihrer Holdseligkeit lege.«

279 Unwillig wich Günther zurück. »Laß uns zurückgehen und einen Umweg machen!« grollte er.

»Das sollte fehlen, Du Hitzkopf, komm, pirsch' Dich noch ein bischen näher und sieh Dir wenigstens die gütige Fee einmal an, welche schirmend ihre Hand über das Schloß Deiner Ahnen gehalten hat.«

Er schob Günther mit energischem Arm bis zu der Biegung des Weges vor.

Rotgoldene Abendsonne warf ihre letzten Strahlengarben über die schlanke Mädchengestalt, welche den beiden Herren den Rücken kehrte und auf dem grünübersponnenen Gestein saß. Mehr mechanisch wie eifrig zeichnete sie einen Namen oder Buchstaben gegen einen grauen Quader, das Köpfchen war geneigt, wie ein zitternder Schleier lag der Sonnenglanz auf den wehenden kleinen Löckchen, welche ein Windzug kosend aus der Stirne strich.

Tiefblauer, endloser und lichtdurchflammter Sommerhimmel wölbte sich über dem zackig gebrochenen Gemäuer, jubelnde Vögel schwangen sich hoch empor in die azurne Klarheit, zirpten und lockten in den duftenden Akazienzweigen, aus welchen die säuselnde Luft einen schneeigen Blütenregen über die Einsame schüttelte. Günther zuckte zusammen, stand regungslos und starrte wie gebannt auf das liebreizende Bild. »Josephine! . . . .« murmelte er, »Josephine . . . . die Herrin von Lehrbach!« . . . .

Ein Beben ging durch seine Glieder, er hörte es nicht, daß Reimars Schritte hinter ihm 280 verklangen, er hatte nur noch einen Gedanken, nur noch einen Begriff alles Daseins, jene lichte Mädchengestalt auf dem Gemäuer dort!

Das purpurne Sonnengold fluthete berauschend durch seine Sinne, der süße Akazienduft faßte ihn wie mit Zaubergewalt und zog ihn näher zu ihr heran.

»Josephine!« klang es wie ein jubelnder, liebe- und glückdurchzitterter Aufschrei durch Sonnenglanz und Duftwogen. »Josephine!«

Das blonde Mädchenhaupt schrak empor, sah mit großen, angstvollen Augen einen »wilden, braunlockigen Knab'« neben dem rankenden Haidenröslein stehen, der sah sie an mit demselben dunkelleuchtenden Blick, welcher einmal schon ihre ganze Seele zu eigen nahm, der hob die Arme und breitete sie nach ihr aus . . . .

Da wogte und wallte es plötzlich um sie her, da stürzten die weißen Blüten erstickend auf sie nieder, es wankte das Gemäuer unter ihrem Fuß, und das Abendgold schlug in himmelhohen Flammen über ihrem Haupte zusammen, Josephine aber preßte die Hände gegen die Brust, ein leiser, halberstickter Jubellaut rang sich von ihren Lippen – – und dann fühlte sie sich ganz sicher und geborgen in dem wonnigen Taumel des Glückes. Zwei starke, treue Männerarme umschlangen sie, zwei zuckende Lippen neigten sich auf ihre traumgeschlossenen Augen. Ein Flüstern und Atmen ging durch die ganze Natur, rosige Wolken wehten über den Himmel, wie Glockenläuten regten sich die Blumen im Wind.

281 Ein Sonnenstrahl traf den Felsquader, auf welchen die weiße Mädchenhand soeben noch die Buchstaben gekritzelt: »Wem nie durch Liebe Leid geschah, geschah durch Lieb' auch Liebe nie!« Hell auf glänzten sie, wie lauteres Gold. – 282


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