Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Am Weiher

Bei der Erkundung einer französischen Grabenstellung wurden die deutschen Soldaten von den Feinden bemerkt und erhielten heftiges Feuer. Sie mußten eilig zurückgehen und konnten einen Kameraden nicht mitnehmen, der einen Schuß durch das Knie erhalten hatte.

Der Verwundete lag am Rande eines dunklen Weihers, der von hohen Pappeln umsäumt war. Leuchtkugeln von beiden Seiten erhellten in kurzen Pausen die Nacht, und es wurde ununterbrochen geschossen. Der Verwundete lag still, das zerschmetterte Knie schmerzte ihn heftig.

Nach langen Stunden rötete sich im Morgen der Himmel. Der Widerschein der Röte erglänzte in dem ruhigen Weiher zwischen den Pappeln. Die Schmerzen des Verwundeten waren jetzt so heftig, daß er ein Stöhnen nicht unterdrücken konnte. Auf seinen Kleidern, im Rasen um ihn war es feucht und kalt vom Tau.

Die Sonne hob sich leuchtend am Rande des Himmels. Der Verwundete zog sein Taschenbuch vor und schrieb. Er schrieb auf: »Acht Stunden habe ich schon mit meiner schweren Verwundung gelegen. Meine Kameraden haben mir nicht helfen können. Vielleicht können sie mich in der nächsten Nacht holen. Das Bein wird steif bleiben.«

Die Sonne stieg langsam höher am Himmel, das Gras, die Uniform wurde trocken, das Frieren verschwand, ein heftiger Durst quälte den Verwundeten. Er nahm den Helm ab, schleppte sich an den Rand des Weihers, schöpfte Wasser und trank.

Die Hitze stieg. Er fühlte die Hitze, und es fröstelte ihn innerlich trotzdem. Er überlegte, wie er sein Leben nun als Krüppel einrichten konnte. Er war Dachdecker, vielleicht konnte er bei einem Buchbinder in die Lehre gehen.

Die Stunden des Tages gingen sehr langsam hin. Zuletzt wurde es Abend, die Dunkelheit stieg langsam.

Aber als es so finster war, daß er Hilfe von den Kameraden erwarten konnte, da stiegen wieder die Leuchtkugeln auf und erhellten das ganze Gelände.

Nun wurde der Hunger stärker bemerkbar. Er dachte, daß die Wunde eitern konnte, wenn keine Hilfe kam. Er überlegte es sich, daß man ihm jetzt keinen Vorwurf machen durfte, wenn er in Gefangenschaft kam, für den Dienst war er ja ohnehin nicht mehr brauchbar. Deshalb rief er nun um Hilfe.

Aber auch die Franzosen konnten nicht ihren Graben verlassen.

 

Ein junger Freiwilliger auf der französischen Seite war zum erstenmal im Graben. Er stammte aus der Gegend. Seine Eltern waren rechtzeitig geflohen; er hatte die Stelle gesehen, wo das Dorf gestanden; nur einige niedrige Mauerreste waren noch, in den Straßen häuften sich Steine, Balken und Ziegel; ein Eimer ohne Boden lag inmitten der Trümmer seines Vaterhauses. Seitdem er diesen Anblick gehabt, blieb nur noch ein Gedanke in ihm, ein wilder Haß auf die Deutschen. Er sprach nur in den abscheulichsten Schimpfworten, mit den gemeinsten Ausdrücken von den Feinden. Ein älterer Kamerad neben ihm sagte: »Wenn du erst eine Weile hier gestanden hast, dann sprichst du anders.«

Ein Schreien, wie von einer Ziege, dann ein lautes Rufen kam von vorn. Der Freiwillige erschrak und fragte seinen Nebenmann. Der erzählte ihm, da liege seit fünf Tagen ein verwundeter Deutscher und schreie, man könne ihm keine Hilfe bringen.

