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»Mein Lieb ist falsch – Ach, wär' ich todt!« |
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R. Franz, comp. |
Das gewaltige Viereck des Palais lag wie ein strahlender, lichtverklärter Würfel inmitten einer kalten, schneedurchwehten Winternacht. An der Auffahrt, zu beiden Seiten des Portals, loderte es aus rötlich qualmenden Pechurnen, einen grellen Schein auf die weiße Schneedecke, auf die flatternden Fahnen werfend, welche wie gierige Zungen um die schlanken Säulen leckten und die Eissternchen als glitzernden Sprühregen von den Häuptern der broncenen Löwen fegten.
Und die Wagen donnerten über die Asphaltplatten, und die pomphaft gallonirten Lakaien in roter Livrée und gepuderten Perrücken flogen herzu und rissen den Schlag auf; da rauschte es von Seide, Atlas und duftigen Spitzen, da klirrten Sporen und Säbel, da knarrten die Lackstiefeln über die schwellenden Purpurläufer.
Das ganze Treppenhaus war in einen Garten 203 verwandelt, durch das Goldgitter der Balustraden nickten die blühenden Fliederzweige und Fuchsias, streuten die Oleander ihre rosigen Blattflocken, wiegten sich die zierlichen Farrenwedel unter der Erschütterung der Schritte, welche ununterbrochen die marmornen Stufen emporeilten. Weit geöffnet standen die Flügelthüren, freien Blick in die Empfangssäle gewährend, deren blendendes Lichtmeer sich noch in hundertfachem Reflex in den gewaltigen Spiegelwänden brach.
Buntes, glühendes, lustatmendes Leben pulsirte unter diesen Flammen, ein geheimnißvolles Rauschen und Knistern und gazeduftiges Rieseln lang hinwogender Schleppen, ein üppiges Chaos farbensprühender Toilettenpracht, aus welcher die weißen, aristokratischen und tief decolletirten Nacken tauchten, besät mit blitzenden Preciosen.
Da lagen die goldenen Reifen, die schmachtenden Blütenkränze, die kecken Strauß- und Maraboutagraffen in den hochtoupirten Haarwellen, da zitterten die Brillant- und Rubintropfen in wehenden Löckchen, ringelten sich schillernde Schlangenleiber um die Arme, lächelten, strahlten, träumten und lockten die zauberischen Augensterne reizender Frauen!
Zwischendurch schoben und drängten sich die verschiedenartigsten Waffenröcke, Fracks und roten Uniformen der Landstände, Hof- und Forstbeamten, Vertreter der auswärtigen Mächte, der Kunst und Wissenschaft und selbst die würdigen Häupter der Kirche in vollem priesterlichen Ornat.
204 Da prahlten die langen Ordensreihen auf der Brust ihrer verdienstvollen Vertreter, renommirten die Kammerherrenschlüssel und blitzten die goldenen Tressen. Alle Eleganz, alle Distinktion, Noblesse und Schönheit schien hier zu leuchtendem Banner verwoben, welches die Göttin Fortuna mit jauchzendem »Evviva!« über dem Thronhimmel des Herrscherpaares entrollte.
Fast betäubt von all' dem nie geahnten, märchenhaften Getriebe hatte sich Josephine ängstlich hinter Tante Renate verkrochen, ihr Herz schien stillzustehen beim Anblick dieser fremden, lachenden und übermütig konversirenden Menge, und heiß und schwindelnd schoß ihr das Blut in Wangen und Schläfe empor.
Viele, unendlich viele Köpfe hatten sich blitzschnell nach der Saalthür gewandt, als der Freiherr von Wetter mit Gemahlin und Nichte eingetreten war; es schien, als ob plötzlich ein leise summendes Schweigen über dem weiten Saal lagerte, dann flüsterte und kicherte es, laut und lauter, und die funkelnden Fächer wogten lebhaft auf und nieder, und ein einziges, den Eingetretenen unverständliches Wort flog wie ein elektrischer Funken von Mund zu Munde: »Das Gänseliesel!«
Josephine sah nicht die Blicke, welche auf ihr ruhten, sie hatte die dunklen Wimpern gesenkt und wagte kaum zu atmen; mechanisch folgte sie der Tante, welche mit hoch erhobenem Haupte etliche Schritte vortrat und kurze Umschau hielt.
