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Die Wiese

In einem Dorf lebten zwei alteingesessene Bauernfamilien, die Ibes und die Werners. Bei den Werners hatte der Vater des jetzigen Besitzers eine törichte Heirat getan, indem er ein Nähfräulein aus der Stadt, in das er sich verliebt, als Frau auf seinen Hof genommen hatte. Die Frau war schwächlich gewesen und hatte ihre Arbeiten nicht machen können und hatte zudem von ihrem früheren Beruf her einen Hang zur Schleckerei behalten; denn sie hatte in den Häusern bei den vornehmen Herrschaften genäht, und jeden Tag in einem andern, wo denn jedesmal die Küche etwas anders gewesen war; hier hatte es einen Nachtisch gegeben, und dort eine süße Speise, hier Eingemachtes und dort ein zartes Weißbrötchen zur Suppe, und von dem allem hatte das Nähfräulein gegessen, zierlich, und unter Klagen, daß sie keinen Appetit habe, und unter vielem Nötigen der Herrschaften.

Wenn die Frau bei einem Bauern nicht auf dem Damm ist, so geht die Wirtschaft hinter sich; und so war denn auch bei den Werners alles schlechter geworden, so daß der Sohn dieses Mannes, welcher den Hof jetzt besaß, mit großer Arbeit und Mühe wieder alles hochbringen mußte. Dieser Mann hatte nun unter anderen Kindern eine sehr hübsche Tochter, welche ihrer Großmutter wie aus dem Gesicht geschnitten war; sie war fein und zierlich von Knochen, hatte einen leichten tänzelnden Gang, große heitere Augen, und alle Leute waren ihr gut »so weit«, wie sie sagten, nämlich das Wirtschaftliche ausgenommen.

Der junge Ibe faßte eine Neigung zu dem Mädchen. Er sprach mit seiner Mutter, und die riet ihm ab, sie erzählte ihm, wie oft der Großvater des Mädchens zu ihrem Schwiegervater gekommen war und sich der Ordnung in dem fremden Haus gefreut hatte; der alte Werner war ein frommer Mann gewesen, und es hatte niemals Unfrieden in der Ehe gegeben, er hatte sein Kreuz still getragen und seiner Frau keine Vorwürfe gemacht, nur den Freunden hatte er einmal gesagt: »Es ist meine eigene Schuld, ich habe es gewollt.« Der junge Mann ließ den Kopf auf die Brust hängen und sagte: »Das ist ja alles richtig, ich weiß es auch selber; aber wo die Liebe einmal ist, da ist nun nichts zu machen.« Der Vater schüttelte den Kopf und sagte: »Du mußt es wissen, sie wird deine Frau, du hast es einmal zu tragen.«

So kam es denn zu der Hochzeit zwischen den beiden jungen Leuten, und die alten Ibes gaben den Hof ab. Es schien alles gut zu gehen. Der junge Ehemann war sehr still, ruhig und fleißig; die junge Frau nahm sich ihrer Arbeit an, sang im Hause und lief mit eiligen Füßen von der Küche zum Kuhstall, vom Kuhstall zur Milchkammer. Der Vater nickte mit dem Kopf und sagte: »Es geht besser, wie ich es gedacht hatte«; nur die Mutter war noch immer besorgt; sie sagte: »Mir gefallen ihre Augen nicht, das sind naschhafte Augen, wie die Ziegen sie haben; mir tut das Herz weh um meinen armen Jungen, daß der sich so abschinden muß für so eine.« Aber dann verbot ihr der Mann den Mund und erwiderte: »Das ist nun immer so gewesen, daß die Schwiegermutter die Schnur nicht leiden kann.«

Es wurde das erste Kind geboren und getauft, ein Knabe. Als das Taufessen zu Ende war, wurde der Knabe hineingebracht in die große Stube, wo die Gesellschaft an dem langen Tische saß; der Großvater hielt ihm in der einen Hand eine Bibel vor und in der andern einen blanken Taler; das Kind machte eine Bewegung, als greife es nach der Bibel. Dem Großvater kamen die Tränen, er küßte mit seinen stacheligen Lippen das Kind auf die zarte Stirn und sagte: »Er wird ein Ibe, er wird ein guter Mann und kein Raffer.« Die Großmutter saß neben ihm, die Haube auf dem Kopf, deren Bänder lang herunterhingen. Sie sagte: »Die Ibes haben immer Frauen gehabt, die es zusammengehalten haben, da brauchten sie nicht zu raffen.«

Die Äcker und Wiesen, welche zum Ibeschen Hof gehörten, lagen an zwei Stellen in der Flur ziemlich abgerundet beieinander. Nur sprang bei den Wiesen ärgerlich ein fremdes Stück in das Gebiet ein; es gehörte einem Nachbarn, dem nicht viel an dem schmalen Streifen lag; er wollte ihn gern verkaufen und forderte einen mäßigen Preis, denn das Stück war für ihn selber schwer zu bewirtschaften; für fünftausend Mark sollte es Ibe haben.

Es waren nicht gerade günstige Zeiten für die Landwirtschaft und der junge Bauer konnte jährlich nicht viel erübrigen, zumal er noch viel an die Eltern abgeben mußte; die großen Einnahmen gingen immer wieder für den Betrieb auf; er wollte aber doch abwarten, bis er den Kaufpreis erspart hatte, denn es war ihm gegen das Gefühl, seinen Hof mit einer Hypothek zu belasten. In seinem Schapp hatte er ein verborgenes Kästchen, in welchem er das Geld sammelte, das er nicht wieder in der Wirtschaft brauchte; wenn er hundert Mark zusammen hatte, so machte er mit dem Messer eine Kerbe in den Rand des Kastens und gab das Geld seiner Frau mit in die Stadt, damit sie es auf die Sparkasse lege.

