Paul Ernst
Geschichten von deutscher Art
Paul Ernst

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Der Steiger

Das Erz, welches in der Erde gefunden wird, kommt bekanntlich auf verschiedene Arten vor. Die wohl häufigste Art ist die gangweise; in dem tauben Felsen zieht sich eine stärkere oder schwächere Ader des erzführenden Gesteins hin; dieses wird aus dem tauben Felsen herausgeschlagen und an die Oberfläche befördert, so daß nun an Stelle der Ader ein hohler Gang vorhanden ist, welcher von den Bergleuten beim Licht ihrer Lämpchen immer weiter geführt wird, so lange das erzführende Gestein reicht. Je nach der Stärke der Ader ist dieser Gang hoch und breit oder schmal und niedrig; es kommt vor, daß er so niedrig und schmal ist, daß nur ein Bergmann in ihm arbeiten kann, und auch der nur liegend, weil noch nicht einmal zum Kauern Raum genug über ihm bleibt.

Wenn das erzführende Gestein zu Ende ist, dann ist die Grube abgebaut und muß geschlossen werden; der letzte Bergmann steigt aus dem Schacht, die Leitern werden herausgeholt, die Tonnen gehen nicht mehr auf und ab, die Wasser werden nicht mehr geleitet, das Einfahrthaus wird zugeschlossen und verfällt allmählich, in Schacht und Stollen faulen die Hölzer, mit denen die Wände gesteift sind, das Gestein bricht zusammen, und nach hundert Jahren zeugt nur noch eine Halde, mit einer leichten Vertiefung in der Mitte, von der alten Grube, in welche so viele Bergleute in schwarzem Kittel, mit Hinterleder, Schachthut und Grubenlicht eingefahren sind.

Aber ob das erzführende Gestein wirklich zu Ende ist, das kann man nicht genau wissen, denn vielleicht ist es auch nur verworfen. In Urzeiten ging hier vielleicht ein Riß durch, die beiden Seiten der Felsen verschoben sich, und man findet die Fortsetzung des Ganges deshalb weiter oben oder weiter unten, weiter rechts oder weiter links. Es sind noch andere Möglichkeiten vorhanden, die aufzuzählen nicht nötig ist, denn es würde nur verwirren, wenn man sich die Erdbewegungen der Urzeiten vorstellen sollte.

Wenn man einen schön sauber ausgetuschten geologischen Querschnitt einer Gegend ansieht, dann erkennt man freilich ganz genau, wie so ein Sachverhalt ist; aber wenn man mit einem einsamen flackernden Grubenlämpchen in das dunkle Loch steigt, unten im Stollen entlang geht und sich nun vor Ort befindet, dann sieht die Sache anders aus. Heute haben in diesen Dingen die Leute, welche in die Grube steigen, nicht mehr viel zu sagen. Die Wissenschaft ist auch hier fortgeschritten; oben über Tag in seiner Amtsstube sitzt ein Mann mit der Brille, der Karten und Zahlen vor sich hat; der entscheidet heute, und er kann entscheiden, ohne in der Grube gewesen zu sein.

Früher mußte der Mann, auf dem die Verantwortung ruhte, das im Gefühl haben, was der Mann über Tag heute wissenschaftlich weiß. Man kann an eine Ähnlichkeit denken. Die Steiger hatten früher auf ihrem Schachthut einen Reiherbusch; dessen Zweck war, daß sie beim Gehen in den Stollen, wie die Käser durch ihre Fühler, merkten, wenn der Stollen niedriger wurde. Es ist doch für den gewöhnlichen Menschen nicht zu bemerken, wenn eine zarte Feder, die er auf seinem Hut hat, anstreift; der Steiger hatte ein so feines Gefühl, daß er es merkte; so merkte er auch mit dem Gefühl, ob ein Gang verworfen war, und wie er weiter strich. Nur ist der Unterschied von früher und heute, daß der Mann heute seine Vorgesetzten durch seine Karten überzeugen kann, während er damals Niemandem beweisen konnte, daß es richtig war, was er sagte.

In meiner Heimat war zu meiner Zeit die reichste Grube der Silbersegen; sie warf Hunderttausende ab. Von dieser wurde folgende Geschichte erzählt.

