Nataly von Eschstruth
Gänseliesel
Nataly von Eschstruth

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Fünftes Kapitel.

Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinner-Lenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Annette von Droste-Hülshoff.        

Vierzehn Tage waren vergangen, und fast keiner von ihnen hatte sich seinem Ende zugeneigt, ohne den Verkehr zwischen Lehrbach und Groß-Stauffen auf das lebhafteste zu unterhalten. Entweder wechselten sich die Einladungen ab, oder die beiden jungen Offiziere erschienen ungebeten im Stauffener Schloßhof, um Onkel Bernd und Josephine zur Jagd oder zu Spazierritten abzuholen. Denn seitdem sie in Erfahrung gebracht hatten, daß Fräulein von Wetter eine ebenso kühne wie gewandte Reiterin war und nebenbei in dem altfränkischen Reitkleid der verstorbenen Mutter überraschend graziös und reizend zu Pferde aussah, konnte Graf Günther gar nicht satt werden, an ihrer Seite durch Wald und Feld zu streifen, oft im kecken Uebermut mit »Kamerad Josephine« eine kleine Schnitzeljagd improvisirend oder in waghalsiger Wette Hindernisse 110 suchend, um die Geschicklichkeit der Gegnerin auf die Probe zu stellen. Josephine bestand dieselbe glänzend. Hatte sie doch von Kindheit auf all' das spielend betrieben, was der Husarenoffizier einen edlen Sport nannte; über Gräben und Barrièren setzen, querfeldein das unebenste Terrain mit Leichtigkeit zurücklegen, war ja so selbstverständlich gewesen, wenn es galt, die ausgebrochenen Fohlen zu verfolgen oder Onkel Bernd im Jagdrevier aufzusuchen, um eine wichtige Nachricht von Haus und Hof zu bringen, je wilder desto besser – das wäre kein lustiger Ritt gewesen, von welchem die junge Dame mit ungelösten Zöpfen zurückkehrte! Auch jetzt ruhte Lehrbachs Blick oft überrascht auf der frappirenden Erscheinung der kindlichen Amazone, deren schlanke Gestalt im Sattel zu wachsen schien, deren Wangen glühten und deren Goldhaar oft in lang wallender Pracht, vom Wind gezaust, wie ein schimmernder Mantel um Schulter und Hüfte flatterte! Hei, wie sauste das so wild und frei über die Haide, wie flutete das Abendrot über Roß und Reiterin, wie sicher führte die unbehandschuhte kleine Mädchenfaust die Zügel! Zuerst hatte Hattenheim in unmutiger Besorgniß dem tollen Wettreiten gewehrt und Günther mit Vorwürfen überhäuft, wenn er die junge Dame stets zu neuen Wagnissen herausforderte; als aber Onkel Bernd lachend versicherte: »Das schadet der Phine durchaus nichts, die hängt wie eine Katze auf dem Gaul«, – und als er sich selbst von der seltenen Gewandtheit und Routine der liebreizenden kleinen Oreade 111 überzeugt hatte, da jagte er mit strahlendem Blick an ihrer Seite, nur Auge und Ohr für sie und dennoch voll ernster Vorsicht über Roß und Reiterin wachend.

Wie unvergeßlich wurde ihm jener eine Nachmittag, an welchem plötzlich der Depeschenbote an den Stauffener Kaffeetisch in der Geisblattlaube trat und Tante Renate das geheimnißvoll verschlossene Papier reichte: »Für den Herrn Baron, gnädige Frau, mit bezahlter Rückantwort!«

Die Freifrau zog eine große, rundgläserne Brille aus der Tasche, deren Stahlbügel über der Nase vorsorglich mit roter Wolle umwickelt war, und blickte voll feierlicher Ruhe auf die Adresse. »An meinen Mann . . . hm, werde Ihnen sofort die Antwort mitgeben«, und sie öffnete die Depesche und las in selbstverständlicher Bevollmächtigung ihren Inhalt aufmerksam durch. – »Wegen der Holzauktion, dachte es mir doch,« nickte sie nachdenklich – »und natürlich wieder so ein Blutigel . . .« Sie brach jäh ab und wandte sich zu Fräulein von Wetter: »Kannst dem Onkel den Zettel hinaus in die Anpflanzungen bringen, Phine, und ihm sagen, ich hätte dem Monsieur abtelegraphirt ein für alle Mal! So ein – und unsere alten Stauffener Eichen? Paßt nicht zusammen, selbst für den höchsten Preis nicht! Eher sollen sie doch liegen, bis sie zu Süßholz werden! Verstanden, Mamsellchen? Marsch!« Und sich zu den beiden jungen Offizieren wendend, fügte sie hinzu: »Wenn Sie mitreiten wollen, lassen Sie sich unsere beiden Füchse satteln, 112 damit's Ihren Pferden nicht zu viel wird . . . können auch bei mir sitzen bleiben, wenn es Ihnen besser behagt, ist mir egal.« Und Tante Renate warf die violetten Haubenbänder zurück und rauschte dem Schlosse zu. »Gehen Sie so lange in die Küche, Reinschke!« rief sie dem Postboten zu, »und lassen Sie sich Kaffee geben, ich setze während dessen die Antwort auf!«

Josephine jubelte. »Wir reiten natürlich zusammen in den Wald! Am See entlang! Oh, ich sage Ihnen – ein prachtvoller Weg, den Sie noch gar nicht kennen! Schnell trinken Sie aus! Ich laufe voraus und helfe satteln! Für Sie die Füchse, ja? Da sollen Sie sich mal über »Temperament« wundern – wie das reine Schießpulver gehen die Dinger und dabei sanft wie eine Wiege! Also die Füchse! – Kommen Sie bald nach in den Hof!« Und ohne nur eine Erwiderung abzuwarten, trabten die Nägelschuhe der jungen Dame über den Kies, verschwand das geblümte Mousselinkleid wie eine schnell ziehende Wolke hinter dem nächsten Stangenbohnenbeet.