Auf diese Weise hatte er wohl an die zehn Jahre gesammelt; Groschen, die er erspart, wenn er bei der Gemeinderatssitzung sich das Glas Bier versagt hatte, das Geld für einen neuen Anzug, das er nicht ausgegeben, weil der alte noch einmal gewendet war; der Preis für ein Kalb; eine unerwartete Einnahme für Äpfel, und ähnliche ganz kleine und auch etwas größere Summen. Er zählte nun seine Schnitte noch einmal über, der Kaufpreis war zusammen.

Am Sonntag besprach er mit dem Nachbarn den Kauf; der Nachbar nahm sein Wort nicht zurück, und so verabredeten denn die beiden, daß sie in der kommenden Woche in die Stadt gehen wollten und den Kauf beim Gericht in Ordnung bringen.

Am Morgen des bestimmten Tages rasierte sich Ibe, zog seinen Sonntagsanzug an und ließ sich von seiner Frau das Sparkassenbuch geben. Das Wägelchen stand schon angespannt im Hofe, er schwang sich auf, winkte der Frau noch einmal zu, welche in die Tür trat, das Jüngste auf dem Arm und den Ältesten neben sich an ihre Schürze festgeklammert, und fuhr aus dem Hofe.

Er fuhr erst bei der Sparkasse vor, um das Geld zu erheben; mit dem Nachbarn hatte er verabredet, daß er sich mit ihm im Gericht treffen wollte, denn beide hatten noch andere Geschäfte zu erledigen. Ein Junge hielt ihm das Pferd, er ging in das Gebäude zur Zahlstelle, zog sein Buch und reichte es dem Beamten, und forderte fünftausend Mark Rückzahlung.

Der Beamte nahm das Buch, blätterte es kurzsichtig auf, legte es vor sich auf sein Pult, rechnete und schüttelte den Kopf, rechnete wieder und sagte dann: »Es stehen nur achtundzwanzig Mark sechzehn Pfennige auf dem Buch, Herr Ibe.«

Ibe verstand erst nicht, was der Beamte meinte und wiederholte, daß er fünftausend Mark erheben wolle, der Rest solle stehen bleiben. Nun erklärte ihm der Beamte, daß immer wieder in kleinen Summen von dem Buch abgehoben sei; Ibe sah ihn an, der Beamte legte ihm das Buch vor und zeigte ihm die Zahlen; endlich begriff Ibe; er tat, als habe er das Sparkassenbuch verwechselt, er sagte dem Beamten, daß er noch ein Guthaben bei der Bank habe; der Beamte lachte und sagte, wenn man nicht viel mit Geld umgehe, so kommen solche Verwechslungen vor, dann schieden die beiden Männer mit freundlichem Gruß.

Auf dem Gericht traf Ibe mit dem Nachbarn zusammen. Er sagte ihm, es tue ihm sehr leid, daß er wortbrüchig werden müsse; ein alter Geschäftsfreund habe ihn heute angegangen, ihm eine Hypothek von fünftausend Mark auf sein Haus zu geben, der Mann könne das Geld nicht anderswoher bekommen und sei in großer Bedrängnis, so habe er es ihm gegeben, trotzdem er nun vor dem Nachbarn dumm dastehe und die Wiese, die er sich so lange gewünscht, sich müsse entgehen lassen. Der Nachbar tröstete ihn gutmütig und sagte ihm, es sei doch richtig, einem Menschen zu helfen, wenn man könne, die Wiese werde ihm nicht entgehen, und es sei auch nicht so unrecht, wenn man Geld auf Zins anstehen habe; die vierteljährliche Zahlung tue einem wohl. So schlugen sich denn die beiden Männer trotz des nicht abgeschlossenen Geschäfts freundschaftlich in die Hände und wendeten sich, das Gerichtsgebäude zu verlassen.

Ibe kam zurück auf seinen Hof, spannte das Pferd los und brachte es in den Stall, wo er ihm das Geschirr abnahm; dann schob er das Wägelchen in den Schuppen. Er übersah noch einmal den Hof und ging dann in die Wohnstube.

Die Bäuerin saß am Fenster und besserte die Hose des Jungen aus, der mit bloßen Beinen neben ihr auf der Diele saß. Sie sagte nichts und beugte nur den Kopf tiefer über ihre Arbeit. Der Bauer ging schweigend einige Male in der Stube auf und ab. Plötzlich schleuderte die Frau die Knabenhose schluchzend auf die Erde, warf sich die Schürze vor das Gesicht und lief aus dem Zimmer.

Unfern des Hofes lief das Geleis der Bahn. Gegen Mitternacht fuhr immer ein Schnellzug mit lautem Geräusch durch, einer jener Züge, welche die Hauptstadt des deutschen Reiches mit den andern Hauptstädten Europas verbinden. An den hellerleuchteten Fenstern gehen Menschen entlang, in den Abteilen sitzen Leute aus allen Teilen Deutschlands und anderer Länder und sprechen miteinander oder lesen; im Speisewagen sind noch einige Tische besetzt von Herren, welche bei einer Flasche beisammensitzen, rauchen, und Geschäfte besprechen.

Plötzlich hält der Zug auf freier Strecke. Die Fenster öffnen sich, man fragt, Beamte laufen mit Laternen am Zug entlang, es wird gerufen.

Eine Frau ist überfahren, man hat sie tot zwischen den Rädern vorgezogen; der schon kalte Körper liegt neben dem Bahndamm; man kann nicht entscheiden, ob sie selber den Tod gesucht hat, oder ob ein Verbrechen geschehen ist und der Mörder, um den Verdacht irre zu führen, den Leichnam auf die Schienen gelegt hat.


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