205 Lauter, lauter fremde Gesichter!
Da löste sich die hohe Gestalt eines Herrn aus der Gruppe etlicher zunächst stehender älterer Herren, trat voll liebenswürdigster Courtoisie Onkel Bernd entgegen und nannte seinen Namen! »Oberhofmarschall, Graf zu Lattdorf.«
Der Rittmeister reichte ihm herzlich die Hand und stellte ihn seinen Damen vor; wie ein Alp fiel es von Josephinens Herzen, als er sie so freundlich im Namen der Herrschaften begrüßte.
Dann aber bat er die Tante und Josephine, ihm zu folgen; er wollte sie mit seiner Frau bekannt machen. Und kaum, daß sie ein paar Schritte in den Saal gethan hatten, stand auch schon eine kleine, sehr blasse Dame vor ihnen, mit gewinnendem Lächeln und ein paar liebenswürdigen Worten.
»Meine Tochter Ange,« fügte sie ihrer Begrüßung hinzu, und eine schlanke Blondine neigte sich tief über Tante Renates Hand und wandte sich dann mit sanften, dunklen Taubenaugen zu Josephine.
»Haben Sie schon eine Tanzkarte, Fräulein von Wetter?« fragte sie und sagte dann, ohne sich lange besinnen zu müssen, sehr viele freundliche Worte. Sie versicherte, »daß sie gleich dem Vortänzer einen Wink geben würde. Eben, im Augenblick wäre Graf Lehrbach noch hier gewesen, jetzt flattere er schon wieder wie ein Schmetterling um die schönsten und fernsten Blumen!«
Josephine war bei Nennung dieses Namens 206 mit glückstrahlenden Augen emporgezuckt. »Ach ja, der Graf, wenn er doch käme!« sagte sie mit erleichtertem Aufseufzen.
»Sie kennen ihn bereits, ganz recht!« nickte Gräfin Ange mit einem Zug um den feinen Mund, welcher fast wie Mitleid aussah; »er wird Sie gewiß bald begrüßen, – wenn er Zeit hat, müssen Sie wissen. – Prinz Fortunatus ist ein viel begehrter Mann. Ich werde Sie unterdessen den Hofdamen und jungen Mädchen vorstellen, solange Mama noch mit Ihrer Frau Tante plaudert. Kommen Sie!« Und der gemalte Atlasfächer winkte ihr zu folgen.
Da stand sie nun vor einem großen Kreise junger Damen, deren Namen alle an ihr Ohr klangen, aber keine einzige kam ihr freundlich entgegen oder gab ihr die Hand, sie standen alle wie die Marmorfiguren, neigten kaum die Nasenspitzen und wandten sich mit ostensibler Kürze wieder von ihr ab, um leise zusammen zu tuscheln oder zu lachen.
Nur Fräulein Ilse von Dienheim stellte sich dicht vor sie hin, sah ihr keck ins Gesicht und fragte mit einer wunderlichen Grimasse: »Warum haben Sie denn Pastors nicht mitgebracht?«
Da lachten Alle hell auf, Josephine aber wollte treuherzig und hocherfreut erzählen, daß ja Pastors gar nicht von Groß-Stauffen wegdürften, als Comtesse Ange mit finster gefalteter Stirn ihren Arm berührte.
»Ihre Frau Tante wird den älteren Damen 207 bekannt gemacht; kommen Sie, Fräulein von Wetter, wir wollen uns gleich anschließen!« Und sie führte das junge Mädchen zurück.
»Von Pastors müssen Sie aber nachher noch erzählen!« rief ihr Fräulein von Dienheim sehr laut nach, und abermals erhob sich ein lautes Gelächter unter den Umstehenden.
Nun war es sehr langweilig, hinter Tante Renate herzugehen und vor all' den alten Damen einen tiefen Knix zu machen. Keine von Allen sprach ein Wort, und wenn man vorüber geschritten war, hoben Alle blitzschnell die Lorgnetten und steckten die Köpfe zusammen.
Nur ein paar Mal wurde etwas geplaudert, als Tante Renate ein paar Bekannte von früher und sogar etliche Verwandte vorfand. Da blieb sie denn auch stehen und hatte viel zu erzählen; Josephine aber stand allein an der Wand und fühlte sich sehr unbehaglich.
»Wo er wohl sein mag?« dachte sie, hob sich spähend auf die Fußspitzen und blickte sich suchend im Saale um – richtig, dort hinten stand er an einer Thür und lachte mit Fräulein von Dienheim und der Gräfin Aosta, und jetzt, jetzt sah er auch zu ihr herüber, ganz schnell nur! Ob er sie erkannt hat? Er lachte wieder, so sehr, daß sich seine schlanke Figur fast bog; und dann – nein, er kommt nicht, er geht durch die Thür zurück!
