Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Zwölftes Kapitel.

»Er liebt mich . . . liebt mich nicht«
»Faust,«, Goethe.            

Der nächstfolgende Vormittag brachte für Josephine eine unverhoffte und große Freude. Der Diener überreichte ihr eine Visitenkarte; »Seine Excellenz Graf von Lehrbach,« sagte er dazu und sah ganz verblüfft auf die junge Dame, welche unwillkürlich laut aufjubelte.

Wenige Minuten darauf stand der alte Herr vor Josephine, reichte ihr herzlich beide Hände entgegen und sah sie mit innigem Blicke an. Es schien, als schwände der müde Ausdruck seiner Züge, als lächelten die Lippen weniger zerstreut als sonst.

Wie herzlich er sich des Haiderösleins freute, wie liebenswürdig er ihrem Geplauder zuhörte, und wie genau er sich von ihrem Ergehen erzählen ließ.

»Ich war sehr überrascht, meine kleine Freundin, zu erfahren, daß Sie noch hier sind,« sagte er mit warmem Händedruck, »ich war zwei Tage nach dem Ball in Ihrem Hotel, um Sie und die 287 verehrten Pflegeeltern zu begrüßen und zu mir einzuladen, fand aber leider das Nest schon leer und bekam nur den Bescheid, daß die Herrschaften abgereist wären. Von Ihrem Zurückbleiben erfuhr ich erst vor kurzer Zeit durch Günther und hätte Sie schon früher aufgesucht, wenn ich nicht gerade in letzter Zeit mit Geschäften und Sorgen überhäuft gewesen wäre. Da hatte ich kaum Zeit, einmal Luft zu schöpfen, war von früh bis spät an der Arbeit – fühle es auch – es hat not gethan, daß ich jetzt noch eine Hülfe bekam.«

Er seufzte leise auf und fuhr mit der bleichen Hand, von welcher er während des Gesprächs den Handschuh abgestreift hatte, über die gefurchte Stirn.

Josephine sah ihn besorgt an. Er schien ihr plötzlich sehr gealtert, und die Augen sahen überwacht und trübe aus, auch das sorgfältig frisirte Haar lag dünner und silberner an der Schläfe.

Sie fand so viele Worte, ihm Liebes und Freundliches zu sagen; eine aufrichtige, unbegrenzte Verehrung schwellte ihr Herz. Und wäre er auch nicht Günthers Vater gewesen, sie mußte ihm doch gut sein, denn er war anders als sein Sohn. Er hatte sie nicht verleugnet, sondern war augenscheinlich bemüht, das wieder gut zu machen, was Jener verschuldet hatte.

Sie fühlte sich so wohl, so glücklich in seiner Nähe.

Lange plauderten sie. Der pünktliche Minister versäumte fast die Audienz bei dem Herzog, so völlig 288 gab er sich dem behaglichen Zauber dieses kleinen Boudoirs hin, dessen Herrin auf niederem Tabouret an seiner Seite saß und wie eine Rose zu ihm auflächelte; ein Sonnenstrahl zitterte über das Blondköpfchen, da schimmerte jede Stirnlocke wie gesponnenes Gold.

»Und das ist Josephine von Wetter, dieselbe, die an jenem unglückseligen Hofballabend vor mir stand?« fragte er sich und schüttelte den Kopf dazu.

Dann erhob er sich endlich und nahm Abschied.

»Morgen sehe ich Sie aber doch bei der Schlittenpartie, Excellenz?« Das junge Mädchen begleitete ihn durch die Thür auf den Korridor hinaus.

Graf Lehrbach schüttelte mit seinem melancholischen Lächeln das Haupt: »Die Zeiten liegen hinter mir, Fräulein Josephine; hab' Schlitten gefahren und gezogen, da ich jung war. Jetzt tragen diese Schultern ein schweres Joch. Aber meinen Jungen schicke ich als Vertreter, und ich denke, mit dem werden Sie besser zufrieden sein, als mit meinem zerstreuten grauen Kopf, welcher den holden Damen nur noch ein väterlicher Ratgeber sein kann!« Und mit seiner ritterlichen Art neigte er den Hut vor Josephine, nickte ihr herzlich zu und stieg mit noch immer elastischen Schritten die Treppe hinab. – –

Hei, wie das klingelte und pfeilschnell über den glitzernden Schnee sauste! Die Sonne stand am Himmel und leuchtete ohne zu wärmen; klar und kalt war die Luft, und lange Eiszapfen hingen von den Dächern.

289 Josephine fühlte sich so geborgen in ihrem Schlitten, lachte über das ganze Gesichtchen und schwatzte so viel, wie sonst in acht Tagen nicht. Alles machte ihr Freude, und die Freude strahlte aus den großen Augen und zuckte um die Lippen.

Reizend sah sie aus mit den frisch geröteten Wangen unter weißem Gazeschleier, in der dunkelgrünen Sammetjacke und dem silberglänzenden Mövenpelz, in wirkungsvollem Kontrast zu Gräfin Ange, welche in tiefdunkler Toilette, von schwarzem Pelz umwogt, an ihrer Seite saß. Auch Hattenheim war lustiger denn je, oft schien er Ange fast aufgeregt.