»Donnerwetter!« lachte Günther auf. »Das nenne ich schneidig von der Alten! Die weiß, was sie will!« Und die Hand auf die Schulter des Freundes legend, sagte er mit scherzhaft drohender Stimme: »Dicker, wenn Du Dich noch einmal unterstehst und mir wie gestern an einem Abend vierzig Mark abgewinnst, dann wünsche ich Dir den ›Freiherrn Renate‹ zur Schwiegermutter!«

113 Hattenheim sah mit eigentümlichem Lächeln auf den Theelöffel hernieder, welchen er auf dem Zeigefinger balancirte. »Nur losgeschossen, ich riskire die Partie!«

»Welche? Skat oder Pantoffel?«

»Hazard!« entgegnete der junge Offizier mit schnellem Aufblick, »und damit fasse ich beide zusammen!«

Und dann waren sie hinaus in den goldenen, lachenden Sonnenschein geritten, durch das rötlich schimmernde Brachfeld, über welchem die Vogelstimmen im Aether jubelten, vorbei an den ferngedehnten Wasserflächen, welche kleine krause Wellen gegen das Ufer trieben und gelbe Schilflilien spiegelten, die der warme Wind so sehnsüchtig zu der Flut herniederneigte! Oftmals hieß es vorsichtig im Bogen um die morastigen Wiesen reiten, über welchen Schilf und Riedgras starrte und just so rauschte und flüsterte, als ob es den ahnungslosen Wanderer warnen wollte.

»Hier spukt's zur Nacht!« sagte Josephine, voll reizender Heimlichkeit das Köpfchen wendend, »die tolle Margret sitzt im Rohr und wäscht ihr Hochzeitskleid! – Dann hört man sie deutlich plätschern und reiben, und das Leinen im Wind klatschen! Hu, es soll grausig sein, ihren Gesang und ihr Gelächter dabei zu hören, das Blut erstarrt Einem zu Eis!«

»Wer ist denn diese reinliche junge Dame?«– amüsirte sich Günther, sein Pferd dichter an die 114 Seite der Sprecherin drängend – »lohnt es sich, wie bei der Lorelei und Frau Venus ihre Bekanntschaft zu machen?«

»Wer die Margret ist? Ei du lieber Gott, das ist die ungetreue Spinnerin, deren Bräutigam am Tage, da sie einen andern freite, hier im Moor seinen Tod suchte; zur Strafe sitzt sie selber wohl schon seit hundert Jahren im Schilf verzaubert!«

»Die ungetreue Margret!« seufzte Günther mit langem Blick in Josephinens Auge. »Das kommt davon, wenn die schönen Mädchen zu leichtsinnig mit Männerherzen umgehen! Wie steht es denn jetzt damit in Stauffen? Hält man jetzt die Treue besser, als vor hundert Jahren?«

Das Sonnenlicht verklärte ihr süßes Gesicht, die ganze Seele lag in dem Blick, welcher sich zaghaft und doch so unbefangen aufrichtig zu dem schönen Mann erhob.

»Ja, jetzt ist man treu in Stauffen und bleibt's auch!«

Da sprang er aus dem Sattel. »So wollen wir der bösen Margret Reich verkürzen und ihre Huldigung empfangen,« lächelte er fein, wagte sich trotz Gegenrede und Mahnruf an das Schilf heran und brach eine gelbe Lilie.

Wie eine Feuerflamme glühte sie im grellen Sonnenlicht auf, da sie Josephine gegen ihr dunkles Reitkleid an die Brust steckte; das that den ehrlichen Augen Hattenheims weh, er senkte den Blick und wandte das Haupt schweigend zur Seite.

115 Weiter führte der Weg. Fichtenduft wehte durch hochstämmigen Wald, und Lichtfunken blitzten um graues Moos und Thymian, rote Schmetterlinge und Eintagsfliegen kreuzten über üppigem Heidelbeerkraut, und die dürren Nadelzweige knisterten unter den Hufen der Rosse. Dann rauschten ernste, uralte Eichenwipfel über den Reitern, warfen dämmerigen Schatten und überwölbten die schmale Schneise mit tiefhangenden Zweigen. Axtschläge klangen vernehmlich durch die Stille und einzelne laute Rufe und Männerstimmen.

»Dort wird gehauen!« sagte Fräulein von Wetter, »der Förster meinte, es sei die reine Wildniß hier, und das Holz verfaule auf den Wurzeln! Da hat sich der Onkel entschlossen und läßt einzelne Stämme herausschlagen, damit es Luft gibt!«

Günther blickte mit Kennermiene über die riesigen Stämme. »Natürlich!« rief er eifrig, »ich ließe den ganzen Krempel roden an Ihres Onkels Stelle, steckt ja ein Heidengeld in diesem Urwald, und trägt keine Zinsen! Mille diantres ja, wenn wir noch den zehnten Teil von diesen Zahnstochern in Lehrbach hätten! Ist aber abgeputzt, lauter neue Anpflanzungen, die lebhaft an Suppenspargel erinnern! . . . Ah voilà der gute Freiherr! Ihn selber sieht man noch nicht, aber seine Tabakswolken steigen hinter dem Holzstoß auf!«