Josephine grub die Zähnchen in die volle Unterlippe und hätte weinen mögen vor Ungeduld 208 und Jammer. Da schlug eine bekannte Stimme an ihr Ohr; neben Tante Renate steht Hattenheim, Hattenheim, der gute, alte Freund, der es ihm nun gleich sagen wird, daß sie da ist!
Schon kommt der große blonde Mann auf sie zu und streckt ihr mit herzlicher Freude die Hand entgegen: »O, wie prächtig ist es doch, daß wir uns wiedersehen!«
Und Josephine klammert sich unwillkürlich an diese Hand und kommt sich plötzlich nicht mehr so verlassen vor. Vielerlei haben sie sich zu erzählen, und Hattenheim reicht ihr die kleine Tanzkarte mit dem goldenen Namenszug und der Fürstenkrone und bittet sie um den ersten Tanz.
Josephine nickt sehr vergnügt, Hattenheim winkt einen blutjungen Offizier herzu und macht ein Gesicht, als ob er ihn beißen wolle.
»Sie haben noch einen Tanz, Brocksdorff?« fragt er mit dem Tone des Befehls.
Der Lieutenant schlängelt sich einen Moment in peinlicher Verlegenheit. »Wenn der Herr Premier befehlen,« ringt es sich dann zwischen seinen Zähnen hervor, und er verneigt sich vor Josephinen: »Darf ich um die Polka vor dem Cottillon bitten, meine Gnädigste?«
Josephine reichte die Karte mechanisch hin, sie hatte gar keinen Begriff, was es für eine Wichtigkeit um solch ein Engagement ist. Herr von Brocksdorff kritzelt seinen Namen, wirft einen wütenden Blick auf Hattenheim und geht schweigend weiter.
209 »Barönchen, machen Sie einen Umweg, Sie geraten in die Charybdis!« ruft er sehr laut dem Regimentsadjutanten zu, welcher eben an Hattenheim vorüber will.
»Ach, lieber Herr von Hattenheim, thun Sie mir den Gefallen und rufen Sie endlich den Grafen Günther einmal zu mir her!« bittet und fleht Josephine mit feuchten Augen zu dem jungen Mann empor, und der holt tief Atem, preßt die Lippen zusammen wie Einer, der heftigen Schmerz empfindet, und blickt mit traurigen Augen auf ihr blondes Köpfchen hernieder.
»Ich will ihn suchen, Fräulein Josephine,« nickt er gar seltsam, »ob ich ihn aber finden werde? Dieses blanke Parquet hier gleicht einem tiefen See; es versinkt manche Erinnerung und manches Glück darin!« Und er geht mit gesenktem Haupt davon.
Wieder steht Josephine allein. Da sieht sie drüben an der Saalthür den Minister neben Onkel Bernd stehen.
Helle Freude jubelt durch ihr Herz; sie überlegt nicht, sie schreitet beherzt durch die Menschen und eilt Günthers Vater entgegen.
»Grüß Gott auch, Excellenz!« flüstert sie leise zu ihm empor.
Das gütige Antlitz mit den müden Augen wendet sich ihr hastig zu.
»Das Haideröslein!« lächelt er, die Rechte des jungen Mädchens chevaleresk zwischen seine beiden Hände schließend, »und nicht mehr am heimischen 210 Strauch, sondern in der Prunkvase des Fürstenschlosses, zwischen den stolzen Blumen unserer Residenz! Herzlich willkommen bei uns, und viel Glück und Freude zum ersten Debut!« Und sein Blick überfliegt ihre Gestalt, und ein melancholisches Lächeln huscht um seine farblosen Lippen. »Warum sind die lieben, wilden Goldhaare so gewaltig in Gefangenschaft gerathen?« fragt er leise und versucht ihr ein paar Löckchen in die Stirn zu streichen. »Tanzen Sie schnell den blonden Heiligenschein wieder um die Wangen, sonst kenne ich ja die kleine Josephine aus Stauffen gar nicht wieder. Hat mein Sohn Sie schon gesehen und begrüßt?« –
Josephine schüttelt traurig das Köpfchen und über die Stirn des alten Herrn fliegt ein Schatten.
