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Unser Exemplar von Bd. 2 war unvollständig. Ab hier wurde deshalb ein anderes Buch mit anderer Kapiteleinteilung als Vorlage benutzt. Re. für Gutenberg


Quelle:

A. Hartleben's Verlag
Wien. Pest. Leipzig.

1872.

Dritte Auflage

X.

Für einen thätigen Menschen giebt es keine peinlichere Lage auf der Welt, als wenn er durch Krankheit oder andere Umstände zur Unthätigkeit gezwungen wird; wir fühlen diese Qualen zumeist in unserer Jugend, wo wir den persönlichen Einfluß, den wir bei dieser oder jener Sache ausüben, für viel wichtiger halten als später. Damals scheint es uns, als ob die Welt, oder wenigstens der Kreis, in dem wir uns befinden, sich nicht bewegen könnte, wenn wir nicht in das Räderwerk eingreifen; die Windmühle, die in Gang gekommen ist, ohne daß etwas auf die Steine zur Zermalmung aufgeschüttet worden, kann durch die Bewegung nicht in hellere Flammen gerathen, als wir, wenn unsere jugendliche Thatkraft und Bewegungslust ohne Gegenstand in zweckloser Aufregung mit sich selbst ringt. Dies war die Lage unseres Ákos während der ganzen Zeit, deren Ereignisse ich in den vorigen Abschnitten beschrieben. Und ich zweifle, daß ihn irgend etwas in der Welt in seinem Zimmer hätte zurückhalten können, wie es der Arzt und Vándory von ihm verlangten, wenn nicht Etelka ein paar Stunden nach der Stiefmutter mit ihrem Vater nach Tiszarét gekommen wäre und ihrem Bruder gesagt hätte, daß Vilma, die sie gleich nach ihrer Ankunft besucht hatte, es von ihm als Beweis seiner Liebe verlangte, daß er das Zimmer hüte, bis Vándory ihm die Erlaubniß zum Ausgehen ertheile.

Wie bereits erwähnt, war der Vicegespan nach seiner Frau nach Tiszarét gekommen. Réty war ein viel zu vernünftiger Mann, als daß er, sobald die Restauration geendet war und er den Willen seiner Partei, oder vielmehr seinen eigenen Willen, bis zum letzten Geschwornen durchgeführt sah, nicht unendliche Besorgniß in seiner Brust gefühlt hätte, obschon die Wunde seines Sohnes nicht im geringsten gefährlich war. »Vater bleibt Vater,« so sprach er zu den Tröstenden, unter denen sich Baron Sóskúty durch die Zahl und Breite seiner Gründe auszeichnete, »Ákos ist mein einziger Sohn – und wer weiß, ob uns das Gerücht nicht täuscht – Wunden an der Hand – wie ich von unserem verehrten Comitatsarzt öfter gehört habe« – der Erwähnte war eben zugegen – »können den Starrkrampf und den Tod herbeiführen – und wenn ich meinen armen Ákos verlieren sollte,« so oft der Vicegespan in seinem Schmerz an diese Stelle kam, seufzte er tief und trocknete sich die Augen; es war herzzerreißend, den Vicegespan in seinem Schmerze zu sehen. Dem ersten Boten von Tiszarét folgte in ein paar Stunden ein zweiter, den der Beschließer gegen den Willen des jungen Herrn abgesendet hatte, weil er dachte, daß das Gerücht auf was immer für eine Art nach Porvár habe gelangen können; er meldete dem Vicegespan das Geschehene in Kürze und über die Wunde des jungen Herrn berichtete er, daß sie nach Serers und Vándory's Ausspruch unbedeutend sei; aber obschon Réty in Folge dieser Nachricht erklärte, daß er bis zum nächsten Morgen in Porvár bleiben werde, und auch bei dem Mittagsmahle des Obergespans erschien, bemerkte man doch, daß seine Besorgniß immer zunahm, und zwar dergestalt, daß der Obergespan selbst, der seine Unruhe bemerkte, ihn aufforderte, das Mittagsmahl zu verlassen und nach Hause zu eilen, um sich mit eigenen Augen von dem Zustande des Sohnes zu überzeugen, was Réty mit den Ausdrücken der tiefsten Dankbarkeit annahm und nach Hause eilte. Er nahm seine Tochter und den Comitatsarzt mit – der Letztere beurkundete seinen Diensteifer bei dieser Gelegenheit dadurch, daß er von dem Mittagsmahle aufstand, bevor das Gefrorne, oder wie man im Auslande zu sagen pflegt, das »Eis« servirt worden war. Während des ganzen Mittagsmahles wurde Réty's grenzenlose Vaterlandsliebe gepriesen, und Krivér, der als zweiter Vicegespan in holder Freundlichkeit lächelnd neben dem Obernotär saß, warf die Frage auf, ob wohl Brutus das Todesurtheil über seine Söhne ausgesprochen haben würde, wenn in Rom die väterliche Liebe so viele Lobredner gefunden hätte? Und ob Réty nicht dennoch geblieben wäre, da ihm eine Nachtmusik bereitet worden, wenn er nicht die zarten Gefühle der Taksonyer Stände gekannt hätte? – Daß Réty, nach Hause kommend, seinen Sohn außer Gefahr fand – unter uns sei es gesagt, daß er daran keinen Augenblick gezweifelt hatte – wissen die Leser bereits; daß übrigens der Comitatsarzt, nachdem er den Zustand des Kranken untersucht, demselben statt Serers Mandelmilch – Limonade verschrieben, ist allen Jenen, die in ihrem Leben zu einem Kranken zwei Aerzte berufen hatten, so natürlich und versteht sich so von selbst, daß ich es mit Stillschweigen übergehen würde, wenn ich nicht hoffte, daß ich unter meinen Lesern ein paar Gesunde zähle. Nach der ärztlichen Berathung und einem guten Nachtmahl begaben sich alle Bewohner von Tiszarét zeitlich zur Ruhe, deren besonders der Hausherr nach den Anstrengungen des Vormittags sehr bedurfte.

In der ganzen Familie war durch den Unfall, der Ákos betroffen, Niemand so aufgeregt als Etelka; nicht nur weil Niemand den Kranken so liebte, wie sie, sondern auch weil sie durch die reinste Freundschaft mit Vilma verbunden war und alle die Unannehmlichkeiten ahnte, welche diese in Folge dieses Ereignisses treffen würden. Ueberdies mußte sie sich gestehen, daß sie diese Ereignisse einigermaßen selbst herbeigerufen, denn vorzugsweise auf ihr Einwirken und Zureden war die Zusammenkunft zwischen Ákos und Vilma zu Stande gekommen. Nachdem sie ihrem Bruder eine gute Nacht gewünscht und das Stubenmädchen, das im Nebenzimmer schlief, weggeschickt hatte, ging sie unruhig in ihrem Zimmer auf und ab, und je mehr sie das Ganze überdachte, um so mehr fühlte sie Besorgniß wegen der Zukunft. Sie kannte ihre Stiefmutter viel zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie werde jemals ihre Einwilligung zur Vermählung zwischen Ákos und Vilma geben; unter diesen Umständen war auch die Zustimmung des Vaters nicht zu erwarten, ja es schien gewiß, daß auch er seinerseits Alles aufbieten werde, um Ákos von seinem Verderben abzuhalten – und was sollte Ákos thun, wo Nachgeben, ja selbst nur die Verzögerung seines Versprechens mit Unehre verbunden war? Nach all' dem Geschehenen war die Zerstörung des häuslichen Friedens und der häuslichen Ruhe gewiß – und Etelka war ein viel zu gutes, viel zu edles Wesen, als daß ihre Seele nicht von Schmerz hätte bewegt sein sollen, wenn sie bedachte, daß vielleicht in ein paar Tagen Vater und Sohn als Feinde scheiden werden.

Unter den Erinnerungen, die ihr der unglückliche Tag bot, that ihr eine wohl: es war die Art, wie sich Kálman gegen Tengelyi benommen. Etelka kannte die Liebe, mit der Kálman seit Jahren an ihr hing; seit ihrer frühesten Jugend waren sie beinahe zusammen erzogen worden, denn zum mindesten lebten sie wie Geschwister zusammen, wozu die Nähe von Kislak hundert Gelegenheiten bot; der Freund ihres Bruders konnte ihr nicht ganz gleichgiltig bleiben. Wenn ich auch von seiner Gestalt schweige, die, so sehr sich auch das schöne Geschlecht gegen diese Behauptung sträubt, stets auf das weibliche Herz wirkt, war auch Kálmans Charakter ein solcher, der auf bessere Frauen am meisten einzuwirken pflegt; die Offenheit, die aus seinen Zügen sprach, grenzenloser Muth und jenes männliche Ehrgefühl, das aus jedem seiner Worte leuchtete, machten ihn interessant, besonders bei einem Mädchen, die in einem Manne nicht ein geputztes Spielzeug, sondern einen Mann sucht – und Etelka hatte ihrem Bruder oft gesagt, daß sie, ihn ausgenommen, Niemand mehr liebe als Kálman; aber Etelka war eines jener weiblichen Wesen, deren Gefühle mehr tief als leidenschaftlich sind, und die sich also nicht so leicht hinreißen lassen; und so wie sie die guten Eigenschaften ihres Verehrers mehr würdigte, als aller Andern, so erkannte auch Niemand die Fehler besser, durch die jene verdunkelt wurden. Kálmans Leidenschaftlichkeit, die Schwäche, sich vom Eindrucke des Augenblicks hinreißen zu lassen, seine Eitelkeit endlich, von der Keiner unter uns ganz frei ist, und gegen die wir uns vielleicht eben darum so streng bezeigen: dies Alles war ihrer Aufmerksamkeit nicht entgangen, und so oft Ákos dem Freunde das Wort redete, antwortete Etelka immer, daß sie ihr ganzes Leben nicht einem Manne vertrauen wolle, der alle diese Fehler in so hohem Grade besitze wie Kálman, wenn sie keine Merkmale der Besserung gewahre. Daß Etelka gegen Kálman nicht gleichgiltig war, ergiebt sich aus dem Gesagten – welches Mädchen, die hochmüthigen Coquetten abgerechnet, bliebe auch gleichgiltig, wenn sie sich wirklich geliebt sieht? – Wie der Liebesgott mit verbundenen Augen seine Pfeile abschießt, so rühren wir das Herz der Geliebten, wenn wir, von Leidenschaft geblendet, nicht wissen, was wir thun; aber wer Etelka besitzen wollte, mußte nicht nur ihr Herz, sondern auch ihre Ueberzeugung für sich gewinnen, und dies war Kálman bis jetzt nicht gelungen. Die Art jedoch, wie er sich bei der Restauration gegen Tengelyi benommen, hatte ihn vor Etelka's Augen auf eine viel höhere Stufe erhoben. Kálmans Handlungsweise war in diesem Falle schon an sich selbst edel – er, der die Feindseligkeit zwischen Tengelyi und den Réty's kannte, mußte fühlen, daß er mit jedem Worte, das er für den Notar sprach, eine neue Scheidewand zwischen sich und Etelka aufthürmte, und dennoch hatte er gesprochen; hierzu gehörte Selbstverleugnung, wahrhafte Tugend, die am Ende doch nichts ist, als die Unterordnung des Egoismus unter die Pflicht; Etelka, die Kálmans ganze Liebe kannte, fühlte dies tief, und wer in diesem Augenblick in ihr Herz hätte schauen können, würde wahrscheinlich gesehen haben, daß Kálman seinem Ziele um so viel näher gerückt sei, als er sich durch seinen Muth davon entfernt zu haben glaubte – so viel ist gewiß, daß Etelka, als sie Kálmans gedachte, seine Fehler nie weniger aufzählte, als eben diese Nacht.

Als Etelka sich endlich zur Ruhe begab, ließen diese Gedanken sie lange nicht schlafen, und eben, als ihr die Augen zufielen, schreckte sie Wagengerassel aus ihren Träumen auf, in denen die Restauration, Räuber, des Bruders blutige Gestalt und Kálmans Gesichtszüge sich bunt gemengt hatten. – Etelka setzte sich im Bett auf und horchte. Schnelle Schritte wurden hörbar, mit denen Jemand die Stiege heraufging, den Gang entlang wandelte, die Thür des Nebenzimmers aufschloß und eintrat. Es war Macskaházy, der nach Viola's Gefangennehmung mit den Schriften nach Tiszarét zurückkehrte, und dessen Zimmer – wie meine Leser wissen, wenn sie auf die früheren Ereignisse zurückdenken – gerade in der Nachbarschaft von Etelka's Zimmer und nur durch eine dünne Ziegelwand davon geschieden war; und wie das Stubenmädchen, als sie bei Gelegenheit der letzten Restaurations-Conferenz mit dem Notar von Szent-Vilmos in diesem Zimmer verweilte, und als sie später bemerkte, daß Macskaházy die ganze Zeit über im Nebenzimmer gewesen, die Furcht empfand, daß der Fiscal jedes Wort ihres Gespräches gehört haben werde, so hörte jetzt Etelka in der nächtlichen Stille jede Bewegung im Nachbarzimmer. »Woher mag der wohl so spät kommen?« so dachte sie; weil sie aber dem Ganzen kein Gewicht beilegte, wollte sie eben wieder einschlummern, als Macskaházy's Stimme ihre Aufmerksamkeit erregte.