Als sie auf dem Rendezvousplatz anlangten, suchte sein Auge den Entrepreneur. Der ließ auch nicht lange auf sich warten, er sauste in vierspännigem Hofschlitten an der Seite der Prinzessin Sylvie daher. Aus Zufall hielt der »goldene Herzogslöwe« dicht neben dem Lattdorfschen Schlitten, ehe sich der Zug hinter dem Musikcorps ordnete. Graf Lehrbach schaute grüßend herüber und nickte verschiedentlichst dem Freund Hattenheim noch extra zu, dann ruhte sein Blick auf Josephine, welche sich eifriger denn zuvor mit Baron d'Ouchy unterhielt.

Reimar beobachtete ihn, und es blitzte wunderbar aus in seinem Auge, da er unwillkürlich Prinzessin Sylvie mit dem Gänseliesel verglich.

Hoheit sah nicht vorteilhaft aus. Die Kälte hatte ihre Wangen fast blaurot gefärbt, die langen Federn ihres Amazonenhutes wehten ungraziös um 290 den Kopf, und ein entschieden übellauniger Zug lag um die aufgeworfenen Lippen.

Es war, als hätte Graf Lehrbach die Gedanken des Freundes erraten, auch sein Blick schweifte von Josephine zurück. Dann wandte er schnell den Kopf und begrüßte Prinz Detlef, welcher sich in Begleitung zweier Verbindungsbrüder zu Pferde der Partie anschloß.

»Es ist amüsanter!« hatte er gesagt, »man kann sich auf diese Art bei verschiedenen Schlitten anklexen, sonst ist man die ganze Zeit neben einer einzigen Schönen festgenagelt!« Gräfin Aosta hatte mit giftigem Seitenblick die Nase gerümpft.

Detlef klemmte sein Monocle ein und ritt, nach allen Seiten grüßend, durch die Reihen der größtenteils hocheleganten Schlitten, warf der schönen Aosta zur Versöhnung ein Bouquet Schneeglöckchen in den Schooß, welches sie schweigend acceptirte und an die Brust, in die reiche Verschnürung ihrer ungarischen Jacke steckte.

Der Prinz sah sie einen Moment erwartungsvoll an, dann neigte er sich zu ihr hernieder und sang mit gedämpfter Stimme und keckem Blick:

»Mein Susannchen – keine Antwort?
Ei, laß Dein Gesicht doch sehn!«

Da blitzten die dunkelen Augen halb schelmisch, halb böse zu ihm auf, und die kleine Hofdame entgegnete scharf: »Sollte Cherubino nicht wissen, daß Susanne Grund zum Schweigen hat?«

Detlef lachte hell auf: »Da wir einmal beim 291 Figaro sind, meine reizende Gräfin, wollen wir auch dabei bleiben!« Er deutete mit der Reitgerte nach den Schlitten des Musikcorps. »»Dort vergiß süßes Flehn – leises Wimmern«« – rät Schelm Figaro Allen, die betrübten Herzens sind, also au revoir beim ersten Walzer!«

Er warf sein Roß herum und dirigirte es seitwärts aus der Reihe der Gefährte, welche begannen, sich zum Zug zu ordnen. Sein Haupt zuckte in den Nacken, mit blasirtem Lächeln ließ er die einzelnen Schlitten an sich vorbei defiliren, hier und da als Gegengruß nonchalant an den Hut greifend, oder ein paar nicht immer originelle Worte zurufend.

Plötzlich schärfte sich sein Blick, mit halb geöffnetem Mund, die Zähne zeigend, starrte er einen Moment regungslos in den Lattdorfschen Schlitten. »Bless me! . . das Gänseliesel . . .« murmelte er, hob seine Reitgerte und neigte sie ostensibel galant. »Sag's ja, famose Augen! . . . war nur die rasende Toilette damals! . . .« Und er drehte mechanisch den Kopf und folgte ihr mit den Blicken. Die beiden Saxo-Borussen, ein englischer Lord und ein pommerscher Freiherr, welche pflichtgetreu neben ihm hielten, fragten nach dem Namen der allerliebsten Fremden; der Prinz nannte ihn kurz, er schien plötzlich zerstreut, dann sagte er wie im Selbstgespräch: »Erst mal in der Nähe ansehen, werde einen Tanz heut Abend riskiren!«

Die Musik schmetterte eine Fanfare, dann 292 brauste der Feuerwehrgalopp über den Schloßplatz, und in rasendem Tempo jagte das herzogliche Viergespann an der Spitze des Zuges durch das gaffende dichtgedrängte Publikum die Bellevue hinab. In glänzendem Zug folgten die Schlitten, sprengten die einzelnen Kavaliere und die gallonirten Spitzreiter an den Seiten entlang. Hei, wie der Schnee unter den Hufen flog, wie die bunten Federn auf den schnaufenden Pferdeköpfen nickten, wie gefleckte Felle, köstliche Decken und flatternde Schabracken prunkten; Wie die Geläute so frisch und lustig klangen, die Musik dazwischen jubelte! Wie das stampfte, klirrte, rasselte und den weißen Schnee geballt zur Seite schleuderte!

Ja, Graf Günther, es ist etwas Schönes, Köstliches um das bunte Leben der Großwelt! Josephine verstand es jetzt gar wohl; sie konnte sich einen Begriff davon machen, wie berauschend solche Freuden sein mußten, wenn man sie mit glücklichem Herzen genießt! . . Glücklich! . . . Ach, daß sie doch so ganz verstohlen in jenen Schlitten, den goldenen Löwen, der mit gestreckten Tatzen auf den Kufen ruht, hätte schauen können! Da lag das blonde Königskind in den Sammetpolstern und sah in die dunkeln Augen ihres Kavaliers, kräuselte vielleicht spottend die Lippen, wenn er von dem »Gänseliesel« erzählte, und lachte dann um die Wette mit ihm über die Nägelschuhe und das rosa Kattunkleid; wenn er ganz besonders humoristisch erzählte, reichte sie ihm vielleicht auch wieder die Hand zum Kuß, wie damals im Wintergarten.

