Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Zehntes Kapitel.

Das ist ein Klingen und Dröhnen
Ein Pauken und Schalmei'n –
Und dazwischen schluchzen und stöhnen
Die lieblichen Engelein!
Heine.            

Ganz allein und vergessen hatte Josephine in dem Nebensaal gestanden, als Prinzeß Sylvie am Arm ihres Tänzers den lockenden Walzerklängen gefolgt war und die umstehenden Herren und Damen in etwas zügelloser Hast nachgedrängt hatten. Mit glanzlosem Blicke starrte sie vor sich nieder auf die wirr verschwimmenden Sternmuster des persischen Teppichs, auf die weißen Blumenblätter, welche zerdrückt von ihrem Kleide herniederwehten und ebenso unter der erbarmungslosen Sohle Vorübereilender starben, wie ehemals die Rosenblüte im Park zu Lehrbach, die Graf Günthers stolzer Schritt zermalmte, da er just gesagt: »Wem nie durch Liebe Leid geschah.« Ja, ihr war Leid geschehen, tiefes, namenloses Herzeleid! Noch aber lag es wie ein schwerer, unheilvoller Traum auf ihrer Seele, noch war sie unfähig, sich die ganze Größe ihrer Qual 225 begreiflich zu machen. All' das fremde Getriebe betäubte sie und legte sich wie Centnerlast auf ihre Sinne, sie hätte aufschreien mögen in namenloser Pein und preßte dennoch die Lippen zusammen und fühlte, daß ihre Kehle zugeschnürt war. Sie hätte zusammenbrechen mögen unter der Wucht ihres zermalmten Glückes und stand dennoch mit brechenden Knieen hoch aufgerichtet und starr wie ein steinernes Bildniß. Ach, könnte sie weinen. Ach, wäre sie allein! Dieser Kerzenglanz sticht ihr die Augen aus, diese wüsten Musikklänge reißen ihr Herz und Seele auseinander, ganz einsam und verlassen ist sie, und dennoch wogt es wie grelle, bunte Fiebergebilde um sie her.

Eine Stimme schlägt an ihr Ohr. »Fräulein Josephine,« sagt sie so weich und innig, »wie schwer haben Sie es mir gemacht, Sie zu finden! Kommen Sie, lassen Sie uns tanzen!«

Da schauen ihre blauen, fast unnatürlich glänzenden Augen zu ihm auf. »Sie wollen mit mir tanzen, Herr von Hattenheim?« fragte sie leise, mit zitternder Stimme.

Erschrocken fast neigte er sich zu ihr: »Gewiß, Fräulein Josephine, ich habe mich unendlich darauf gefreut, denn es ist seit langen Jahren zum ersten Mal heute, daß ich hier am Hofe tanze!«

Ein Blick trifft ihn, so warm, so dankerfüllt, so unendlich glücklich und doch in Thränen schwimmend.

»Wie gut sind Sie!« flüstert sie, »wie treulich 226 Sie es mit mir meinen! Gewiß, Sie, der keine Kornähre, noch so klein und schlicht, im Staub zertreten kann, Sie lassen auch kein Menschenherz im Jammer verkommen, und das begreife ich heute erst, erst heute!« Sie hat die beiden Hände zusammengelegt, ein Zittern fliegt drüber hin.

»Fräulein Josephine, was ist Ihnen? Mein Gott, welch' eine Veränderung!« stottert er, bis unter die blonden Haarwellen erglühend; »sind Sie krank? Sie scheinen mir so bleich!«

Sie schüttelt mit herzzerreißendem Lächeln das Köpfchen.

»Es gibt Krankheiten, für die kein Kraut gewachsen ist, aber die sieht kein Mensch.«

»Wollen Sie nicht tanzen?« Er faßte ihre Hand und legte sie auf seinen Arm.

Da fühlte er einen jähen, leidenschaftlichen Druck der bebenden Finger, ihr Antlitz richtet sich zu ihm empor, glühende Röte fliegt über das farblose Antlitz. »Nein, ich will nicht mit Ihnen tanzen!« ringt es sich schnell, aufgeregt von ihren Lippen; »denn das wäre ein schlechter Lohn für all' Ihre Güte und aufopfernde Freundschaft, welche Sie mir heute bewiesen! Sie, der einzige Mensch, die einzige Seele, die sich meiner Verlassenheit heute Abend erbarmt, Sie sollte ich dem Gespötte dieser Menschen aussetzen? Sie sollte ich dazu verdammen, Ihre Tanzkarte mit dem ewigen Schandfleck ›Gänseliesel‹ zu verunstalten? Sie sollte ich so unendlich blamiren, mit mir, der lächerlichen, der 227 ungestalten Tänzerin, den Saal zu durchmessen? Oh nein, Herr von Hattenheim, dazu bin ich viel zu stolz!«

Sie steht vor ihm, nicht mehr als das naive, glückselige Kind aus Groß-Stauffen, sondern als ein ernstes, um Jahre gealtertes Weib, von dessen flammendem Auge die Schleier gefallen sind, welche ehedem noch Welt und Leben deckten. Wie der furchtbare, hagelschwere Gewittersturm die Rosenknospe wild erfaßt und sie mit rauhem Atem schüttelt, bis die zarten Hüllen brechen und der Rose leuchtender Kelch sich, thränengebadet, ihnen entringt, also hatte auch der Sturm des Lebens diese junge Seelenknospe voll grausamer Wucht zu Boden gepeitscht, um sie als vollerblühte Rose triumphirend zu erheben.

Hattenheim stand unbeweglich, fahles Grau lag auf seinen Zügen und seine Brust arbeitete wie in schwerem Kampfe.

»Fräulein Josephine,« rang es sich wie ein Aufstöhnen von seinen Lippen, »wer hat es gewagt, Sie also zu kränken? Wer war schamlos genug, meinen Freund Lehrbach zu verklagen?«

Da hob sie in finsterem Trotz das Haupt. »Forschen Sie nicht,« unterbrach sie ihn kurz, fast rauh, »und seien Sie überzeugt, daß ich auf Verläumdungen niemals Etwas gegeben hätte; habe ich doch kein größeres Glück gekannt, als das Vertrauen auf Treu' und Redlichkeit.« Wieder klang die süße, unaussprechlich wehmutvolle Milde durch 228 ihre Stimme. »Was hinter mir liegt, ist ein schöner, wolkenloser Sommer, über den der Winter nun sein weißes Leichentuch gebreitet. Lassen Sie ihm die Ruhe, scheuchen Sie ihn nicht mit herben Worten auf, vielleicht kann er schlafen und träumen, wie ein jeder Winter, der auf fernen Frühling hofft. Ich bitte Sie, dem Grafen Lehrbach niemals über diese Stunde zu sprechen, ich bitte Sie als Freund! Lassen Sie ihn in dem Gedanken, ich hegte noch dieselbe Meinung über ihn, wie in Stauffen.«