Wo sich der grasige Hügel am Waldessaum erhebt, wurde gerastet, da plauderten sie zusammen, 116 Onkel Bernd, der Förster und die Ueberbringer der Depesche. »Hat ihm meine Frau abtelegraphirt?« seufzte Onkel Bernd und kraute sich mit tiefem Seufzer hinter dem Ohr, »schade drum, der Kerl bezahlt schweres Geld für die Klafter, aber . . . wenn's mein ›Lykurg‹ nicht will, und hierin hat sie nun mal ihren Dickkopf, dann ist auch kein Stern, der leuchtet! ›Was die Frau will, das will Gott,‹ sagt der Franzose, na – und um des lieben Friedens willen, mag sie's machen, wie sie Lust hat . . .« Und sich zu dem Förster wendend, setzte Onkel Bernd den Schnurrbart ganz martialisch auf und sagte mit gerunzelter Stirn: »Da telegraphirt mir der Berliner Halsabschneider wegen der Auktion! Ich werde aber auf keinen Fall mit dem Kerl ein Geschäft machen, paßt mir nicht in den Kram, lasse mich ein für allemal nicht in meinem Willen beirren, verstanden, Herr Förster?! Soll sich zum Teufel scheeren, werde sofort eine ablehnende Antwort schicken! Immer schlank weg!«

»Sehr wohl, Herr Baron!« nickte der alte Getreue ernsthaft, und Herr von Wetter wandte sich zu Josephine und den Offizieren und schmunzelte vergnügt: »Na nun kommt, Kinder, ich habe noch Butterbrode hier, auch ein paar Flaschen Bairisches!« Und sich vertraulich näher neigend, fügte er flüsternd hinzu: »Das dürft Ihr aber zu Hause nicht sagen, meine Frau findet das überflüssig . . . verstanden? . . . Die Butterbrode könnt ihr in Gottes Namen erwähnen, aber von dem Bairischen –« 117 und Onkel Bernd legte sich in bedeutsamer Geste die Hand auf den Mund.

Wie lustig und vergnügt es sich plauderte! Von Wiesenhang und Haide und Waldboden sammelte Josephine die bunten Blüten und flocht sie zum Kranz und drückte sie auf ihr loses Haar, und Günther bog ihr die Eichenzweige herab und ließ sich knieend seinen Hut schmücken. Die junge Dame stand frei auf dem rasigen Hügel, grell abgezeichnet von dem fleckenlosen Himmel, welcher seinen vollen, purpurnen Sonnenglanz über sie hingoß, die Glockenblümchen zitterten in dem goldenen Haar, dessen schwere, windzerzauste Flechten über Schulter und Brust hingen, und sie winkte auch Hattenheim herzu, daß er das Knie vor ihr beuge. Etwas ungeschickt und linkisch ließ er sich auf dem weichen Rasen nieder, sein Antlitz schien noch röter denn sonst, und die Lippen zitterten nur, anstatt ihr solch galante Dinge zu sagen, wie Graf Günther, aber Josephine zeigte lächelnd auf den Eichkranz, aus welchem eine Kornähre – ziemlich ungraziös – hervorstrebte. »Ganz speziell für Sie dort vom Feld geholt!« sagte sie fröhlich, »Sie verdienen es, diese brave Pflanze als Helmzier zu tragen!« Und damit legte sie das buschige Grün um den Hut des jungen Mannes.

Hattenheim aber blickte zu ihr empor, und das lichte, lächelnde Bild prägte sich tief und unvergeßlich in seine treue Seele.

»Aber Dicker! – Heiliges Linksschwenkt, Du 118 siehst ja aus wie der göttliche Apis, um welchen die Aegypter tanzten!« rief Günther mit schallendem Gelächter. Und dieses Füllhorn von einer Kornähre über der Stirn . . . pardon, mein gnädigstes Fräulein, aber Sie sind doch ein wenig boshaft!« Josephine blickte erschrocken auf: »Boshaft? – Ich habe es sehr gut gemeint! Und wenn Herr von Hattenheim nicht zufrieden mit seinem Kranze ist, so mag er ihn fortwerfen!« Und um die rosigen Lippen zuckte es wie leichtes Schmollen. Hattenheim aber neigte sich schnell und küßte die Hand der jungen Dame. »Und wollte die ganze Welt mich auslachen, Fräulein Josephine, ich würde diesen Kranz dennoch mit Stolz und Freude tragen und warten, bis die geschmähte Kornähre ihre Früchte bringt, dann lache ich vielleicht auch, und wer zuletzt lacht; lacht immer am besten!«

»Bravo!« klatschte Günther, »der reine Cicero!«


Daheim in Groß-Stauffen war während dessen die Equipage des Ministers vorgefahren, welche »seine beiden jungen Strategen« zum Rückwege abholen wollte; er traf Tante Renate und die Pastor'schen Sprößlinge in der Jasminlaube und wurde mit großem, vertraulichem Jubel begrüßt.

»Guten Dag ok, Du leiwe Grieskopp!« schmeichelte das kleine Liesing, mit weit ausgebreiteten Armen dem alten Herrn entgegenstürmend, um seine Knie mit fast peinlicher Kraftentwicklung zu umfassen, »wist uns en beten besöken, daß wir in die 119 gaude Stuw' dörfen, wie an' Samsdag tom Dansen?« Und dabei drückte sie ihn immer zärtlicher und reichte die kleine ›Karpensnut‹ zum Willkommenkuß entgegen.

Auch die andern Flachsköpfe attaquirten von allen Seiten, und wie ein grauer Felsstein, um welchen die Flut brandet, stand die schlanke Figur des Ministers inmitten, in ängstlicher Vorsicht den grauen Cylinder emporhaltend und es doch nicht über sein gutes Herz bringend, sich rücksichtslos Bahn zu brechen. Eine allzu intime Berührung jedoch mit Liesings gespitztem Mäulchen schien ihm in Betracht der nahen kleinen Stupsnase zu riskirt, und so sprach er seinem silbergrauen Handschuh das Todesurteil und klopfte reihum die drallen Wänglein.

»Du, leiwe Grieskopp! hest nicht hiert, wat ik seggt häv?« schrie Liesing in brennender Ungeduld, einen neuen Beweis liefernd, daß ein »Ordensstern und Tressenhut« nicht immer die nötige Anerkennung finden, und Titel und Namen in Groß-Stauffen eitler Willkür preisgegeben sind; aber ihr Stimmchen verklang im allgemeinen Wirrwarr, und zudem fühlte sie sich jetzt von Gretchens energischer Hand ergriffen und zurückgerissen.