293 Warum friert es sie auf einmal so sehr?

O, sie kann ja auch lachen, Graf Günther, noch lauter, noch toller sogar! Und Sie sollen es hören, Sie sollen sich wundern darüber, Sie sollen es erfahren, daß man vom Wetterschen Stolz und Trotzkopf spricht!

Und weiter geht's im Saus und Braus, hinein in eine Welt, die, zu Eis und Schnee erstarrt, sich doch mit lügnerischem Sonnenglanze schmückt, gerade wie ein todtbleiches Antlitz, welches lächelt. Baron d'Ouchy scheint sie beobachtet zu haben. »Warum sind Sie plötzlich so still?« fragt er. Da sieht sie ihn an und lacht: »Es ist Ruhe vor dem Sturm!«

»Wollen Sie ihn heraufbeschwören oder über Herz und Seele brausen lassen?« Das laute Getön verlangt es, daß er sich näher zu ihr neigt, sein Auge spiegelt sich fast in dem ihren, es ist dunkler, rätselhafter als je.

Sie lacht abermals, diesmal etwas bitter. »Beides wäre kühn! Der Sturm ist ein wilder Geselle, der viel Schönes in den Staub reißt, ich fürchte mich vor ihm!«

Da blitzen seine Zähne durch die Lippen, sein Atem streift fast ihre Wange. »Mit meinem Mantel vor dem Sturm beschütz' ich dich!« entgegnet er. Da sieht Hattenheim einen Raubvogel in der Luft und ruft es Josephine zu.

Man fuhr die Chaussee entlang durch den Stadtforst, an den Schießständen und dem Exercirplatz 294 vorbei, passirte die zwei nächsten Dorfschaften und kehrte in großem Bogen, ohne Aufenthalt durch das entgegengesetzte Stadtthor zurück. Auf Wunsch der Herzogin Mutter sollte erst zum Schluß und in der Residenz selber etwas getanzt werden, da man leider im vergangenen Jahre traurige Erfahrungen mit bösartigen Erkältungen gemacht hatte. So fuhren die Schlitten an dem Offizierskasino vor, dessen Portal bereits festlich erleuchtet und mit Tannengrün geschmückt war und dessen Räume das Offiziercorps bereitwilligst für Spiel und Tanz zur Verfügung gestellt hatte.

Die Damen erschienen in dunkeln oder helleren Seidenkleidern, ohne Schleppe und Blumen, nur Prinzessin Sylvie ließ sich von ihrer harrenden Kammerfrau Sträuße blühenden Schneeballs als originellen Schmuck an Brust und Haar befestigen.

»Brr, ich bin schauderhaft erfroren!« schüttelte sie sich, inmitten des Tanzsaals stehend, wandte sich zu dem Thee präsentirenden Lakai und ergriff die Cognakflasche.

»Haben Sie kein Glas?« fragte sie kurz.

»Ich fliege, Hoheit!« lachte Graf Günther, stürmte zu dem Buffet und kehrte mit einem kleinen Madeiraglas zurück, welches sein gemaltes Wappen trug. »Ich beneide diesen Kelch!« sagte er galant, verneigte sich und überreichte ihn. Ohne jegliche Prüderie füllte Sylvie das Glas bis fast zum Rand, wandte sich in ihrer derben Art zu den Kavallerieoffizieren, welche, sie umringend, ihrem Beispiel in 295 animirtester Stimmung folgten, und rief: »Na, nun mal los! Wollen sehen wer es besser kann! Vive l'amour, messieurs!«

»Vive l'amour!« jubelte es im Kreise, und die Gläser wurden bis zur Nagelprobe geleert.

»Und nun fahren Sie in Gottes Namen Ihren Thee an!« fuhr Sylvie leicht aufhustend fort, »jetzt fängt es an, mir behaglich zu werden!«

Es wurden nur Extratouren getanzt. Prinz Detlef hatte sich umgezogen und kam etwas später. Er hörte die Musik, als er in das Vorzimmer trat.

»Heda! Brocksdorff, arbeiten sie schon?« fragte er, mit dem Daumen über die Schulter nach dem Saal deutend.

»Allright, Hoheit, man tanzt bereits!« lachte dieser höchlichst amüsirt.

»Na, dann vorwärts, an die Pferde!« dehnte der Prinz resolut die Arme, trat in den Saal und ließ Gräfin Susanna noch ein ganzes Weilchen zappeln, indem er Fräulein von Wetter belorgnettirte; dann sah er, wie die schöne Hofdame die welken Schneeglöckchen zornig neben sich auf den Divan warf, er lachte und engagirte sie. Josephine stand neben Ange. Sie hatte mit Hattenheim und d'Ouchy getanzt, jetzt wollte sie sich einen Augenblick ausruhen. Reimar wich nicht von ihrer Seite, tanzte mit keiner anderen Dame, sein Blick verfolgte Günther. Dieser engagirte seinen »Verpflichtungen« nach zuerst Sylvie, dann die nächste Umgebung der Prinzessin.

296 Prinz Detlef schritt quer durch den Saal auf Ange Lattdorf zu und grüßte sie, anscheinend ohne die mindeste Notiz von ihrer Nachbarin zu nehmen.