»O, das sollen Sie auch in Wahrheit thun!« rief Hattenheim erregt. »Verurtheilen Sie Günther nicht zu streng und zu hart, Fräulein Josephine, er ist nicht so schlecht, wie er Ihnen scheinen mag! Ein Glückskind, ein verwöhnter, viel begehrter und eitler Mann, dessen Sinn so leicht noch ist, wie die Bürde seiner Sorgen, aber gut, seelensgut und brav im tiefsten Herzen, das verbürge ich! Zürnen Sie ihm nicht, ich bitte Sie darum, Alles wird noch gut werden.«

Ein bitteres Lächeln spielte um den Mund des jungen Mädchens. »Sie treten keine Kornähre, geschweige denn Ihre Freundschaft unter die Füße!« sagte sie leise. »Möge sie Ihnen belohnt werden, wie es Ihre Redlichkeit verdient! Und nun führen Sie mich, bitte, in den Tanzsaal, ich möchte doch gerne sehen, wie schön Prinzessin Sylvie ihren flotten Galopp tanzt.«

Er sah sie traurig an. »Kommen Sie,« nickte er, »vielleicht bringt Sie das bunte Treiben auf 229 andere Gedanken!« Und er biß die Zähne zusammen und faltete finster die Stirn. »Es mußte so kommen, ich ahnte es; ach, daß ich es hätte abwenden können!« murmelte er wie im Selbstgespräch.

Gräfin Ange kam ihnen entgegen. »Ich suchte Sie, liebes Fräulein von Wetter,« sagte sie in ihrer sanften, freundlichen Weise, »und Sie müssen es sich schon gefallen lassen, daß ich heute ein wenig als Vorsehung über Ihnen walte! Ein junger Referendar wünscht Ihnen vorgestellt zu sein und bittet um den nächsten Tanz, falls er noch frei ist. Du bist wohl so gut und dirigirst Herrn von Landeck nachher zu uns, bester Reimar?«

Herr von Hattenheim verneigte sich schnell, er sah den erstaunten Blick Josephinens und lächelte.

»Gräfin Ange ist meine Kousine!« sagte er mit warmem Blick auf die Komtesse. »Da freut es mich doppelt, wenn Sie Beide sich gut vertragen.«

»Das werden wir!« lächelte Josephine voll süßer Aufrichtigkeit. »Sie sind mir jetzt schon lieb wie eine alte Bekannte! Warum tanzen Sie aber nicht?«

Ange drückte ihr herzlich die Hand. »Ich tanze vorläufig noch auf keinem Ball,« sagte sie; »ich hatte im Herbst eine Lungenentzündung und muß vorsichtig sein. Dafür kann ich aber desto besser mit Ihnen plaudern und Ihnen nochmals die einzelnen Namen der Herren und Damen sagen und Ihnen hiesige Verhältnisse erzählen!« Und Gräfin Ange Lattdorf 230 setzte sich auf die weichen Atlaspolster des Divans nieder und winkte Josephine und Hattenheim an ihre Seite.

Die Walzerklänge jubelten hell auf, und Prinzessin Sylvie flog im Tanze durch den Saal; dunkle Röte deckte ihre Wangen, und sie lehnte den Kopf fest an die Brust ihres Tänzers, die zarten Crêpewogen wehten bereits zerfetzt um die Schleppe.

Josephine aber schloß momentan die Augen und sah in Gedanken das Symbol ihrer Zukunft, die rote Rose, in Günthers Hand, wie der Blitz sie beleuchtet, wie der dräuende Himmel seine Thränen in ihren Kelch geweint.

»Wem nie durch Liebe Leid geschah,« zitterte es wie ein schluchzendes Echo durch ihre Seele, »geschah durch Lieb' auch Liebe nie . . . .«

Graf Günther aber lachte, und die Flöten und Geigen schmetterten ihren Gruß dazu.

Wie ein farbenschillerndes Meer flutete es in den kurzen Tanzpausen durch die Säle, die angrenzenden Salons und Galerien; da lachte und flüsterte es, da rauschten die Fächer in coquetten Händen, da wirbelte Puder und glitzernder Goldstaub, wogten berauschende Parfums, und zwischendurch klirrten die hohen Sectkelche, welche ununterbrochen von den Lakaien auf silbernen Platten präsentirt wurden.

Graf Günther hatte sich in der schmalen Galerie, welche den weißen Saal und Wintergarten verband, behaglich in einen Sessel geworfen, zwei bereits geleerte und ein noch volles Champagnerglas 231 neben sich auf dem von zwei Majolikamohren gestützten Kaminsims und den Fächer des Fräuleins von Dienheim lässig bewegend in der Hand.

Hattenheim trat in die Thür, warf einen schnellen, spähenden Blick über den kurzen Gang und trat dann schnell und direkt auf Günther zu.

Sein auffallend farbloses Antlitz sah förmlich alt aus, so tiefe Falten und Furchen senkten sich in die Stirn und um die Mundwinkel, düster brannten die sonst so heiter und mild blickenden Augen, und die Hand, welche sich dem Freund sonst bei jeder Gelegenheit so herzlich entgegenstreckte, hing regungslos, fest zusammengeballt hernieder.

»Na, Dicker, führt Dich die Sehnsucht zu mir?« nickte ihm Lehrbach zu und dehnte mit einem Stoßseufzer die Arme, »'s ist mal wieder die reine Pferdearbeit heute Abend, fühle meine Knochen kaum noch! Setz' Dich doch, Alterchen, Du verbaust mir ja die Aussicht nach der interessanten Gruppe da drüben, wo die Katholikin eben dem protestantischen Stiftspfarrer den Katechismus abhört.«

Hattenheim rührte sich nicht. Sein scharfer Blick hing an Lehrbachs Antlitz, als wolle er bis auf den Grund der Seele schauen; er sah, daß der junge Offizier diesen Blick mied, daß seine heitere Harmlosigkeit fingirt war. Fester noch preßte er die Lippen zusammen.

»Du hast recht, Günther, es ist ein animirter Abend heute, so lustig und heiter, daß selbst ich die Absicht habe, zu tanzen.«

232 Betroffen schaute Graf Lehrbach empor, die Worte und die Stimme Reimars paßten so gar nicht zusammen.

»Aha, Du willst tanzen? Recht so, Dickerchen! Du verdienst Dir Gottes Lohn und bethätigst mal wieder meinen alten Ausspruch, daß Du ein rührender Kerl bist. Kann mir schon denken, für wen Du Dich in einem schneidigen Cotillon aufopfern willst, habe auch auf Dich gerechnet, denn ich selbst, na, verstehst mich wohl, Reimar, als Vortänzer ging's bei Gott nicht!«

»Nein, als Vortänzer kann man mit keinem Gänseliesel tanzen, man würde sich ja allzusehr mit seinem Opfer an den Pranger stellen, und das ist nicht vortheilhaft für den Protégé der Prinzeß Sylvie!« nickte Hattenheim mit bitterem Lächeln. »Habe es auch niemals von Dir erwartet, Günther, leider Gottes nicht.«