Der Fiscal hatte wahrscheinlich Licht angezündet, und dem Geräusche nach zu urtheilen, blätterte er in Papieren. »Hier sind sie,« sprach er halblaut in unzusammenhängenden Worten, »hier sind Tengelyi's sämmtliche Adelsbriefe – Na! Jetzt kannst Du Deinen Adel suchen, stolzer Notär! – Und hier die Schriften, die von der gnädigen Frau so lange gesucht werden; so – hinein mit ihnen in die Tischlade; wohlfeil bekommt die Niemand von mir.« Macskaházy schloß den Schreibkasten und ging, sich die Hände reibend, auf und ab. Etelka hatte diese Worte nur mit Mühe verstanden und konnte blos so viel daraus schließen, daß hier eine großartige Spitzbüberei geschehen war, als ihre Aufmerksamkeit abermals durch Schritte auf dem Gange in Anspruch genommen wurde. Die Thür des Nebenzimmers ging wieder auf und Macskaházy sprach mit gewohnter kreischender Stimme: »Wir sind in Ordnung, gnädige Frau – Viola ist gefangen; er hat sich gewehrt wie ein Verzweifelter, aber wir haben die Hütte angezündet und haben ihn durch Rauch herausgetrieben wie die Bienen; auch die Schriften sind in meine Hände gekommen.«

»Wo sind sie?« sprach etwas leiser eine andere Stimme, an welcher Etelka allsobald ihre Stiefmutter erkannte.

»Ich habe sie in's Feuer geworfen, sobald sie in meinen Händen waren,« sprach der Andere, »so machen sie wenigstens keine Confusion mehr; es war Alles beisammen – Tengelyi's Schriften, nach denen sich Euer Gnaden so gesehnt.«

»Sprechen Sie leiser, um's Himmelswillen,« unterbrach ihn die Vicegespanin; »Etelka ist gestern Abend mit ihrem Vater zurückgekommen, wenn sie nicht schläft, so hört sie Alles.« Macskaházy, dem die Rückkunft des Vicegespans und seiner Tochter unbekannt war, dämpfte nun seine Stimme zum Flüstern, so daß Etelka nichts mehr verstehen konnte.

Nachdem sich die Stiefmutter entfernt, kam kein Schlummer mehr in Etelka's Augen; ungeduldig sah sie dem Morgen entgegen, eilte so bald sie konnte zum Bruder und theilte ihm Alles mit, was sie zufällig erfahren. Hierauf wurde jener Brief an Kálman geschrieben, den die Leser schon kennen, und der alte János ritt nach Kislak.

Nach diesem Allen, was wir zur Verständlichkeit des Ganzen nachträglich berichten mußten, können die Leser die Unruhe begreifen, mit der Ákos und Etelka an jenem Morgen nebeneinander saßen, als János von Kislak zurückkehrte. Viola war gerettet, aber was sollten sie jetzt beginnen? Es blieb kein Zweifel übrig, daß Vándory's Schriften auf Befehl ihrer Eltern, oder wenigstens der Stiefmutter geraubt worden waren. Sollte es wahr sein, daß – wie Kálman neulich gehört – diese Schriften ihres Vaters unglücklichen Bruder betrafen, der das elterliche Haus als Jüngling verlassen, und daß Vándory in dieses Familiengeheimniß eingeweiht sei? Und wenn es so ist, warum diese Geheimthuerei? Warum sprach er nicht schon längst – warum spricht er nicht jetzt? Kann man von Vándory voraussetzen, daß er, wenn dieses unglückliche Glied der Familie noch lebt, und irgend Jemand die Absicht hätte, es seiner Rechte zu berauben, zu dieser Niederträchtigkeit hilfreiche Hand bieten wollte? Und wenn diese Voraussetzung nicht wahr ist, was für Schriften kann der ehrliche Prediger haben, deren Vernichtung der Stiefmutter so am Herzen läge, daß sie deshalb ein Verbrechen begeht? Das Ganze ist ein großes Geheimniß, und überall die Ungewißheit gleich groß, was sie nun zu thun haben. Die Schriften, unter denen sich auch die Beweise für Tengelyi's Adel befanden, waren nicht vernichtet worden; Etelka hatte sehr deutlich gehört, wie sie Macskaházy in seinen Kasten einsperrte – und daß er der Vicegespanin vorgelogen, daß er die Schriften verbrannt, bewies, daß er sie aufbewahren und auch ferner zu seinen Zwecken benützen wolle. Wie konnte Ákos zu diesen Schriften gelangen, die ihn zum Theil so nahe angingen? Sollte er von Macskaházy Rechenschaft fordern? Aber wird er nicht Alles leugnen – und würde ihn nicht gerade dies bestimmen, die Schriften zu vernichten? Und wie kann ihn Ákos zwingen, den Raub zurückzugeben, wenn er nicht offen gegen den Verbrecher auftritt, oder in diesem Falle gegen die eigenen Eltern? Wenn er aber schweigt, wird Macskaházy die Schriften nicht zu hundert schlechten Streichen mißbrauchen, und lastet dann die Verantwortlichkeit nicht auch zum Theile auf Demjenigen, der durch offenes Auftreten diese schlechten Streiche hindern könnte? – Es giebt Augenblicke, wo wir unsern Verstand verwünschen, der uns an alle Möglichkeiten erinnert, und die Thiere um ihren Instinct beneiden könnten, der sie ohne Wahl auf die Bahn leitet, die ihnen von der Natur vorgezeichnet ist; Augenblicke, in denen wir fühlen, daß die sogenannte Freiheit des Willens nichts Anderes ist, als die unglückliche Eigenthümlichkeit des Menschen, zweifeln zu können.

Nachdem Ákos alle diese Möglichkeiten aufgezählt hatte, sprang er vom Sopha auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab. »Was sollen wir thun?« sprach er endlich, »sollen wir zugeben, daß Tengelyi vor unsern Augen durch einen Schurken um seine Rechte gebracht wird, sollen wir unthätige Zeugen dieser Niederträchtigkeit sein, die wir vielleicht hindern könnten? Oder sollen wir, wir, Réty's Kinder, offen gegen unsere Eltern auftreten? – Das ist entsetzlich!«

»Wir thun gar nichts; wenn man nicht weiß, was man thun soll, so ist dies immer das Klügste,« sprach Etelka, die – wie es bei Frauen in solchen Fällen gewöhnlich – obschon jünger als Ákos, viel verständiger war. »In den nächsten paar Tagen wird Macskaházy die Schriften nicht vernichten und sie auch zu keiner Niederträchtigkeit benützen können, ohne daß wir es bemerkten. Indessen haben wir genau Acht auf Alles, was um uns vorgeht. Es ist nicht meine Gewohnheit, es ist sogar gegen meine Grundsätze, aber dennoch werde ich meiner weiblichen Natur, der Neugierde, nachgeben und an der Wand horchen. Wenn wir etwas Neues entdecken, oder uns etwas Gescheidtes einfällt, so können wir uns später zu einem Schritte entscheiden.«

»Der gerade Weg ist der beste,« antwortete der Bruder, »horchen, spioniren ist nichts für uns; diese Menschen betrügen uns zehnmal, und wenn Du ein ganzes Jahr an Macskaházy's Wand stehst, so kannst Du gewiß sein, daß Du kein Wort mehr hörst, so gewiß Du auch heute Nacht nichts gehört hättest, wenn er gewußt hätte, daß Du zu Hause bist. Das Natürlichste ist, wenn ich mit meinem Vater rede.«

»Wenn Du willst, daß die Schriften noch heute vernichtet werden,« sprach Etelka, »so brauchst Du nichts Anderes zu thun; die Schritte der Stiefmutter und Macskaházy's mögen ihm nun bekannt sein – was Gott verhüten möge – oder nicht, so viel ist gewiß, daß die Schriften in demselben Augenblick für ewige Zeit verschwinden, sobald Jemand argwöhnt, daß ein Theil des Geheimnisses uns bekannt ist.«

»Du hast Recht,« sprach der Bruder und warf sich auf einen Stuhl; »wir müssen dulden, uns verstellen, wenigstens so viel als uns möglich ist.«

»Sei auf Deiner Hut,« sprach jetzt Etelka, indem sie vom Sopha aufstand und sich zum Weggehen anschickte, »ich höre des Vaters Schritte auf dem Gange, wahrscheinlich wird er mit Dir von Vilma reden; überwinde Dich und bleibe ruhig.«

Sie reichte ihm die Hand, küßte jene des Vaters, mit dem sie an der Thür zusammentraf, und entfernte sich.

Das Verhältniß, in welchem Vater und Sohn zu einander standen, war nicht so herzlich, nicht so grenzenlos vertrauend, als es zum Glücke des häuslichen Lebens nöthig ist. Wenn das Schicksal uns noch so nahe aneinander stellt, die Gedanken aber ganz andere Richtungen verfolgen und unsere Herzen nicht dieselben Wünsche hegen, so werden wir nie wirklich mit einander vereint, und Blutverwandtschaft, sei sie auch die nächste, kann die Bande nicht ersetzen, durch welche gleiche Ueberzeugung zwei Wesen aneinander kettet. Es möge jedoch Niemand denken, daß zwischen dem Vicegespan und seinem Sohne jener ewige Zwiespalt, jene Feindseligkeit bestand, die wir in adeligen Familien zwischen Vater und Sohn leider häufig finden; die Liebe des alten Réty zu seinem Sohne war sichtlich, und dieser vergaß die Ehrfurcht nie, die er seinem Vater schuldete, und vielleicht ahnte Keiner von Beiden, daß der Friede, in dem sie lebten, nicht das Resultat des Einverständnisses, sondern nur die Folge dessen war, daß es keinen Gegenstand gab, in welchem ein Zusammenstoß möglich war. Die Entfernung ist in der geistigen und physischen Welt ein Begriff, zu dem uns nur die Erfahrung führt. Und wie das Kind sich Alles gleich nahe glaubt, bis es die Strecke, die es von dem Gegenstande trennt, gemessen hat, so hatten Vater und Sohn die Entfernung wahrscheinlich noch nicht geahnt, in die sie von einander gerathen waren, indem der Eine dem Resultate seines Nachdenkens, der Andere den Einflüsterungen seiner jugendlichen Seele nachhing. Jetzt, als der Vater gekommen war, um mit dem Sohne über Vilma zu reden, jetzt, als er ihm die Hand drückte, mochte er vielleicht zum ersten Male das Verhältniß ahnen, in welchem er zu seinem Sohne stand.

Nach den gewöhnlichen Fragen über die Gesundheit, die des Sohnes sich wieder röthende Wangen von selbst beantworteten, saßen Beide eine Weile schweigend nebeneinander, bis endlich der Vicegespan sich überwand und das Gespräch eröffnete.

»Mein Sohn,« so sprach er und zwang seine Lippen zum Lächeln, was er gewöhnlich zu thun pflegte, wenn er nicht wußte, welcher Gesichtsausdruck in dem Augenblick am besten sei, »ich sollte Dir wohl Vorwürfe machen wegen Deines letzten Abenteuers; nicht deshalb, daß Du Deinen Vater bei der Restauration nicht durch Deinen Einfluß unterstützt hast – wir haben mit Gottes Hilfe unsere Feinde auch so besiegt – aber daß Du Dein Leben in Gefahr gebracht hast; bedenke die Gefühle Deines Vaters in einem solchen Augenblicke.«

»Lieber Vater, es ist gut, daß wir davon sprechen,« erwiderte Ákos, und im Beben seiner Stimme war die innere Aufregung erkennbar, »wir müssen die Sache unter uns sobald als möglich in's Reine bringen, und es ist besser jetzt, als auch nur um eine Stunde später.«

»Uebereilen wir uns nicht,« fiel ihm der Vicegespan in's Wort, dem die Art nicht gefiel, mit der Ákos seine Aeußerung aufgefaßt hatte; »Du bist aufgeregt, sprechen wir davon ein andermal, vielleicht fühlst Du Dich noch schwach.«

»Nein, Vater,« erwiderte Ákos lebhaft, »meine Ehre ist in Frage gestellt, hier kann von Uebereilung nicht die Rede sein. Sie wissen, daß ich Vilma liebe.«

Der Vicegespan lächelte, und Ákos erröthete, als er dies bemerkte. »Fürchten Sie nicht, daß ich mein Gefühl beschreiben werde, es scheint ohnedies, daß ich nicht verstanden würde; aber mein Vater kennt die Unvorsichtigkeit, zu der mich Tengelyi's Hartnäckigkeit gezwungen, der nicht wollte, daß ich sein Haus besuche und seine Tochter sehe.«

»Tengelyi war in gewisser Beziehung immer ein vernünftiger Mann,« fiel Réty ein.