»Nun, kalte Schönheit?« redete er die Komtesse an, »es ist gut, daß die Blumen auf Ihrem Kleid gestickt sind, sie würden sonst an Ihrem Herzen erfrieren!«

»Besser, als wenn sie verbrennen würden, Hoheit!« Ange richtete sich hoch auf, ihr ernster, kühler Blick lag voll auf seinem Antlitz.

»Ist Geschmackssache!« lachte Detlef den Schnurrbart drehend, »ich möchte es wohl erleben, Sie einmal etwas enflammirt zu sehen, es würde Sie trefflich kleiden, ich appellire an Ihre Eitelkeit. Sehen Sie, Ihr unnahbarer Blick schüchtert mich förmlich ein, sauve qui peut!« Und völlig unvermittelt drehte er sich auf den Hacken um und verneigte sich vor Fräulein von Wetter: »Darf ich bitten, meine Gnädigste, ein Galopp!«

Momentan sahen ihn Gänseliesels blaue Augen fast erschrocken an, dann färbten sich ihre Wangen etwas höher, und die frischen Lippen lächelten. Sie tanzten, und Aller Augen sahen auf sie hin, durch die Reihe der konversirenden Mütter ging ein jähes Aufblitzen der Lorgnettengläser, dann gab es ein eifriges Tuscheln und Nicken und Achselzucken.

Hattenheim aber warf den Kopf in den Nacken und sah fast triumphirend aus, er hatte gesehen, wie Graf Günther die Augen zusammengekniffen, als erblicke er in dem vorübertanzenden Paar ein neuntes Weltwunder. »Das ist süperbe!« flüsterte 297 Reimar in das Ohr seiner Cousine, »Seine Hoheit hat eine Wetterfahne aufgesteckt, nun werden wir sehen, wie bald der Wind von anderer Seite weht!«

Detlef unterhielt sich noch einen Augenblick mit Josephine, sagte ihr, sie dürfe nie wieder einen Kamelienkranz aufsetzen und müsse als gebildete junge Dame öfters in die Oper gehen, er habe sie noch kein Mal im Theater gesehen.

»Ich sehe ja täglich so viel Komödie!« hatte sie lachend erwidert, »werde aber dennoch Ihrem guten Rat folgen, Hoheit, um Wahrheit und Dichtung unterscheiden zu lernen!«

»Sie scheinen Anlage zum Sarkasmus zu haben?« Der Prinz sah sie amüsirt an.

»Nicht Anlage, sondern Anlaß dazu, Hoheit! In Groß-Stauffen nahm ich noch Alles, was ich sah und erfuhr, für baare Münze, hier wurde mir als erste Lebensweisheit gelehrt, Vieles zu hören und nichts zu glauben!« Unwillkürlich schweifte ihr Blick zu Günthers schönem Angesicht hinüber.

Detlef lachte lustig auf. »Das nenne ich Pessimismus im Flügelkleide!« rief er erregter als sonst. »Sie scheinen eine böse Meinung über die große Welt zu haben, und vielleicht nicht so ganz ungerechtfertigt, sie hat manchmal blinde Augen und leidet an der Schwäche, willenlos ein Feldgeschrei nachzuplappern, welches der Löwe des Tages als Parole ausgibt. Voyons donc, es soll mir eine angenehme Sorge sein, Ihre Meinung über Wahrheit und Dichtung nach Kräften zu verbessern!«

298 Er verneigte sich vor Josephine, führte sie zu Ange und Hattenheim zurück und schritt dann mit auffallend heiterem Gesicht durch den Saal, direkt auf Prinzeß Sylvie zu, welche mit Graf Lehrbach unter dem Kronleuchter coquettirte.

»Hören Sie mal, Graf!« rief er Günther, mit vertraulichem Schlag auf die Schulter, zu, »Ihr kleines Gänseliesel ist zum Anbeißen! Danke Ihnen für diese Acquisition! Wird unserer Saison zum Schmuck und den Damen zum crève-coeur werden, hahaha! . . Glaubst Du nicht auch, Sylvie?«

»Du meinst die kleine Wetter?« fragte Ihre Hoheit, die Lippe ein wenig aufwerfend, mit schnellem Seitenblick in Günthers lächelndes Antlitz, »es ist merkwürdig, wie der moderne Zuschnitt sie embellirt, gleichsam als Illustration zu der Geschichte vom häßlichen, jungen Entlein, welches zum Schwan wird!«

»Freuen Sie sich nicht dieser Wandlung, Lehrbach?« fuhr Detlef mit leichter Ironie fort.

»Aufrichtig, Hoheit, um so mehr, da sie so vollkommen und so reizend ist!« Der junge Offizier sagte es fast mechanisch, sein Blick folgte der schlanken Gestalt Josephinens, welche soeben am Arm eines Tänzers vorüberschritt, um sich zur Quadrille aufzustellen.

»Ich wünsche, mit Deinem englischen Freund zu tanzen,« sagte Sylvie kurz zu ihrem Bruder, »schick ihn her!«

»Allright!« nickte Detlef, und die Prinzessin 299 drehte sich brüsk um und eilte ohne ein weiteres Wort für Günther zum Wandpolster, auf welchem Fräulein von Dienheim saß und die Füße weit in den Saal streckte. Sie warf sich neben ihr nieder, hielt den gigantischen Fächer vor Gesicht und Brust und hatte ihr viel Wichtiges in die Ohren zu flüstern.

Lehrbach aber trat hinter Josephine.