»Ich weiß, daß ich Deine Vorwürfe verdiene, aber ich bitte Dich, eine andere Zeit und einen neutraleren Boden zu diesem tête-à-tête zu wählen.« Der Husarenoffizier hatte das schöne Haupt momentan gesenkt, er atmete schwer auf und streckte Hattenheim die Hand entgegen. »Wenn sie nur andere Toilette gemacht hätte, Reimar, aber dieser ridicule Staat aus Großmutters Schatzkästlein, beim Himmel, ich will lieber vierzehn Tage lang jeden Mittag Lungenhachée essen, als mich heute Abend mit dem kleinen Unglücksraben präsentiren!« Günther zwang sich wieder zu einem übermütigen Ton, drückte die 233 Hand des Freundes und sagte mit seinem so unwiderstehlich liebenswürdigen Lachen: »Ich amüsire mich heute Abend so brillant, Dicker, thu' mir die einzige Liebe und mach' nicht mehr dieses furchtbare Henkergesicht, sondern komm morgen zum Frühstück zu mir und sag' mir mit Deiner ganzen, zerschmetternden Ueberzeugung, daß ich ein grundschlechter Kerl bin! – Und wie ein Lämmchen will ich leiden, nur vergeben sollst Du mir!« fügte er trällernd, mit entsprechender Geste hinzu.

Ueber Hattenheims Züge zuckte es wie tiefe Wehmut. »Ich kam nicht hierher, Dir Vorwürfe zu machen, Günther,« sagte er sehr ernst. »Dazu habe ich kein Recht. Aber ein anderer Grund führt mich zu Dir, ein Grund, über den Du vielleicht sehr lachen wirst, der Dir aber beweisen soll, wie gewissenhaft ich bin!«

»Losgeschossen!« Graf Lehrbach schaute mit regem Interesse an der hohen Gestalt des Kameraden empor.

»Erinnerst Du Dich noch eines Spazierrittes aus den ersten Tagen unserer Hierherkunft,« begann Reimar, einen Augenblick die Hand über Stirn und Augen legend, »bei dem wir unsere Ansichten austauschten und, so zu sagen, die Pakten unserer Freundschaft erneuten?«

»Das versteht sich!« nickte Günther etwas erstaunt, winkte einen Lakai herzu, nahm ein neues Glas Sect und offerirte auch Hattenheim. Dieser dankte mit kurzer Geste und fuhr gedämpfter fort, 234 sich auf den Sessel an Lehrbachs Seite niederlassend, um den Blick voll auf das Antlitz des Freundes zu werfen: »Wir machten scherzweise aus, uns gegenseitig niemals in das Gehege zu kommen, wo es den Meisterschuß mit Amors goldenen Waffen gelte; und ich versprach Dir, Deine allerhöchste Genehmigung einzuholen, falls ich jemals die Absicht haben sollte, zu tanzen, die Cour zu machen, mich zu – verlieben. Ich hielt dies Alles damals für Dinge der Unmöglichkeit und glaubte nicht, daß ich jemals in dieser Angelegenheit zu Dir sprechen würde; ich habe mich geirrt, wie schon oft im Leben, und was mich in diesem Augenblick zu Dir führt, ist die Auslösung jenes Wortes.«

»Reimar, Dicker, Goldjunge!« schrie Lehrbach auf, schnellte empor, legte beide Hände auf die Schultern des Sprechers, um ihm mit hochgerötetem Antlitz in die Augen zu schauen. Hattenheim wehrte ihn jedoch finster ab, schüttelte fast trotzig das Haupt und fuhr mit schneidender Stimme fort:

»So frage ich Dich denn, lieber Freund, ob ich Dein Nebenbuhler bin, wenn ich mich um die Gunst des Fräuleins von Wetter, des Gänseliesels, bemühe?«

Momentan schaute Lehrbach drein, als wisse er nicht, ob er es hier mit Ernst oder Scherz zu thun habe, dann lachte er laut und übermütig auf, warf sich in den Sessel zurück und rief: »Nein, bei Gott nicht, Reimar! Nimm sie hin, sie sei Dein; meinen Segen obendrein!«

235 »Ich danke Dir.« Hattenheims Stimme klang fast ironisch, aber in seinem Auge leuchtete es wundersam auf.

Lehrbach wurde ernster.

»Hattenheim, ich hoffe, Du scherzest; Du willst mich auf recht wunderliche Weise ärgern.«

»Durchaus nicht.« Reimar erhob sich und stand hoch aufgerichtet vor dem jungen Offizier; sein Antlitz war bleich, nur über die Stirne flammte es, und sein Atem flog schnell und mühsam. »Wohl uns, daß unser Geschmack so verschieden ist, hoffentlich bleibt er auch so, und das Wort, das Du mir gegeben« – Hattenheims Stimme erhob sich fast drohend und klang wie eine heimliche Herausforderung – »wird zum Fundament unseres gegenseitigen Glückes, denn es ist das Wort eines Ehrenmannes!« Fast gebieterisch bot er die Hand dar, und Günther schlug ohne jegliches Zaudern ein, mit einem Gesicht, als ob er sagen wollte: »tant de bruit pour une omelette!« Dann faßte er sein Sectglas, hob es Reimar entgegen und leerte es in hastigem Zug. Mit schrillem Klang schlug die silberne Kette, welche von Ilses Fächer herniederschaukelte, gegen den zarten Glaskelch – ein breiter Sprung lief quer durch den geschliffenen Rand.

Keiner der beiden Herren schien es bemerkt zu haben.

»Auf Wiedersehen!« sagte Hattenheim und wollte sich zum Gehen wenden, die Introduction einer Quadrille schallte aus dem Tanzsaal herüber. 236 Lehrbach aber hielt seine Hand mit jähem Druck noch fest, neigte sich dicht zu seinem Antlitz und sagte voll Aufrichtigkeit: »Dies tête-à-tête eben war recht wunderlich, Reimar, gehst Du als Freund von mir?«

Da sahen ihn die redlichen blauen Augen mit gar seltsamem Ausdruck an, eine unendliche, opfermutige und wehmutvolle Liebe leuchtete daraus entgegen, sekundenlang ruhte Blick in Blick, dann atmete Hattenheim tief auf und sagte voll schwerer Betonung: »Ich kam als Freund zu Dir, Günther, und gehe als ein solcher; wie treu ich es aber als Freund meine, und wie hoch mir die Freundschaft gilt, das wird Dir erst die Zukunft beweisen.« Hastig, fast ungestüm, erwiderte er den Händedruck, wandte sich schnell ab und schritt hocherhobenen Hauptes durch die Galerie zurück.

Lehrbach sah ihm nach. »Ein wunderlicher Heiliger,« dachte er, »aber ein Herz von Gold. Du hast recht, Du ahnungslose Welt, wenn Du mich Fortunatus nennst!« – –

Hattenheim ging geraden Weges zur Oberhofmarschallin.