»Es mag sein, ich will darüber nicht streiten,« fuhr Ákos immer wärmer fort, »es gehört nicht hierher, ob es vernünftig ist, von einem Menschen Dinge zu verlangen, die unmöglich sind, ob es zweckmäßig ist, gegen Empfindungen anzukämpfen, die wir dadurch nicht erdrücken, sondern nur Das erzwecken können, daß sie verheimlicht werden. Mein Vater weiß, was geschehen ist, er weiß, daß Vilma's guter Ruf bei all' ihrer Unschuld gelitten hat, daß ich ihr Genugthuung schuldig bin, und –«

»Mein lieber Sohn,« sprach der Vicegespan dazwischen und schüttelte nachdenklich das Haupt, »laß Dich nicht zu Uebertreibungen hinreißen! Vilma's Ehre! Ich sehe nicht ein, wie diese gelitten hätte? Man muß zwar gestehen, daß das Ganze dem Tengelyi'schen Hause, und besonders der Mutter, nicht zur Ehre gereicht, aber was das Mädchen anbelangt – mein Gott, sie ist siebzehn Jahre alt!«

Diese Worte, und besonders die Art, wie sie vorgebracht wurden, verletzten Ákos in seinem tiefsten Innern, und der veränderte Ton, in welchem er sprach, machten dem Alten den Fehler fühlbar, den er begangen hatte. »Lassen wir den Hohn, Vater,« sprach er ernst, »und reden wir ruhig von der Sache. Durch das Geschehene muß Vilma's Ruf leiden; wenn ich einen Augenblick daran gezweifelt hätte, so würde mich die Art aufgeklärt haben, mit der die Mutter von ihr in diesem Zimmer gesprochen. In dieser Lage der Dinge giebt es kein einziges Mittel, meinen Fehler gut zu machen, und wie ich schon längst darüber im Reinen bin, daß ich Vilma heirate, so bin ich jetzt entschlossen, dies nicht länger aufzuschieben, und ich bitte Sie daher um Ihre Einwilligung.«

Réty hatte eine besondere Antipathie gegen alle Fragen, auf die er nur mit Ja oder Nein antworten mußte, und man kann sich die Verlegenheit denken, in die er jetzt bei einer so wichtigen Gelegenheit durch die Worte seines Sohnes gerieth. Er stotterte nur etwas von den Gefahren der Uebereilung, und daß der Gegenstand zu wichtig sei, um darüber augenblicklich zu entscheiden.

»Was mich anbelangt, für den dieser Gegenstand am allerwichtigsten ist,« erwiderte Ákos, »so kann ich Ihnen versichern, mein Vater, daß ich schon seit mehr als einem Jahre entschlossen bin. Bedenken Sie übrigens, daß nach Allem, was geschehen ist, Vilma nur als meine Braut ohne Beschämung vor die Welt treten kann, und ich will die peinliche Lage, in die ich jene Familie gebracht habe, nicht um einen einzigen Tag verlängern.«

»Mein lieber Sohn,« sprach Réty so theilnehmend, als es seine Stimme zuließ, »ich würdige Deinen Zartsinn im vollsten Maße, und ich versichere Dir, daß Du in Allem, was wir nothwendig finden werden, Deine jugendliche Unvorsichtigkeit gut zu machen, auf meinen vollständigen Beistand rechnen kannst –«

»Sie willigen also ein?« unterbrach ihn Ákos und ergriff leidenschaftlich des Vaters Hand.

Réty fuhr fort: »Zu Allem, was nöthig, damit Tengelyi durch Deinen Leichtsinn nicht Schaden leide. Gott hat uns mit Geld und Gut gesegnet, wenn Du es nöthig erachtest, so geben wir ihm eine Inskription, Vilma würde durch uns glänzend ausgeheiratet und –«

Ákos ließ des Vaters Hand los und sprang auf.

»Vater!« sprach er, und seine Wangen glühten, »also vergessen Sie, daß ich Vilma liebe, daß ich Niemand auf der Welt so liebe, daß sie dies Gefühl erwidert, daß ich lieber Allem entsage, als ihr?!« – Der Vicegespan strich sich verlegen die Haare. Ákos fuhr fort: »Glauben Sie nicht, daß ich zu meinem Haushalte irgend eine Unterstützung begehre; das Erbe meiner Mutter ist schon in meinen Händen und reicht hin, um mich und meine Frau zu erhalten. Verfügen Sie über Ihr Eigenthum, verfügen Sie über Alles nach Ihrem Gutdünken, ich wünsche nichts, als Ihre Einwilligung – versagen Sie mir diese nicht.«

Der Vicegespan war nicht gefühllos und die Worte seines Sohnes drangen ihm tief in das Herz, aber er war in jene Jahre getreten, in denen unsere Grundsätze, die wir gewöhnlich in Folge unserer persönlichen Interessen annehmen, unsern Leidenschaften gegenüber eben so stark werden, als sie in unsern jüngern Jahren schwach gewesen; wenn aber auch dies nicht gewesen wäre, so war doch der Einfluß, den seine Frau auf ihn ausübte, größer, als daß er hätte nachgeben können; und Alles, was Ákos vom Vater als Antwort erhielt, bestand in jenen allgemeinen Phrasen, mit denen die Menschen gegen Leidenschaften raisonniren, deren Tiefe sie nicht zu fassen vermögen. Gewöhnlich besteht dieses Raisonnement nur in hundert Variationen des Thema's, daß das menschliche Herz wandelbar und die Zeit jede Wunde heilt, was bei den Aerzten eben so wahr ist, wie bei den übrigen Krankheiten, nur daß die Heilung oft durch den Tod erfolgt, und daß man sich wirklich nicht zu freuen hat, wenn das Herz mit der Wunde zugleich das Gefühl verliert.

Ákos blieb unerschütterlich und wollte auch von Verzögerung nichts wissen, obschon ihm der Vater am Ende feierlich versprach, daß er ihm seine Einwilligung nicht versagen werde, wenn er jetzt auf Reisen gehe und nach einem Jahre mit unveränderten Gesinnungen wiederkehre.

»Aber ich bitte Dich, mein Sohn,« sprach endlich der Vicegespan, während der Andere in der heftigsten Aufregung im Zimmer auf- und niederging, »bedenke, was Du thust, bedenke, daß Du in Deiner Leidenschaftlichkeit Deine ganze Zukunft untergräbst. Niemand weiß besser, als Du, wie sehr ich Dich liebe. Ich habe nie auch nur mit einem Worte mich Deinen Wünschen entgegengestellt. Deine politischen Grundsätze sind den meinen entgegengesetzt – es sei, ich achte Deine Ueberzeugung und vertraue der Zeit, daß sie Dich, wie so viele Andere, auf den rechten Weg bringe; mein heißester Wunsch war, Dich passend vermählt zu sehen, aber obschon ich mehrere Mädchen kenne, die meinen Wünschen vollkommen entsprochen hätten, so habe ich doch die Bestimmung Deines Loses Dir ganz allein überlassen; hast Du Deine Freiheit nicht in solchem Maße genossen, wie vielleicht kein Sohn, dessen Eltern leben? – Gieb nur jetzt meinen Bitten nach, bedenke, daß Du jetzt einen Schritt thun willst, von dem Du nicht mehr zurück kannst.«

»Ich habe Alles erwogen und bin entschlossen,« antwortete Ákos ruhig, »außer Vilma kann nichts auf der Welt meinem Herzen genügen.«

»Und kennst Du die Welt? Und weißt Du, welche Bedürfnisse Dein Herz haben wird, wenn Deine Jugend verschwunden ist?« sprach der Vicegespan weiter. »In Deinem Alter sind die Wünsche bescheiden, ein Strohdach und die Geliebte ist Alles, was Ihr begehrt, und was noch fehlt, ersetzt unsere jugendliche Phantasie, und wenn wir in unserer Jugend unseren ganzen Besitz um ein paar Bruchstücke von Glück hinwerfen, wie die wilden Völker ihr Gold gegen kleine Spiegel oder Glasperlen vertauschen, so geschieht es nur darum, weil wir in diesen flüchtigen Genüssen unerschöpfliche Schätze zu finden hoffen. Aber glaube mir, mein Sohn, das Herz hat Bedürfnisse, die wir mit vierundzwanzig Jahren noch nicht kennen, die erst später entstehen, deren Befriedigung aber zu unserem Glücke eben so nöthig ist. Der Mann sehnt sich nach Auszeichnungen, wie der Jüngling sich nach Liebe gesehnt; nachdem wir unser Glück in der Liebe eines Herzens gesucht und uns nicht befriedigt gefunden haben, suchen wir Ersatz dafür in der Verehrung oder dem Gehorsam der Menge.«

Ákos schüttelte lächelnd das Haupt.

»Schüttle Dein Haupt nicht verneinend,« sprach Réty weiter, »die Zeit wird auch bei Dir kommen, wie bei uns Allen; Du hast einen edlen Charakter, Du bist frei von Eigenliebe und Eigennutz, aber am Ende bist Du doch ein Mensch, und Keiner kann unsere gemeinsame Natur verleugnen. Bei allen unzähligen Verschiedenheiten in den menschlichen Zügen, durch welche der Eine liebenswürdig erscheint, während wir uns von Andern mit Abscheu abwenden, bei dem Allen, daß diese Verschiedenheiten in geistiger Weise eben so bestehen, giebt es gewisse Hauptsachen, die in abweichenden Formen aber überall sich vorfinden; und wie jedes Gesicht, das schönste wie das häßlichste, Nase, Mund und Augen hat, so finden wir jene Hauptneigungen, aus denen die Natur unserer Seele besteht, überall, obschon in verschiedenem Maße. Glaube Deinem Vater, mein Sohn, die Zeit wird kommen, in welcher der Wunsch der Auszeichnung in Deiner Seele erwachen wird; Tage werden kommen, in denen es Deine Seele mit Bitterkeit erfüllen wird, daß Deine großen Fähigkeiten brach liegen, und wenn Du Deine Zeitgenossen, die Dir an Fähigkeiten weit nachstehen, hoch über Dir sehen wirst, so wirst Du Deine Thorheit verfluchen, die Dich von dieser Bahn ausgeschlossen hat.«

»Wenn es auch so wäre,« sprach Ákos, den diese Worte zwar nicht überzeugten, aber tief ergriffen, weil er die Bewegung seines Vaters sah, »wenn der Hochmuthsteufel am Ende auch in mir erwacht, wer steht dafür, daß ich Befriedigung finde, auch wenn ich Ihren Rath befolge? Nach diesen Aepfeln des Tantalus strecken so Viele die Hände aus, aber wessen Durst haben sie denn gestillt? Wer hat je nach Auszeichnung gestrebt und am Ende seines Lebens das Errungene nicht für werthlos gehalten; wer von ihnen ist nicht unbefriedigt in das Grab gestiegen?«

»Das kann bei Einzelnen wahr sein, bei Solchen, die sich ein unerreichbares Ziel gesteckt,« erwiderte der Vicegespan.

»Und wie, wenn ich auch unter Diese gehöre?« sprach Ákos dazwischen; »bis jetzt hat mich der Wunsch nach Größe nicht geplagt, aber ich fühle es, wenn diese Leidenschaft jemals in mir entstände, so würde ich mir ein Ziel stecken, welches unter Millionen kaum Einer erreichen kann. Der große Mann eines Comitats sein, mit glänzendem Titel von jenen paar tausend Menschen, die mich kennen, begrüßt werden, mein Haupt hoch tragen, wie das Rohr, das im Moraste wächst, um mich das verfaulte Element, dem ich meine Erhebung danke, schwanken und mich beugen wie das Rohr, um durch Widerstand nicht meine Schwäche zu verrathen – das ist nicht das Ziel, nach dem ich je streben könnte – und könnte ich mir wohl ein anderes auswählen?«

»Warum nicht?« antwortete der Vicegespan lebhaft, und er freute sich über diese Wendung des Gespräches, obschon er fühlte, daß des Sohnes bittere Worte seine eigene Lage schilderten, »aus einem jungen Menschen, wie Du bist, kann Alles werden. Allerdings ist der Weg, auf dem man in unserm Vaterlande zu höhern Stellen wandelt, nicht angenehm, in Deiner Lage kannst Du dem Comitatsdienst nicht ausweichen; aber bist Du nicht jung, ist Dir der Weg nicht gebahnt, um dort anfangen zu können, wo Andere enden? Nach drei Jahren trete ich ab und übergebe Dir meine Stelle; Du kennst meine Verhältnisse, Du weißt, daß ich etwas versprochen habe, was ich zu erfüllen im Stande bin. Du brauchst Deine Grundsätze nicht zu verleugnen; ja, je mehr Du gegen mich auftrittst, um so sicherer ist Deine Wahl, und wenn Du einmal Vicegespan bist, so kannst Du Alles werden – Judex curiae, wenn Du Dir Mühe giebst Judex curiae – oberster Landrichter, nach dem Palatinus die erste Würde des Reiches.

