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In einer kleinen Stadt Mitteldeutschlands lebte ein alter Tischler mit seiner Frau.
Vater und Großvater des Mannes waren schon Tischler gewesen und hatten in dem Häuschen gewohnt, in welchem nun ihr Enkel hauste. Die Arbeit der Leute war im ganzen Kreise berühmt. Als der Vater starb, hatte er seinem Sohn gesagt: »Laß mir kein Denkmal auf den Kirchhof setzen, ich habe mir selber ein Denkmal gesetzt, das steht überall bei den besseren Leuten in der guten Stube.«
In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts kamen auch im Tischlerhandwerk neue Verhältnisse und Zustände auf. Es wurden Magazine eingerichtet mit großen Spiegelscheiben nach der Straße hin, in welchen die fertigen Möbel ausgestellt waren, so daß die Brautpaare, wenn sie am Vormittag ausgesucht hatten, was sie wollten, am Nachmittag schon ihre Einrichtung in der Wohnung haben konnten. Für diese Magazine arbeiteten die kleineren Tischler aus den Dörfern oder arme Gesellen, die kein Vermögen hatten und jeden Sonnabend ihr Arbeitsverdienst holen mußten. Da wurde frisches Holz genommen oder gar Holz von trockenen Stämmen, das Fournier wurde fertig gekauft, in papierdünnen Bogen, welche mit der Maschine geschält waren; da wurde eilige Pfuscharbeit geliefert, denn das Möbelstück sollte billig sein, billiger, wie es der Tischler herstellen konnte, der doch keine Ladenmiete zu bezahlen brauchte und keinen Zinsverlust für die dastehende Ware zu buchen brauchte; aber die Leute waren bezaubert von dem Laden mit Spiegelscheiben, von den fertig eingerichteten Zimmern, von denen jedes auf den Pfennig seinen ausgezeichneten Preis hatte, von dem gewandten Herrn in ehrfurchterregendem schwarzem Rock, der sie führte und liebenswürdig und schnell auf sie einsprach; und so merkten sie denn nicht, wie ihnen geschah und glaubten noch sehr verständig einzuhandeln.
Unser Meister machte die neuen Sitten nicht mit. Wenn ihm gesagt wurde, daß er sein Geschäft kaufmännisch betreiben müsse, denn dem Kaufmann gehöre die Zukunft, dann erwiderte er: »Ich habe kein Geschäft, sondern ich bin ein Handwerker, ich bin auf meine weiße Weste stolz, und das ist auch etwas wert.«
Aber so kam es, daß er einen Gesellen nach dem andern entlassen mußte.
Er hatte einen Sohn; der war bei ihm in die Lehre gegangen, hatte sein Gesellenstück gemacht, dann in andern Städten gearbeitet; der kam zurück als ein Mann Mitte der Zwanzig, um nun dem Vater behilflich zu sein. Er hielt dem alten Mann vor, daß er immer mehr zurückgehen mußte, wenn er so fortfuhr, wie er bis nun gewirtschaftet hatte. Der Vater hielt seinen Reden Nichts entgegen und erlaubte ihm ganz stillschweigend, einen Versuch nach seiner Art zu machen. Da sah er, wie der Sohn Bretter für einen Schrank zusammenschnitt. Er schüttelte den Kopf, denn der Sohn paßte die unverzinkten Bretter aneinander. Dann kam ein Paket Nägel zum Vorschein. Er fragte, was das werden solle. Der Sohn erwiderte, das Verzinken mache sich heutzutage nicht mehr bezahlt; man nagle die Bretter gut mit starken Drahtnägeln zusammen, und das Fournier decke dann alles. Den Alten übermannte eine heftige Wut. Er schrie, ihm komme kein Nagel in die Werkstatt, bei ihm werde ehrliche Arbeit gemacht; und als der Sohn, allmählich auch heftig werdend, widersprach, da wies er ihn aus dem Hause.
Er hörte lange nichts von ihm. Endlich bekam er einen Brief, er habe in Berlin in eine Weinwirtschaft hineingeheiratet, in welcher Gesänge und Gedichte vorgetragen würden, und es gehe ihm gut.
So war er denn endlich allein zurückgeblieben in der Werkstatt; die acht leeren Hobelbänke standen noch, an denen früher die Gesellen gearbeitet hatten; er selber hatte wohl gelegentlich für einen alten Kunden ein neues Stück zu machen, dessen Vorfahren schon bei seinen Eltern hatten arbeiten lassen; aber das geschah immer seltener, und seine meiste Zeit mußte er verwenden auf Ausbessern alter Sachen. Manches Stück von Vater und Großvater ging wieder durch seine Hand; er erkannte manches, das er als Kind gesehen, wie es gearbeitet wurde und erinnerte sich dabei an die Gesellen, welche damals an den Bänken gestanden; er freute sich, wenn die Besitzer das Stück gut gehalten hatten, er strich mit der Hand über die schönen Masern, die mit Liebe ausgesucht waren.