»Verehrteste Tante, dürfte ich Dich um wenige Minuten Gehör bitten?« flüsterte er unter den geräuschvollen Musikklängen zu ihr nieder, und Gräfin Lattdorf nickte ihm freundlich zu, erhob sich und schritt an seinem Arm einem etwas isolirt stehenden Eckdivan zu.

Hattenheim sprach lange, gedämpft und sehr 237 eindringlich; er konnte bitten wie ein Kind, unermüdlich, mit so treuherzigem Blick.

Die Gräfin hörte zu, ohne ein einziges Mal zu unterbrechen. Dann legte sie die schmale Hand auf seinen Arm und sah ihn voll an: »Du bist eine brave Seele, Reimar, und was in meinen Kräften steht, soll gewiß geschehen, um Dir behülflich zu sein. Soeben sprach ich mit Frau von Wetter, sie ist in hohem Grade erbittert über das kühle, unfreundliche Entgegenkommen der Gesellschaft, der alten Freunde selbst, welche kaum Zeit gefunden haben, sie zu begrüßen; auch scheint sie sehr gekränkt, daß Josephine so wenig florirt, und erklärte mir sehr entschieden, daß dies der erste und letzte Ball gewesen sei, welchen sie hier in der Residenz während dieser Saison besucht; sie will ^à tout prix nach Stauffen zurück. Ich werde mich aber bemühen, Deinen Intentionen gerecht zu werden, und auch Gelegenheit suchen, der Herzogin-Mutter meine Meinung über eine derartige Behandlung altangesessener Familien zu äußern. Eine kleinste Auszeichnung der Herrschaften würde genügen, die Stellung der Wetterschen Familie vollständig zu restauriren.«

Hattenheim drückte in unendlicher Dankbarkeit die Hand der Sprecherin; diese aber fuhr mit fast neckendem Tone fort: »Und wenn Frau Renate absolut nicht zu bewegen ist, hier zu bleiben, lieber Reimar, was würdest Du dann Deiner Tante für eine Decoration um den Hals hängen, wenn sie 238 sich sogar erböte, ›lütt Josephining‹ als lieben Gast den Winter über da zu behalten?«

»Für eine solch außerordentliche Güte und Freundlichkeit ist noch kein Orden gestiftet worden, teuerste Tante, denn sie ist einzig in ihrer Art!« rief der junge Mann mit dunkeler Glut auf Wangen und Stirn, neigte sich hastig und küßte die zierliche Hand, welche noch immer auf seinem Arm ruhte. »Nicht einmal Herz und Seele kann ich Dir in treuester und vasallenhaftester Ergebenheit zu Füßen legen, denn darüber verfügst Du schon seit langer Zeit als eine unendlich gnädige Herrin!«

»Deinen Dank nehme ich als eine gerechte Belohnung aus Deinen strahlenden Augen entgegen,« lächelte die Hofmarschallin, »aber Herz und Seele gebe ich Dir zurück, denn ich glaube, Freundchen, die hast Du momentan selber viel zu nötig, wenn Du sie überhaupt noch besitzest!« Und sie erhob sich und that einen schnellen Umblick. »Dort sitzt Frau von Wetter, wieder allein bei Josephine und Ange, allons donc, ein günstiger Moment, meine Mission zu beginnen!«

Sie sah nicht das wehmütige Lächeln, welches die Lippen Hattenheims bei ihrer scherzenden Bemerkung umspielt hatte, sie schritt, auf seinen Arm gestützt, hinter dem Gewühl der tanzenden und Spalier bildenden Paare hindurch, um wenige Augenblicke später mit vieler Freude von Tante Renate begrüßt zu werden – –

Prinzessin Sylvie hatte bereits Unglaubliches 239 im Tanzen geleistet. Ihr Antlitz glühte wie eine voll erschlossene Rose, halb aufgelöst hingen die blonden Haarsträhnen in Stirn und Nacken hernieder, und um den Kleidersaum wehten die zerfetzten Crêpestreifen, welche der Toilette einen unsagbar chiffonnirten Anstrich gaben. Zwar nahm ihre hohe Trägerin die Schleppe ungenirt auf und riß die defekten Garnirungen mit kräftiger Hand ab, knäulte sie ungeduldig zusammen und warf sie auf den ersten besten Divan. Lachte dann hell auf, wenn Graf Lehrbach solch einen »Flicken« mit vielsagendem Blick und nicht immer sehr unbemerkt auf die Brust unter die Uniform schob, und sagte höchstens mit einem Fächerklapps: »Lumpensammeln ist nicht gentlemanlike, Lehrbach! Da . . . hier haben Sie ein besseres Souvenir!« Und sie warf ihm den glitzernden Fächer zu und machte ein Gesicht dabei, als existire keine Seele weiter im ganzen Saal außer dem schönen Mann an ihrer Seite.

Welch' eine reiche Sammlung von Fächern, Blüten, Taschentüchern und Handschuhen hatte Günther bereits daheim in seinem Schreibtisch aufgestapelt! Und jedes einzelne Stück war ein Souvenir!

Die kurze Tanzpause, die letzte vor dem Souper, hatte soeben begonnen. Die jungen Damen plauderten in kleinen Gruppen, naschten von den präsentirten Süßigkeiten und beobachteten ihre Nebenbuhlerinnen. Die Mütter begannen bereits hinter den Fächern zu gähnen, oder fieberten vor Verlangen, einer Anrede 240 der höchsten Gastgeber gewürdigt zu werden, um so mehr, da die hohe schlanke Gestalt der Herzogin-Mutter sich heute nur sehr selten von ihrem Sessel erhob, um eine kleine Tournée bei den älteren Herrschaften zu machen. Sie war noch immer erkältet, und ihre Robe von maisgelbem Atlas mit dem Tablier von etwas härter nüancirtem Brocat ließ die tiefe Blässe ihres schmalen Gesichtes noch merklicher hervortreten. Der Ordonnanzoffizier hatte auch voll rührender Ausdauer mit dem Hermelinkragen auf dem Arm hinter der hohen Frau gestanden, bis ihm endlich ein huldvoller Wink gestattete, denselben um die Schultern der Fürstin zu legen. Da war er reich belohnt für seine Geduld.

Marie Christiane hatte nur während des ersten Tanzes an der Seite der Herzogin-Mutter gesessen; dann war es wohl ganz absichtslos gekommen, daß sie, längere Zeit mit Franz Eginhard plaudernd, bei dem plötzlich beginnenden Tanz einen isolirteren Platz gewählt, ihre Hofdame und die Landjägermeisterin zur Seite, welchen sich im Laufe des Abends noch verschiedene Freunde des Pavillons anschlossen, bis sich schließlich eine Saalecke bildete, in welcher man viel dunkele Ornatsgewänder beisammen sah. Einmal hatte sich Marie Christiane direkt zu Frau von Wetter und deren Nichte begeben, welche recht verlassen auf ihrem Divan gesessen hatten, um längere Zeit angelegentlichst mit ihnen zu plaudern.