»Aber lieber Vater,« sprach Ákos, und er konnte das Lächeln nicht ganz unterdrücken, welches ihm die glänzenden Pläne des Vaters entlockten, »wenn der Lebenspfad, den Sie mir jetzt vorzeichnen, wirklich der wäre, auf dem ich zu wandeln wünsche; wenn ich wirklich Lust in mir empfände, den Weg zu verlassen, auf dem ich seit ein paar Jahren wandle, weil ich sehe, daß ich auf diesem Wege zu keinem Amte gelange; wenn ich mich entschließen könnte, eines Amtes wegen meine Grundsätze zu ändern; wenn ich auch zu Jenen gehörte, die wie Mahomet eine Weile dem Berge befehlen, daß er zu ihnen komme, und wenn er sich nicht rührt, aufstehen und zum Berge gehen; wenn ich dies Alles thun wollte: wie könnte mir Vilma dabei hinderlich sein?«

Der Vicegespan schaute verwundert auf seinen Sohn. »Vergißt Du denn, wo Du lebst? Weißt Du denn nicht, daß Du in diesem Comitate ohne Familienverbindungen nichts erlangst? Das persönliche Verdienst ist eine Null, welche Deinen Werth verzehnfacht, wenn Du Deine Stellung als Zahl voraussetzen kannst, sonst aber giebt es nichts. Glaubst Du, daß ich jemals hätte Vicegespan werden können, wenn ich statt Deiner Mutter oder meiner zweiten Frau ein nichtadeliges Mädchen geheiratet hätte?«

»Weshalb muß meine Frau von Adel sein, wenn ich es bin?«

»Ganz richtig,« antwortete Réty, der in der Lebhaftigkeit des Gespräches seine geheimsten Gedanken kundgab, »wenn Die, die Du Dir gewählt, nicht gerade Vilma, nicht die Tochter eines Dorfnotärs wäre; – wenn es Dir beliebt, so nimm Dir ein nichtadeliges Mädchen zur Frau, die Tochter eines reichen Kaufmannes, eines Capitalisten, eines getauften Juden meinetwegen; ich hafte nicht an Familienvorurtheilen, ich weiß sehr gut, daß noch Niemand das Blut gesehen hat, das in unsern Adern rinnt; aber nimm ein reiches Mädchen, dadurch wird Deine Stellung noch kräftiger. In unserer Zeit werden die Stammbäume nur insofern geschätzt, als sie bei Theilungsprocessen Beweise liefern können, und der Bürgerliche, dessen Vater geadelt worden, sieht mit Verachtung auf den Abkömmling einer mehrhundertjährigen Familie herab, wenn Dieser zu Fuß geht und Jener in einer glänzenden Equipage an ihm vorüberfährt; aber, mein lieber Sohn, Du brauchst Vermögen, wenn Du emporkommen willst, Du weißt, daß meine Güter dem weiblichen Geschlechte eben so gut angehören wie dem männlichen; ich würde viel darum geben, wenn ich es ändern könnte, aber es ist so; wenn nun Deine Frau nichts in das Haus bringt, so wirst Du nur die Hälfte von Dem besitzen, was ich jetzt habe, und –«

»Lieber Vater,« unterbrach Ákos den Redenden, »setzen wir dieses Gespräch nicht fort, das uns Beiden nur unangenehm sein muß und welches meine Gesinnungen nicht ändern wird. Ich bin entschlossen. Wenn nur von meinem Herzen die Rede wäre, so würde ich vielleicht Kraft genug in mir fühlen, mein ganzes Glück zu opfern, um meinem Vater keinen Schmerz zu verursachen; aber jetzt, wo es sich um meine Ehre und Vilma's Zukunft handelt, steht mein Entschluß unwandelbar fest. Setzen Sie mich nicht durch die Verweigerung Ihrer Erlaubniß in die traurige Nothwendigkeit, den wichtigsten Schritt meines Lebens gegen Ihren Willen zu thun.«

»Erwäge, mein Sohn,« sprach Réty mit bittendem Tone, »wie viel Dein seliger Großvater und ich uns abgemüht haben, meine Familie zu ihrem gegenwärtigen Stande zu erheben, und Du willst die Bemühungen eines halben Jahrhunderts mit einem Male Deiner Leidenschaft opfern? Erwäge den häuslichen Frieden Deines Vaters, den Du für ewige Zeiten untergräbst, denn meine Frau und Vilma werden auf dieser Welt sich nie in Freundschaft begegnen, und Deine Mutter ist eher entschlossen, mein Haus zu verlassen, als in diese unglückliche Heirat zu willigen; denk' an Deine Schwester, deren ganze Zukunft Du ebenfalls verdirbst, denn wer wird mit einem Dorfnotär in Verwandtschaft treten wollen?«

Und der Vicegespan hätte wahrscheinlich noch Vieles der Erwägung seines Sohnes zur Ueberlegung vorgeschlagen, wenn nicht in diesem Augenblick die Thür aufgegangen und die gnädige Frau eingetreten wäre, wodurch das Gespräch eine andere Wendung bekam. Réty's Vernunftgründe konnten zweifelsohne den Sohn eben so wenig überzeugen, als dieser dem Vater begreiflich machen, daß ein Mensch, im vollständigen Besitze seiner Vernunft, die Tochter eines armen Dorfnotärs der Vicegespanschaft vorzuziehen vermöge; aber Ákos liebte seinen Vater zu sehr, und der Ton, in welchem dieser sprach, war zu warm, als daß sein Herz ganz ungerührt geblieben wäre. Als aber die Stiefmutter in das Zimmer trat und wie gewöhnlich die Rednerrolle übernahm, kochte das Blut des jungen Mannes bei ihrem befehlenden Tone auf, und in jedem seiner Worte war jene Verachtung sichtbar, die er gegen diese Frau empfand, seit er sie als Theilnehmerin eines Verbrechens kannte.

»Also hast Du mit Ákos geredet? sprach die Vicegespanin im scharfen Tone zu ihrem Manne. »Und was sagt er?«

»Ich habe gesprochen,« antwortete der Angeredete verwirrt, »und Ákos sagte – daß er – das heißt, in diesem Augenblick – daß er –«

»Daß er Vilma nie entsagen wird,« fiel ihm Ákos ruhig in's Wort, »weder in diesem Augenblicke noch später.«

»Das werden wir schon sehen,« sprach Frau von Réty und warf einen giftigen Blick auf den Sprechenden. »Wenn der junge Herr glaubt, daß wir in diese Heirat jemals einwilligen –«

»Was Eure Gnaden anbelangt,« sprach Ákos mit einer Stimme, in der Jeder seine innere Aufregung bemerken konnte, »so haben wir auf Ihre Zustimmung nie gerechnet; übrigens –«

»Auch Dein Vater wird nicht einwilligen,« unterbrach ihn die Frau heftig, »mein Mann hat nie etwas Anderes gesagt, ich könnte darauf schwören.«

»Eure Gnaden haben Recht,« fuhr Ákos immer lebhafter fort, »aber ich habe die Liebe meines Vaters besessen; ich glaube nicht, daß sein Wille unabänderlich sei.«

»Der Wille Deines Vaters ist unabänderlich,« sprach Frau von Réty immer heftiger, »nicht wahr, so ist es?« – Und nachdem der Vicegespan einige Male mit dem Kopfe genickt – »Nie! nie! wird weder er noch ich die Zustimmung zu dieser Narrheit geben.«

»In diesem Falle,« antwortete der junge Mann, und warf einen kalten, verachtenden Blick auf die Sprechende, »werde ich gezwungen sein, ohne meines Vaters Zustimmung Das zu thun, wozu ich als rechtschaffener Mann verpflichtet bin; ich werde gezwungen sein, ein Haus zu verlassen, welches, wie es scheint, Andere so vollständig eingenommen haben, daß für mich darin kein Platz mehr übrig ist.«

»Und wo wird denn der junge Herr hingehen,« sprach die Frau höhnisch, »wenn wir das Glück nicht mehr haben, ihn bei uns zu sehen? Begiebt er sich vielleicht auf die Herrschaften seiner Braut?« Und sie zwang sich hierbei zu hellem Gelächter.

»Das wird nicht nöthig sein,« antwortete Ákos, der vor innerer Aufregung erbleichte und kaum vermögend war, die Gefühle niederzuhalten, die seine Brust erfüllten. »Das Erbe meiner Mutter reicht hin, um davon anständig zu leben; wenn sie noch am Leben wäre, so würde ich nicht gezwungen sein, das Haus meines Vaters auf diese Weise zu verlassen.«

»Undankbare Schlange,« schrie Frau von Réty, die sich nicht mehr bemeistern konnte, »Du wirfst mir vor, daß ich Deine Stiefmutter bin – ich bin eine geborne Baronin Andorházy, ich hatte es nicht nöthig, einen gewöhnlichen Edelmann zu heiraten, mir war es keine Gnade, vielmehr habe ich Eurer Familie Ehre gebracht. Auf das Vermögen Deiner Mutter zähle nicht, Du schlechter Sohn! Du bist noch nicht 24 Jahre alt, Dein Vater wird es Dir nicht ausfolgen.«

»Belieben Sie nicht zu vergessen,« erwiderte Ákos ruhig, »daß ich in zwei Monaten großjährig bin.«

»Und ich sage nein und hundertmal nein, aus dieser Heirat wird nichts,« schrie Frau von Réty außer sich, »ich leide es nicht, daß uns diese Schande widerfahre; wenn nicht anders, so wird Dein Vater Dich verleugnen, er wird Dich verfluchen, schlechter Sohn; ich werde es nicht leiden, daß der Name, den ich trage, verunehrt werde.«

Ákos wollte sprechen, sein Angesicht flammte, aber der Zorn erstickte seine Stimme.

»Ich werde es nicht leiden, daß meine Schwiegertochter, das Kind eines Dorfnotärs, ein namen- und vermögenloses Mädchen werde, ein Mädchen, das ich verachte.«

»Gnädige Frau!« schrie Ákos.

»Ja, eine ehrlose Person, die schon vor der Heirat Deine Maitresse war.«

Bei den letzten Worten, welche die Vicegespanin im höchsten Zorn aussprach, wurde Ákos von der heftigsten Leidenschaft fortgerissen; halb außer sich stürzte er gegen die Schwiegermutter zu und der Vater konnte nur mit Mühe seinen gehobenen Arm zurückhalten. »Wie konntest Du es wagen, so ein Wort auszusprechen?« donnerte er wüthend, »Du, die Genossin von Räubern und Dieben, Du, die Du Schande auf dieses Haus bringst; wenn ich reden wollte, so würdest Du Deinen Platz im Comitatsgefängnisse unter Räubern finden!«

Wer in diesem Augenblick die Vicegespanin gesehen hätte, mit todtenbleichem Angesichte, zitternd, die Augen zu Boden geschlagen, würde sie bedauert haben. Es läßt sich nicht denken, was der Vicegespan gethan hätte, der, mit den übrigen Ereignissen unbekannt, im Betragen seines Sohnes nur die riesigste Undankbarkeit sah, die je ein Sohn gegen einen Vater begangen, wenn nicht eben Vándory in das Zimmer getreten wäre und so den peinlichen Auftritt beendet hätte.

Als der Prediger eintrat, nahm Frau von Réty ihren Gemahl bei der Hand und führte ihn hinaus. Ákos, noch von der Krankheit schwach und im höchsten Grade aufgeregt, sank weinend auf's Sopha.

Noch war keine Viertelstunde vergangen, als ein Diener ein Briefchen brachte, in welchem Réty seinen Sohn bat, das Haus zu verlassen, sobald es ihm seine Gesundheitszustände erlaubten; – obgleich nun der Prediger versprach, daß er Alles ausgleichen werde, wollte Ákos doch nicht eine Stunde mehr im Hause bleiben. Er nahm kurzen Abschied von Etelka, die alsbald zum Bruder gekommen war, als sie das Geschehene gehört, und noch dieselbe Stunde ging er mit Vándory in des Predigers Haus.

XI.

Wir reden viel von den Wunden, die die Liebe in unserer Brust schlägt; aber ist es nicht ungerecht, daß wir bei unseren Klagen der heilenden Kraft der Liebe nicht gedenken, daß wir vergessen, wie diese Empfindung, welche die Urquelle so vieler Leiden sein kann, unser Herz zugleich gegen die übrigen Leiden des Lebens stählt, und indem sie uns neue, unbekannte Schmerzen bringt, zugleich vor jenen bewahrt, die wir sonst zu erdulden hätten? – Diese heilende Kraft der Liebe fühlte Niemand mehr als Ákos, der, aus dem Vaterhause vertrieben, aller jener Hoffnungen beraubt, deren Verlust Niemandem gleichgiltig sein kann, sich dennoch in dem Augenblicke, in dem sich jeder Andere unglücklich gefühlt hätte, durch die Liebe als den Glücklichsten aller Sterblichen fühlte.

Sobald Vándory seinen Gast bei sich eingeführt hatte, ging er zu Tengelyi. Der Notär hatte sich bei einem entfernteren Freunde Rath erholt, war nur den vorhergehenden Abend spät zurückgekehrt, und stand eben im Begriffe, zeitlich Morgens nach Kislak zu fahren, um mit Viola zu reden, als er die Nachricht erhielt, daß der Gefangene entflohen sei. Die Leser können sich den Schmerz denken, den ihm die getäuschte Hoffnung verursachte, etwas Bestimmtes zu hören; besonders da Alles, was er von Kislak vernahm, bei ihm den Verdacht bestärkte, den er schon lange gegen die Réty's hegte. Vándory's sanfte Rede beschwichtigte ihn halb und halb, die beiden Männer gingen wohl eine halbe Stunde in Tengelyi's Zimmer auf und nieder und besprachen die Lage, in welche Vilma durch die Unvorsichtigkeit ihrer Mutter gerathen war. Der Prediger ließ hierbei auch einfließen, daß Ákos seiner Liebe wegen das väterliche Haus habe verlassen müssen, und das Ende der Berathung war, daß dem jungen Manne die Erlaubniß ertheilt wurde, Tengelyi's Haus zu besuchen. Ja, Tengelyi versprach sogar, daß er der Liebe der beiden jungen Leute kein Hinderniß mehr in den Weg legen wolle. Der milde Prediger umarmte hierbei den Freund mit freudeleuchtenden Augen, eilte nach Hause und kam in wenigen Minuten mit Ákos wieder zurück.

