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»Diese Rose pflück' ich hier in der weiten Ferne!« |
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Lenau. |
Zarte, violett schimmernde Nebelschleier wehten um die scharfgrätigen Felsenhäupter des Hochgebirges, zerrissen an den zackigen Kämmen und zerflossen wie Duft und ziehende Rauchstreifen am Himmel, dessen Kuppel sich tiefblau und fleckenlos über Berchtesgaden spannte.
Wie ein geheimnißvolles Wallen und Wogen zog es in solch' früher Morgenstunde um die Bergformen, glitzerte wie stäubender Regentau über den dunklen Wäldern und lagerte wie über Nacht hervorgezauberte Seen in den Tiefen und Thalbecken des Gebirgskranzes.
Mit majestätischen Schwingen zog ein Raubvogel seine Kreise durch die würzige Luft, weit von blumigen Matten trug das Echo einen frischen Jodler herüber, und dazwischen summte es wie ferne Glocken, klang und sang es feierlichen Morgengruß von der Stiftskirche in die duftige Frühe hinaus. In der 63 königlichen Villa, der Dependenz des Hotels »Vier Jahreszeiten«, wehten die weißen Spitzengardinen hinter den geöffneten Fenstern, flatterte die buntstreifige Marquise über dem Balkon, aus welchem zwei Lakaien in lautloser Behendigkeit die Reste eines kräftigen Luncheon zusammenschoben.
Die Sonnenstrahlen blitzten in dem reichen Silbergeschirr und brachen sich in den Krystallgläsern, durch deren geschliffene Wände noch die Neige goldigen Tokayers funkelte, dieweil etliche Passanten und frühe Kurgäste es sich nicht versagen konnten, die Schritte zu mäßigen, um mit neugierigen Blicken die Front der Villa zu streifen und dem gewandten Treiben der fürstlich Gallonirten mit regstem Interesse zu folgen.
Seitdem die regierende Herzogin von H. mit Prinzessin Tochter, dem jüngsten Prinzen Sohn und einem kleinen Gefolge zum Sommeraufenthalt in Berchtesgaden eingetroffen und in der königlichen Villa abgestiegen war, fehlte es nicht an verstohlenen und indiscreten Blicken, welche in das hocharistokratische Idyll zu dringen versuchten, um einen Begriff von jenem Leben zu bekommen, um welches Etiquette und die Kluft des Standesunterschieds für jeden Staubgeborenen, welchem das Schicksal kein mehrpunktiges Krönlein über das Monogramm gezeichnet, eine chinesische Mauer bauten.
Herzogin Mutter war sehr wenig sichtbar, selten sogar, daß man sie auf einsamen Wegen im halbverdeckten Wagen in das Gebirge fahren sah. 64 Wie man sagte, fühlte sich die hohe Frau thatsächlich leidend und bedurfte der Ruhe nach dem anstrengenden Winterleben der Residenz.
Dafür machten Prinzessin Sylvie, Prinz Detlef und die Damen und Herren ihrer Umgebung desto mehr von sich reden, ignorirten die Anwesenheit von ganz Berchtesgaden vollkommen und gefielen sich darin, als unabhängige Sommerfrischler aufzuatmen, respektive zu extravagiren.
So deutete man sich wenigstens die Art der Prinzessin Sylvie und dachte beim Anblick ihres stark burschikosen Wesens: »Der sieht man's an, mit welcher Wonne sie die konventionelle Larve höfischen Ceremoniells von sich wirft! – Wie sie sich der goldenen Freiheit freut! Du lieber Gott, so arme Prinzessinnen sind doch schließlich auch Menschen, die sich nicht ewig auf Draht ziehen lassen!«
So calculirten auch die Spaziergänger, welche an diesem frühen Morgen vor der königlichen Villa promenirten und die laute, etwas rauhe Stimme der Prinzessin durch das offene Fenster schallen hörten.