»Guten Abend, mein gnädiges Fräulein!«

Sie wandte das Köpfchen und neigte es stumm. Ein freundlicher, aber unendlich ruhiger Ausdruck lag auf ihren Zügen, der Blick war kühl.

»Ich wollte mir neulich erlauben, Sie aufzusuchen!«

»Ich bedauerte, daß Sie sich vergeblich bemüht hatten!«

Kurze Pause. Er neigte sich näher.

»Können Sie auch die Quadrille noch tanzen?«

»Ich hoffe es.« Sie strich den Handschuh an dem weißen Arm empor, die Goldspange klirrte leise dabei.

»Und denken Sie noch an die Zeit, wo Sie diesen Tanz lernten?« Sein dunkles Auge sah sie ganz so an wie früher.

Sie lachte leise auf. »Natürlich! So etwas Spaßhaftes vergißt man nicht so leicht!«

Momentan sah er sie fast betreten an, er wußte nicht, ob dies Scherz oder ein bitterer Seitenhieb sein sollte, aber es lag so gar nichts Beleidigtes oder Gereiztes in ihrem Wesen, nur eine unendliche, liebenswürdige Gleichgültigkeit.

300 »Sie sind öfter mit Hattenheim zusammen?« fragte er weiter.

Ihr Auge leuchtete auf: »Nicht so oft, als ich es wohl wünschte! Treue Freunde entbehrt man stets!«

Das war wieder der alte, herzliche, warme Klang in ihrer Stimme.

Günther biß sich auf die Lippe. »Es freut mich, daß Sie ihn jetzt richtig beurteilen und anerkennen!« sagte er mit einer Wolke auf der Stirn.

»Es ist hoffentlich noch nicht zu spät dazu!« Sie war sehr heiter und nickte Reimar, welcher sich soeben mit seiner Dame als viertes Paar zu dem Quarrée einstellte, herzlich zu.

Die Musik intonirte.

»Auf Wiedersehen, mein gnädiges Fräulein!«

Sie neigte hastig und stumm das Köpfchen gegen ihn, und Lehrbach schritt durch die tanzenden Paare, um, an die Wand gelehnt, der Quadrille zuzusehen.

Hattenheim hatte die Unterredung der Beiden genau beobachtet, er lächelte still vor sich hin und tanzte lauter Konfusion, dann führte er seine Dame schleunigst zu ihrem Platz zurück, füllte en passant vom Tablette eines Dieners einen Krystallteller mit Crème und brachte ihn eifrig zu Fräulein von Wetter.

Das war der Vorwand, um während der kurzen Pause in ihrer Nähe zu sein.

Ein Walzer folgte auf die Quadrille.

Reimar sah, wie Graf Lehrbachs Blick suchend 301 über die Menge irrte und an Josephinens blondem Köpfchen haftete, wie er sich dann selber hastig durch die tanzenden Paare lavirte und direkt auf das Gänseliesel lossteuerte.

Er war nur noch wenige Schritte entfernt, als Hattenheim sich gelassen vor Josephine verneigte und mit ihr davontanzte.

Günther sah ihm mit einem fast zornigen Blick nach, kreuzte die Arme und wartete. Aber sein Freund kam nicht an diesen selben Platz zurück, sondern pausirte mit seiner Tänzerin gerade am entgegengesetzten Ende des Saales.

Wie prächtig sie sich unterhielten, wie sie lachten und gar keinen Blick für jemand Anderes hatten!

Günther tanzte mit Gräfin Aosta und versuchte dann sein Heil zum zweiten Mal bei dem Gänseliesel. Aber . . . diantre! . . . der Hattenheim ist rein des Teufels, er tanzt sie ihm wieder vor der Nase weg und diesmal direkt neben Prinzeß Sylvie.

Hoheit hat sogar die Caprice, die Kleine anzureden. . . .

»Sie haben ja neulich im Pavillon Samariterdienste gethan,« sagt sie unter Anderem.

Josephine erzählt von ihrer Begegnung mit der Herzogin.

»Sind Sie auch katholisch?« fragt Sylvie, die Oberlippe etwas über die Zähne emporziehend. Und als Fräulein von Wetter ganz erstaunt verneint, sagt sie spöttisch: »Sie scheinen aber auf dem besten Wege, es werden zu wollen! Kennen Sie nicht die 302 Geschichte aus dem Struwelpeter, das Schicksal der armen, ahnungslosen Jungens, die schneeweiß in des große Tintenfaß hineinkommen und kohlschwarz wieder daraus emportauchen? Der Pavillon ist ein großes Tintenfaß, hält aber »hinter dem Berg« damit, was man lateinisch »ultra montes« heißt!« Der Ordonnanzoffizier, Herr von Reuenstein, welcher neben Ihrer Hoheit stand, hüstelte ein »Brillant!« und bekam fast Stickkrämpfe vor Lachen, Josephine aber hatte die Prinzessin gar nicht verstanden.

Dann sprang das Gespräch auf Pferde über und wurde plötzlich auch von Seiten des Fräulein von Wetter sehr animirt, sie sprach von den Stauffener Koppeln und nannte die Predigrees der hervorragendsten »Sterne« des Gestüts, und die imponirten selbst der Prinzeß Sylvie.