Ich wage nicht, zu bestimmen, wodurch der Notär zu dieser Sinnesänderung vermocht wurde; ob sie durch die Ueberredungskraft des Freundes hervorgebracht worden, der allerdings alle Gründe aufgeboten hatte, die ihm das Herz zuflüsterte, oder ob es die Rücksicht auf Vilma's Zukunft gewesen, die nur dann gesichert erschien, wenn sie des jungen Réty Gemahlin würde; oder hatte endlich Vilma's Anblick so auf ihn gewirkt, die zwar vor dem Vater den Namen ihres Geliebten nie aussprach, deren Augen aber, so oft sie den Vater ansah, eine stille Bitte enthielten: gewiß ist nur Das, daß der Notär, als Ákos in das Haus trat, ihm mit Wärme die Hand drückte, und als Ákos zu seiner Entschuldigung seine unendliche Liebe anführte und um Vergebung bat, ihm mit viel weniger Vorwürfen und schneller verzieh, als man dies bei seiner sonstigen Strenge hätte hoffen dürfen. Tengelyi führte Ákos selbst zu seiner Tochter. – Die Empfindungen des Mädchens in diesem Augenblick zu schildern, überlasse ich meinen schönen Leserinnen, die derlei in ihrem Leben schon empfunden haben oder noch empfinden werden. – Der Notär kehrte in sein Zimmer zurück und sprach: »Was sollen wir endlich thun? sie lieben sich, und es scheint, das Schicksal selbst will es so.«

»Ich habe es längst gesagt,« antwortete Vándory lächelnd, »Du hast es nur nicht glauben wollen; die Zwei sind für einander bestimmt.«

»Ich war nicht immer davon überzeugt,« sprach Tengelyi ernst; »wenn wir der Freiheit entsagen, so müssen wir doch Gleichheit dafür eintauschen, wenn wir uns glücklich fühlen sollen; und die Liebe ermüdet leicht, wenn sie sich zu dem geliebten Gegenstande immer erheben oder herablassen muß. Ich habe meiner Tochter einen anderen Gemahl gewünscht, einen solchen, dessen äußere Verhältnisse ebenfalls den ihren gleich sind; ich wünschte ihr einen solchen Mann, bei dem es ihr nicht einfallen müßte, daß es schmerzlich ist, selbst von dem Geliebten so übermäßig Vieles zu empfangen, daß wir es zu erwidern unvermögend sind; aber das Schicksal hat es anders gewollt, und wie es meine Wünsche zu nichte gemacht hat, so wird es, wie ich hoffe, durch die Zukunft meine Vernünftelei beschämen. Ákos ist ein ehrlicher Mann, der sich meines unbemittelten und jetzt unadelig gewordenen Sohnes annehmen kann; der gute Ruf meiner Tochter kann nur dadurch hergestellt werden, wenn Ákos sie heiratet, und es läßt sich denken, was die Vicegespanin Alles vorbringen wird, um ihrem guten Namen zu schaden. Es wäre Thorheit, die Heirat nicht zuzugeben, wie sehr sie auch gegen meine Grundsätze streitet.«

»Erlaube mir, mein Freund,« sprach Vándory, das Haupt schüttelnd, »Deine Grundsätze sind ganz irrig; es ist unvernünftig, Jemanden seines Vermögens wegen zu ehren; aber fehlt Der weniger, der gegen Jemanden ungerecht ist, blos weil er Vermögen hat? Der Werth des Menschen liegt in ihm selbst.«

»Ohne Zweifel,« fiel Tengelyi ein, »aber wenn Du die Eiche in ein enges Glashaus pflanzest, wird sie sich so hoch erheben, wie jene, die in des Waldes Mitte ihre Aeste treibt? Und wird der Obstbaum nicht unfruchtbar, wenn er immer im Schatten steht, wo die warme Berührung der Sonnenstrahlen den Stamm nie erreicht? Und ist das bei den Menschen nicht eben so? Die ähnlichen Keime, die sie von der Natur erhalten, entwickeln sich oder gehen zu Grunde, wie es durch die Stellung möglich wird, in die sie gerathen. Glaube mir, Freund, ich rede aus Erfahrung, wenn wir den Werth des Menschen beurtheilen wollen, so irren wir seltener, wenn wir sein Vermögen von seinen persönlichen Eigenschaften abziehen, als wenn wir es hinzurechnen. Uebrigens giebt es Ausnahmen, und ich hoffe, daß Ákos hierzu gehört.« Daß der Notär Das, was er sagte, auch glaubte, war im heiteren Ausdruck seines Gesichtes zu lesen, als er Vilma, die vom Reiz der glücklichen Liebe übergossen war, neben Ákos gewahrte.

Die Liebe, die noch vor Kurzem die Ruhe des stillen Notärhauses erschüttert hatte, schüttete jetzt alle ihre Freuden über die Bewohner desselben Hauses, und Frau Elisabeth, die durch den warmen Händedruck ihres Mannes fühlte, daß ihr Fehler verziehen sei, schaute mit freudenthränenden Augen bald nach dem beglückten Paar, bald auf ihren Mann, dessen Zufriedenheit bei ihr alle Schätze der Erde aufwog. Um so mehr Besorgniß finden wir im Schlosse von Tiszarét.

Der Vicegespan war gleich nach dem Auftritt, dessen Zeugen wir gewesen, mit der Frau in sein Zimmer gegangen, dort hatte sie ihm das Geheimniß aller bisherigen Ereignisse vertraut und Macskaházy Alles erzählt, was bei Gericht geschehen. In tiefe Gedanken versunken, ging er im Zimmer auf und nieder. Frau von Réty kannte in der Bitterkeit ihrer Empfindungen keine Grenzen, sie dachte bei sich: »Also darum habe ich dies Alles gethan, darum habe ich den Frieden meiner Seele, meine Ehre, meine Existenz auf das Spiel gesetzt, damit dieser Undankbare in meinem eigenen Hause so mit mir rede? Warum habe ich mich abgemüht, warum habe ich mich in die Hände dieses niederträchtigen Macskaházy gegeben, den ich verabscheue? Nur um das Ansehen der Familie zu heben, um ihm, gerade diesem Nichtswürdigen, großes Vermögen zu sichern, ihm glänzende Aussichten zu öffnen! – Und jetzt!« Die heftige Frau weinte aus Zorn. »Ich bin ein unglückliches Geschöpf,« so jammerte sie weiter, »was war mein ganzes Leben anders als ein unausgesetzter Kampf, in dem ich meine Gefühle immer solchen Zwecken aufgeopfert, die ich nicht erreicht habe. Ich liebte, aber der meine Liebe besaß, besaß sonst nichts; ich fühlte, daß mein Herz sich nach etwas Anderem sehnte, als nach jenem stillen Glücke, das ich mit ihm hätte finden können – und ich trat mit Réty zum Altar, denn es schien, als könne ich mich durch sein Vermögen und seine Eigenschaften zu einer Stellung erheben, in der ich mich wohl fühlen würde. Und was bin ich? Eine Frau Vicegespanin, und als solche werde ich sterben; in meinem Manne ist nicht Geist und Kraft genug, sich höher zu erheben. Ich habe meinen hochfahrenden Träumen entsagt und baute meine Pläne auf einen andern Grund. Vielleicht können sich Réty's Kinder zu jener Höhe emporschwingen, die zu erreichen ihr Vater zu schwach war. Was gehen mich diese Kinder an? Sie sind nicht aus meinem Blute, sie sind nicht die Meinen, aber sie tragen meinen Namen, und ob sie gleich mich, die Stiefmutter, verabscheuen, so werde ich den Glanz, den sich Ákos erwirbt, die Stellung, in welche Etelka durch eine Heirat kommen kann, mit ihnen theilen, ich werde mich mit ihnen erheben. Mein Leben erhielt eine neue Richtung, alle meine Bestrebungen hatten nur dieses Ziel, und jetzt wird Alles zu nichte! Jeder Plan, die Berechnung langer Jahre, Alles, Alles! und nur weil Ákos Vilma liebt. – Er, dem die Welt offen steht, wirft Alles hin wegen der Tochter eines Dorfnotärs – und ich kann mich nicht einmal dafür rächen!« Wieder und wieder überdachte Frau von Réty ihre Lage und suchte ein Mittel, Ákos in seinen Plänen zu hindern; umsonst, ihr Geist war niedergedrückt durch das Gefühl der Unmöglichkeit und durch die Ueberzeugung, daß der verhaßte Notär – verhaßt, weil sie ihn nicht verachten konnte – den Sieg über sie davon tragen werde.

In diesen schmerzhaften Gedanken versunken, saß die Frau in ihrem Zimmer, als die Thür aufging und Macskaházy eintrat. Frau von Réty fragte nach ihrem Manne.

»Der Herr Vicegespan ist sehr aufgeregt,« sprach der Fiscal und setzte sich bequem auf das Sopha neben sie, worüber sich Frau von Réty nicht wenig verwunderte, da Macskaházy sonst nur nach vielem Nöthigen und auch da nur in ehrerbietiger Entfernung Platz nahm. »Eure Gnaden können sich nicht denken, wie er beklommen ist: er hat auch mir Vorwürfe gemacht; wer kann dafür? der arme Herr Vicegespan! die Sache geht freilich an den Hals, und in seiner Stellung –« Es war schon Abend, das Zimmer dunkel, aber in Macskaházy's Stimme, in seinem ganzen Benehmen lag etwas, was der Frau auffiel. »Sie scheinen heute sehr gut gelaunt,« unterbrach sie den Redenden, »in besonders heiterer Stimmung, und ich sehe keine Ursache dazu.«

» Ich sehe Ursache dazu, gnädige Frau,« sprach der Andere heiter, »wenn der Mensch sich lange Zeit um irgend etwas abmüht und endlich sein Ziel erreicht, kann er, so glaube ich, mit Recht guter Laune sein.«

»Ja wohl, aber haben wir unser Ziel erreicht?« erwiderte die Vicegespanin seufzend, »Viola hat sich befreit und auf uns ruht schwerer Verdacht.«

»Kinderei!« sprach Macskaházy immer lustiger. »Als ob Viola's Freiheit uns schaden könnte; ist er nicht zum Tode verurtheilt? Weiß er nicht, daß er, wenn er heut erscheint, um gegen uns zu klagen, morgen gehenkt wird? Und glauben Euer Gnaden, daß der Räuber sich wieder vor Gericht stellen wird, nur um gegen die gnädige Frau von Réty und meine Wenigkeit Dinge zu reden, die ihm Niemand glaubt? Der Verdacht gegen uns ist ein eitler Schrecken, mit dem man sich nicht plagen muß; je größer die Anklage ist, die Viola gegen uns erhebt, um so weniger wird sie Glauben finden.«

»Wenn Sie heute Ákos gehört hätten, würden Sie nicht so reden!« sprach die Vicegespanin, »er muß bestimmte Kunde haben.«

»Spaß!« sprach der Andere, »Spaß sage ich, sonst nichts. – Sichere Kunde? Ich frage, woher? Er hat ohne Zweifel gehört, was sich bei dem Gericht zugetragen, und hat im Zorn wiederholt, eben so wie Euer Gnaden ein altes Weib, wenn es schlecht gesponnen hat, eine Hexe nennen, ohne einen Augenblick zu glauben, daß sie auf dem Besen auf den Blocksberg reitet, um dort zu tanzen Blocksberg – nicht der deutsche Brocken, sondern der Blocksberg bei Ofen. Er hat den Namen von einem Blockhause, welches bei der letzten Belagerung daselbst errichtet worden war; jetzt steht die Sternwarte dort. Ungarisch heißt er a Gellért Hegyi, Berg des heil. Erardus, weil im 11. Jahrhundert der Bischof von Csanad durch die heidnischen Ungarn von diesem Berge in die Donau gestürzt worden war.. Der gute Ruf ist wie ein Capital, wer ihn einmal erworben hat, lebt später von den Interessen, ja, wenn er ein wenig geschickt, bekommt er dreimal so viel auf Credit, als das Capital ursprünglich werth war, nur weil ihn die ganze Welt für reich hält.«

»Sie sind heute außerordentlich lustig und sehen Alles rosenfarb,« sprach die Vicegespanin, über ihren Fiscal verwundert, der sonst jede Schwierigkeit zu vergrößern suchte.

»Wie sollte ich nicht?« sprach der Fiscal mit so zutraulichem Tone, als ihm möglich war, »wenn der Mensch sein ganzes Leben einer Familie widmet und sich solchen Gefahren ausgesetzt, wie ich in der letzten Zeit, und endlich den Moment des Lohnes kommen sieht, wie sollte sich da ein armer Mensch nicht freuen?«

»Ich verstehe Sie nicht,« sprach Frau von Réty und heftete ihre Augen auf den Sprecher.