Hoheit stand inmitten eines Parterresalons und band sich soeben die Spitzenécharpes einer mächtigen, weißgarnirten »Schute« unter dem Kinn zusammen, schnell und ungeduldig, ohne auch nur ein einziges Mal den Blick nach dem Wandspiegel zu richten, welcher ihre hohe, derbe und seltsam ungraziöse Figur widerstrahlte.
65 »Reuenstein! Haben Sie ein Boot bestellt?«
Das rotblonde Haupt des Ordonnanzoffiziers schoß diensteifrig durch die Damastportière des Nebenzimmers, um sich sehr tief und devot zu verneigen.
»Zu Befehl, Hoheit, das Boot erwartet uns, falls die Partie über den Königsee gemacht werden soll!«
»Natürlich soll sie das! Denken Sie vielleicht, ich wäre in Berchtesgaden, um jeden Tag Promenadenstaub zu schlucken?«
Prinz Detlef erhob sich aus dem Schaukelstuhl, in welchem er gähnend gelegen hatte, und versenkte die Hände in die Taschen seiner kurzen Lodenjoppe, welche er mit Vorliebe seit dem hiesigen Aufenthalte trug.
»Du bist rein wie verdreht mit Deiner Wassermanie, Sylvie! Es soll mich wundern, wenn Du Dich nicht nächstens an den romantischen Ufern des Achen etablirst, um auf die Gefahr eines Sonnenstichs Frösche zu angeln! eh bien, ich fahre ja auch gerne Boot, aber wenn Du Einen in so früher Morgenstunde heraustrommelst, kannst Du nicht verlangen, daß es mit Begeisterung geschieht, denn nach dem Bootfahren kommt eine Eselstour – und die habe ich auf dem Strich! Der Weg über Unterstein und das Arco'sche Schloß ist viel bequemer.«
»Na, dann laß Dich in Gottes Namen in Watte wickeln und per Sänfte befördern, und transportire Deine greisen Glieder so bequem wie möglich zum Königsee, ich fahre Kahn. Damit basta! Reuenstein, sperren Sie mal den infamen Köter in die 66 Nebenstube, er ist rein wie toll, wenn er sieht, daß ich den Hut aufsetze, marsch, Titian! will er hierher! zum Donnerwetter noch eins!« Und Prinzeß Sylvie ergriff die dänische Dogge, welche von dem zarten Locken und Pfeifen des Ordonnanzoffiziers absolut keine Notiz nahm, energisch bei dem Nackenfell und zerrte sie mit imponirender Kraft zum Nebensalon.
Dann schmetterte sie die Thür ins Schloß.
»Nun los, Kinder! Wo ist Ilse und die Aosta?«
»Die Damen erscheinen soeben marschfertig!«
»Bon! vorwärts.«
Sylvie knotete die langen schwedischen Handschuhe an die Quaste ihres roten Sonnenschirms und trat durch die Thür, deren Flügel ein Lakai vor ihr zurückschlug; Prinz Detlef setzte sich den Hut in den Nacken, hing den Riemen mit einer Feldflasche um und faßte den Alpenstock. »Also schwimmen wir!« sagte er resignirt.
Die beiden Hofdamen, Gräfin Susanna Aosta und Fräulein Ilse von Dienheim standen bereits im Vestibül, die erstere streifte noch vorsichtig die Handschuhe über die weißen Händchen und kokettirte Prinz Detlef mit nägelbeschlagenen Bergschuhen entgegen, welche sie lachend unter dem schillernden, sehr kurzen Seidenrock hervorstreckte und im Vertrauen auf ihre außerordentliche Zierlichkeit bewundern ließ. Sie hatte auch die Genugthuung, daß Seine Hoheit das Perspektiv nahm, um das Füßchen zu suchen.
Ilse Dienheim biß derweil ohne jede Anmut 67 in eine Aprikose und zog dabei eine Grimasse gegen Herrn von Reuenstein.