»Ich werde den bösen Menschen schnell hierher schicken,« sagt er, ihr herzlich die Hand drückend, »sobald ich die Tante drüben begrüßt habe!« Und er nickt ihr noch einmal zu und winkt Onkel Bernd, ihn zur Freifrau hinüberzuführen; dann aber hält er inne, legt, wie erinnernd, die Hand an die Stirn und nimmt die Tanzkarte aus Josephinens Fingern, um einen schnellen Blick darauf zu werfen. Es ist, als verdüsterten sich seine Züge. Sein Blick überfliegt die Wand, an welcher eine Reihe junger Herren steht, winkt einem Civilisten und wendet sich zu Fräulein von Wetter zurück: »Baron d'Ouchy!« stellt er vor, »ein junger Attaché, welcher momentan in meinem Kabinet arbeitet; meine rechte Hand,« fügt er scherzend hinzu, »welche es sich zur Ehre rechnen 211 wird, anstatt meiner den Namen hinter einen dieser Tänze zu schreiben!« Und er nickt abermals und geht.
D'Ouchy verneigt sich stumm. Er ist groß und schlank, sein Antlitz hebt sich sehr bleich gegen das tiefschwarze Haar ab, und zwei Augen glühen zu dem jungen Mädchen nieder, in welchen Leidenschaft, Geist und finsterer Stolz ein wundersam feuriges Gemisch bilden. Er wiederholt leise die Bitte um einen Tanz. Josephine blickt voll zu ihm empor, sie weiß es selber nicht, warum, aber sie lächelt ihm zu und sagt treuherzig: »Gewiß, Herr von Ouchy, mit Ihnen möchte ich sogar am liebsten einen Walzer tanzen, den kann ich am besten!«
Da blickt er unverwandt in ihr Auge und sagt: »So geben Sie mir den Tischwalzer; da habe ich den Vorzug, auch noch während des Soupers Ihr Cavalier zu sein!«
Sie nickt nur und sieht ihn mit den strahlenden Augen so dankbar an; Ouchy aber schreibt seinen Namen, verneigt sich stumm und geht an seinen Platz zurück.
Josephine ist es, als ob er starren Blickes zu ihr herübersähe; aber nein, nicht er allein, die sämmtlichen Augen sind auf sie gerichtet, und die Gesichter, die sich nach ihr wenden, sehen so spöttisch aus, und sie stecken die Köpfe zusammen und lachen, lachen ganz gewiß über sie.
Was ist denn an ihr, das so spaßhaft ist? Mit angstvollen Augen wendet sie den Kopf und sieht zum ersten Mal in den hohen Wandspiegel. 212 Ganz betroffen starrt sie sich an. Dieser unförmige, weiße Koloß mit der grellen Schärpe und den abstehenden Volants ist sie? Ja, jetzt erst fällt es ihr auf, wie anders sie gegen die übrigen jungen Mädchen aussieht, welche so schlank und atlasglänzend wie farbige Blütenkelche aus rieselndem Goldflor emporsteigen.
Das Blut schießt ihr in die Wangen, sie atmet auf, als sich ein Schwarm neu angekommener Damen und Herren vor sie stellt, und drückt sich fester und fester gegen die purpursammetne Thürportière. Ach, könnte sie doch die schweren Falten derselben über ihr Kleid ziehen, damit es nicht gar zu breit und aufgeblasen aussieht!
Scheu und angstvoll verharrt sie, gegen den Thürpfeiler und die Portièrenshawls gedrückt, und denkt mit zitterndem Herzen: »Ach, wenn er nur käme und mich hübsch fände, dann wär' Alles gut!«
Da klingt eine Stimme an ihr Ohr; wie ein elektrischer Schlag durchzuckt sie's und läßt fast ihr Herz stille stehen vor Wonne und Entzücken. Dicht neben ihr, nur getrennt durch die Portière, hört sie deutlich Graf Günther sprechen. Er steht in dem Nebensaal und hat keine Ahnung, wie nahe ihm seine kleine Freundin aus Stauffen ist.