»Aber wohl verstehen Sie mich, meine gute, gnädige Frau,« sprach der Fiscal dazwischen und im scherzenden Tone, indem er zugleich die Hand der gnädigen Frau ergriff. »Wie können Sie mit Ihrem geringen Diener so scherzen! Ist mir denn nicht, wenn ich Vándory's Schriften verschaffe, für meine treuen Dienste – propter fidelia servitia – eine Inscription versprochen? Wir sprachen davon ein paar Tage früher, als in diesem Hause die letzte Conferenz wegen der Restauration gehalten wurde. Eure Gnaden werden sich bestimmt erinnern – wir waren im Garten –«

»Ich weiß, ich weiß,« unterbrach Frau von Réty den Sprechenden.

»Und was waren,« so fuhr jener fort, »damals Eurer Gnaden Worte?«

»Mein lieber Macskaházy, an dem Tage, an dem Sie uns jene verdammten Schriften verschaffen, gehen wir zusammen in's Capitel.«

»O, Eure Gnaden, ich erinnere mich sehr gut an diese Worte, durch die Sie mich zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet haben; mit goldenen Buchstaben sind sie in meine Brust eingegraben, und –«

»Warum erwähnen Sie plötzlich dieses Versprechen?« fiel ihm die Vicegespanin ungeduldig in's Wort, »oder zweifeln Sie an meinen Worten?«

»Gott bewahre mich,« sprach Macskaházy zutraulich und drückte ihr wieder die Hand, »im Gegentheil bin ich überzeugt, daß Sie Ihr Versprechen halten wollen, und eben deshalb bin ich gekommen, zu fragen, wie wir den Inscriptionsbrief aufsetzen sollen? Euer Gnaden sehen ein, daß in der Urkunde meine Verdienste angeführt werden müssen, und daß meine Bescheidenheit –«

»Ich gestatte, daß die Verdienste, durch die Sie die Inscription erworben, einzeln aufgeführt werden,« und Frau von Réty lachte bitter. »Seien Sie unbekümmert, ich werde dafür Sorge tragen, Sie sollen die gewünschte Urkunde erhalten, aber ich hoffe, es ist nicht so dringend, daß es noch heute oder morgen geschehen müßte?«

»Wer weiß,« antwortete der Fiscal seufzend, »der Mensch ist sterblich, und –«

»Ich hoffe, daß ich noch keiner Sterbenden gleiche,« sprach Frau von Réty, die über Macskaházy's unverschämte Zudringlichkeit die Geduld zu verlieren begann.

»Gott bewahre,« fiel der Fiscal ein und seufzte wieder, »daß Ihr treuester Diener einen solchen Streich erlebe! Aber wer ist am Ende des nächsten Morgens gewiß; wie soll ich, der ich mir in Eurer Gnaden Haus außer dem versprochenen Geschenk nichts erworben habe, mein Alles auf das Spiel setzen?«

Die Vicegespanin bekämpfte die Aufregung, in die sie Macskaházy's Unverschämtheit versetzt, und so ruhig, als es ihr möglich war, bemerkte sie ihm, wie sehr der schon bestehende Verdacht zunehmen müßte, wenn gerade in diesem Augenblicke der Fiscal eine solche Belohnung erhalten würde, die Jeder nur als Bestätigung der Beschuldigung Viola's betrachten müsse. »Warten wir noch einige Zeit,« setzte die Vicegespanin so gnädig als möglich hinzu, »warten Sie nur eine kleine Zeit, bis der jetzt entstandene Lärm sich etwas beschwichtigt, und ich verspreche es noch einmal auf meine Ehre, Sie können auf die Inscription rechnen.«

Entzückt küßte ihr Macskaházy die Hand und fuhr fort: »Ich frage mit Recht, giebt es in diesem Lande noch eine solche Frau, wie meine Principalin, so überlegend, so klug, so geschäftskundig, so vorsichtig?! – Es giebt wenig Fiscale, die ihre Geschäfte mit solcher Umsicht führen. Eure Gnaden haben ganz recht, eine Inscription würde uns im gegenwärtigen Augenblick in die größte Verlegenheit bringen, und ich bin eigentlich darum zu Euer Gnaden gekommen, damit ich Sie darauf aufmerksam mache und etwas Anderes vorschlage, wodurch Ihr edles Herz meine Dienste eben so großherzig belohnen und doch Alles im strengsten Geheimniß bleiben kann. Die Sache ist sehr einfach,« setzte er nach kurzem Schweigen hinzu, »Eure Gnaden geben mir fünf vom gnädigen Herrn acceptirte Wechsel, jeden nur über 10.000 fl., und damit Eure Gnaden auch nicht die geringste Ungelegenheit haben, natürlicherweise nur mit solchen Zahlungsterminen, daß halbjährig immer nur ein Wechsel einzulösen ist. Nachher –«

»Sie scherzen!« sprach die Vicegespanin und schaute Macskaházy verwundert an, »50,000 Gulden Metallmünze?«

»Ich habe nie ernsthafter geredet,« erwiderte der Andere ruhig, »Sie belieben einzusehen – daß –«

»Aber dies ist ja dreimal so viel, als die versprochene Inscription,« sprach Frau von Réty und sprang lebhaft vom Sopha auf.

»Wenn wir den jetzigen Werth des Grundes und Bodens anschlagen,« erwiderte der Fiscal nach kurzem Nachdenken, indem er ebenfalls aufstand, »würde es beiläufig so viel austragen; aber wie gesagt, Sie geruhen einzusehen, daß das Verschaffen der Schriften mit viel mehr Plage verbunden war, als wir anfangs vermutheten, welchen Gefahren ich mich ausgesetzt habe, und wie sehr mein Name durch Viola's Aussagen compromittirt ist; außerdem habe ich dem Juden viel zahlen müssen! Wer weiß, wie theuer ich noch sein ferneres Schweigen werde erkaufen müssen, und dieses liegt in Eurer Gnaden Interesse eben so, wie in dem meinen, denn ich glaube, daß der Jude den Zusammenhang des Ganzen sehr gut kennt; es ist also nur recht und billig, daß –«

»Und Sie glauben, daß ich dies unverschämte Begehren erfüllen werde?« sprach Frau von Réty im größten Zorn, »glauben Sie, daß wir, ich oder mein Mann, so närrisch sein werden, unser Vermögen mit Schulden zu belasten?«

»Ich bin überzeugt,« antwortete der Angeredete ruhig, »daß Eure Gnaden, wenn Sie mit gewohnter Weisheit alle Umstände erwägen und meine Verdienste in Betracht ziehen, mit angeborner Großmuth –«

»Nein! nein!« unterbrach ihn Frau von Réty, »darauf rechnen Sie nicht. Ei, Herr Macskaházy, jetzt werden wir erst mit einander bekannt, jetzt wird der Diensteifer klar, mit dem Sie nur das Wohl unserer Familie befördert haben.«

»Ich glaube, zwischen uns ist eine neue Bekanntschaft nicht nöthig,« sprach Macskaházy mit seiner gewöhnlichen schneidenden Stimme, »und es ist wirklich schade, wenn Eure Gnaden durch Heftigkeit Ihrer kostbaren Gesundheit schaden, nachdem ich voraus weiß, daß Eure Gnaden, wenn Sie, wie gesagt, alle Umstände erwägen, meinen Antrag mit Freuden annehmen werden.«

»Ihr Antrag? Das ist eine niedrige Unverschämtheit,« sprach Frau von Réty gereizt, »ich möchte sehen, wer mich zwingen würde? Hängt es nicht blos von meiner Gnade ab, ob ich selbst mein Versprechen erfüllen will? Wo sind Ihre Zeugen, wo ist der Richter, der mich dazu zwingen könnte? Alles hängt von meinem freien Willen, von meiner Großmuth ab, um so mehr, nachdem die Bedingung, unter welcher ich die Inscription versprochen, durch Sie nicht einmal erfüllt ist, und die Schriften, die Sie in meine Hände zu überliefern versprochen haben, mir nicht zugekommen sind, und noch jetzt bei Vándory, und was weiß ich, in wessen Händen sein können, während Sie mit unerhörter Unverschämtheit, um von mir Geld herauszupressen, Alles, was Sie vom Verbrennen geredet, gelogen haben.«

»Wenn das Eurer Gnaden einzige Besorgniß ist,« sprach der Fiscal mit höhnender Stimme, »und ich finde natürlich, daß es so ist, denn, wie es scheint, handeln wir Beide recht, wenn wir uns so sicher zu stellen suchen als möglich – kann ich diese Besorgniß zerstreuen, denn die Schriften sind in meiner Hand und Eure Gnaden können sie in meinem Beisein jeden Augenblick durchsehen.«

Als ob der Blitz vor ihr niedergeschlagen hätte, stand die Vicegespanin erstaunt und erschreckt vor Macskaházy und stotterte nur die Frage: »Erinnern Sie sich nicht, daß Sie gesagt, Sie hätten die Schriften in's Feuer geworfen?«

»Ich erinnere mich dessen,« erwiderte der Fiscal abermals höhnend, »ja, was mehr ist, ich habe nicht nur gesagt, daß ich die Schriften verbrannt habe, sondern im ersten Augenblick, als ich sie in meinen Händen hatte, wollte ich es sogar thun; dem Himmel sei Dank, daß ich es unterlassen. Jetzt kann ich wenigstens Eure Gnaden von der Wirklichkeit meiner Verdienste überzeugen.«

»Warum haben Sie mir also die Schriften nicht übergeben?« fragte die Vicegespanin mit schwankender Stimme, aus der herausschimmerte, daß sie die Triebfedern von Macskaházy's Handlungsweise ahnte.

»Warum ich sie nicht übergeben?« erwiderte der Fiscal lachend, »und das fragen mich Eure Gnaden jetzt? Also nur darum, weil ich, der ich mein ganzes Leben dem Dienste dieser Familie gewidmet habe, nicht wie ein nutzlos gewordener Diener weggeschickt werden wollte; weil ich es nicht für rathsam hielt, den verdienten Lohn meiner Bemühungen Ihrer angebornen Großmuth zu überlassen; weil es auf jeden Fall zweckmäßiger war, mich sicher zu stellen und mich nicht narren zu lassen.«

»Sprechen wir ruhig mit einander, und wenn mich zuvor meine Heftigkeit hingerissen, warum sollten so alte Freunde, wie wir, nicht miteinander nachsichtig sein?« sprach die Vicegespanin und zwang sich zum Lächeln; »die Schriften sind in Ihrer Hand, und Jeder bestimmt den Preis seines Eigenthums – aber es kann nicht Ihr ernstlicher Wille sein, 50,000 fl. zu begehren.«

»Ich nehme nicht um einen Groschen weniger an,« erwiderte der Andere ruhig, »Schriften, um welche eine Frau, wie Eure Gnaden, sich zu solchen Thaten entschließt, wie wir vereint ausgeführt haben, sind ohne Zweifel von unschätzbarem Werth.«

»Henker!« murmelte Frau von Réty zwischen den Zähnen, während sie unruhig im Zimmer auf- und niederging. »Freund,« sprach sie endlich, als sie, ihren Grimm niederdrückend, vor Macskaházy stehen blieb, »erwägen Sie meine Stellung; ich selbst kann über so viel Geld nicht verfügen, zur Giltigkeit der Wechsel ist es nöthig, daß mein Mann sie acceptire; wie können Sie glauben, daß ich meinen Mann zu einer solchen Ausgabe bewegen könne?«

»Ich kenne die Macht, welche Eure Gnaden in diesem Hause zum Wohle der ganzen Familie besitzen,« erwiderte Macskaházy wieder höhnend, »und es hängt nur von Euer Gnaden ab, den Herrn Vicegespan mit Ihrer gewohnten sanften Weise zur Acceptirung der Wechsel zu vermögen. Eure Gnaden sind unwiderstehlich, das weiß Jedermann.«

Die Vicegespanin antwortete nicht auf diese beißende Rede, und das Zimmer war zu finster, als daß Macskaházy die Thränen hätte sehen können, die der Grimm aus ihren Augen preßte; wer aber die schnellen Schritte hörte, mit denen sie auf- und abging, konnte sich ihre innere Aufregung vorstellen. Der Fiscal sah zum Fenster hinaus und trommelte mit den Fingern einen Marsch. Nach längerem Schweigen blieb die Vicegespanin plötzlich vor dem Fiscal stehen und fragte mit festem, entschiedenem Tone: »Ist, was Sie gesagt haben, Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes,« antwortete der Andere eben so entschieden.

»Sie geben die Schriften unter 50,000 Gulden nicht heraus?«

»Gewiß nicht,« erwiderte er betroffen über den Ton, in welchem die Vicegespanin die Frage an ihn richtete.