»Richt' euch, marsch!« kommandirte Sylvie, sprang mit zwei Sätzen die Treppe hinab und schritt mit bekannter Hast durch den Sonnenschein, ohne den Schirm zu öffnen, nach dem Wagen. –
Fräulein Ilse kopirte sie getreulich, obwohl sie schon sehr verbrannt war, während die Prinzessin einen merkwürdig unempfindlichen Teint hatte. Gräfin Aosta jedoch benutzte ängstlich ihren gigantischen Entoutcas und wippte graziös wie ein Bachstelzchen an der Seite des Prinzen Detlef, für dessen »entzückend fesches« Tirolerkostüm sie gradezu schwärmte.
Unter schattigem Gebüsch lag der bunt bemalte Kahn auf den leisgekräuselten Wellen des Königsees.
Mit silbernem Klange brachen sie sich an dem Kiel und sprühten blitzende Tropfen an den Rudern, welche der Fährmann beim Anblick der erlauchten Gäste in Bewegung setzte.
Herr von Reuenstein stürmte den Damen voraus und begab sich eifrig »an Bord«, um das Sitzbrett, auf welchem die Prinzessin voraussichtlich Platz nehmen mußte, mit seinem buntgeränderten Batisttuch abzustäuben, dann voltigirte er ganz nervös vor lauter Ergebenheit über die mittlere Bank nach der Spitze des Bootes zurück, um Ihrer Hoheit beim Einsteigen behilflich zu sein.
Sylvie aber stand oben auf dem Steg und 68 stemmte den Arm in die Seite, anstatt ihre Hand auf die dargebotene Rechte des Barons zu stützen.
Ein feines, moquantes Lächeln zuckte um ihre vollen Lippen. »Der Reuenstein reißt sich mal wieder ein Bein aus vor lauter Liebenswürdigkeit! Zurück da! Ich kann allein!! mon dieu, ich bin doch keine Katze, die's Wasser fürchtet!«
Der Ordonnanzoffizier chassirte gehorsam rückwärts, Sylvie aber sprang, einer ihrer übermütigen Launen folgend, plötzlich mit beiden Füßen zugleich, herzlich täppisch und ungeschickt in den Kahn hinab, mit solcher Wucht, daß das kleine Fahrzeug bedenklich auf und niederschwankte und in allen Fugen krachte.
Reuenstein taumelte, unfreiwillig Platz nehmend, auf das Sitzbrett nieder, dieweil das Ruder des Fährmanns mit Vehemenz in das Wasser schlug und Ihre Hoheit mit einem Sprühregen von Schaum und Tropfen übergoß.
Fräulein von Dienheim schrie vor Lachen über diesen süperben Witz, und Sylvie selber stand mitten im Kahn, hielt sich die Seiten vor Vergnügen über den Anblick Reuensteins und das entsetzte Gesicht des Schiffers.
»Aber Reuenstein! Gott erbarme sich Ihrer Nerven!! Wie eine Fledermaus krallt er sich an den Brettern fest!« und Sylvie wischte sich die Thränen aus den Augen. »Ihr seid mir Helden, das muß ich sagen! Günther Lehrbach stand wie ein Baum, als ich es ihm damals in der Residenz auf dem kleinen See so machte, und zuckte mit keiner Wimper.«
69 »Weil er bereits Deinen unberechenbaren Einfällen gegenüber auf dem Posten war!« rief Prinz Detlef mit einem Gemisch von Aerger und Heiterkeit in Stimme und Blick, »solche Witze sind halsbrechender Natur, Sylvie, und lassen Deine Umgebung geradezu auf dem Pulverfaß sitzen.«
»Wenn nun der Kahn umgeschlagen wäre, Hoheit!« mahnte Gräfin Aosta mit angstvoll großen Augen, welche ihr vortrefflich standen, und mit dem schmollenden Mündchen, welches Detlef jüngst in seinem heimatlichen Dialekt: »'ne söte, lütte Snut'!« genannt hatte.
»Dann hätte ich mich durch Schwimmen gerettet, und Ihr Anderen wäret Alle wie die bleiernen Enten versoffen!« entgegnete Hoheit in ihrer derben Art und schüttelte die Wassertropfen ab. »Ich bin überzeugt, daß Reuenstein gern für und durch mich sterben würde!«
Das rotblonde Haupt klappte tief zur Brust herab. »Hoheit!« flüsterte er mit unendlich vielsagendem Blick.