»Reiten Sie? Ja? . . . Das muß ich sehen! Sie können sich einen von meinen Gäulen aussuchen und ihn mal im Tattersall 'rumjuxen! Wäre ja famos, wenn wir nun die Costümequadrille zu acht Paaren zu Stande brächten!«

Josephinens Gesichtchen strahlte. »Ich reite lieber im Freien, Hoheit,« lachte sie, »ich brauche Platz für meine Passion!«

»Wenn Sie etwa denken, ich fürchte mich vor einer Steeplechase bei Glatteis, dann können Sie mir etwas thun . . . leid nämlich!« rief Sylvie derb. »Nächstens reiten Ilse und ich mal wieder einen von unsern kleinen ›Pfadfindern‹, wollen Sie da mit?«

»Sehr gern!« jubelte das Gänseliesel.

303 »Na – Sie werden sich aber wundern, durch Dick und Dünn geht's!« Sylvie legte die Hand wuchtig auf die Schulter der jungen Dame. »Wenn Sie die Feuerprobe bestehen, Sie Jungfer Tollkühn, dann will ich Ihnen das Reifezeugniß zum Kavallerieoffizier und Sportsman ausstellen, bis jetzt habe ich außer Ilse noch Keine gefunden, die mit einer Prinzeß Sylvie Schritt hält!«

Ein unendlich moquanter Zug lag auf den stark geröteten Zügen der Sprecherin, sie musterte Josephine mit einem schillernden Blick, dann nickte sie ihr leichthin zu. Prinz Detlef stand neben ihnen und begehrte zum zweiten Mal einen Tanz von Fräulein von Wetter.

Das war das Signal für den Ordonnanzoffizier, daß er nun ohne jegliches Risiko seine protegirende Gesinnung über klein Gänseliesel demaskiren dürfe.

Er stürzte sofort nach dem Prinzen zu ihr hin und begehrte eine Extratour; er, der Ordonnanzoffizier, Freiherr von Reuenstein! Natürlich, die Anderen machten es ihm sofort nach, selbst Herr von Brocksdorff begab sich jetzt freiwillig in die Karybdis, ohne den Klex zu bedenken, den er sich und seiner Tanzkarte auf dem Hofball dadurch gemacht hatte. Denn die unfehlbare Hand des Prinzen hatte der Königin Mode eine neue Flagge aufgehißt, und auf dieser Flagge prangte der ominöse Name »Gänseliesel!«, dessen Trägerin mit einem Schlag so durchaus courfähig geworden war.

304 Günther stand neben Sylvie. Er war verstimmt und konnte sich schlecht beherrschen.

»Wo sind denn Ihre Schneebälle hin, Hoheit?« fragte er, auf das welke Laub blickend, aus welchem die weißen Blüten längst entblättert auf das Parquet gewirbelt waren.

»An meinem heißen Herzen geschmolzen!« entgegnete sie etwas schnippisch und fügte ironisch hinzu: »Wie gut, daß Sie nicht daran schuld sind!«

Als er schwieg, erzählte sie ihm, daß nächster Tage ihr Vetter, der Erbprinz Karl Theodor von X., auf etliche Zeit zum Besuch kommen würde.

Sein Blick sprühte zwar auf, aber er sagte nur mit heiterem Gesicht ein paar sehr erfreut klingende Redensarten.

»Haben Sie schon mit Ihrer schönen Freundin getanzt?« fragte sie plötzlich.

»Nein!«

»Und warum nicht?«

Er lächelte seltsam; wie Wetterleuchten zuckte es über sein Antlitz. »Um diesen Genuß noch vor mir zu haben, Hoheit!« sagte er gelassen.

Aber er tanzte doch nicht mehr mit ihr, er entschuldigte sich nur bei Josephine, daß es ein höchst seltsames Mißgeschick sei, welches ihm Freund Hattenheim heute den ganzen Abend stets, fast auffallend, zuvorkommen lasse! Er sei beim besten Willen nicht dazu gekommen, sie zu engagiren. Sie sei allzubegehrt gewesen!

Und was hatte sie darauf geantwortet? Ein 305 paar höfliche, phrasenhafte Worte, so heiter und glückstrahlend, als habe sie auch nicht das lindeste Bedauern darüber.

Dann hatte Lehrbach Hattenheims Arm im Vorübergehen gefaßt. »Du tanzest ja wie ein Wasserfall, Dicker!« sagte er fast erbittert.

Reimars blaue Augen lachten ihn voll harmloser Seligkeit an. »Das sollt' ich wohl nicht als Kavalier, als vielbeneideter Kavalier eines solch' reizenden Wesens? Du glaubst gar nicht, Günther, zu welch' bezaubernder Rose die kleine, ungestaltete Knospe sich entfaltet hat, die volle, süße Naivetät und Frische des Stauffener Kindes, veredelt durch Eleganz, vollendet durch den gediegensten Ernst! Ach Günther, Du machst Dir keinen Begriff davon, wie heiß es Einem um das Herz wird, wenn die holden Augen so aufrichtig, so treu, so . . . . so . . . .«

»So verliebt – sag's nur – so verliebt Einen ansehen!« Günther stieß es durch die Zähne hervor, dann lachte er auf und klopfte den Freund auf die Schulter. »Gratulire, alter Junge! Du bist ein Glückspilz, auf Wort! . . . . und ich gönne es Dir von Herzen!«

Damit war er davongestürmt, direkt zu dem Champagnerbuffet.

Hattenheim sah ihm nach. Er atmete tief auf, ein wunderliches Zucken ging über seine Züge.