»So behalten Sie dieselben,« sprach Frau von Réty und lachte laut auf, »und machen Sie damit, was Sie wollen. Was liegt mir daran, ob Ákos größeres oder geringeres Vermögen bekommt, nachdem er so mit mir umgegangen ist und Tengelyi's Tochter zur Frau nimmt? mich geht dies jetzt sehr wenig an, und zu etwas Anderem sind die Schriften doch kaum zu gebrauchen.«

»Ich kann mit den Schriften machen, was ich will?« sprach Macskaházy erstaunt über die Wendung, die jetzt die Angelegenheit nahm, »was ich will?«

»Was Sie wollen,« sprach Frau von Réty immer lachend weiter. »Ich begreife gar nicht, daß es mir nicht gleich eingefallen ist, daß mir die Schriften ganz gleichgiltig sind, seitdem ich den Entschluß des jungen Herrn weiß; und nach Ihrem heutigen Benehmen können Sie lange warten, bis Sie die einst versprochene, aber von Ihnen zurückgewiesene Inscription bekommen.«

»Das werden wir schon sehen,« erwiderte der Andere so schneidend als möglich. »Es ist möglich, daß die Schriften in Euer Gnaden Augen allen Werth verloren haben, seit Sie wissen, wozu Ákos entschlossen ist – es kann sein – das weibliche Herz ist immer wandelbar; in meinen Augen behalten diese gleichgiltigen Papiere noch immer ihre Wichtigkeit. Die Art, wie wir sie erworben, gnädige Frau,« und er nahm die Vicegespanin wieder bei der Hand, »bestimmt den Werth dieser Schriften.«

»Wie verstehen Sie das?« fragte Frau von Réty erschrocken.

»Sehr einfach, gnädige Frau,« erwiderte der Andere im frühern höhnenden Tone, »bei dem letzten Gerichte hat Viola die gnädige Frau Vicegespanin des Diebstahls und der Anstiftung zum Raube beschuldigt. Ein Zeuge, der noch obendrein ein Räuber ist und der gegen eine so hochgestellte Frau derlei Klagen vorbringt, ist ein niedriger Verleumder, dem Niemand glaubt; aber wenn nach diesem ersten Zeugen ein zweiter auftritt, z. B. ich, und wenn ich nun jedes Wort des Räubers schön umständlich durch mein Geständniß bekräftigte und zur Bestätigung meiner Aussage die Schriften vorweise, die wir gestohlen, und aus deren Inhalt Jedermann ersehen würde, daß der Raub derselben außer der Familie Euer Gnaden Niemanden interessiren kann, würde das nicht einen ungeheuern Lärm im Comitate geben?«

»Schrecken Sie damit Jemand Andern,« sprach die Vicegespanin heftig, »so lange ich weiß, daß Sie mich nicht verderben können, ohne sich selbst mitzuverderben, bin ich vollkommen ruhig.«

»Belieben Sie nicht, so überaus ruhig zu sein,« sprach der Andere bitter, »dies eine Mal könnte die Rechnung vielleicht fehlerhaft sein. Wir stehen in dieser Sache nicht ganz gleich. Mir sind die geraubten Schriften ganz gleichgiltig. Es ist hingegen in Euer Gnaden höchstem Interesse gelegen, sich selbe zu verschaffen. – Wenn nun ich, ein armer Advocat, vor dem Gerichtsstuhle erscheine und dort erkläre, daß ich mein ganzes Leben diesem Hause gewidmet, mich durch Dankbarkeit über meine geschworne Pflicht habe hinausreißen lassen und Euer Gnaden hilfreiche Hand geboten habe, um Ihnen die Schriften zu verschaffen; aber daß ich eingesehen, was für Unglück aus dieser meiner Handlung entspringen müsse, und nachdem ich dem Drängen meines Gewissens nicht widerstehen konnte, mich lieber selbst angebe und die Schriften den Händen des Gerichts überliefere: wird dies nicht ergreifend sein? Wird es nicht alle Herzen rühren? Kann ich nicht auf ein mildes Urtheil rechnen, vor Richtern, deren jeder sich einen ähnlichen Fiscal wünscht?!«

»Teufel!« schrie Frau von Réty und sank auf das Sopha nieder und bedeckte ihr flammendes Angesicht mit den Händen.

Der Fiscal fuhr fort, als ob er nur laut dächte: »Ja die ganze Sache bringt mir außer dem Ruhme sogar mehr Nutzen, als es auf den ersten Anblick scheint. Es ist nichts, was Ákos nicht thäte, um Tengelyi's Schriften zurück zu bekommen; wenn ich ihm im vorhinein gewisse Bedingungen sage, so kann ich mir vielleicht einen bedeutenden Gewinn verschaffen; ja Vándory selbst, der sich über nichts so freut, wie über einen bekehrten Sünder, wird für mich sprechen. Euer Gnaden hingegen –«

»Quäle mich nicht, Henker!« schrie Frau von Réty und schlang ihre Hände krampfhaft in einander.

»Die Vicegespanin im Comitatsgefängniß,« sprach der Andere im frühern Tone; »ich gebe zu, daß durch mancherlei Verwendung die Strafe auf ein halbes oder auf ein Vierteljahr gemildert werden wird: aber dennoch im Kerker! und zwar wegen Diebstahles, den sie im Einverständniß mit einem Juden ausgeführt, und dann die Confrontationen, die Zeugenaussagen –«

»Macskaházy!« schrie die Vicegespanin aufspringend, »Sie sind nicht fähig, dies zu thun.«

»Ich bin's so weit,« antwortete der Andere ruhig, »daß, wenn die Wechsel nicht binnen einer Woche in meiner Hand sind, das Ganze dem Gerichte angezeigt wird.«

Frau von Réty ging in der heftigsten Bewegung im Zimmer auf und nieder, endlich blieb sie vor Macskaházy stehen und sprach mit zitternder Stimme: »Die Wechsel werden in Ihrer Hand sein.«

»Fünf Wechsel, jeder über 10,000 fl. und vom Vicegespan acceptirt,« fuhr der Andere fort.

»Ich weiß es.«

»Die Verfallzeit bei jedem Wechsel um ein halbes Jahr später.«

»Ich weiß Alles, nur verlassen Sie mich,« sprach die Vicegespanin mit beinahe flehender Stimme.

»Sobald die Wechsel in meinen Händen sind, werden die Schriften übergeben,« setzte der Fiscal hinzu und nahm seinen Hut. »Unterthäniger Diener.« Und mit dem verließ Macskaházy das Zimmer, als eben der Bediente mit Lichtern eintrat und sich im Stillen nicht genug verwundern konnte, was wohl der gnädigen Frau geschehen sein möge, die an allen Gliedern zitternd und bleich wie der Tod neben ihrem Tische stand.

Als Macskaházy's Tritte auf dem Gang verklungen waren, ging die nächste Ofenthür auf und Peti steckte seinen krausen Kopf heraus. Der Zigeuner hatte das Amt des Heizers, und da er die Vermuthung hegte, daß Macskaházy Tengelyi's Schriften noch bei sich habe, hatte er sich auf das Lauern und Horchen gelegt. Als er nun den Fiscal in der Dämmerung zur Vicegespanin gehen gesehen hatte, schlich er ihm leise nach, und auf dem Platze seiner gewöhnlichen Beschäftigung hatte er das Ohr an den Ofen gelegt, der zu seinem Glück nicht geheizt war, und so das ganze Gespräch behorcht.

»Peti, was ist Dir denn geschehen?« so redete János den sich eben Entfernenden an, als er, eine Kerze in der Hand, dem Zigeuner begegnete. »Dein Gesicht ist lauter Ruß und Asche.«

»Das ist kein Wunder,« sprach der Angeredete und wischte sich das Gesicht mit dem Hemdärmel ab, »ich krieche ja von Ofenloch zu Ofenloch.«

»Krieche nur,« sprach der Andere, »heize ihnen in dem Hause gut ein, daß sie sich an die Hölle gewöhnen. Ich gehe zu meinem Herrn. Meine Sachen habe ich zusammengepackt, ich habe nichts mehr im Schlosse zu thun.«

»Also geht Ihr auch fort?« fragte der Andere seufzend.

»Ja wahrhaftig, ich gehe,« erwiderte János, »ich hätte nicht geglaubt, daß ich auch von diesem Hause, wo ich so viel Brot gegessen habe, scheiden werde, ohne nur »»Gott segne Euch«« zu sagen; aber mein Herr hat ja auch so fort müssen. Gute Nacht!«

Und János stellte das Licht in der Küche nieder und ging nach des Predigers Wohnung. Peti aber nahm seine Bunda um, schlich sich in den Garten und hineilend verschwand er im Dunklen.

XII.

An dem Tage, welcher auf den Abend folgte, den wir im vorigen Abschnitte beschrieben, schien in Réty's Haus äußerlich Alles ruhig. Auf dem Gesichte des Vicegespans war vielleicht der Ausdruck tieferen Nachdenkens als gewöhnlich, und Etelka hatte ihre sonstige Heiterkeit verloren; aber schweigend ging Jeder an seine Arbeit, und der Name Ákos wurde nur unter den Dienstboten ausgesprochen, wo, seit die Beiden das Haus verlassen, das Lob des jungen Herrn und des alten Husaren nie endete. Wir wissen ja, daß es kein sichereres Mittel giebt, sich Liebe zu erwerben, als wenn wir uns entfernen, oder wenn wir durch den Tod unsere Freunde und Nachbarn sicherstellen, daß wir mit ihnen vor dem jüngsten Gericht nicht zusammentreffen. Es ist fast zu bedauern, daß uns im täglichen Leben nicht zuweilen beifällt, daß wir, die wir jetzt beisammen sind, uns Alle zu einer großen Reise vorbereiten, und der Tag vielleicht nahe ist, an dem wir auf ewig scheiden. Wir wären vielleicht nachsichtiger gegen unsere Fehler. Die Vicegespanin war bleicher als sonst, aber auch sie, so schien es wenigstens, war in ihrer Stellung ruhig, und wenn auch das freundliche Lächeln, mit dem sie Macskaházy's Handkuß empfing, etwas gezwungener war als gewöhnlich, bemerkte außer dem Fiscal, der vor den Menschen zu seiner frühern gewohnten Unterthänigkeit zurückgekehrt war, Niemand, daß in ihren Verhältnissen etwas geändert sei. Frau von Réty gehörte unter jene Wesen, die von der Natur mit Heftigkeit ausgestattet sind, die aber selbst in ihrer Leidenschaftlichkeit weder ihre Stellung noch ihre Zwecke vergessen. Es giebt Momente, wo die Leidenschaft aller Klugheit zum Trotz ausbricht, und dann sehen wir mit Schrecken, wie bei einem nächtlichen Blitz, was für gefahrdrohende Wolken sich im Stillen gegen uns aufgethürmt haben; aber wir haben kaum einen Moment in die Geheimnisse dieser Brust hineingeschaut, und das Gesicht lächelt uns wieder kalt an wie zuvor. Macskaházy kannte die Vicegespanin viel zu gut, als daß er ihrer geheuchelten Ruhe hätte trauen mögen, besonders nachdem er am vorigen Abend die Ausbrüche ihrer Heftigkeit gesehen und von dem Stubenmädchen erfahren hatte, daß die Vicegespanin sich die ganze Nacht über nicht niederlegte, sondern immer im Zimmer auf- und abgegangen sei, und gegen den Morgen zu die Fenster so stark zugeschlagen habe, daß zwei Tafeln zerbrachen, was eben kein großer Beweis für ihre Gemüthsruhe war. Der Fiscal beobachtete daher jede ihrer Bewegungen mit der größten Aufmerksamkeit, aber wie gesagt, es war äußerlich nichts zu bemerken, und nur dem Stubenmädchen fiel es auf, daß die Vicegespanin, statt die zerbrochenen Fenster zum Juden tragen zu lassen, ihn gleich am frühen Morgen zu sich beschied, und noch wunderbarer schien es ihr, daß die Frau die ganze Zeit über, die der Jude bei der Arbeit zubrachte, nicht nur im Zimmer blieb, sondern ihre Stimme nicht ein einziges Mal zu einem Verweis ertönen ließ. Weil aber Frau von Réty sich während dieses Tages öfter über Unwohlsein beklagte, schrieb das Stubenmädchen diese ungewöhnliche Sanftmuth ihrer angegriffenen Gesundheit zu.