Während dessen war Ilse bereits eingestiegen und hatte ungenirt neben der Prinzessin Platz genommen, Detlef aber half der kleinen Gräfin, welche es verstand, sich höchst anmutig zu ängstigen, über den schwanken Steg in das Boot steigen und bekam zum Dank für seine Ritterdienste das reizendste »Merci mille fois, monseigneur!« mit einem 70 flammenden Aufblick der dunkeln Augen zugeflüstert. Wie weich und lautlos der Nachen auf dem Wasser dahinglitt!
Der Himmel hatte lange voll Sehnsucht zu der Erde herab geschaut und blieb ihr doch so fern und strebte vergeblich an ihre blühende und duftende Brust zu sinken! – Da rief er die mächtigen Geister des Weltalls an und beschwor sie mit den gewaltigen Thränenströmen der Sündflut, ihn mit der Geliebten zu vereinigen. – Die Unsterblichen hatten Erbarmen, türmten unendliche Felsmassen empor und bauten eine gigantische Himmelsleiter aus Granitgestein um den Königsee empor, zu welcher die Wolken hernieder hingen, und deren Stirnen die Veste des Firmamentes stützten! Da war der Weg zu der Geliebten gebaut. – Der Himmel aber glühte auf wie lohendes Flammenmeer, warf den azurnen Mantel seiner Macht und Herrlichkeit um die Schultern, und stürzte sich als jauchzender Freier an die Brust der Erde hinab! – –
Drunten in den Königsee hat er sich mit aller Pracht und Schönheit eingesenkt, da ist er gefangen geblieben, als die neidischen Mächte die Himmelsleiter zerbrachen und ihre Felsstufen als »steinernes Meer« über das Gebirg' zerstreuten, und wer hinab in die geheimnißvolle, zauberkühle Flut des Bartholomäus blickt, der schaut Mond und Sterne, azurblaue Schöne und sonnenheiße Liebesglut darin, uns eine süße, traumhafte Ruhe, als blicke er mit offenen Augen in den Frieden eines Himmelreichs hinein! –
71 Der Watzmann und der Hochkalter aber sind als Wächter aufgestellt, den köstlichen Schatz in der Tiefe des Königssees zu hüten. – – – – – –
Die Wellen leuchteten in intensivem Smaragdgrün, goldene Sonnenlichter zuckten wie tanzende Funken darüber hin, und auf den gewaltig zum Himmel strebenden Felsstirnen lag es wie purpurner Glanz, die letzten Nebelgebilde waren auf den Matten zerflossen, und leuchtend schimmerten die Kreidebrüche und Granitsteinpartieen über den dunkeln Waldungen, wie ein köstlich gleißendes Diadem der Herrlichkeit, welches sich das Hochgebirge an das Haupt gedrückt. Der Fährmann hatte keine leichte Arbeit und sehnte das Ziel der Fahrt herbei, an welchem Herr von Reuenstein bereits Maultiere zur Weiterbeförderung bestellt hatte.
Sylvie und Ilse hatten sich unter lautem Gelächter helle Wasserstrahlen in das Gesicht gespritzt, welche der Ordonnanzoffizier in aufopfernder Liebenswürdigkeit zumeist aufgefangen hatte. Die Prinzessin hatte befohlen, daß man ganz sans gêne unter einander verkehren solle und dem jungen Offizier angedroht: »So wie Sie noch einmal Ihre Pickelhaube so nervös von den Locken reißen, wenn ich die einfachste Frage an Sie richte, werfe ich Ihnen den neuen Florentiner unbarmherzig auf den tiefsten Grund des Königssees! Wozu ist man denn hier in ländlicher Einsamkeit? Spart Eure Lackstiefeln und Knixe, bis wir in die Residenz zurückkommen, Kinder, das wird so wie so schon bald genug sein!« – und Hoheit seufzte auf und dehnte die Arme. –
72 »Seit wann ziehen Sie denn diese Flagge auf, Hoheit?« informirte sich Ilse vertraulich, »bis jetzt zählten wir doch die Tage – –«
»Allerdings, Mamsell Weisheit! – aber was nützt denn unsere Heimkehr? Bis zum October ist es ja doch mörderlich langweilig in der lieben guten Residenz!«
»Aha! Da gehen gewisse Leute noch auf Jagdurlaub!«
Wieder hatte Ilse eine Hand voll Wasser im Gesicht.