»Ah, Pardon, Brocksdorff, ein Wort!« hört sie ihn rufen, ganz so hell und lachend wie daheim in Lehrbach, da er ihr von dem bunten, zauberischen Leben der großen Welt gesprochen, in welcher sie nun so bang und einsam steht und sehnsuchtsvoll 213 auf ihn harrt, der sie hierher gelockt. »Sagen Sie mal, bester Brocksdorff, ich sah Sie vorhin der Tanzkarte des Gänseliesels zum Opfer fallen. Thun Sie mir die einzige Liebe und sagen Sie mir, zu welchem Tanz haben Sie den unglückseligen kleinen Montblanc engagiren müssen?«
»Lachen Sie nur!« entgegnet eine andere Stimme, halb ärgerlich, halb humoristisch, »Sie Unglücksrabe sind an dem ganzen Reinfall schuld. Hier, hinter der Polka vor dem Cotillon, können Sie lesen? Da steht als ewiger Klex auf meiner Tanzkarte: »Gänseliesel!« Zufrieden mit mir, Fortunatus?«
»Danke tausendmal!« lacht Lehrbach entgegen, und Josephine hört, wie die Sporen mit leisem Silberklang zusammenklappen; »werde sofort mal hinschwirren und sie zu dieser Polka engagiren, ›cela n'engange à rien!‹ und ich habe wenigstens die Form gewahrt!«
»Sie wollen gar nicht mit ihr tanzen?«
»Aber, alter Freund, ich kann mich doch als Vortänzer bei Gott nicht zur Wachtel machen! Die kleine Hoheit bekäme ja Lachkrämpfe, wenn ich eine solch ridicule Tänzerin solo durch den Saal schwänge; eh non, dazu bin ich zu eitel. Nochmals tausend Dank, und . . . . nur Mut! bis zur Polka vor dem Cotillon ist noch lange Zeit, vielleicht wirft Ihnen Leukothea noch einen rettenden Schleier zu!« Und wieder leises Auflachen, die Portière knirscht in den schweren Atlasfalten, und Graf Günther 214 tritt hastig über die Schwelle in den Saal. Sein Blick schweift suchend umher, Josephine gewahrt er nicht.
Ein wehes Gefühl hat das Herz des jungen Mädchens beschlichen: Wer mag das arme Gänseliesel sein, über die er so hart und spottend gesprochen und die er zur Polka vor dem Cotillon engagiren will? Armes, armes Ding, wenn sie den schönen Mann vielleicht lieb hat, ebenso heimlich und herzinnig wie sie . . . .
Ihr glänzender Blick, in welchem alle Sehnsucht, alle fiebernde Erwartung durch Thränen zu schimmern scheint, brennt auf seinem Antlitz, und just, als hätte er den Blick gefühlt, wendet er das Haupt, Auge ruht in Auge, schnell tritt er näher und reicht ihr die Hand entgegen.
»Schönen guten Abend, Fräulein Josephine. Welch eine charmante Ueberraschung, Sie hier zu sehen!« Und wirklich, das größte Erstaunen malt sich in seinen Zügen. »Soeben sagt mir Hattenheim, daß er bereits als Erster den Vorzug gehabt hat, Sie hier zu begrüßen.« Seine dunklen Augen senken sich in die ihren, und traurig, vorwurfsvoll fährt er fort: »Ich habe eben immer Pech, komme stets zu spät!« und er nimmt die Tanzkarte aus ihrer Hand.
Tiefe Glut liegt auf ihrem reizenden, durch Frisur und Kranz leider so arg entstellten Gesichtchen. Mit jubelnder Freude blickt sie zu ihm empor, alles Warten, aller Kummer, alle Enttäuschungen sind vergessen in der Wonne dieses Augenblicks.
215 »O nein! Sie kommen nicht zu spät, Graf Lehrbach!« lächelt sie wie Sonnenschein zu ihm auf; »mit all' meinen Gedanken habe ich Sie zuerst hier in der Residenz, im Saal hier begrüßt und konnte es kaum erwarten, bis ich Sie nun wirklich wiedersah! O, wie glücklich, wie unendlich glücklich bin ich doch, daß ich hier sein kann!«
Er senkt momentan den Blick. »Und wie geht es zu Hause? Bei Pastors?«
»O, da muß ich Ihnen viel erzählen, unendlich viel und habe auch so viele Grüße für Sie, sogar Etwas mitgebracht von den beiden Kleinen, Liesing und Renatchen, den Zwillingen, die Ihnen ein sehr schön grünseidenes Buchzeichen gestickt haben; eigentlich wollte ich's mit hierher bringen, aber ich fürchtete, es in der Kleidertasche zu zerknittern. Nicht wahr, nun bleiben Sie doch bei mir? Und kommen mit zu Tante Renate und Onkel?« Sie sah bittend empor und wies mit der kleinen, ungeschickt behandschuhten Rechten ungenirt nach den Genannten hinüber, Günther aber grub die Zähne in die Unterlippe und bewegte etwas ungeduldig die Füße.