241 Gräfin Aosta bemerkte es und wandte sich mit spöttischem Achselzucken zu einer Palastdame.

»Sie macht Proselyten!« lachte sie, laut genug, um von Prinz Detlef gehört zu werden; der wechselte auch einen schnellen Blick mit ihr, verneigte sich und bat um eine Extratour.

Sylvie stand in einem Nebensalon, löste die Tanzkarte von ihrem Gürtel und sah flüchtig darauf nieder. Lehrbach trat an ihre Seite.

»The lancers!« las die Prinzessin, rümpfte die Nase und warf geringschätzend die Lippen auf. »Wieder diese viereckige Langeweile. Ich begreife gar nicht, Fortunatus, warum Sie diese entsetzlichen Tänze hierhin drucken lassen!«

»Könnte ich alle Galopps mit Ihnen tanzen, Hoheit, würde ich nur solche auf die Tanzordnung setzen,« entgegnete der junge Offizier langsam, mit viel Betonung und einem tiefen, etwas kühnen Blick in das Auge der Fragerin. »So aber bin ich egoistisch genug, Ihren anderen Partnern solche Touren zuzudenken, welche Ihnen durch ihr ursprüngliches Genre die Tänzer gleicherzeit mit verleiden!«

Sylvie hatte die Wimpern tief über die Augen sinken lassen, ihr verschleierter Blick ruhte auf dem schönen Angesicht des Grafen, schnell und heftig atmete sie auf; dann zuckte ihr Kopf in den Nacken, und mit der ihr eigentümlichen eckigen Bewegung sagte sie laut und ungeduldig: »Ein infamer Backofen hier! Ich bin schon ganz aufgelöst vor Hitze und sehne mich danach, etwas frischere Luft zu 242 atmen. The lancers werden wohl auch ohne mich klappen, und wenn sie's nicht thun, hol sie meinethalben der Kukuk! Ihren Arm, Lehrbach! Ich wünsche einen Gang durch den Wintergarten zu machen!« Und ohne nur eine Entgegnung abzuwarten, legte sie ihre Hand fest auf den Arm des Husaren und wandte sich der Galerie zu.

Am Anfang derselben standen mehrere kleine Spieltische, an welchen die älteren Herren sich nach Kräften amüsirten und es oft in erstaunlichen Ziffern bewiesen, auf welch goldenem Boden die meisten Stammbäume des Landadels Wurzeln geschlagen.

Auch Franz Eginhard, welcher Tanz und leichte Konversation nicht sonderlich liebte, hatte sich mit einem fürstlichen Gesandten, dem Minister Grafen Lehrbach und Prinz Alexander zum Whist niedergesetzt, schäumende Champagnergläser klirrten auf, Goldstücke rasselten unter den weißen, brillantblitzenden Händen, welche sie zusammenwarfen; sonst aber herrschte tiefe Stille, nur Prinz Alexander hüstelte hie und da etwas nervös auf, und die Musikklänge tönten gedämpft und abgerissen aus dem weißen Saal herüber.

In der Nähe am Kamin, die Augen unverwandt auf die fürstlichen Herren gerichtet, lehnte der Ordonnanzoffizier, Herr von Reuenstein, in ängstlicher Gewissenhaftigkeit bereit, sofort dienstbeflissen hinzuzuspringen, falls dem Herzog oder Prinzen eine Karte entfallen sollte. Auch konnte man ja nicht wissen, ob vielleicht der Herzog eine 243 Cigarette anzuzünden wünschte und ein Schwefelholz dazu brauchte . . .

Sylvie und Lehrbach schritten auf weichem Teppich vorüber, die Prinzessin warf ihrem Bruder scherzend die weiße Lilie, welche sie aus ihrem Gürtelstrauß gezogen und mit welcher sie auf der flachen Hand Jongleurkünste exercirte, in die Karten, nickte ihm und dem Minister zu und musterte Herrn von Reuenstein, dessen Haupt sich vor ihr bis fast zum Teppich neigte, mit etwas sarkastischer Grimasse.

Das Auge des Ordonnanzoffiziers folgte dem jungen Paar. Es war ein böser, hämischer Blick, welcher konstatirte, daß das Ziel der Wanderung der Wintergarten war; für sein Leben gern wäre er gefolgt, um interessante Neuigkeiten auszuspioniren, aber er kannte die Tragweite solcher Indiskretionen und wußte, daß das Pflänzlein Klatschrose nirgends üppiger, aber auch nirgends giftiger und gefährlicher sproßt, als auf dem Parquet. Und sich die Finger verbrennen? Nein, dazu war er doch nicht mit so unendlicher Mühe bis auf die erste Sprosse der Leiter geklettert, deren Spitze in einen Feldherrnstab und strahlende Fürstengunst auslief. Vielleicht konnte er andere Augen finden, die für ihn sehen, andere Ohren, die für ihn hören; es gehen ja so viele ältere Damen mit Vorliebe in den Wintergarten. Also aufgepaßt; da kommen schon zwei, drei Personen. Schade.

Es ist Hattenheim, der beste Freund Lehrbachs, seine Cousine Ange und der kleine, weiße Zuckerhut 244 von Groß-Stauffen. Fräulein von Wetter ist nicht so übel, wie sie auf den ersten Blick scheint, sie hat entzückende Augen, einen Teint, wie ein blasses Rosenblatt, und dazu ein eigenartiges Lächeln, das immer schmerzlicher wird, je weiter der Abend vorrückt . . . Arme Kleine, es war sehr hart, daß Niemand sich Deiner Tanzkarte erbarmte. Ich hätte Dich ja gern engagirt, ich, Baron von Reuenstein, der Ordonnanzoffizier, denn trotz Deiner ridiculen Toilette hat mir Dein reizendes Gesichtchen höchlichst wohlgefallen. Aber, wie konnte ich! ich, der Ordonnanzoffizier! Alle Welt lacht und spottet ja über Dich! Man nennt Dich Gänseliesel, und, was das Schlimmste ist, Graf Lehrbach hat Deine Verhältnisse mehr als armselig geschildert, also nicht einmal eine gute Partie! Und nur um in Deine hübschen Augen zu sehen, sollte ich, der Ordonnanzoffizier, so unglaublich verwegen gegen den Strom schwimmen? Bedaure unendlich, allerliebstes Gänseliesel, aber dazu bin ich doch viel zu sehr Hofmann, der seine Feder immer so bläst, wie der allgemeine Atem weht!

So war ungefähr das Selbstgespräch, welches der junge Offizier am Kaminsimse hielt, da er mit dem verschwommenen Blick den Vorüberschreitenden folgte.