»Glückspilz!« murmelte er, »nein ich bin es nicht, ich weiß besser Bescheid!« Er hatte ja so oft den Blick Josephinens beobachtet, wenn er verstohlen 306 zu dem schönen Haupt des Freundes hinübergehuscht war, er hatte das Zittern ihrer Hand gefühlt, da Günther mit ihr gesprochen hatte, und er hatte es im tiefsten Herzen empfunden, daß nicht er der Glückspilz war, welchem das Hangen und Bangen dieser jungen Seele galt.

Zum Schluß des Festes, welcher ziemlich früh, schon vor Mitternacht von der Herzogin Mutter befohlen war, wurde ein Blumenwalzer getanzt.

Keine Bouquets, sondern nur einzelne, besonders schöne Blüten, wurden den Damen zum Abschiedsgruß gereicht, eine Reminiscenz der guten alten Zeit, welche die Blumensprache und ihre zarten Geständnisse noch hoch in Ehren hielt.

Josephine war reich mit diesen duftigen Huldigungen bedacht worden; sie tanzte soeben mit dem Ordonnanzoffizier, Herrn von Reuenstein, welcher einen stark duftenden Jasminzweig überreicht hatte, nachdem er vorsichtshalber erst noch am Buffet die Meinung des Prinzen über die junge Dame erforscht hatte; dieselbe schien sehr gut und fest zu sein, ergo! Es hat immer etwas für sich, mit den höchsten Herrschaften zu sympathisiren, darum that er ein Uebriges und zeichnete Fräulein von Wetter als einzige junge Dame, welche keine Charge am Hof bekleidete, durch einen Jasminzweig aus. Er, der Ordonnanzoffizier, Herr von Reuenstein, welcher sonst nur den einflußreichen alten Excellenzen, Staats- und Hofdamen »durch die Blume« zu verstehen gab, daß er ihr ganz gehorsamer Diener sei, 307 welcher darauf rechnet, nur in wohlwollender Weise vor den allerhöchsten Ohren erwähnt zu werden.

Herr von Reuenstein verneigte sich dann auch zum Schluß mit einem Gesicht, in welchem deutlich die Frage zu lesen stand: »Du weißt doch auch, Gänseliesel, welche Ehre Dir widerfahren ist, und wirst den Jasmin zum Andenken pressen?« Dann ging er mit gewichtigem Schritt durch den Saal zurück, um in der Nähe zu sein, wenn Prinzeß Sylvie nach ihrem sortie de bal rufen sollte.

Josephine stand einen Augenblick allein; die Blumen schienen sämmtlich vergeben zu sein, nur noch einzelne Paare tanzten, die meisten standen oder saßen in kleinen Gruppen und plauderten.

Da trat Baron d'Ouchy zu ihr heran, er hielt eine italienische Kamille, welche er spielend zwischen den Fingern drehte. Er überreichte sie Josephine.

»Ach, eine gelbe Gretchenblume!«

»Sie geben der Blüte den rechten Namen, mein gnädiges Fräulein, geben Sie ihr nun auch die Bedeutung einer Gretchenblume!« Seine Geste lud das junge Mädchen ein, Platz zu nehmen, er ließ sich an ihrer Seite nieder.

Groß und fragend schauten die blauen Augen zu ihm auf.

»Haben Sie den ›Faust‹ noch nicht gelesen?« fragte er weiter mit seiner gedämpften und doch so klangvollen Stimme.

Josephine schüttelte des Köpfchen: »Handelt's von diesen Blumen? Bitte erzählen Sie mir!«

308 Sein Blick verschleierte sich, er nahm den Jasminzweig aus dem Strauß, welchen Josephine neben sich auf das Polster gelegt hatte, um ihn etwas zu ordnen, und atmete den süßen Duft. »Die Heldin des ›Faust‹ heißt Gretchen, und ihr verdanken die Zupfblumen den poetischen Namen, welchen Sie soeben nannten. Gretchen liebt den Faust und wandelt mit ihm allein im silbernen Mondlicht, zwischen blühenden Beeten und Gebüschen durch dem Garten. Sie neigt sich und pflückt die große, weiße Sternblume, wendet sich halb ab von dem Geliebten und beginnt die Blättchen der Blume abzurupfen; also will es der reizende, alte Aberglaube.«

»Die Blättchen abzurupfen? Im Aberglauben? Was bedeutet das?« Sie blickt ihn aufmerksam an, ihre Lippen lächeln.

Sein dunkles Auge glüht wie im Fieber.

»Die Blumen besitzen die Kraft zu wahrsagen,« flüstert er, »den Mädchen zu verraten, ob sie geliebt werden. Wollen Sie auch das reizende Orakel befragen und an den Mann dabei denken, der Ihnen lieb und wert ist, so nenne ich Ihnen die Worte!«

Dunkle Röte deckt ihre Wangen und färbt selbst den weißen Hals, sie nickt eifrig: »O gewiß, das ist ja ein prächtiger Scherz!« und sie faßt die Blüte und läßt sich belehren. Mit zaghaften Fingerchen zupft sie die einzelnen Blätter ab, und der wunderliche Lehrmeister an ihrer Seite spricht ihr leise die Worte vor: »Er liebt mich – er liebt mich nicht – er liebt mich – liebt mich nicht« – 309 da faßt sie das letzte Blatt: »Er liebt mich!« Wie ein zitternder Schrei des Entzückens klingt es von ihren Lippen, ihr glühendes Gesichtchen ist ihm zugewendet, mit glänzendem Blick schauen ihn die dunklen Augen an.

»Ja, er liebt Sie!« Sein Blick brennt in dem ihren, sein Atem fliegt. Dann springt er auf.

»Lassen Sie uns schnell tanzen«, sagt er.