»Fräulein Josephine,« sagte er, sich mit dem Rücken nach dem Saal drehend und ihr dann freundlich zulächelnd, »wissen Sie nicht, daß ich Vortänzer bin und unendlich viel zu thun habe? Sie dürfen mir nicht böse sein, wenn ich mich heute Abend weniger in Ihrer Nähe aufhalten kann, als ich wohl möchte; aber der Dienst . . . vous comprenez, und ganz gewiß, ich hole Alles wieder nach, werde Ihnen 216 im Hotel meinen Besuch machen, sowie ich Zeit habe. Geben Sie mir jetzt noch einen Tanz, dann können wir während desselben noch Alles besprechen; hoffentlich stimmen unsere Karten überein. Hätte ich nur gewußt, daß Sie kämen, hätte ich den Cotillon oder Souper für Sie reservirt, so ist es wirklich ein glücklicher Zufall, daß ich noch die Polka vor dem Cotillon frei habe; darf ich darum bitten? Voyons donc!« und er warf einen ersten Blick auf ihre Tanzkarte.
»Die Polka vor dem Cotillon?« . . . Wie ein Aufschrei klang es von ihren Lippen.
»O weh, schon besetzt!« rief auch Lehrbach, ganz brillant den Bestürzten spielend. »Das ist Schicksalstücke, meine Gnädigste, ich bedaure unendlich – aber mein Gott, was ist Ihnen?«
Josephine klammerte sich an die Lehne des Sessels, welcher zu ihrer Seite an der Wand stand; fahle Blässe lag auf ihrem Antlitz, furchtbar dunkel und weit geöffnet starrten ihn die großen Augen an, die Lippen zitterten, und die Hand, welche sich auf ihr Herz preßte, knickte die weißen Kamelien.
»Ist Ihnen nicht wohl, darf ich Sie in den Nebensalon führen?« fragte Lehrbach hastig; sein Blick schweifte von ihr zu der Saalthüre, vor welcher der Hofmarschall mit dem langen Stab erschien, mit dem er dreimal laut auf das Parquet stieß. Wie leises Aufschluchzen rang es sich aus Josephinens Brust.
»Die Herrschaften kommen, um Gottes willen, 217 Fräulein Josephine, sind Sie krank?« wiederholte der schöne Mann noch einmal, und zwar mehr ungeduldig als beängstigt.
Da schüttelte sie den Kopf. Jäh verändert war ihr Antlitz, jäh verändert ihre Stimme.
»Es ist vorüber, Graf Lehrbach«, sagte sie, »ich danke für Ihre Hilfe, versäumen Sie Ihren Dienst nicht!« Und ohne eine Entgegnung abzuwarten, schritt sie erhobenen Hauptes durch den Saal zu Tante Renate zurück, welche allein auf einem Wanddivan saß. Lehrbach aber hatte ihre Worte kaum gehört, all' sein Interesse koncentrirte sich auf die allerhöchsten Herrschaften, welche soeben eintraten, und welchen er hastig entgegeneilte, um sich, dem Spalier der Herren vorn anstehend, tief und lächelnd zu verneigen.
Mechanisch wie eine Marionette, bleich wie die weißen welkenden Blumen in ihrem Kranz, hatte sich Josephine verneigt, da sie den Herrschaften von Gräfin Aosta präsentirt wurde. Mit starren Augen hatte sie zu der brillantenstrahlenden Herzogin-Mutter aufgeschaut, ein paar freundliche Worte schwirrten vor ihren Ohren, welchen sie verständnißlos gelauscht hatte. »Sie werden nun länger bei uns bleiben?« schloß die hohe Frau, und Josephine knixte abermals und sagte mit heiserer, wunderlich rauher Stimme: »Das steht bei Gott.«
Da traf sie ein erstaunter Blick, und die Fürstin schritt weiter, die Cour abzunehmen. Zu Josephine heran aber trat eine hohe, schlanke Gestalt, die 218 Herzogin Marie Christiane, mit schlicht gescheiteltem dunklem Haar und einem lang schleppenden schwarzen Sammetkleid, über welches goldene Spitzengewebe fielen; die neigte ihr so unendlich sanftes, trauriges Antlitz zu dem Fräulein von Wetter, sah sie mit ernsten Augen an und sagte: »Dann hoffe ich, meine liebe Baronesse, daß Sie ein häufiger Gast im Pavillon sein werden und mir recht viel von Ihrer stillen, friedlichen Heimat erzählen!«
Da war es Josephine, als müsse sie die Arme um den Nacken dieser Frau schlingen und sagen: »Ja, Dich werde ich lieb haben!« Aber sie sah nur stumm empor, nickte hastig und fühlte, wie ihr die Thränen in die Augen schossen, und Marie Christiane folgte ihrer Schwägerin und schritt, sich schweigend vor den Spalier bildenden Damen verneigend, die Reihe entlang.