»Aber Liesing, wirst Du wohl artig sein und hochdeutsch sprechen!« raunte die große Schwester in tödtlichster Verlegenheit, und unter tiefsten Knixen vor Excellenz flog ein Flachskopf nach dem anderen in das nahe Bosquet, woselbst sich unter den Gelynchten eine wohlthuende Balgerei entwickelte.

120 Excellenz atmete auf und trat lächelnd zu Tante Renate, welche das kleinste Pastor'sche auf dem Schooß gehabt hatte, um mit ihm gemeinsam den Rest ihres durch Reinschke unterbrochenen Kaffees zu trinken, und sich nun erst von der zappelnden Last hatte befreien können.

»Pardon für diesen Spektakel, Excellenz!« nickte sie mit kräftigem Handschlag. »›Jung Vieh' hat jung' Mut,‹ sagt ein hiesiges Sprüchwort, und seit die Tanzerei oben im Saal angefangen hat, sind die kleinen Racker schier aus Rand und Band. Bitte, nehmen Sie Platz!«

Die Sonne war schon hinter die dunklen Fichtenwipfel getaucht, als die kleine Cavalkade wieder in den Stauffner Schloßhof eintrabte. Voran Graf Günther und Josephine.

»Hei, stop!« rief der junge Offizier plötzlich, seiner Nachbarin in die Zügel fallend. »Das Terrain wird heimtückisch! Links schwenkt um die Schiebkarre!«

Josephinens Köpfchen zuckte in den Nacken, mit großen Augen blickte sie ihn einen Moment sprachlos an, dann lachte sie laut auf und entwand ebenso energisch wie geschickt die Zügel seiner Hand.

»Bei dieser Distanz so ängstlich?« spottete sie voll Uebermut. »Das wäre doch das erste Grünfutter, welchem ich aus dem Wege ging!« Und ein leichter Zungenschlag, eine kaum sichtliche Bewegung der Gerte: »En avant hop!« und die Hufe sprühten auf dem Pflaster, das dunkle Reitkleid wogte auf, 121 und leicht, graziös und schnell wie der Gedanke nahmen Roß und Reiterin das Hinderniß.

»Famos! Auf Wort, brillant!« Und der Husar biß die Zähne zusammen, spornte sein Roß und folgte der jungen Dame. »Aber leichtsinnig, meine Gnädigste, wie ein amerikanisches Duell!« fuhr er, an ihrer Seite parirend, fort. »Ich hätte es niemals riskirt, eine Dame zu solchem Hazard zu invitiren, sie müßte denn den Namen Renz oder Hager tragen, oder sonst eine solch' halbe Centaurin sein! Sie wissen, daß ich nicht auf meinen Hals, sondern einzig auf den Ihren Rücksicht nahm!« Noch lag die Wolke auf seiner Stirn, er riß sein Pferd kurz zusammen und ließ den Bügel fallen.

Josephine wandte das Köpfchen, und ihr lachender Blick wandte sich in erschrockenes Aufschauen: »Wie böse Sie aussehn, und nur aus Sorge um mich?« Er zuckte die Achseln und sagte scharf: »Auch aus Sorge um Sie, im großen Ganzen aber verträgt es kein Kavallerist, von einer Dame für einen ängstlichen Reiter gehalten zu werden!« Und er sprang zur Erde, und warf dem herbeieilenden Knecht die Zügel zu.

Momentan verstummte Fräulein von Wetter und sah nachdenklich auf ihre Hand hernieder, über welche die Zügel grellrote Streifen gerieben hatten, dann neigte sie sich Herrn von Hattenheim zu, welcher schweigend bereit stand, sie vom Pferd zu heben. Er sah blaß aus, aber er lächelte. »Es war eine Lust, Ihnen zuzusehen!« sagte er.

122 »Und Sie waren nicht um Sorge um mein junges Leben?«

»Nein, ich bin zu sicher im Vertrauen auf Ihre Meisterschaft.« Der plumpe Lederschuh der jungen Dame ruhte in seiner Hand. Ohne zu antworten, nur mit einem kurzen Lächeln glitt Josephine an seiner markigen Gestalt zur Erde hernieder, nickte ihm freundlich zu und schlüpfte flink in das Haus, um das unbequeme Schleppkleid abzulegen. Sie hörte bereits die Pastor'schen durch den Garten herzustürmen, wie gewöhnlich mit so schmetterndem Organ, als gälte es der Posaune von Jericho Konkurrenz zu machen.

Atemlos trat sie in ihr Zimmer und preßte die Hände gegen ihr stürmendes Herz. »Wie wunderlich ist's doch!« dachte sie mit heißen Wangen, »und wie verschieden sind die beiden Freunde! Dieser langweilige Hattenheim, dem man's auf zehn Schritt weit ansieht, wie gleichgültig ich ihm bin, und er, Günther, der mich so wirklich und wahrhaftig lieb hat!« . . . . Und Haideröslein neigte sich mit strahlendem Lächeln zum Fenster und lugte hinaus in den Garten, aus welchem das Stimmengewirr zu ihr herüber tönte; da stand Hattenheim neben dem Minister und der Tante und streichelte in sichtlicher Verlegenheit den Krauskopf eines zärtlich zudringlichen kleinen Pastors, Günther aber lehnte etwas abseits an der Bretterlaube, umringt von den anderen Quälgeistern, welche mit gellender Versicherung ihrer Wiedersehensfreude ihre zweifelhaft gefärbten Hände 123 und Händchen dem zarten Residenzcivil näher als wünschenswert brachten.

Da machte der Herr Lieutenant aber »kurze Fünfzehn«, packte den frechsten kleinen Kirschenesser wie einen Dachshund am Genick und hopp! hopp! saß einer nach dem anderen, sogar in bunter Reihe, auf dem Laubendach.