»Ja, auf Urlaub!« persiflirte die Prinzessin mit einer Grimasse, »unser Herrlichster von Allen unterfängt sich ja, jedes Jahr nach dem Manöver mit meinem ältesten Bruder zu Jagd und Sport zu reisen, und dann, ohne Günther Lehrbach ist es doch zum Verzweifeln bei uns, das seht Ihr hoffentlich selber ein! Ja, Fortunatus! Ich möchte, der Graf wäre jetzt hier in diesem Felsenasyl und ließe mich Geschmack an Berchtesgaden gewinnen, dann würde uns Allen geholfen sein! Mama langweilte sich halb so sehr, ich amüsirte mich doppelt, und Ihr hättet nicht über meine Extravaganzen zu klagen, welche alsdann einzig und allein Graf Günther heimsuchen würden . . . er weiß sie besser zu würdigen, als Ihr!«
Reuenstein machte einen vorwurfsvollen Einwand, Ilse aber zog eine Bonbonnière aus der Tasche, welche sie zwischen Sylvie und sich placirte, und entgegnete, einen Himbeerdrops zermalmend: »Der arme Lehrbach sehnt sich gewiß herzlich zu 73 uns her! Du lieber Gott, ich finde es eine unglaubliche Härte von dem Minister, diesen verwöhnten Jungen in die Einöde seiner Besitzungen zu vergraben! Er wird sicher melancholisch.«
»Oder er verliebt sich in eine Dorfschönheit und lernt aus Verzweiflung Plattdeutsch!« lachte Sylvie hart auf.
»Ich möchte wohl wissen, wie es ihm geht!«
»Ich auch!«
»Reuenstein schreibt vielleicht an ihn?«
»Selbstverständlich! wenn Hoheit befehlen . . .«
»Ich befehle, daß Sie den Mund halten! Ilse, stopf' ihn mit einem Bonbon!«
Detlef und Gräfin Susanna erzählten sich währenddessen das Märchen von der schönen »Almnix«, die hier in den Wellen wohnt.
Der Prinz neigte sich über den Rand des Kahns und blickte in die glitzernde Flut hinab.
»Ich sehe sie!«
Susanne beugte voll reizender Koketterie den Kopf, von welchem sie das Spitzenhütchen abgenommen hatte, über seine Schulter.
»Lassen Sie mich schnell sehen, wie sieht sie aus?«
Detlef blickte lachend auf ihr eigenes Spiegelbild im Wasser. »Da ist sie! Ein dunkles Lockenköpfchen hat sie und verteufelte Spitzbubenaugen, welche den armen Königssöhnen Herz und Verstand stehlen.«
»Méchant!« und die Aosta zog die Rose aus 74 ihrem Gürtel und führte einen leichten Schlag damit gegen seine Schulter. – –
Vom Resselfall führt ein bequemer kleiner Reitweg nach der Gotzenalp empor.
Die Sonne war höher gestiegen und flammte goldene Lichter über den moosigen Boden, schräg durch die Stämme der Waldungen fallend, um sie mit zitternden Strahlengürteln zu säumen.
Die Luft war heiß, aber köstlich rein und würzig, durchduftet von dem bittersüßen, eigenartig herben Odem der Alpkräuter, welche auf üppigen Matten, hie und da selbst über das Weggeröll fortwuchernd, zu beiden Seiten, oft an steiler Felswand auch über der Straße, ihre farbigen Kelche in das Moos flochten.