Im Wintergarten wehte eine feuchtwarme, stark durchduftete Treibhausluft. Fontainen plätscherten im lauschigen Grün, Orangenbäume badeten sich in einem Meere von Wohlgeruch, und auf dem weichen 245 Sand malten sich die zackigen Schatten der Palmen, Agaven und köstlich getürmten Philodendrons, welche ihre Blattkronen hoch über den blühenden Gebüschen und Pyramiden wölbten. Zwei Broncelöwen flankirten die Ruhebank, welche, unter wiegenden Schneeballen und Fliedertrauben halb versteckt, zum Rasten einlud. Vor ihr schlängelte sich der rötliche Sandweg, welcher in mannigfachen Windungen, viel verzweigt und labyrinthisch durch Grotten und Spaliere geführt, den ganzen, außerordentlich großen Raum des Wintergartens durchschnitt, welcher einen um so ausgedehnteren Eindruck machte, als sich ihm in direkter Verbindung die weitläufigen Gewächshäuser anschlossen, welche sämmtliche Ziersträucher und exotischen Gewächse des Schloßgartens im Winter beherbergten.

Auf der Bank, zurückgelehnt gegen die kühlen Zweige der Kamelien, saß Prinzessin Sylvie, das Antlitz zu dem jungen Kavalier erhoben, welcher sich mit leicht vibrirender Hand auf die Broncelehne stützte und sich tief zu dem blonden Weib herniederneigte.

»Und was haben Sie mir zu sagen, Hoheit?« fragte er leise mit dem so eigentümlich dunklen, heißen Klang in der Stimme.

Sylvie atmete hastig. »Den Marsch machen will ich Ihnen, Sie unartiger Mensch,« rief sie mit einem Blick, in welchem Koketterie und Harmlosigkeit um den Sieg stritten. »Glauben Sie vielleicht, Ihre bodenlosen Verläumdungen armer, 246 unschuldiger Menschen kämen mir nicht zu Ohren? Jetzt einmal gebeichtet, Sie Méchant, wer ist die Königin von Saba?«

Günther kreuzte die Arme über der Brust und verneigte sich tief, – »in ernster Anwendung meine unendlich kluge Prinzessin, welche mich soeben durch ihre Allwissenheit überrascht, – in »méchanter« Anwendung jedoch selbstverständlich nur die Frau Baronin von Tessin!«

»Himmel – dies Kameel!« – schrie Sylvie auf – »Sie sind unerhört, Lehrbach!«

»Urteilen Sie selbst, Hoheit. – Neulich stehen wir vor dem neuen Gemälde Munkacsys: »Christus vor Pontius und Pilatus!« – Die Baronin sieht es lange, lange und schweigend an; endlich rümpft sie verächtlich die Nase und zischt durch ihre zwei einsamen Vorderzähne – fehlt ja eine Hauptperson!«

»Und welche, meine Gnädigste?« frage ich eifrig, in der festen Ueberzeugung, mein Wissen jetzt außerordentlich vervollkommnen zu können . . .

Sylvie hob drohend den Finger –

»Nun mein Gott« . . . hier steht »Christus vor Pontius und Pilatus!« – schmetterte die Baronin in gellender Entrüstung, – »ich sehe aber nur den Pontius . . . und der Pilatus? mein verehrter Graf – sehen Sie ihn vielleicht?«

»Au! . . . Kalau!!« – Sylvie warf sich brüsk zurück, und lachte mit weitgeöffnetem Munde dergestalt, daß es an den Glaswänden wiederhallte, – »Sie übertreiben, Lehrbach, – »zwar historisch aber 247 nicht wahr!« heißt die Devise, unter welcher Sie der armen Tessin dieses neue Anekdötchen aufhalsen!!« –

Günther zuckte mit einem feinen Lächeln die Achseln. – »Hören Sie weiter! – Jüngst ging ich stillvergnügt durch die neuen Anlagen, und hatte keine Ahnung, daß daselbst Frau von Tessin ihren Wechsel hat –«

»Gut waidmännisch gebrüllt Löwe!« –

»Ich fiel ihr demzufolge zum Opfer, und mußte sie ein Stück Wegs vor den Verfolgungen des Verschönerungsvereins schützen, welcher, wie man sagt, der Baronin zehn Mark geboten hat, wenn sie die Anlagen meiden wolle« – – – – – –

»Sie sind ein empörendes Schandmaul, Fortunatus!« –

»Da begegnet uns eine Compagnie Infanteristen, welche die Fahne abgeholt hat, und unsagbar stolz diese Trophäe, welche zu Lumpen zerschossen ein Stück Weltgeschichte erzählt, vor sich herträgt. – »Aber ist es möglich!« schreit die Tessin auf, –»wie kann man solch zerfetzte Fahne auf die Straße schicken! Ist denn keine der Regimentsdamen ambitiös genug solchen Scandal zu verhüten und die Löcher da zu flicken, oder neues Zeug zu kaufen? . . . Tableau!!«

Sylvie hatte das Spitzentaschentuch gegen ihr hochgerötetes Antlitz gepreßt und lachte Thränen; Günther aber sah sie mit einem schalkhaften Lächeln außerordentlich harmlos an, und fragte mit tiefen Augen: »Und nun wollen Sie sich wundern, wenn ich diese seltene Frau: »Königin von Saba« nenne?«

248 Die Prinzessin riß eine Fliedertraube von dem schwankenden Ast und zerrupfte die einzelnen Blüten, um sie gegen Lehrbachs Wange zu werfen.

»Gott soll Einen vor Ihrer Zunge bewahren, Graf, sie ist unglaublich boshaft, und doch würde es ewig schade sein, wenn Sie sich bessern wollten!«

Einen Moment herrschte Schweigen; wie irres Auflachen klangen die Geigen aus dem Saal herüber, weiche, berauschende Duftwolken säuselten um die jungen, fieberheißen Stirnen.

»Haben Sie mir gar nichts zu erzählen?« Ein fast herausfordernder Blick blitzte aus den grauen Augen zu dem schönen Mann empor.

»Zu erzählen?« Günther seufzte leise auf, neigte sich noch tiefer auf den blonden Scheitel der Prinzessin hernieder und sah sie mit seinen dunklen Augen an: »Zu sagen hätte ich wohl viel, Hoheit, doch da ich es nicht darf, so muß es denn beim Erzählen bleiben! Ich kenne eine traurige Mär, die mir heute wilder denn je durch die Sinne braust, eine Geschichte, die so uralt scheint und doch so neu ist, die man mir vielleicht als prophetisches Liedlein an der Wiege gesungen hat und deren Inhalt mir die düsteren Nornen in das Lebensbuch geschrieben haben, just in das Kapitel, welches bei anderen und glücklicheren Sterblichen von blühender Myrte umrankt ist!«

»Und das Märlein heißt?« Wieder sanken die Wimpern tief verschleiernd über die Augen der Fragerin. Die Worte klangen leise, wie gepreßt 249 durch die Zähne, und die Lilienkelche zitterten an der heftig atmenden Brust.