Pastors nahmen's für einen Witz und zeterten höchstes Entzücken, Günther aber drohte ihnen noch einmal, faßte Hattenheims Arm und sagte: »So, die Landplage hätten wir kalt gestellt,« und folgte dann gelassen seinem Vater, Tante Renate und der Mademoiselle, welche voran in das Schloß gegangen waren.

Mörderliches Geschrei erhob sich vom Laubendach.

»Aber Günther, willst Du die Spatzen da oben sitzen lassen?« fragte Hattenheim betreten.

»Natürlich, dann sind wir die Schreihälse los, die Rangen machen mich so wie so nervös,« und der junge Graf schritt die Treppe empor.

Hattenheim folgte, doch nach wenigen Minuten kehrte er zurück, lief flink zur Laube und befreite die unfreiwilligen Aëronauten.

Auf allgemeines Verlangen sollte noch vor dem Abendbrot, der obligaten dicken Milch, Schwarzbrot, Butter und Schinken, der erste Teil einer Quadrille à la cour eingeübt werden. Mademoiselle saß bereits »marschfertig« an dem Klavier und intonirte wohl schon zum sechsten Mal: »Als ich noch im Flügelkleide;« aber Graf Günther hatte die Reihen 124 seiner Getreuen noch lange nicht geordnet, er tanzte mit Josephine, Hattenheim und Gretchen zum vis-à-vis, der Dichterling hatte seine zwölfjährige Schwester Linchen mittelst eines leutseligen Puffs in den Rücken engagirt, und nun fehlte noch das vierte Paar.

»Onkel Bernd! Du mußt mittanzen!« rief Josephine mit flehenden Augen, »und Tantchen, süßes Tantchen, Du auch! Ihr könnt es gewiß Beide noch brillant von früher her!« Und sie hing sich an den Arm des Rittmeisters und versuchte, ihn mit sich fort zu ziehen.

Günther machte während dessen Tante Renate den Hof. »Sie, und das Tanzen verlernt haben, meine gnädigste Frau?« rief er mit ganz beleidigtem Gesicht, »das soll ich glauben? Ich, der genau Bescheid weiß in den Memoiren unserer Residenz und mehr als einmal von Papa gehört hat, welche der Damen Ihrer Zeit die Gefeiertste gewesen? . . . Nicht wahr, cher père, das bestätigst Du, und Dir gegenüber kann es die Frau Baronin auch nicht ableugnen.« Günther begleitete fast jeden Satz mit einer Verneigung und tiefem Blick in das schmunzelnde Gesicht der alten Dame, während dessen eine kleine Landplage ihn permanent hinterrücks kniff und dazwischen schrie: »Du, Herr Lehrbach, unse Friede kann äwerst ok klavieren!«

Günther schlug um sich, Se. Excellenz aber verneigte sich mit chevalereskem Lächeln vor der Freifrau: »Mit der Jugend soll man jung sein, 125 meine Gnädigste, und es würde mir ein Vorzug sein, unsere graziöseste Tänzerin noch einmal bewundern zu dürfen; leider verbietet mir mein fatales Asthma, um Ihren Arm zu bitten, und gestattet mir nur, Ihnen als dankbares Publikum zu applaudiren.«

Tante Renate fühlte sich sehr geschmeichelt. »Wem's zu wohl ist, Excellenz, wem's zu wohl ist, der geht aufs Eis tanzen!« seufzte sie kopfschüttelnd; »na, in Gottes Namen denn, den Kindern zu Liebe, nicht aus Koketterie. Sie böser Mann, der meinen grauen Haaren noch Elogen sagt!« Und sie drohte dem Minister mit dem Finger und legte dann die Hand energisch auf Onkel Bernds Schulter. »Also vorwärts, Alter, und halt die Ohren steif, daß wir uns nicht blamiren!«

»Aber Renatchen, in diesen Kommißstiefeln,« sträubte sich Herr von Wetter voll plötzlicher Eitelkeit.

»Ist ja ganz gleichgültig, Verehrtester!« lächelte Excellenz, und Günther und Josephine führten das würdige Paar im Triumph nach dem Platz.

Auf den Stühlen an der Wand saßen die kleinen Pastors wie die Orgelpfeifen aufgereiht, baumelten mit den Beinen und schrieen hie und da dazwischen; Excellenz lehnte sich in seinen Sessel zurück und putzte sich das pince-nez mit dem duftenden Batisttuch.

»Compliment au place!« kommandirte Günther.

»Wat seggt he?« trompetete ein Flachskopf eifrig von der Wand herüber, Mademoiselle setzte 126 »Als ich noch im Flügelkleide« mit falschem Akkord ein, und der Unterricht begann.

»Nachtigall, man hört Dir trampsen!« raunte der junge Graf in das Ohr des Kameraden, wenn Josephine und Gretchen mit den Nägelschuhen an ihm vorüberschwebten, und dann kniff er ihn wieder unvermerkt und murmelte durch die Zähne: »Ich kann nicht mehr ernst bleiben, Dicker, ich ersticke noch über die beiden Alten!«

Hattenheim aber verzog keine Miene, sondern blickte sogar mit gewisser Rührung auf Tante Renate, welche das Kleid mit graziöser Handhaltung weit von sich abziehend so zierlich wippte und kokettirte, daß wie mit Zauberschlag ein ganzer Ballsaal voll Reifröcke, Medicisgürteln und schaukelnder Schläfenlocken vor seinem geistigen Auge stand.

Auch Onkel Bernd ward wieder jung, drückte die Hand seiner Partnerin so ritterlich ans Herz und wiegte sich so einschmeichelnd in der Taille, daß die modernen jungen Herren schier wie die steifen Ladestöcke neben ihm aussahen.

Mademoiselle hielt erschöpft inne, Günther küßte der Freifrau dankend die Hand und konnte nicht genug der Worte finden, seine Bewunderung auszudrücken, und die Wanddekoration wimmelte herzu und dankte Gott, daß sie sich einmal wieder Bewegung machen durfte.

