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Die Gesellschaft hatte die Tafel verlassen, es hatten sich einzelne Gruppen gebildet, die sich in den Nebenzimmern niederließen. Es gab Kaffee, wirklichen Kaffee, Kaffee aus Kaffeebohnen, die Herr von Brake von einem Geschäftsfreund bekommen hatte; er hatte für fünf Pfund ein Paar Ledersohlen gegeben, die er noch rechtzeitig gehamstert.
Das Mädchen brachte auf ihrem silbernen Teller ein Telegramm für Herrn von Brake. Herr von Brake riß es auf, las es, lachte und reichte dem neben ihm sitzenden Paul Ernst die Hand. »Ich wünsche Glück,« sagte er. »Wir kennen uns ja noch nicht lange, ich habe außer Ihrem Asmus, den ich, wie Sie wissen, sehr hoch schätze, noch nichts weiter von Ihnen gelesen; aber Ihre Freundschaft mit meinem Schwiegersohn ist mir eine Gewähr dafür, daß wir uns verstehen. Sehen Sie,« er reichte Paul Ernst das Telegramm. »Eigentlich sollte Rosegger gewählt werden; nun haben Sie doch noch gesiegt.«
Paul Ernst las laut: »Ernst zum zweiten Vorsitzenden gewählt. Goethegesellschaft.«
Er sah sich erstaunt um. Der Kreis war klein, und man war der Anwesenden versichert. So erzählte denn Herr von Brake, daß er Mitglied der Goethegesellschaft sei, welche ja der heimliche Bildungsbund des deutschen Volkes ist; er war ein einflußreiches Mitglied; er hatte es bereits erreicht, daß ein verdienter früherer Staatsmann erster Vorsitzender geworden war; der Staatsmann stand der Bildung ja eigentlich ferner, er entstammte der altpreußischen Tradition und glaubte, daß Nathan der Weise von einem Juden geschrieben sei, womit er übrigens gar nichts gegen die Juden sagen wollte, die er vielmehr schätzte, denn er hatte selbst eine geborene Levysohn zur Frau, weshalb auch seine Diners immer ausgezeichnet waren, und das war nicht ohne Einfluß auf die Karriere, aber in der Goethegesellschaft waren fast alle Fürsten, es waren da die größeren Bankiers, eine Menge Geheimräte, kurz, die Goethegesellschaft war der heimliche Bildungsbund des deutschen Volkes, und so war es das Richtige, daß ein früherer Minister erster Vorsitzender wurde. Nun brauchte man aber auch eine Persönlichkeit, welche die Bildung repräsentierte.
Herr von Brake sah sich um; Paul Ernst war verschwunden, er hatte sich leise entfernt. Unter den Zurückbleibenden waren Georg von Lukács, Karl Scheffler, Leopold Ziegler, Wilhelm Schäfer und Doktor Kaufmann, der Nachfolger Georg Müllers; die fünf Herren machten ein etwas betretenes Gesicht; Doktor Kaufmann, welcher Paul Ernst als denjenigen Dichter liebt, der ihm am meisten einbringt, wurde unruhig, flüsterte den andern vier Herrn einige Worte zu und ging gleichfalls.
Herr von Brake lehnte sich unmutig in seinen Stuhl zurück. Um die Stimmung wiederherzustellen, schlug ein Anwesender vor, man solle weiter erzählen; und so folgten denn nun die nächsten Geschichten.