Und sie fliegt dahin wie im Traum. Sein Arm umschlingt sie so fest, und er ist so groß, daß ihr Köpfchen bei jeder schnellen Wendung unfreiwillig an seiner Brust ruht. Da läßt sie die Wimpern über die Augen sinken. »Günther!« ist der einzige Begriff, den sie denken kann, sie wähnt, daß sie im Stauffener grünen Saal tanzt, daß Alles, was zwischen Einst und Jetzt liegt, ein schwerer Traum gewesen, daß die Hand, welche die ihrige in so bebendem Druck umspannt, nur die ihres schönen Freundes ist . . . . . »Er liebt mich!« hatte die gelbe Blume gesagt.

Da verstummen die Geigen und Flöten; da erwacht sie. Sie ist verwirrt, sie glaubt, der fremde Mann an ihrer Seite muß ihrer Seele heimlichste Gedanken in ihren Augen lesen; sie senkt die Blicke vor ihm, sie antwortet ganz konfus und strebt zu Gräfin Ange zurück. Sie sieht nicht, welch' ein Ausdruck seine Züge beherrscht, welch' ein Sprühen und Flackern durch das schwarze Auge geht.

»Doch wenn er liebt, nimm Dich in Acht!« scheint es ihr aus seinem heißen Atem zuzuraunen.

310 Josephine achtet es nicht; ihre Gedanken sind so weit davon, sie sieht, wie Graf Günther der Prinzessin den Arm bietet, um sie nach dem Wagen zu geleiten, er lächelt auch jetzt, aber es ist ein anderer Ausdruck in diesem Lächeln, als damals in dem Wintergarten.

Als er an Josephine vorbeischreitet, trifft sie sein Blick. Sylvie nickt ihr zu, halb freundlich, halb spöttisch. »Wir reiten also!« ruft sie ihr zu. Bald gehen auch Lattdorfs.

Hattenheim muß der Hofmarschallin den Arm bieten, d'Ouchy hat bereits Komtesse Ange aus dem Nebensalon abgeholt und folgt mit ihr der voranschreitenden Gräfin und ihrem Kavalier. Josephine geht allein, sie muß nach allen Seiten grüßen und findet, daß man ihr jetzt bedeutend freundlicher dankt, als auf dem Hofball.

Da erscheint Graf Lehrbach wieder in der Thür. Er verneigt sich tief vor der Hofmarschallin und Ange, dann sieht er Josephine und tritt hastig auf sie zu.

»Darf ich Sie zum Wagen führen, Fräulein Josephine?«

Sie legt mechanisch ihre Hand auf seinen Arm; in ihrem Herzen klingt ein Echo: »Er liebt mich«, und das flammt momentan verräterisch aus ihrem Auge.

Günther hat den Blick erhascht; er neigt sich dicht zu ihr hin. »Werden Sie mir das nächste Mal einen Tanz aufheben?«

311 Da zuckt es wieder weh und schmerzlich, wild und trotzig durch ihr Herz, sie zwingt sich zu einem gleichgültigen, etwas ironischen Ton: »Vielleicht die Polka vor dem Kotillon?«

Er beißt sich auf die Lippen, die Gasflammen flackern im Luftzug, das macht ihn wohl so bleich aussehend.

»Zürnen Sie mir?« fragt er gepreßt, kurz und rauh.

»O nein! worüber? Daß Sie mich als Gänseliesel gezeichnet haben und mir für diesen originellen Spitznamen sorgten?« Sie lacht leise auf, aber das Lachen hat in seinen Ohren den Klang, als füge sie hinzu: »Cela ne vaut pas la chandelle!«

Er möchte wild mit dem Fuße stampfen und die Zähne knirschen, aber er bezwingt sich. »Man hat mich bei Ihnen verleumdet . . . einem harmlosen Scherz eine boshafte Auslegung gegeben!«

»Sie irren sich, Graf Lehrbach, wäre ich beleidigt oder böse, würde ich nicht hier an Ihrer Seite schreiten!« Sie ist unbewußt raffinirt coquett.

Er sieht sie an, ganz wie damals. »Fräulein Josephine,« murmelt er hastig, »Sie werden mir erlauben, bei Gelegenheit auf dieses Thema zurückzukommen, ich will beichten und Sie werden begnadigen. Ja, Sie werden es!« beharrt er fast zornig, da sie ihn nur mit erstauntem, kühlem Blicke von der Seite ansieht. »Bei dem Andenken an die schönen, ungetrübten Stunden dieses Sommers,« 312 fügt er weich hinzu, »und ebensowenig, wie ich ein Schuldbewußtsein gegen Sie auf dem Herzen ertragen kann, ebensowenig werden Sie in Zukunft diesen fremden, kalten Ton in unserm Verkehr durchführen! Gute Nacht, auf Wiedersehen!«

Ange ist mit einem Kopfschleier, Hattenheim mit dem Pelzmantel Josephinens aus der Garderobe zurückgekommen und rufen nach Fräulein von Wetter; Lehrbach verabschiedet sich mit verbindlichem Gruß, reicht Hattenheim zum ersten Mal im Leben nicht die Hand, sondern schreitet mit der eiligen, bewölkten Zerstreutheit eines viel beanspruchten Entrepreneurs nach dem Saal zurück.

Reimar lächelte still vor sich hin; er sah gar nicht erstaunt und gar nicht piquirt aus.

Der Himmel war bedeckt, linder Tauwind strich um ihre Stirn, als Josephine in den Wagen stieg.


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