Paul Ernst
Geschichten von deutscher Art
Paul Ernst

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Die Soldatenfrau

Im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts lebte in einer entlegenen Landschaft des Deutschen Reichs ein armer Junker, ein Herr von Meder, auf einer zerfallenen Burg mit einigen schlechtbebauten Hufen Landes, welcher drei Söhne hatte. Der älteste war bestimmt zu heiraten und die Wirtschaft zu übernehmen, dem zweiten kaufte der Vater ein Hauptmannspatent, der dritte wurde in die Klosterschule getan, um zu lernen und, wenn er sein Alter erreicht, in das Kloster einzutreten, wo der Vater einen Platz zu vergeben hatte.

Dieser dritte Sohn, Karl von Meder, war auf einige Monate bei seinem Vater zu Besuch, bevor er Profeß tat. Er arbeitete auf dem Hofe, half bei der Ernte, jagte in freien Stunden und suchte noch soviel wie möglich von dem wirklichen Leben zu erfahren, bevor er endgültig zu den Büchern zurückkehrte.

Auf einem benachbarten Ritterschlosse saß ein alter Herr von Recke mit einer einzigen Tochter Elsbeth. Dieser war früher in guten Verhältnissen gewesen, aber durch Trägheit, Spielen, Trinken und törichte Reisen war auch er fast arm geworden. Er hatte einen Freund und Genossen seiner rohen Gelage, einen kinderlosen Witwer, einen Herrn von Borst. Diesem hatte er seine Tochter irgendwie verlobt, und die Leute erzählten sich, er habe sie an ihn im Spiel verloren.

Karl hatte Elsbeth kennen gelernt und die beiden jungen Leute hatten sich ineinander verliebt.

An einem Morgen sattelte er und ritt zu dem alten Recke hinüber. Er begann, indem er ihm auseinandersetzte, daß sein Gut, wenn es ordentlich bewirtschaftet werde, bessere Erträge abwerfen müsse. Der Boden sei für Körnerfrucht nicht günstig, aber Hanau liege in der Nähe, und wenn er Obstkulturen anlege und den Bauern die Hälfte vom Ertrage abgebe, so könne er große Einnahmen erzielen. Der alte Herr sah ihn mit seinen kleinen blutunterlaufenen Augen unter den buschigen Brauen an und sagte: »Elsbeth ist dem Borst versprochen.« Beschämt und erbittert trat der junge Meder ans Fenster und sah den Borst über die Brücke in den Hof reiten; bald trat Borst mit schweren Schritten in den Saal, es wurde Wein gebracht, die Karten kamen, der junge Meder schüttelte den Kopf, wie er zum Spiel eingeladen wurde.

Elsbeth hatte gehorcht. Sie ging in den Saal, trat vor ihren Bräutigam und rief: »Borst, ich heirate dich nicht.« Der antwortete nur: »Wirst schon zahm werden. So Eine will ich gerade, wie Du bist. Meine erste Frau sagte immer ja, da habe ich mir das Saufen angewöhnt. Du sollst mich wieder zu einem Mann machen.« Sie rief: »Eher gehe ich ins Wasser.« »Wenzel!« schrie der alte Recke und trumpfte seine Karte auf. »König!« trumpfte ihm Borst entgegen.

»Ich sage dir, ich trage ein Kind von Karl, ich habe Karl lieb!« rief ihm Elsbeth ins Gesicht.

Die beiden Alten ließen die Karten aus der Hand, die Bilder auf den Tisch gekehrt. Herr von Recke fragte Karl »Ist das wahr?« Der bejahte. Da hob der Vater seine Faust, um seiner Tochter ins Gesicht zu schlagen, die schluchzend vor ihm kniete. Sein Freund hielt den Arm zurück. »Ich nehme die Kuh mit dem Kalb,« sagte er. »Marsch ins Frauenzimmer!« schrie der Vater sie an; sie ging. Karl von Meder trat vor den Bräutigam und sagte: »Willst du Genugtuung?« Herr von Borst sah ihn kurz an, nahm seine Karten wieder auf und sprach: »Ich war am Spiel.« Karl ging ohne Gruß aus dem Saal.

Am Abend kletterte er außen an der Mauer in die Höhe und kam in Elsbeths Kammer. Er trat zu ihr, die nähend in ihrem Stuhl saß, und sagte: »Wir müssen Abschied nehmen. Ich gehe nach Hanau, ein Offizierspatent kann ich mir nicht kaufen, ich trete bei meinem Bruder ein als Gemeiner. Vielleicht habe ich Fortüne, denn es ist überall Krieg.« »Ich gehe mit!« erwiderte sie. »Willst du eine Soldatenfrau werden?« fragte er. Sie nickte. Er zog seinen Degen, setzte ihn ihr auf die Brust und sprach: »Wenn du etwas gegen meine Ehre tust, so weißt du Bescheid.« Sie nickte und sagte: »Du kannst mich von deinem Sold nicht ernähren. Ich will nichts Unehrenhaftes tun. Ich nähe für die reichen Bürgerfrauen.«

Die Beiden stiegen aus dem Fenster, sie setzte sich hinter ihm auf sein Pferd und ritt mit ihm in zwei Tagen nach Hanau.