»Du Phine, nu äwerst mal den Tanz mit die Beene in die Luft!« kommandirte Eins, welchem Polka-Mazurka tiefen Eindruck gemacht hatte, und 127 ein Anderes schmeichelte um Tante Renate und erinnerte an »ok wat zu essen!«

Da wurde noch ein halbes Stündchen für Rundtänze gestattet, und Excellenz bat um die Erlaubniß, sich eine Cigarette anzünden zu dürfen.

Onkel Bernd machte eine Grimasse, als wollte er sagen: »O, Du heilige Unschuld«, sah angstvoll nach Tante Renate und räusperte sich verlegen.

Die Freifrau schien einen Kopf zu wachsen, lächelte ihr liebenswürdigstes Lächeln und nickte: »Natürlich, Excellenz, so eine Cigarette ist ja selbst für ein Damenzimmer nur angenehmes Räucherpulver; mein Mann wird sofort das Nötige herzuschaffen!« Und sie wandte sich mit sprechendem Blick zu ihrem Gatten: »Sei so freundlich, lieber Bernd, und besorge Dein Rauchservice herauf!«

Der Rittmeister strahlte: »Sofort, liebstes Renatchen, sofort!« und sich mit dem selbstbewußten Gesicht eines Hausherrn vor dem Minister in Positur stellend, rief er couragirt: »Famos, verehrtester Graf! Da setzen wir uns als Publikum hier auf das Sopha und rauchen einen gemütlichen Tobak zusammen; weiß der Kuckuck, wie ich meine alte Freundin zwischen den Zähnen vermißt habe!« Und er rieb sich die Hände und polterte, einen sorgfältigen Umweg um den Teppich machend, durch die Thüre.

Fern grollte der Donner, matte Blitze flackerten, und durch die weit geöffneten Fenster strich ein kühler Luftzug.

128 Josephine lehnte sich weit hinaus und trank in durstigen Zügen die wonnige Frische, welche ihr die krausen Haarwellen von der erhitzten Stirn hob.

Günther stützte sich an ihrer Seite auf das Fensterbrett und blickte auf ihr reizendes Profil hernieder. »Fürchten Sie sich vor dem Gewitter?« fragte er mit weicher, dunkler Stimme, und der Blick, welchen er dabei in ihr Auge senkte, war nicht mehr zornig wie vorhin.

Sie schüttelte das Köpfchen, ihr ganzes Antlitz leuchtete Glückseligkeit. »Heute nicht!«

»Und warum denn heute nicht?« Er neigte sich näher, und seine weiße Hand zog die Rosenranken, die voll blühenden, vom Spalier herein und zerpflückte die Blättchen mechanisch in den Wind.

»Weil Sie bei mir sind!« Sie sagte es so einfach, so aufrichtig und herzinnig; sie glich der Rosenknospe zwischen seinen Fingern, ganz noch Kind, und dennoch bereit, die Seele zu voller, strahlender Blütenpracht zu entfalten; aber die Rosenknospe zerblätterte als Spielzeug in der Hand des jungen Mannes.

»So haben Sie es gern, wenn ich bei Ihnen bin? Sie wissen es, daß ich Blut und Leben für Sie und zu Ihrem Schutze einsetzen würde?« – O du dunkles, dunkles Auge, wie glühst Du Dein Bild so ewig und so zauberisch in das Heiligtum des lautersten Mädchenherzens!

Sie atmete wie in süßem Traum, sie nickte und lächelte: »Wenn's doch immer so bleiben könnte!«

129 Er hob eine Rose an die Lippen und küßte diese; dann hielt er sie empor in das grell aufzuckende Licht des Blitzes und sah sie mit schwärmerisch trunkenem Blick an: »Wünschen Sie es nicht, Fräulein Josephine!« rief er mit gedämpfter, aber dennoch leidenschaftlich erregter Stimme. »Die Gegenwart ist für Sie noch ein verschleiertes Rätsel, welches erst die Zukunft und die Welt Ihnen lösen werden, in tausend rotleuchtenden Stunden, die sich gleich Rosenblättern aus dem Kelche der Freude ringen! Dies hier ist die Zukunft, Fräulein Josephine, diese purpurne Blüte, welche Ihnen die Residenz und das bunte, rauschende Leben in das Haar flechten werden, und dieser Zukunft lassen Sie uns im köstlichen Tanze entgegenstürmen!«

Wie verzaubert hing der Blick des jungen Mädchens an dem duftigen Symbol in seiner erhobenen Hand, das grelle Licht flammte darüber hin und tauchte die Rose in lachende Farbenglut. Dann schlugen plötzlich schwere Tropfen durch die Luft und zitterten wie Thränen an dem Kelch. Graf Günther aber trat hastig in das Zimmer zurück, legte den Arm um seine Tänzerin und wirbelte auf den süßen Walzerklängen mit ihr davon, gerade wie ein Sturmwind, welcher die Blüte faßt und ihre Blätter in den Staub weht.

Während dessen hatten Excellenz und Onkel Bernd behaglich im Nebenzimmer gesessen und geraucht. Der Minister lag in einem hochlehnigen Fauteuil, hatte ein paar unmerkliche Züge an seiner 130 exquisit feinen Cigarrette geraucht und dieselbe dann fortgelegt, um die müden Augenlider noch tiefer über die Pupille sinken zu lassen; Onkel Bernd jedoch saß breit und wohlig in der Sophaecke, hatte seine kurze Meerschaumpfeife zwischen den Zähnen und blies Dampfwolken, daß bereits sein freundlich glänzendes Angesicht wie ein roter Vollmond aus blauen Nebelwolken lächelte.

Dazu redete und gestikulirte er in höchstem Eifer und war soeben dabei, dem verehrten Freunde seine drei unvergeßlichen Begegnungen mit Sr. Majestät dem Kaiser zu erzählen.