»Kein Glück und kein Stern!« flüsterte Graf Lehrbach mit brennendem Blick. »Hörten Sie niemals von dem blonden, vielreizenden Königskind, dem armen, verliebten Pagen und den zertretenen Blaublümlein unter dem Kemenatenfenster, die des jungen Knaben Herzblut tranken?«

Sylvie sah empor, sah wie gebannt in sein Auge. Ihre vollen Lippen waren halb geöffnet, durstend, schmachtend und doch von einem wunderlichen Zug umspielt, als ringele sich eine kleine Schlange durch dies Lächeln. »Nein,« sagte sie kurz, »will auch davon nichts hören; bin selber solch ein blondes Königskind, welches . . .« sie verstummte jäh.

»Welches –?« Lehrbachs Hand griff in die Zweige des blühenden Kirschbäumchens, wie silberner Schnee wirbelten die weißen Blättchen auf Haupt, Hals und Schooß der Prinzessin nieder, in stummer, glühender Frage brannte sein Auge auf ihrem Antlitz.

»Welches nun und nimmer dulden würde, daß Blaublümlein unter dem Kemenatenfenster zertreten würden!« Laut und hart klang ihre Stimme, die weißen Zähne schnitten in die Unterlippe, und doch lachte sie mit bezauberndem Blick zu dem Mann an ihrer Seite empor und neigte das Haupt noch näher zu seiner Schulter.

»Und ob ich Dich liebe, was geht's Dich an!« recitirte Günther mit dämonischer Gewalt in der 250 Stimme. »Versuchen Sie es – verbieten Sie es einem Herzen, aus Liebe für Sie zu brechen.«

»Dazu muß ich erst wissen, wo ein solches Herz zu finden ist!«

Seine Antwort war sein Blick.

»Kein Glück – kein Stern,« fuhr Sylvie träumerisch fort, »und der alte Refrain – sie mußten Beide sterben, sie hatten sich viel zu lieb . . . wie ist doch jene goldene Zeit der Fabel so sentimental und so langweilig!« Sie lachte plötzlich hell auf, warf den Kopf keck in den Nacken und sah mit dem ihr eigenen Gemisch von Spott und Leidenschaft voll in Günthers Auge. »Da lobe ich mir doch unsere moderne Zeit, zu deren göttlichem Leichtsinn ein Offenbach seine Musik geschrieben! Damals waren die Wasser, welche das Königskind von seinem Lieb trennten, gar viel zu tief, ›und ließ sie zusammen nicht kommen‹, heut zu Tage aber baut die liebenswürdige Caprice einen Kahn, umsegelt geschickt die Klippen, welche auf der Tanzkarte The lancers heißen, und landet das blonde Königskind und den getreuen Pagen im dämmerigen Zaubergarten, unter dessen Palmen man jedoch auch jetzt noch nicht ungestraft wandelt, wenn man darüber das Souper vergißt. Kommen Sie, Fortunatus, lassen Sie an meiner Seite das Märchen leben, dessen Inhalt von schöneren Blüten als zertretenen Blaublümlein spricht!« Und sie sprang ungestüm empor, schüttelte lachend die Blütenflocken aus dem Haar und legte ihre Hand auf seinen Arm.

251 »Prinzessin . . . von welchen Blüten soll dies Märchen der Zukunft reden?« Lehrbach stand regungslos, seine Stimme bebte.

Sylvies Blick flog über die farbige Pracht des Bosquets, sie brach schnell ein Zweiglein Lorbeer und reichte es ihm mit schillerndem Blick. »Von diesen hier!« sagte sie leichthin, »von dem Kraute der Unsterblichkeit, welches die Stirn der göttlichen Lieblinge schmückt und welches sich einzig dem goldenen Reife auf der Fürstenstirn anschmiegen darf. ›Lorbeer‹, Graf Lehrbach, ist die zauberische Brücke, welche selbst die gähnendste Kluft überspannt, also hoffen wir auf Krieg und Sieg, welcher Ihnen diese Krone mitbringt!« Es lag ein scharfes Lächeln auf den Zügen der Sprecherin, und die Worte »diese Krone« klangen beinah wie das Kichern des kleinen Hochmutsteufels; kühl wie Schneeluft wehte es den jungen Offizier aus den grauen Augen und der herben Stimme an.

Die Lippen zusammengepreßt, eine Falte auf der Stirn, hatte Lehrbach auf den Lorbeer gestarrt, dann aber beherrschte er sich schnell, lächelte sein einnehmendstes Lächeln und zog die Hand mitsammt dem grünen Reis an die Lippen.

»Wohl mir, Hoheit, daß diese Hand den ersten Zweig zu einem Kranz gepflückt, welcher zum hohen Ziel meines Lebens werden wird!«

In demselben Augenblick rieselte es wie eine weiche Schleppe, klangen gedämpfte Schritte auf dem Sandweg; jäh zusammenzuckend wich Josephine 252 von Wetter zurück und starrte tief erbleichend auf Graf Lehrbachs schönes Antlitz, welches sich in langem Kusse auf die Hand der Prinzessin neigte.

Günther richtete sich empor, warf mit einem Lächeln und schnellem Blick auf Josephine, Ange und Hattenheim das Haupt in den Nacken und schritt, Ihre Hoheit am Arm, mit einem etwas forcirt selbstbewußten Gesicht an ihnen vorüber.

Sylvie nickte Gräfin Ange unendlich harmlos zu, klopfte Josephine en passant auf die Schulter und sagte mit huldvollstem Lächeln: »Sie haben Ihren schönen Freund vortrefflich gezogen, little country-miss! Die paar Wochen in ländlicher Einsamkeit haben ihn zu dem liebenswürdigsten und anspruchslosesten Menschen gemacht, den man sich nur denken kann, er küßt selbst die Hand, welche ihm das bittere Kräutlein Lorbeer reicht!« Ein leises, kurzes Auflachen, dann schritt die Prinzessin am Arm ihres Tänzers vorüber; wie ein schillernder Eidechsenleib raschelte die lange Schleppe hinter ihr her und fegte die Kamelienblüte mit sich fort, welche Josephine durch den jähen Schreck aus den Fingern geglitten war.

Sie stand und schaute dem Paare nach, bis Sylviens burschikose Stimme verklang, bis das silberne Gewand zum letzten Mal hinter den Spalieren hervorleuchtete. Dann strich sie mechanisch mit der Hand über die Stirn, richtete die großen, glanzlosen Augen auf Hattenheim und fragte wie Eine, die plötzlich aus langem Traum erwacht:

2530 »Kann denn eine Prinzessin einen Mann heiraten, der keine Fürstenkrone trägt?«

Hattenheim schaute düster vor sich hin, Gräfin Ange jedoch lächelte seltsam und entgegnete: »Sie kann es wohl, aber – sie thut es nicht! Seltsam, mir fällt immer des Ekkehard kurze Geschichte ein: ›Und es war ein dunkler Nachtfalter, der flog zum Berg hinauf und flog um das Licht und wußte, daß er verbrennen müsse. . . .‹«

Hattenheim lachte ingrimmig auf: »Der Nachtfalter war ein dummer Teufel! heißt's am Schluß des Märleins!«

»War ein Husarenoffizier, der hoch hinaus wollte!« schüttelte Ange leicht ironisch das Köpfchen. »Verbrannte die Flügel! – ich fürchte, so heißt der Schluß des Märleins und der Wahrheit!«

»Es ist so schwül hier, ich mag keine roten Rosen sehen!« sagte Josephine mit zitternder Stimme, »lassen Sie uns umkehren!«


Allein, mit schwer bewölkter Stirn saß Tante Renate auf dem Wanddivan, als die drei jungen Leute zu ihr zurückkehrten. Ihr scharfer Blick traf das bleiche, verstörte Antlitz Josephinens, sie schrak empor, ihre Hand krampfte sich unwillkürlich um den derben Elfenbeinfächer.