Sein Bruder nahm ihn in seine Kompagnie unter einem bürgerlichen Namen. Wie er beim Schreiber eingeschrieben war, ging er zum Regimentsgeistlichen und ließ sich trauen. Elsbeth hatte einen Glockentaler mitgenommen, ihr Patengeschenk; den gab sie dem Geistlichen. Dann suchten sich die Beiden eine Stube bei Bürgersleuten. Der Mann versah seinen Dienst, die Frau fand bald Arbeit, und so lebten sie zusammen und erwarteten die Geburt des Kindes.

Der Bruder hatte ihn nur auf Widerruf eingestellt, denn er hoffte, daß der Schwiegervater nachgeben werde, wenn er sah, daß er nichts mehr ändern konnte. Er schrieb an Herrn von Recke, teilte ihm Alles mit, stellte ihm nochmals vor, daß sein Bruder die Wirtschaft wieder in Gang bringen werde, und bat um seine Verzeihung und nachträgliche Einwilligung; er erhielt keine Antwort. Er schrieb nochmals; dann wartete er eine geraume Zeit; wie das Kind ein Vierteljahr alt war, schrieb er zum dritten Male.

Karl war auf Wache; der Bruder besuchte die Schwägerin, um ihr mitzuteilen, daß immer noch keine Nachricht kam, denn der Mann durfte von den Briefen nichts wissen. Das Kind war unten; die dreijährige Tochter des Wirts stand in der Hausschwelle und trug es mütterlich wiegend im Mantel. Die Frau saß allein am Fenster und nähte.

Wie sie weinte, suchte der Schwager sie zu trösten, indem er ihr sein eigenes Leben erzählte. Er war mit neunzehn Jahren zwischen liederliche Kameraden gekommen, hatte getrunken und gespielt und auf Ehrenwort eine Summe verloren, die er nicht bezahlen konnte. Wie er nachts zu seiner Wohnung ging, wurde ihm in der kühlen Luft seine Lage klar, und er beschloß, ein Ende zu machen. An einer einsamen Stelle zog er den Degen, klemmte den Griff zwischen zwei Pflastersteine und nahm einen Anlauf, sich in das Eisen zu stürzen; da riß ihn jemand am Kragen zurück, es war die Marketenderin. Sie fragte ihn aus, er erzählte ihr weinend alles, sie führte ihn in ihre Wohnung und wußte es durch Freundlichkeit und verständiges Zureden so einzurichten, daß er das Geld von ihr nahm und versprach, sie zu heiraten, obgleich sie zwanzig Jahre älter war wie er und einen schlechten Ruf hatte. Wenn er eine Mutter gekannt hätte, dann hätte er das nicht getan, aber die Mutter war bei der Geburt des Jüngsten gestorben. Nun erzählte er der Schwägerin, wie er mit dem Schleppsack verheiratet war. Er riß den Koller auf, und in dem engen Zimmer hin- und herrennend, schlug er sich mit beiden Fäusten verzweifelt auf die Brust und schrie: »Ein Hund bin ich, ich sollte mich totschießen, aber das Weib hat mir alle Ehre aus den Knochen gesogen, ich habe keinen Mut mehr, mich um die Ecke zu bringen.« Dann warf er sich in einen Stuhl und vergrub das Gesicht in beiden Händen.

Die Schwägerin hatte ihm mit trauriger Miene zugehört, sie kannte ja durch den Klatsch der Leute längst die Geschichte. Lange schwieg sie; dann erhob sie sich still, ging leise quer durch das Zimmer zu ihm und küßte ihn mit kühlem Munde auf die Stirn.

Er starrte sie entsetzt an, dann stürzte er zu ihren Füßen nieder und rief: »Du bist eine Heilige, Du bist eine Heilige, Du darfst ja nicht so sein wie die Andern.« Sie legte liebevoll ihre Hand auf seine Schulter. Da faßte ihn eine Raserei, er schlang seine Arme um ihre Beine, verbarg sein tränenüberströmtes Gesicht in ihrem Kleid und rief: »Ich liebe dich, ich liebe dich ja.« Sie erschrak und suchte ihn fortzustoßen; er sprang auf; umarmte sie und wollte sie küssen. Sie stemmte beide Hände gegen seine Brust und sagte. »Laß mich, sonst muß ich schreien.« Er antwortete: »Ich sterbe ja gern.«