»Sehen Sie, Excellenz, dreimal hat unser alter Heldenkaiser persönlich mit mir gesprochen, und diese drei Erinnerungen sind die Lichtpunkte meines Lebens!«

Der Minister horchte etwas interessirter auf. »Ah, charmant, bitte, erzählen Sie, Verehrtester!« bat er mit einer leichten Handbewegung. »Dergleichen seltene Memoiren haben unendlichen Reiz für einen guten Patrioten.«

»Ja, das war eine ganz famose Sache!« rief Onkel Bernd, lebhaft mit der Hand auf die Tischplatte schlagend und drei dicke Dampfwolken dazu blasend, als müsse er sichtbaren Opferrauch vom Altar seiner Begeisterung wehen lassen. »Wie er das erste Mal mit mir sprach, war ich noch ein kleiner Bengel und ging in Eberswalde auf die Schule. Mein seliger Vater hatte uns Jungens in Pension zu dem dortigen Schuldirector gegeben und 131 nichts Anderes mit mir im Sinn, als später mal einen Grünrock aus mir zu machen, dem Serenissimus Gnade sämmtliche Fichten und Knircksbüsche des lieben Vaterlandes ans Herz legen würde, aber nix comprend sagt der Franzose, in meinem Kopfe revoltirte es mit Säbeln und Pistolen, das alte Soldatenblut schoß mir in die Augen und ließ mich meine Zukunft im flotten Attila sehen! Wie der Deuwel auf eine arme Seele, so war ich hinter den Soldaten her! Und der liebe Herrgott richtete es extra für Wetters Jüngsten ein, daß das große Königsmanöver in unserer Gegend abgehalten wurde! Potz Donnerwetter, wie kletterte ich auf den alten Kirschbaum an der Chaussee, wo Kopf an Kopf die Leute standen und die Truppen einziehen sahen; ›Juchhe!‹ schrie ich, und weil ich was Besonderes haben wollte: ›Vive l'empereur!‹, wie ich's von den Freiheitskriegen hatte erzählen hören. Plötzlich hieß es: ›Der Prinz von Preußen kommt!‹ Und richtig! Da wirbelte schon Staub auf! Na, aber nun hätten Sie meinen Eifer sehen sollen! Wie das reine Unglück rutschte ich auf meinem Aste vorwärts, um den leibhaftigen Königssohn recht genau zu sehen, der Ast aber bog sich und schwuppte wie ein Grasstengel, wenn ein Maikäfer daran turnt, und ich klammerte mich krampfhaft fest und schwebte just über des Prinzen Haupt und schrie: ›Vive l'empereur!‹ Gerade, als ob ich eine Vorahnung von 1871 gehabt hätte, was? Da dreht der Prinz den Kopf nach mir herum, sieht mich da hängen und lacht mit 132 dem ganzen Gesicht. ›Kleiner Donnerwetter Du! Machst Du, daß Du da runter kommst!‹ ruft er mir zu und droht dabei mit dem Finger, und das, das war das erste Mal, Excellenz, daß unser Allergnädigster Kaiser mit mir sprach!« Onkel Bernd schluchzte die letzten Worte ordentlich vor Rührung und Patriotismus, und der Minister hüstelte ein zustimmendes: »Ganz allerliebst!«

»Das zweite Mal«, fuhr der Rittmeister nach ein paar mächtigen Dampfwolken fort, »war in dem Palais zu Potsdam, wo ich den Vorzug hatte, bei Anlaß eines Hofballs Page zu sein. Den Prinzen Wilhelm hatte ich glühend ins Herz geschlossen und konnte es gar nicht erwarten, ihn wieder von Angesicht zu Angesicht zu schauen. Frech und begeistert wie ich war, drängelte ich mich so dicht hinter ihn, daß ich seine Rockschöße mit den Händen streifte und ganz genau roch, was er für Parfüm im Schnupftuch hatte. Da war mir Frau Fortuna gnädig! Der Prinz trat ganz plötzlich einen Schritt zurück und gerade mit dem Stiefelhacken auf meine große Zehe. Erschrocken prallte er nach mir herum, sah mir einen Augenblick mit seinen ungeheuren Augen stracks ins Gesicht und sagte: ›Pardon!‹ Da bedauerte ich am Abend, als ich ins Bette ging, nur eins, nämlich, daß ein so schlacksiger großer Bengel so steife Gelenke hat; ich wollte nämlich im Uebermaß der Wonne meiner großen Zehe einen Kuß geben, aber es ging nicht!« –

Günther und Hattenheim waren während der 133 Erzählung hinter den Sessel des Ministers getreten, der junge Graf sah dunkelrot aus und rief ein um das andere Mal: »Ist ja ganz famos, famos!« Und Excellenz schnaubte sich etwas umständlich die Nase und nickte dazu beifällig mit dem Kopf; nur Hattenheim stand wortlos und blickte mit seinen rührend treuherzigen Augen teilnahmsvoll auf das hocherregte Antlitz des Erzählers nieder.

»Und das dritte Mal, Herr Rittmeister, was sagte er da?« drängte Günther eifrig.