Bunt und schillernd lag das Steinicht unter den Hufen der Maultiere, welche ihre Reiter und Reiterinnen rüstig zur Alp emportrugen; farbige Fliegen blitzten wie neckische Koboldseelen kreuz und quer durch Germer und Kuckucksblumen, die bläulichen Libellen zitterten um Enzian und Aurikeln, Rhododendron und Kohlröschen, und zwischendurch raschelte geheimnißvoll die Eidechse, sonnte sich die Natter zusammengerollt auf dem glutatmenden Fels.
Vogelstimmen zwitscherten durch die Stille, kurzes, behagliches Blöken tönte aus dem Almpferch der Seeauer Sennhütte herzu, und hie und da erhob sich ein frisches Lüftchen und strich leise flüsternd durch die langen, harzduftigen Nadelbärte 75 der Kiefern. Prinzessin Sylvie hatte längst das Signal zum Absteigen gegeben.
Der Führer stieg langsam, die Zügel der herrenlosen Maultiere in seiner nervigen Faust vereinend, den Reitweg empor, derweil die Damen und Herren über Geröll und Wurzelwerk dem Pfadfinder in das Handwerk pfuschten.
Fräulein von Dienheim hatte ein mehr praktisches als elegantes Taschenmesser gezogen und durchstöberte Gestrüpp und Waldsaum nach einem Spazierstock, welchen sie sich schneiden wollte, Sylvie hatte mit Assistenz des Ordonnanzoffiziers nach Erdbeeren gesucht und, da sich keine finden ließen, auf Alpenrosen und Enzian gefahndet; ein köstlich duftender Strauß von Alpenblüten wiegte sich bereits an ihrer Brust und sammelte sich in ihrer Hand, um auch dem Hut als Trophäe dieser Bergfahrt angesteckt zu werden. Gräfin Aosta pflückte ebenfalls besonders schöne Exemplare der Alpenflora und unterrichtete Prinz Detlef dabei in der Blumensprache – er war ein aufmerksamer Schüler, und die Blüten, welche er seiner reizenden Lehrmeisterin dann ostensibel überreichte, ließen die kleine Gräfin die Zähnchen in die Lippe beißen und mit den Nägelschuhen nicht allzu ernstlich den Boden stampfen, oft warf sie ihm eine pikante Antwort duftend an die Brust. Dann wußte sie einen grünlich schillernden Käfer zu erhaschen, welcher Turnübungen an ihrer Hand machen mußte, dabei stand sie so graziös auf dem Felsen, wiegte sich so 76 anmutig in der Taille und nannte den Prinzen einen Barbaren, weil er nur auf ihre Hand und nicht auf »den süßen kleinen Jongleur« sehe . . . wie Libellenflügel wehte das schillerige Seidenröckchen um ihre zierliche Figur.
An der Seeauer Sennhütte wurde Rast gemacht.
Sylvie warf sich der Länge nach auf das schwellende Moos im Schatten der nächsten Bäume und bestellte alle Delikatessen, welche eine Sennhütte bieten kann, dann stieß sie mit köstlich schäumender Milch mit Fräulein von Dienheim an, wechselte einen verständnißinnigen Blick mit ihr und raunte ihr zu: »Vive l'amour!«
»Fortunatus!« nickte die Vertraute wie selbstverständlich, »wir gedenken seiner zwischen Himmel und Erde!«
»Ilse!« Sylvie faßte den Arm der Hofdame, »ich habe einen Gedanken!«
»Losgeschossen!«
»Wir schreiben an Lehrbach, ich schicke ihm eine Blume, welche ich, seiner gedenkend, auf der Gotzenalp gepflückt habe . . .«
»Famos! Sofort hier schreiben?«
»Reuenstein, haben Sie ein Portefeuille bei sich?«
»Ich schätze mich glücklich, damit dienen zu können!«
Der Ordonnanzoffizier zog ein sehr elegantes Notizbuch aus der Tasche und blickte die Prinzessin, eines weiteren Befehls harrend, erwartungsvoll an.