»Kommen Sie in den Nebensaal, Fräulein von Wetter!« klang plötzlich die Stimme des Fräuleins von Dienheim hart in ihr Ohr, »Prinzeß Sylvie wünscht Sie kennen zu lernen!«
Josephine zuckte empor, ein jäher Blick traf das Auge des Hoffräuleins, dann biß sie die Zähne zusammen und folgte hoch erhobenen Hauptes.
Umringt von jungen Damen und Herren stand Prinzeß Sylvie, sie riß eben dem Grafen Lehrbach den köstlichen Federfächer aus der Hand und sagte mit ihrer lauten, metalllosen Stimme: »Her damit, den brauche ich selber bei der Pökelhitze!« und sie setzte die feinen Stäbe so stürmisch in Bewegung, 219 daß die Chenillefransen ihrer Corsage hoch aufwogten. Ganz zarter, silberdurchschwommener grüner Crêpe rieselte wie Meerwasser von ihrer hohen Gestalt zu langer Schleppe nieder, auf welcher gelbliche Wasserlilien in dicken Sträußen lagen und sich in graziösen Gewinden über den ganzen Saum des Kleides verzweigten. Smaragden blitzten wie ein Sprühregen in dem blonden Haar und lagen gleich zitterndem Netz auf Hals und Nacken, welche, ebenso voll und rot wie die Arme, wunderlich grell gegen die zarte Crêpefolie abstachen.
Voll unverhohlener Neugierde richtete sie ihre Augen auf Josephine, sie ungenirt musternd und dann, hell lachend, ihr die Hand entgegenreichend.
»Freut mich, Sie zu sehen, Fräulein von Wetter!« sagte sie, sichtlich amüsirt. »Graf Günther, Ihr sommerlicher Verehrer, hat uns schon viel von Ihnen erzählt und konnte es gar nicht erwarten, bis Sie glücklich hier waren! Nicht wahr, Sie Landstreicher?« Und Prinzeß Sylvie warf den Kopf zurück und sah Lehrbach übermütig an. »Allright!« persiflirte dieser und fächelte sich mit seiner Tanzkarte.
Josephine stand regungslos; sie sah Graf Lehrbach nicht an, ihr Auge haftete groß und brennend auf dem Antlitz der Prinzessin.
»Na, hoffentlich gefällt es Ihnen bei uns«, fuhr diese heiter fort, »und Sie leben sich schnell hier in die neuen Verhältnisse ein; es ist wohl das erste Mal, daß Sie von Groß-Stauffen fortgekommen sind?«
220 »Das erste und wohl auch das letzte Mal, Hoheit!« entgegnete Josephine hart und fest.
»Aha, Sie wollen ganz bei uns bleiben!« nickte Sylvie. »Ganz recht! Auf so einer Landquetsche muß es ja rein zum Schimmeligwerden sein. Habe auch blitzwenig Sinn für Idyllen, kann's begreifen. Also vorwärts, wir wollen lostanzen! Detlef, sieh doch mal, ob dadrinnen das Geknixe bald fertig ist, und keinen Walzer, nur Galopp! Hören Sie, Graf? Mir ist's heute stürmisch zu Mut!« Prinz Detlef ließ das Monocle, durch welches er Josephine unausgesetzt betrachtet hatte, fallen, voltigirte mit einem »Platz dem Landvogt!« über Fräulein von Dienheims Schleppe und rief ihr dabei sehr hörbar zu: »Famose Augen, überhaupt gar nicht so übel, wie es auf den ersten Blick scheint. Aber an dem Kranz können sich drei Kühe satt fressen!«
Fräulein Ilse und die Nächststehenden lachten schallend auf; Josephine aber stand regungslos, sie hatte die Worte wohl gar nicht auf sich bezogen.
Der dienstthuende Kammerherr der Herzogin-Mutter schob sich unter unzähligen »Pardons« durch die lebende Mauer, welche sich im Nu um Sylvie und Fräulein von Wetter gebaut hatte, und verneigte sich tief vor der Prinzessin.
»Königliche Hoheit, die Frau Herzogin lassen bitten!« flüsterte er mit außerordentlich wichtigem Gesicht, »Allerhöchst Dieselbe haben bereits im Kreise der Gesandtinnen und Excellenzen Platz genommen!«
221 »Gott sei Dank, dann geht's also los!« atmete Sylvie auf, sich hastig zur Thür des Nebensaals wendend. »Graf Lehrbach wird mit mir eröffnen, bleiben Sie an meiner Seite!«
Und sie legte, aller Etiquette trotzend, die Hand auf den Arm des jungen Offiziers und ließ sich in den Tanzsaal führen.