Die Leute im Graben taten ihren Dienst, die Sonne brannte heiß nieder, es war da auch Schatten; Essen kam; es wurde gesprochen; das Schreien und Rufen wurde immer wieder gehört. »Man wird ganz krank davon,« sagte einer der Soldaten. Der Freiwillige wollte eine Schimpfrede gegen die Deutschen ausstoßen, aber er vermochte die Worte nicht über die Lippen zu bringen.

Gegen Abend wurde das deutsche Feuer still, auch die Franzosen waren ruhig. Die Sonne ging eilig unter, Schollen und Erdhügel, welche durch das feindliche Feuer aufgeworfen waren, warfen lange Schatten. Das Rufen und Schreien dauerte an.

Der Freiwillige kroch vorsichtig aus dem Graben, eilte dem Weiher zu; da fand er den Deutschen liegen mit abgezehrtem Gesicht, großen, flackernden Augen. Ein Lächeln ging über seine Züge, er sagte auf französisch: »Guter Kamerad.« Der Freiwillige nahm ihn auf den Rücken, der Verwundete schrie und wimmerte und entschuldigte sich dazwischen, er sei sonst nicht so feig, aber er habe lange nicht gegessen und geschlafen, da werde die Natur schwach.

So kam der Freiwillige zurück in seinen Graben. Der Deutsche wurde auf die Erde gelegt, man flößte ihm etwas Branntwein ein, wollte ihm Brot zwischen die Zähne geben. Er reichte schwach die Hand zu dem Freiwilligen und sagte leise auf französisch: »Guter Kamerad, danke.« Der andere nahm die Hand nicht und wendete sich ab.

Der Deutsche schüttelte den Kopf zu den Bemühungen der Franzosen, ihm Brot zu geben, seine Zähne gingen nicht voneinander, mit einem Male veränderte sich sein Gesicht, es wurde still und schön, er sagte leise: »In deine Hände befehle ich meinen Geist.« Einer legte ihm die Hand auf das Herz; die Augen brachen, mit leisem Finger drückte ihm der Mann die Augen zu, dann faltete er ihm die Hände über der Brust.

Man fand bei dem Toten das Taschenbuch. Der Mann hatte täglich mehrmals über seinen Zustand, über seine Gedanken Aufzeichnungen gemacht. Viele Seiten des Buches waren beschrieben.

Einmal stand da: »Ich bin ungläubig gewesen. Ich habe mir nie Gedanken über die Lehren unserer Religion gemacht. Jetzt weiß ich, daß ich meine Wünsche auf Wohlergehen in diesem Leben nicht aufgeben mochte. Dieses Unglück hat mich zur Besinnung gebracht. Wenn ich noch gerettet werden sollte, so will ich in meinem Beruf ordentlich arbeiten, aber ich weiß nun, daß es noch etwas gibt, das wichtiger ist. Deshalb ist das Unglück gut für mich. Heute ist der Abend des vierten Tages.«

Die letzte Aufzeichnung lautete: »Es scheint des Allmächtigen Wille zu sein, daß ich sterben und Euch das letzte Lebewohl zurufen soll. Heute ist der Abend des fünften Tages. Heute früh habe ich noch den Herrn um Hilfe angesteht. Ich tue es nicht mehr, denn ich weiß nun, daß das nicht recht ist. Seit ich das weiß, bin ich ruhig und getrost. Der Hunger tut ja wohl noch weh und die Wunde schmerzt sehr, aber das alles ist nichts, denn ich weiß, daß Gott bei mir ist.«

Der Offizier, dem die Leute das Taschenbuch gegeben, hatte die letzten Seiten in französischer Sprache vorgelesen. Die Leute hörten still zu. Der Freiwillige aber weinte, er war noch ein ganz junger Mensch. Er stand still auf und ging zu dem Toten; dem waren die Augen geschlossen und die Hände auf der Brust gefaltet.


 << zurück weiter >>