Unterdessen dies in der Stube geschah, war der Mann abgelöst und ging nach Hause. Fast vor seiner Tür begegnete ihm sein Schwiegervater, der durch einen Zufall in die Stadt gekommen war. Die Beiden sahen sich einen Augenblick regungslos an, dann ergriff der Soldat sein Kind, welches das kleine Mädchen im Mantel tragend ihm brachte, hielt es dem alten Mann vor das Gesicht und rief: »Das ist Dein Enkel.« Das Kind freute sich, wie es so rasch hoch gehoben wurde, zappelte mit den Händchen, lachte und griff ungeschickt nach der Nase des Großvaters. Dieser sagte: »Gib mir das Kind. Ich bin nicht mehr, was ich war; ich habe einen Schlaganfall gehabt. Wir wollen zu Deiner Frau gehen.« Er eilte vor ihm her, sprang die Treppe hoch und stieß die Tür auf. Er kam gerade in dem Augenblicke, wie seine Frau den Schwager zurückstieß, daß er gegen die Wand taumelte. Der Soldat zog seinen Degen und stieß ihn dem Hauptmann durch die Brust. Wie der alte Mann mit dem Kind ins Zimmer trat, fand er den einen Bruder besinnungslos und blutig auf der Erde liegend, den andern mit verstörtem Gesicht vor ihm stehend.

Der Schwerverletzte wurde zu seiner Frau gebracht, der Soldat wurde in der gleichen Zeit abgeurteilt. Noch an demselben Nachmittag stellte sich die Kompagnie mit den Spießen in der Hauptstraße auf; vor dem Hause seines Bruders sollte der Mann seinen Gang beginnen. Er hatte gebeichtet, die letzte Ölung empfangen, der Priester stand noch bei ihm und sprach. Er wendete sich von ihm ab, zog den Koller aus und warf ihn auf die Erde, streifte das Hemd ab und sagte zu den Kameraden: »Seid barmherzig, macht's schnell.« Eben wollte er den ersten Schritt in die Gasse tun, da öffnete sich die Tür von des Bruders Hause und der Verwundete erschien, im Hemd, mit bloßen Füßen; der Verband hatte sich verschoben und das Blut sickerte ihm am Hemd nieder. Er sagte zu dem kommandierenden Offizier: »Er ist im Recht gewesen, ich wollte seine Frau vergewaltigen.« Der Offizier antwortete: »Er hat nach seinem Hauptmann gestochen.« »Er war nicht mehr Soldat, ich habe gestern schon seinen Abkehrschein unterschrieben.« Er warf das Blatt dem andern Offizier vor die Füße und hielt sich wankend am Türpfosten fest. Hinter ihm stand seine Frau und schrie: »Du verblutest, ich habe dich ausgelöst mit meinem Geld, mir gehörst du, es war mein sauer verdientes Geld.« Er antwortete: »Laß mich in Ruhe, Vettel, du bist schuld daran, daß ich beinahe ein Schurke geworden wäre an meinem leiblichen Bruder.«

Der Oberst kam mit dem Schultheiß. Das Blatt wurde ihm gereicht, er sagte: »Laßt den Mann los.« Elsbeth schrie laut auf, stürzte auf ihn zu und umarmte ihn, der Vater folgte mit dem Kinde im Arm.

Der Verwundete lag halb ohnmächtig quer über die Stufen des Haustritts, seine Frau machte sich jammernd um ihn zu schaffen, der Feldscher kam und wollte ihn neu verbinden. Er wehrte ab und sagte leise: »Ich will sterben, daß ich von dem Schleppsack loskomme. Ruft meinen Bruder und meine Schwägerin, sie sollen mir verzeihen.«

Da trat ein Mann aus der Gasse hervor, stellte sich vor den Obersten und bat, ob er reden dürfe. Der Oberst erlaubte es ihm. Der Mann sagte: »Der Hauptmann hat mir ans Gewissen gerührt, er hat gehandelt als ein ehrlicher Kerl. Nun will ich auch meine Schuld bekennen. Seine Ehe ist nicht gültig, ich habe das Weib da vor Jahren geheiratet, und weil ich mich ihrer schämte, bin ich fortgelaufen. Wie ich nach hier kam, da hatte sie den Herrn geheiratet. Sie hat mir Geld gegeben, daß ich schweigen sollte, ich habe das Geld genommen, aber ich habe es nicht versaufen können, der Wein wäre mir zu Gift geworden.« Dann zog er einen Geldbeutel aus der Tasche und warf ihn dem Weibe vor die Füße.

Der gerettete Bruder, noch immer mit nacktem Oberkörper, und seine weinende Frau knieten neben dem Verwundeten. »Nun läßt Du Dich verbinden,« sagte sie zu ihm und nahm seinen Kopf in ihren Schoß. »Du bist gut,« sprach er leise, »ich will auch gut werden.«

Der alte Vater kniete nieder zu ihnen, er gab das Kind seinem Schwiegersohn, faltete die Hände und sprach: »So will auch ich meine Sünde bekennen vor dem Volk. Ich bin ein alter Mann; ich bitte Euch um Verzeihung.«


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