»Bist Du krank, Phine?« fragte sie kurz.

Wie durch Thränen traf sie der Blick des jungen Mädchens. »Mein Kopf thut grausam weh, lieb Tanting!« nickte sie, preßte die Hand aber dabei auf das Herz.

254 Frau von Wetter erhob sich schnell. »So laß uns nach Hause.«

»Ach ja, nach Hause!« Wie ein Aufschrei klang's.

»Jetzt schon, vor dem Souper, Frau Baronin?« rief Gräfin Ange mit ehrlichem Bedauern. »Das ist ja unendlich schade für unsere netten Pläne, wir wollten so gemütlich an einem kleinen Tisch zusammen sitzen!«

Die Freifrau drückte ihr die Hand. »Sie meinen es gut, liebe Komtesse, aber ich glaube, Josephine und ich haben keinen sonderlichen Appetit auf fernere Genüsse, einfachen Landmenschen wie uns liegt solch ein Fest gar wunderlich schwer im Magen! Grüßen Sie Ihre liebe Mutter von mir, wir werden ihr morgen unseren Abschiedsbesuch machen, jetzt möchte ich nicht stören, sie spricht mit der Herzogin; und bitten Sie, daß sie unser Gehen mit dem Unwohlsein meiner Nichte bei den Herrschaften entschuldigt!«

Josephine war es, als wallte ein grauer Nebel vor ihren Augen, sie stützte sich schwer auf den Arm der Tante, welche ihr mit besorgtem Blick denselben darbot: »Komm, mein Herz, Du bist das bunte Getreibe der großen Welt noch nicht gewöhnt,« und sich zu Hattenheim wendend, fuhr sie mit freundlichstem Ton und Blick fort: »Sagen Sie es, bitte, meinem Mann, daß wir vorausgefahren sind, Herr von Hattenheim, ich möchte ihn nicht stören, er amüsirt sich so gut. Und nochmals viel herzlichen Dank, daß Sie sich unserer so liebenswürdig angenommen haben!« Hattenheim neigte sich stumm 255 über die dargereichte Hand und küßte sie. In seinen Zügen arbeitete es wie namenlose Erregung, und seine Stimme klang schluckend, als er nach kurzer Pause entgegnete: »Sie gestatten mir, die Damen zu dem Wagen zu geleiten.«

Ange drückte Josephinens Hand: »Wir nehmen keinen Abschied, wir sehen uns wieder!«

Ein herzzerreißendes Lächeln antwortete ihr; dann schritten sie über die weichen Teppiche des Nebensaals, zum Vestibul hinaus, die marmornen Stufen hinab, zu deren Seiten die weißen Azaleen und Schneeglöckchen die Köpfe erfroren hängen ließen. Wie hatten sie so freudig die zarten Blättchen zu den flammenden Girandolen erhoben, da Josephine hier die Treppe emporgestiegen war, ebenso glückselig und zuversichtlich, ebenso bebend und lustgeschwellt wie das Herz der lieblichen Mädchenknospe, und nun kehrte sie nach ein paar kurzen, kurzen Stunden zurück, und es war ein Frost gekommen und hatte Beide geknickt, die weißen Blüten und das junge Herz, und aller Lust war ein schnelles Ende gemacht.

Die Schneesternchen wirbelten durch die scharfe Winterluft und stürzten sich in die qualmenden Pechflammen, als wollten sie sagen: »Es ist kalt, uns friert, habt Mitleid, nehmt uns an euer heißes Herz und laßt uns erwarmen!« Aber das Feuer züngelte grell empor, knisterte wie ein höhnisches Auflachen und faßte die weißen Flocken – da sanken sie zu ihm nieder und starben.

256 Josephine fühlte es kühl auf ihr Antlitz wehen, aber sie schritt unbedeckten Hauptes zum Wagen. Was sollte sie denn schützen? . . . den welken Kranz in ihrem Haar? . . . dessen Zeit war um.

Hattenheims Hand umschloß die ihre. »Auf Wiedersehen!« hatte er gesagt, und der Flackerschein der Lichter hatte sein Antlitz gestreift, just, als ob sich eine Strahlenkrone auf die Stirn herniedersenke. Ja, er verdiente sie, der treue, häßliche Hattenheim, der Einzige, der des Gänseliesels Namen freiwillig auf die Tanzkarte geschrieben, der Einzige, der sich ihrer nicht geschämt hatte.

Und der Wagen sauste davon, der Lichtglanz erlosch, noch einmal grelle, hellaufjubelnde Geigentöne . . . dann summte es gedämpfter und immer ferner, und dann ward es dunkel und still.

Josephine aber lag laut aufschluchzend an der Brust der Freifrau; eine zitternde Hand strich über ihr Haupt, zwei Lippen drückten einen Kuß auf ihre Stirn, und eine weiche, wehmüthige Stimme flüsterte leise:

»Armes, armes Kind Du! . . .«

Dann kam eine lange, einsame Nacht.

Oft steht ein lieblich Bäumlein im Frühling, mit großen, schwellenden Knospen, um welche Sonnenglanz und schmeichelnde Lüfte wehen, mit ihrem Kosen die Blüten zum Licht zu locken, aber die Augen des Lenzes schlafen weiter, unberührt, als ginge sie dieses holde Grüßen gar nichts an. Plötzlich aber rauscht und saust es durch die Wipfel, 257 Blitze zischen, es kracht und wettert rings, und dann fallen Tropfen, dick, schwer, voll schmerzlicher Wucht, immer mehr und mehr, ein endloser Strom, welcher die zitternden Zweiglein badet und dann wird's still. Wenn aber das Morgenlicht die Erde grüßt, dann steht der schlafende Baum in fremder, köstlich stolzer Pracht; dann hat er einen rosigen Schleier um das Haupt geworfen gleich dem jungfräulichen Weibe, dessen Auge sich dem Leben, dem Glück, der Liebe erschlossen, das in kurzer, rätselhafter Wandlung plötzlich aufgehört, ein Kind zu sein!

Wunderlich Mädchenherz, du gleichst dem knospenden Baum der Frühlingsnacht. Sonnig Lächeln weiht und segnet deine Kinderstirn, aber nur die Thränen großen, namenlosen Schmerzes wecken des Weibes heilig ernste Majestät.

»Wem nie durch Liebe Leid geschah, geschah durch Lieb' auch Liebe nie.« 258


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