»Her damit!«
77 »Hoheit . . . .«
»Na? Geheimnisse drin? Unbesorgt, das Grab ist eine Elster gegen mich! Wenn Sie Gedichte an mich hineingeschrieben haben, verzeihe ich sie Ihnen, und wenn Sie Schulden verzeichneten, bezahle ich Ihnen fünfzig Pfennige davon ab! So! Danke. Darf ich ein Blatt heraus reißen?«
»Und wenn noch jedes Haar einzeln aus seinem Schnurrbart dazu, er würde voll Seligkeit stille halten!« warf Ilse trocken ein; dann nahm sie Papier und Bleistift. »Lecken Sie etwa auch an der Bleispitze?« fragte sie vorsichtig, ehe sie selber das Manöver ausführte.
Reuenstein war nie beleidigt, er verneinte lachend und zog sich alsdann discret zurück, um noch etwas Butterbrot zu bestellen, es war eine recht hübsche junge Sennerin, welche in der Küche hauste.
»Ich diktire!« sagte Sylvie.
»Rede Herrin, Dein Knecht hört!«
Sylvie warf die Blumen ihres Straußes geschäftig aus einander und unterzog sie einer genauen Musterung; endlich wählte sie einen köstlichen, tiefblauen Enzian. »Den soll der schöne Günther haben! Also los, schreiben Sie, Ilse: ›Gegeben am . . . . auf der Gotzenalp bei Berchtesgaden. Wir Sylvie, Prinzessin von H., haben allergnädigst geruht, aus lauter langer Weile Unserm getreuen Cotillontänzer Job Günther, Grafen zu Lehrbach, in Erinnerung an seine Treue und Ergebenheit beifolgende Enzianblüte eigenhändig zum »Gruße aus 78 Berchtesgaden« zu pflücken, und Unsere Hofdame Ilse, Freiin von Dienheim, beauftragt, dieselbe an ihre Adresse zu befördern.‹ – – So! nun schreiben Sie darunter, etwas kleiner . . . hierher . . . noch tiefer! . . .
›Diesen Enzian pflück' ich hier,
In der weiten Ferne
Lieber Günther, Dir, ach Dir – –‹«
»Hahaha! brillant, der wird rein verrückt, wenn er das liest, Hoheit!«
»Meinen Sie? Und nun streichen Sie die letzte Zeile mit dem ›lieben Günther‹ wieder aus! Das ärgert ihn! Der Schlingel kokettirt auch redlich mit uns, also revanche pour Pavie! Zeigen Sie her, das ist ein kapitaler Witz, ich möchte sein Gesicht sehen! Halt! damit er antworten muß, machen Sie noch folgende Nachschrift: ›Hoheit läßt anfragen, wie es mit den Lehrbacher Skizzen steht?‹ – – Dick unterstrichen – – so ist's gut! Nun schicken wir es sofort ab, wenn wir nach Hause kommen! Prost, Ilse! Der Spaß ist eine Bergfahrt wert!«
Prinzessin Sylvie kippte übermütig einen Cognak aus Detlefs Feldflasche in ihr Milchglas und hob es gegen Fräulein von Dienheim.
»Nochmals, vive l'amour!«
Gräfin Aosta hatte während dessen den Hut des Prinzen mit einem Strauß geschmückt, und Herr von Reuenstein kehrte mit der interessanten Meldung zurück, daß die Sennerin Burgei ganz charmant jodeln könne.
79 »Antreten!« befahl Detlef eifrig.
Und Burgei kam und jodelte.
In den Zweigen flüsterte und rauschte es, der Wind hob seine Schwingen und trug die Klänge fernhin zum Thal. Rote Sonnenglut brannte auf den Bergen, und um die schroffen Felszinken des Unterbergs kreiste ein Weih, enger und enger zog er seine Kreise, dann schoß er jählings nieder. Der König der Lüfte gedachte eines armen kleinen Unterthans.
Die Maultiere trabten davon, geknickte Blüten lagen welk und matt ringsum im Moos. – 80