Es kam ein neuer Rechtsanwalt an das Gericht, ein junger unverheirateter Mann. Der hatte eine Liebhaberei für alte Möbel, kaufte bei den Trödlern zusammen; und da ihm der Meister als ein geschickter Handwerker genannt war, der sich auf die Arbeit nach der alten Art verstand, so gab er dem das Gekaufte, um es aufzupolieren und sonst auszubessern. Er sprach oft mit ihm von seiner Arbeit und klagte darüber, daß das alte Handwerk aussterbe, daß nur noch Pfuscher übrig seien, welche für teures Geld schlechte Arbeit liefern, denen man ein gutes Stück nicht anvertrauen könne, das in den früheren Zeiten gearbeitet sei, als die Leute noch Freude an ihrem Handwerk gehabt haben. Der Meister war ein wortkarger Mann; er nickte zu den Reden des Rechtsanwalts und erwiderte wohl gelegentlich einmal, das sei alles schön und gut, was der Herr sage, aber die Leute wollten eben heute nicht mehr bezahlen, was eine Sache koste, und der Rechtsanwalt fand ja freilich auch, daß der Meister nicht billig war.
So ging es denn mit dem Meister immer mehr zurück. Er verbrauchte zum großen Teil die alten Ersparnisse, er verkaufte das Haus, er nahm eine Wohnung in dem Viertel, wo die Taglöhner und Fabrikarbeiter wohnten; eine eigene Werkstatt hatte er nicht mehr, die Hobelbank war in der Wohnstube aufgestellt.
An einem Vormittag kam ein Handlungsreisender eines Geschäfts, welches Leim verkaufte und fragte, ob er nicht Leim bestellen wolle. Der Meister hatte seit langen Jahren den Leim immer von derselben Fabrik bekommen und lehnte ab; aber der Reisende sprach weiter, pries die Billigkeit seiner Ware, erzählte von den guten Abschlüssen, die sein Herr gemacht, wodurch er alle andern Geschäfte unterbieten könne, und redete so viel, daß der Meister nicht wußte, was er ihm antworten sollte. Er zeigte ihm seine Ärmlichkeit, versicherte ihm, daß er nur geringen Bedarf habe und daß der gedeckt sei; der Reisende sprach wieder von der großartigen Gelegenheit, kam dann auf sich selber und erzählte, wenn er nicht abends eine Anzahl Bestellungen nach Hause schicke, dann fliege er, dann bat er, doch wenigstens einmal einen Versuch zu machen, damit er einen neuen Kunden vorweisen könne; der Meister erwiderte, wenn er einen halben Zentner Leim habe, dann reiche er lange, und eine solche Bestellung könne ihm doch gar nichts nützen; der andere griff das Wort auf und sagte, er werde fünfzig Kilo für ihn vormerken; der Meister wollte von fünfzig Kilo nichts wissen und bestand auf fünfzig Pfund; es wurde noch hin und her geredet, und endlich ging der Reisende mit der Bestellung ab.
Nach einer Weile kam die Sendung, aber das war nicht ein halber Zentner, sondern fünfzig. Der Meister verweigerte die Annahme, das Geschäft klagte; die Verhandlung fand an dem Orte statt, wo das Geschäft seinen Sitz hatte, und der Meister wurde verurteilt, die fünfzig Zentner zu nehmen und zu bezahlen, denn der Reisende hatte beschworen, daß die Bestellung gemacht war.
Der alte Mann hatte noch Geld auf der Sparkasse. Das hob er ab. In der Ecke, wo das armselige Bett stand, in welchem er mit seiner alten, gekrümmten Frau schlief, denn alle guten Möbel hatte er längst verkauft, machte er eine Diele locker und verbarg unter ihr das Geld. Nun wartete er ab, was weiter gegen ihn geschah.
Der Gerichtsvollzieher kam, sah sich in dem ärmlichen Raum um, fragte, ob er Geld bei sich trage oder sonstwo aufbewahre; er schüttelte den Kopf.
Der Rechtsanwalt begegnete ihm auf der Straße und rief ihn an. Er entschuldigte sich, er müsse seine Pflicht tun, der Leimfabrikant habe ihm die Sache übergeben, er müsse suchen, daß seine Auftraggeber ihr Geld erhielten; der Meister antwortete verloren: »Ja, ja, das sagen die Menschen Einem immer, sie müssen ihre Pflicht tun.« Dann fuhr der Rechtsanwalt fort, er müsse ihn zum Offenbarungseid laden. Er kenne ihn. Er sei noch ein Handwerker vom alten Schlage, ein Mensch, wie sie heute aussterben, ein Mann, der noch an Gott glaube.
Als der Rechtsanwalt diese Worte sagte, da flog ein seltsames Lächeln über das Gesicht des Mannes. Er erwiderte: »Ich will Sie ja nicht fragen, Herr Rechtsanwalt, ob Sie an Gott glauben; diese Frage kommt mir nicht zu. Ich habe früher geglaubt; ich glaube nicht mehr an Gott.«
Damit grüßte er höflich und ging. Der Rechtsanwalt dachte lange nach über die Antwort. Er erdachte nichts Bestimmtes, denn er wußte überhaupt nicht, weshalb er nachdachte. Aber es wurde ihm unheimlich zumute.