»Das ist noch gar nicht lange her!« nickte der Freiherr schmunzelnd. »'s war im zweiten Jahre, daß ich als pensionirter Krautjunker hier auf Stauffen saß und meiner Alten zu Liebe den Kammerherrntitel von dem Herzog angenommen hatte, um noch so dann und wann mal wieder die Nase in die Residenz zu stecken. Da starb die hochselige Herzogin-Mutter, und ich wurde selbstverständlich als dienstthuender Kammerherr sofort einberufen. Gott mag's mir verzeihen, als ich hörte, daß der König Wilhelm zur Beerdigung käme, da hat ein Auge geweint und eins gelacht! Da stand ich wieder hinter meinem unvergleichlichen, glorreichen Kaiser! Was der Hofprediger gesagt hat, davon weiß ich nicht die Bohne mehr, aber an dem Rockkragen des Königs Wilhelm ist mir jeder Stich unvergeßlich geblieben, und seinen Scheitel mit dem einen kleinen Haarstrupp, der vom Helm verschoben war, den könnte ich euch noch zeichnen, Kinder, den vergesse ich mein Leben lang nicht! Und als die 134 Feier vorbei war, da blickt der König plötzlich suchend umher und blickt und blickt und – heiliger Stern der drei Könige! – er wendet sich zu mir, sieht mich freundlich an, ebenso freundlich und unvergeßlich, wie einst auf dem Kirschbaum, und sagt leise und vertraulich wie zu seinem besten Freund: ›Haben Sie die Güte, Baron, sehen Sie mal, ob es zu regnen aufgehört hat!‹ Und seht ihr, Kinder, wenn es nun auch manchmal gießt wie mit Mulden, und wenn mir selbst das Korn dabei auswächst und die Kartoffeln darüber zum Teufel gehen, ich kann dem Regen nicht böse sein! Ist er doch daran schuld gewesen, daß mein Kaiser zum dritten Mal mit mir gesprochen hat!«


Schnell wie ein Traum zogen die Wochen dahin; Josephine däuchten die Tage halb so lang denn sonst, und die Stunden, welche Graf Günther in Stauffen verweilte, welche sie in Lehrbach, oder in Wald und Flur an seiner Seite verlebte, die trugen sämmtlich ein paar bunte, farbenschillernde Schwingen, auf welchen sie davon flogen, so schnell und so treulos, wie die Libelle in heißer Sommerluft, welche schon längst entschwunden ist, ehe man die rätselhafte Märchenpracht ihrer Schönheit voll geschaut und begriffen.

Noch einmal entfaltete der Sommerhimmel sein tiefblaues, strahlengesticktes Gewand, um es wie ein verheißungsvolles Banner über dem einsamen nordischen Lande wehen zu lassen, und doch war es 135 ein Tag, welcher Josephine so glanzlos und öde, so nebelverschleiert schien, als sei das ganze Firmament ein wogend Meer von Thränen, herniedertauend aus Blumen und Laub, aus Herz und Auge, ja, sie fühlte es haltlos von den Wimpern tropfen wie bitteres, unaussprechliches Trennungsweh! Heute mußte geschieden sein. Und die gräfliche Equipage rollte in den Schloßhof, und ein paar kurze, flüchtige Stunden zogen noch dahin, lustig und heiter wie stets, denn Graf Günther wollte schier Lachkrämpfe kriegen, als er Pastors wehklagend, mit großen reinen Schnupftüchern in den Garten anrücken sah; da schämte sich Josephine und schluckte die Thränen herunter. Warum auch traurig sein? Im Winter sahen sie sich ja in dem Zauberlande aller goldenen Träume, der Residenz, wieder, so war es fest abgemacht, und darum wurde dem jungen Offizier das Scheiden auch leicht, und er scherzte sich selber über den Abschied hinweg.

Nur Hattenheim sagte wehmütig: »Der Sommer voll Glück und Frieden ist dahin, nun kommen die Herbststürme, und die Erinnerung an diese selige Einsamkeit wird dem Felsstein gleichen, über welchem wilde Flut zusammenschlägt.«. Josephine sah ihn verständnißlos an und sagte tröstend: »Ich komme ja im Winter zu Ihnen und tanze auf den Hofbällen!« Da zog es wie trübe Wolken über sein redlich Angesicht, und er seufzte: »Im Winter! Ja, ich fürchte, Sie treffen dann viel Eis und viele Kälte an, aber nicht überall, auch unter dem Schnee 136 gibt es Blüten, welche auf Ihr Kommen harren, die weiße Christrose, welche ein Kreuz trägt und das Symbol der Hoffnung ist!« Und er drückte dem jungen Mädchen erregt die Hand und wandte sich dann hastig ab, um auch Onkel Bernd Lebewohl zu sagen.

Günther aber kam atemlos herzu, verfolgt von der ganzen Schaar der Flachsköpfe, welche er, in praktischer Nutzanwendung der reinen Taschentücher, mittelst derselben paarweise zusammengekoppelt hatte, selbstverständlich an den Händen, um den diversen Abschiedspätschings und Rührungspuffen geschickt aus dem Wege zu gehen.

Diese fürchterlichen kleinen »Menschenflossen« waren stets der Ruin seiner zartfarbigen Glacees, darum war der Herr Lieutenant erfinderisch geworden. Er reichte Josephine beide Hände, sah ihr lange und ausdrucksvoll in die Augen und sagte: »Leben Sie wohl, Fräulein Josephine! Es war eine sehr idyllische Zeit, welche wir zusammen hier verlebten, bewahren Sie ihr und mir, bitte, ein freundliches Andenken und sputen Sie sich, daß Sie dieser Einsamkeit Valet sagen, eine ganze Welt voll Lust und Freude, Glanz und Pracht wartet auf Sie, darum auf Wiedersehen in der Residenz!« Und sein dunkles Auge glühte zu ihr nieder, und die Hand umschloß in letztem Druck die ihre, das war Alles wie ein Traum, für ihn wie ein flüchtig zerrinnender, für Josephine aber wie jener erste und einzige, welcher Menschenherzen ganz beseligt, dessen 137 Erwachen aber bitterer Thränentau begießt, und dessen Entschwinden weiße Totenblumen um die Stirne flicht.

Da ward es still und einsam in Groß-Stauffen, wie all die langen Jahre vorher. Josephine aber zählte in brennender Sehnsucht die Tage bis zu dem Wiedersehen, traurig und still, wie der Vogel im Käfig, dem ein jubelnder Genosse aus blauer Luft ein zauberisches Lied von Glück und Liebe und Freiheit gesungen. 138


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