Etwa am Anfang des neunzehnten Jahrhunderts hatte sie einige Jahre hindurch immer geringere Erträge gegeben, endlich hörte das Erz ganz auf. Beim Oberbergamt war man überzeugt, daß die Grube abgebaut sei und man beschloß, sie eingehen zu lassen.

Der damalige Steiger Schöll, welcher die Grube unter sich hatte, zog seine Festtracht an mit dem silbernen Hinterlederschild, dem silbernen Häckel, der verschnürten Puffjacke und dem grünsamtenen Schachthut und ging zum Oberbergamt, um den Herren seine Ansicht vorzustellen. Sie beharrten bei ihrer Meinung; Schöll wurde endlich so erregt, daß er weinte; er war ein alter Mann von über sechzig Jahren, mit einem langen weißgrünlichen Bart, in den die Tränen über die grauen, gefurchten Wangen liefen. Der Berghauptmann war eigentlich nur ein vornehmer Herr, der gar nichts vom Bergwesen verstand; er hatte sich auf seine Bergräte verlassen; als er den alten Mann weinen sah, da konnte er es nicht über das Herz bringen, ihn ohne Tröstung fortzuschicken, und so erlaubte er denn Schöll, daß er noch einen Monat lang mit seiner Belegschaft suchen konnte, wo er meinte, daß der Gang sich wiederfinden müsse.

Nach einem Monat war der Gang immer noch nicht wiedergefunden, und nun sollte endgültig Schluß gemacht werden.

Schöll hatte ein Haus, das fünfhundert Taler wert war. Er bekam von einem Verwandten eine Hypothek in der Höhe des Wertes und erbot sich, für sein eigenes Geld weiterzusuchen. Der Berghauptmann redete ihm zu, daß er sich an seinen Kindern versündige, aber er konnte ihn nicht von seinem Vorhaben abbringen, denn er sagte, wenn man ihm die Erlaubnis verweigere, dann stürze er sich selber in den Schacht, und dann komme sein Blut auf das Haupt seiner Vorgesetzten.

Auch die fünfhundert Taler waren aufgebraucht, noch immer war Nichts gefunden. Die Bergleute wußten wohl, von wem sie zuletzt ihren Lohn erhalten hatten; sie traten zusammen und sagten dem Steiger, vierzehn Tage wollten sie jetzt umsonst arbeiten, denn wenn er Opfer gebracht habe, dann wollten sie auch Opfer bringen, und mehr könnten sie nicht, weil sie kein Vermögen hätten.

Als die vierzehn Tage um waren, am Sonnabend, da war noch immer Alles so, wie es gewesen.

Am Sonntag früh fuhr der Steiger Schöll allein in die Grube. Er kam vor Ort, hielt das Eisen an und schlug und bohrte das Schießloch. Dann setzte er es mit der Ladung zu, zündete die Zündschnur an und ging aus dem Weg. Nachdem die Sprengung geschehen war, kam er zurück und räumte auf; da sah er an einer großen Wand, die abgesprengt war, ein Stückchen des erzführenden Gesteins.

Nun packte er sein Gezäh zusammen und fuhr wieder zutage. Er ging, wie er war, im Arbeitsanzug, zum Berghauptmann und meldete ihm, daß der Gang wiedergefunden sei.

Das Gerücht von dem Fund verbreitete sich, noch während Schöll beim Berghauptmann war, auf unverständliche Weise in der Stadt, bei den Beamten und den Bergleuten. Die Menschen in meiner Heimat sind ruhige und stille Leute; aber nun standen sie in Gruppen auf der Straße, redeten miteinander, es füllten sich sogar die Wirtschaften, denn Jeder wollte Neues von dem wichtigen Vorfall wissen. Die Belegschaft der Grube versammelte sich in der Wohnung des Steigers, sie kam von selber; und als Schöll vom Oberbergamt zurückkehrte, da erzählte er ihnen Alles, was zu sagen war. Noch an demselben Tage war Befahrung. Es stellte sich richtig heraus, daß der Gang wieder angebrochen war.

Der Berghauptmann fragte den Steiger, was er sich als Belohnung wünsche. Schöll sah ihn groß an und sagte: »Ich habe nichts zu verlangen, ich habe nur meine Pflicht getan. Meine fünfhundert Taler muß ich wieder haben, und die Belegschaft hat noch ihren Lohn für vierzehn Tage zu kriegen, sonst sind für den Fiskus keine Unkosten.«


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