Die Staatsdame der Herzogin trat neben sie.
»Verzeihung, Hoheit, wenn ich Ihre Anordnungen derangiren muß,« sagte sie, deutlich genug, um von Allen gehört zu werden. »Es war der Wunsch Ihrer erlauchten Mutter, den belgischen Gesandten durch den Vorzug, den Ball mit Ihnen zu eröffnen, auszuzeichnen.«
»Den alten Holte van Ozede?« Sylvie schrie fast auf vor Lachen, »der mit seinem rechten Bein immer durch den Saal säbelt, als ob er Korn mähen wollte? . . . Nee, liebste Excellenz, das fällt mir auch gar nicht im Traume ein! Tante Marie Christiane übernimmt's vielleicht statt meiner, fragen Sie mal an!« Und unter dem stürmischen Beifall der Umstehenden stützte sich Sylvie noch fester auf Lehrbachs Arm und fuhr fort: »Allons donc! Wir müssen das Prävenire spielen, Graf, ehe nur Mynheer van Ozede Anstalten macht, sich was einzubilden; tanzen wir los!«
»Hoheit, ich bin Wachs in Ihren Händen, aber . . .« Lehrbach zuckte etwas unschlüssig die Achseln.
Sylvie stampfte trotzig das Parquet und warf 222 den Kopf in den Nacken. »Ich tanze aber mit keinem Anderen, als mit Ihnen!« rief sie eigensinnig, »und mit Mama will ich schon fertig werden!«
Lehrbach schien zu wachsen, sein Blick flog wie eine stolze, unendlich kühne Herausforderung triumphirend über die atemlos lauschende Menge. In demselben Augenblick brausten die ersten Musikklänge durch den Saal.
»Lostanzen!« kommandirte die Prinzessin und flog im nächsten Augenblick in Günthers Armen durch den flimmernden Lichterglanz.
Prinz Detlef stand bereits erwartungsvoll mit Gräfin Aosta neben dem Sessel der Herzogin. Frappirt wandte er das Haupt, gleich seiner Mutter starrte er momentan sprachlos auf die Seitenthür, vor welcher die dicht gedrängten Paare plötzlich zurückwichen und durch welche Sylvie und Graf Lehrbach in vollem Tanz in den Saal chassirten.
»Hahaha! Siehst Du, Mama, sie thut doch, was sie will!« rief Prinz Detlef mit vieler Genugthuung, verneigte sich vor der Aosta und wirbelte mit ihr davon. Schmal und klein genug war der Platz, welchen die vielen doppelten Reihen der Paare zum Tanzen übrig ließen, aber Prinzeß Sylvie und ihr schöner Tänzer jagten einen stürmischen Galopp, lang andauernd, unermüdlich, wie Sylvie nun einmal das Tanzen liebte.
Herzogin-Mutter zürnte nicht. »Ein merkwürdig decidirter Charakter!« sagte sie mit wohlgefälligem Kopfnicken zu Marie Christiane, welche an 223 ihrer Seite Platz genommen hatte, »da heißt es biegen oder brechen! Aber ich liebe das bei jungen Leuten, namentlich bei Sylvie, welche von Kindheit an so absolut ihren eigenen Weg ging; aus dem kleinen Trotzkopf ist eisenfeste Energie geworden, und das versöhnt mich stets mit ihren zeitweisen Extravaganzen, welche ja au fond nur Beweise ihres so selten starken Geistes sind!« Und der Blick der hohen Frau folgte aufleuchtend dem jungen Paar, welches ihr in rasendem Tempo entgegenflog, um direkt vor ihrem Sessel, vor den purpurbelegten Stufen des haut pas, Halt zu machen.
Scherzend drohte sie mit dem kostbaren Fächer; Lehrbach jedoch neigte sich tief über die gnädig dargereichte Hand, sagte etliche Worte und küßte die schlanken Finger; da sahen all' die neugierig emporgereckten Hälse und Augen nichts Anderes denn sonst: Der Protégé Lehrbach stand hinter dem Sessel der Herzogin und plauderte mit ihr wie einer, der auf dem Glatteis höfischen Parquets so sicher steht, wie auf festestem heimatlichen Boden.
Sylvie aber hatte sich in einen Sessel geworfen und musterte mit etwas schnippischem Gesicht eine katholische Stiftsdame im Ornat, welche Marie Christiane an ihre Seite gewinkt hatte. 224