Den dritten Tag fuhr Frau von Réty mit ihrem Gemahl und Etelka auf ein benachbartes Gut, und Macskaházy blieb allein im Hause. Macskaházy fühlte sich ungewöhnlich unruhig. »Diese Frau,« so sprach er zu sich selbst, als der Wagen fortgerollt war und er in tiefe Gedanken versunken in sein Zimmer zurückkehrte, »kocht Rache gegen mich; sie hat gewiß einen Plan fertig, über den sie mit sich selbst im Reinen ist, sonst wäre sie nicht so ruhig; wenn sie schimpft und schreit, wäre es mir gleichgiltig, auf diese bittere Freundlichkeit war ich nicht gefaßt. Was kann ihr durch den Kopf gefahren sein?« Macskaházy überdachte alle Möglichkeiten, und es schien ihm, daß die Vicegespanin nichts gegen ihn unternehmen könne, ohne sich selbst zu verderben. »Aber ist es am Ende nicht möglich, daß sie ihre eigene Sicherheit der Rache aufopfert?« so dachte er bei sich selbst, »und wenn sie das thut, bin nicht ich zuletzt das Opfer? War nicht ich es, der am Raub unmittelbar theilnahm, und wie kann ich beweisen, daß sie Theilnehmerin war? Viola, der Einzige, der es weiß, wann wird der wiederkommen? Der Jude wird Alles leugnen, und wird die Stimme eines Fiscals, der unter einem Criminalprocesse steht, Gewicht haben gegen die mächtige Vicegespanin? Ich muß mich um Freunde und Gönner umsehen,« so sprach er zu sich selbst und ging mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder. »Mich haßt die ganze Welt, und ein einzelner Mensch, wenn er auch der Klügste ist, kann gegen so Viele sich nicht aufrecht halten. Was soll ich thun?«

Macskaházy überdachte seine ganze Lage und sah zuletzt zwei Wege vor sich offen. Der erste, wenn er die Gnade der Vicegespanin wiedergewänne, dazu schien es das Sicherste, wenn er Ákos' Heirat hintertriebe; der zweite, wenn er sich die Gunst des Letzteren erwirbt. Und warum wäre das nicht möglich, und zwar ohne sich im geringsten zu schaden? – Wenn ihm die Wechsel übergeben werden, so dachte er weiter, kann er aus Vándory's Schriften einige zurückbehalten; die Vicegespanin weiß nicht, wie viel Briefe es sind, und kann es daher nicht merken; diese übergiebt er – Macskaházy – sammt Tengelyi's Schriften später Ákos, und erzählt ihm die Art, wie er sie erlangt und auch wie viel Theil die Stiefmutter dabei gehabt. Ákos wird schon wegen der Ehre seines Namens mit Niemand darüber sprechen. Sein – Macskaházy's – Geständniß wird auf diese Art vollkommen glaubwürdig, und Frau von Réty wird sich vor solchen Schritten hüten, die ihr mehr als ihm schaden könnten.

Durch diese Aussicht fühlte sich Macskaházy ganz beruhigt, und weil er unter jene Menschen gehörte, deren Pläne darum gelingen, weil sie nichts ohne Ursache verschieben, erwartete er nur einen günstigen Augenblick, um sich mit den Tengelyi'schen in Berührung bringen zu können. Sobald er sich Nachmittags Gewißheit verschafft hatte, daß der Notär mit Vándory und Ákos spazieren gegangen, und daß er also nur die Frauen zu Hause treffe, schlug er den Weg nach Tengelyi's Wohnung ein. Im Gehen überdachte er noch einmal seine Rolle und ermuthigte sich mit dem Gedanken, daß er am Ende, so unangenehm auch der Empfang sein würde, doch nur mit einer Frau zu thun habe, und leise pochte er an die Thür des Notärs.

Elisabeth und Vilma saßen im Zimmer nebeneinander, mit weiblichen Arbeiten beschäftigt. Mit Staunen sahen sie auf den Eintretenden, und der Ton, mit dem die Erstere fragte, welcher Ursache sie diesen Besuch zu danken haben, war eben nicht der freundlichste; aber Macskaházy antwortete mit so viel Seelenruhe, daß er nur seine Aufwartung habe machen wollen, daß der Hausfrau nichts Anderes übrig blieb, als dem unerwarteten Gaste einen Stuhl anzutragen.

Macskaházy hatte dies vorausgesehen, und daher zu seinem ersten Besuche einen Augenblick gewählt, in welchem er mit der Frau allein sein konnte; denn er sah voraus, daß er, wenn er Tengelyi zu Hause fände, kaum Gelegenheit haben würde, alle die schönen Dinge zu sagen, von denen er die Aussöhnung mit dieser Familie erwartete, denn es war allerdings wahrscheinlich, daß der Notär die Unterredung mit dem Hinauswerfen Macskaházy's beginnen werde.

Das Gespräch drehte sich anfangs um das Wetter, die Saat und ähnliche Dinge, und Elisabeth glaubte schon, daß der Fiscal ohne besondere Ursache, wirklich nur des Besuches wegen gekommen sei, als aber Vilma das Zimmer verließ, nahm das Ganze eine andere Wendung.

»Es ist gut, daß uns das liebe Kind verlassen hat,« sprach Macskaházy, indem er den Stuhl etwas näher rückte, »ich habe mit Ihnen zu reden, über Dinge zu reden, die Ihre ganze Familie und unsere himmlische Vilma näher angehen. Aber ich kann es nur einer so klugen und erfahrnen Frau mittheilen, wie die ist, mit der ich jetzt spreche.«

Dieses Lob jedoch, so wie der süßliche Ton, in welchem es vorgebracht wurde, hatten auf Elisabeth nicht die Wirkung, die Macskaházy bezweckte; aber die Notärin hoffte, durch den Fiscal etwas zu erfahren, das ihre Familie interessire, überwand sich und bat ihn, ohne Rückhalt zu sprechen.

»Liebe Frau Elisabeth,« fuhr der Fiscal so gefühlvoll als ihm möglich fort, »erlauben Sie, daß ich wieder jene Worte gebrauche, die meinem Herzen einst so süß waren und bei denen mir die Erinnerung meiner Jugend wiederkehrt.«

»Es wird besser sein, Herr Fiscal, wenn wir dies bei Seite lassen,« sprach Elisabeth ungeduldig, »Sie wissen, daß auch in jener Zeit, von der Sie sprechen –«

»Ich weiß es,« seufzte Macskaházy, »daß Sie auch damals, als ich Ihnen vor einigen zwanzig Jahren mein Herz und meine Hand antrug, meine Bitte mit Verachtung zurückgewiesen haben, und daß Ihnen der Kummer, welchem Sie mit Herrn Tengelyi entgegengingen, annehmbarer schien, als das ruhige Glück, das Sie in meinen Armen hätten finden können; und wie viel Leiden hätten wir nicht Beide vermeiden können, wenn meine verehrte Elisabeth damals die glänzenden Eigenschaften Tengelyi's, die doch nichts in die Küche bringen, weniger bewundert hätte.«

»Wenn der Herr Fiscal etwas zu sagen haben, besonders so etwas, was mein Kind betrifft, so reden Sie,« antwortete Elisabeth, die ihre Aufregung, als sie von ihrem Manne so reden hörte, nicht unterdrücken konnte, »von meinem Manne schweigen Sie in meiner Gegenwart, oder reden Sie so, wie er es verdient.«

»Bewahre mich der Himmel,« sprach der Fiscal unterthänig, »daß ich von Herrn Tengelyi etwas Beleidigendes sagen oder auch nur denken möchte; ich achte Herrn Tengelyi, und obgleich mein Herz gerechte Ursache zur Beschwerde hätte – denn er ist es ja, durch den ich um mein Lebensglück gekommen bin, welches in Ihrem Besitze bestand, und –«

»Ich bitte Sie,« unterbrach Elisabeth mit einem verachtenden Blicke den Redenden, »lassen wir diese unnützen Worte, wir kennen uns; wir haben so viel Beweise jener Achtung und Liebe, die Sie für uns hegen, daß es schade wäre, darüber auch nur ein Wort zu verlieren.«

»Ich sehe,« sprach der Fiscal seufzend, »daß auch Sie in demselben Irrthum befangen sind, wie Herr Tengelyi selbst; als ob ich die Ursache oder wenigstens der Beförderer jener verdrießlichen Ereignisse wäre, die ihn zu Porvár getroffen. Ich verüble es Niemandem, der so von mir spricht – die Zukunft wird die Ungerechtigkeit dieser Beschuldigung beweisen.«

»Gebe der Himmel, daß es so sei!« sprach Elisabeth seufzend, »und wie viel Ursache zur Klage wir auch des Geschehenen wegen haben mögen, so können der Herr Fiscal meinerseits auf die größte Dankbarkeit rechnen, wenn Sie etwas zum Besten meiner armen Kinder thun.«

»Keine Dankbarkeit, liebe Frau Elisabeth,« sprach der Fiscal wärmer, »keine Dankbarkeit, ich habe keinen heißeren Wunsch, als zu beweisen, daß jene Liebe, die ich einst empfunden, nicht vergangen ist, ohne sich in Freundschaft zu verwandeln. Ich fühle mich vollständig belohnt, wenn ich es durch die That beweisen kann, und ich glaube, jetzt ist die Gelegenheit da.«

Elisabeth konnte sich nicht genug über die Herzlichkeit verwundern, mit der Macskaházy jetzt sprach, und obschon sie unter dem Ganzen irgend eine List vermuthete, so antwortete sie doch mit der größten Freundlichkeit, daß er ohne Zweifel in Folge seiner Stellung und seines großen Einflusses viel Gelegenheit habe, der Familie eines armen Dorfnotärs zu helfen.

»Glauben Sie nicht,« sprach der Fiscal bescheiden, »daß mein Einfluß so groß ist, als die Leute verkünden; viele Leute sagen, daß im Réty'schen Hause nur Das geschieht, was ich will; was der Vicegespan oder die stolze Baronin thut, wird mir zugeschrieben, und Niemand glaubt, wie viele Feinde mir dies macht – und Gott sieht meine Seele, wenn in diesem Hause Das geschähe, was ich will, so ging Alles anders; – aber lassen wir dies,« setzte er nach einer kurzen Pause hinzu, »es läßt sich nicht leugnen, daß ich bei alldem im Réty'schen Hause einigen Einfluß habe, und dadurch kann ich Ihnen vielleicht etwas nützen. Wie ich höre, ist gegen Tengelyi ein Adelsproceß angefangen worden?«

Die ruhige Art, in der diese Frage eben durch Den gestellt wurde, den Elisabeth als den Haupturheber jener bösen Schritte betrachtete, die gegen ihren Mann begonnen hatten, überraschte sie dergestalt, daß sie nicht zu antworten vermochte.

»Und die Schriften, durch die Tengelyi seinen Adel beweisen könnte,« fuhr der Andere fragend fort, »sind, wie ich höre, geraubt worden?«

»Ich glaube,« erwiderte Elisabeth, der die Unverschämtheit des Fiscals zu stark wurde, »Herr Macskaházy weiß das eben so gut, wie wer immer Anderer auf der Welt.«

»Ich fühle, was Sie sagen wollen,« sprach Macskaházy ruhig lächelnd, »obschon ich gestehe, daß es mich befremdet, daß der Verdacht auf mich fällt; denn wenn das Ganze auch meinen Grundsätzen nicht so entgegen wäre, als man es vernünftigerweise von mir voraussetzen könnte, so ist es ja für mich vollkommen gleichgiltig, in wessen Händen immer sich die geraubten Schriften befinden. Oder sagen Sie selbst, was für ein Interesse könnte ich an Herrn Tengelyi's Schriften haben, da wir in keinem Verwandtschaftsverhältnisse stehen und keine Gütertheilung unter uns haben?«

»Ich verstehe dies nicht,« erwiderte die Frau achselzuckend, »ich weiß nur, was mir mein Mann sagt und was ich von Viola's Aussage gehört habe, und nach dem zu urtheilen –«

»Aber ich bitte Sie,« unterbrach sie der Fiscal, »wenn dem so wäre, glauben Sie, daß ich selbst zu Ihnen in Ihr eigenes Haus gekommen wäre? Ich müßte ja der unverschämteste Mensch sein, ja der thörichtste,« setzte er hinzu, als er bemerkte, daß die erste Möglichkeit Elisabeth nicht so unglaublich schien, als er dachte, »ja der verrückteste, wenn ich, nachdem ich mich so vielen Verdrießlichkeiten ausgesetzt, um Herrn Tengelyi in eine unangenehme Lage zu verwickeln, jetzt Alles thun würde, die Sache auszugleichen, um alle bösen Folgen von Ihrem Hause abzuwenden.«

»Der Herr Fiscal haben dafür bis jetzt wenig Beweise geliefert,« antwortete Elisabeth trocken.

»Der Himmel weiß,« sprach Macskaházy, und drehte die Augen gen Himmel, »wie ungerecht Sie gegen mich sind! Wenn Sie wüßten, wie viel ich mich bemüht habe, um Denjenigen – doch das gehört nicht zur Sache – von dem Schritte zurückzuhalten, der gegen Herrn Tengelyi geschehen, würden Sie nicht so sprechen; aber wie gesagt, ich will meine Freundschaft durch Thaten beweisen, und ich glaube, dann wird Herr Tengelyi selbst sein hartes Urtheil zurücknehmen.«

»Gott gebe, daß es so komme,« sprach Elisabeth, »unsererseits können Sie auf die größte Dankbarkeit rechnen, und –« setzte sie etwas stolzer hinzu, »vielleicht wird es künftig mehr in unserer Macht stehen, unsere Dankbarkeit zu beweisen, als es bis jetzt der Fall war.«

»Keine Dankbarkeit,« unterbrach der Fiscal, der Elisabeths Gedanken errieth, ihre Worte. »Sprechen Sie nicht von Dankbarkeit, Sie verletzen mich dadurch – ich will nur Freundschaft. Die Schriften,« sprach er nach einer kleinen Pause, indem er sich umsah und dadurch überzeugte, daß Niemand im Zimmer gegenwärtig, und rückte seinen Stuhl abermals näher zu Elisabeth, seine Stimme wurde leiser, »ich frage, sind die Schriften, die Herrn Tengelyi geraubt wurden, von der Art, daß sie Ihres Mannes Adel vollständig beweisen?«

»Ohne allen Zweifel,« antwortete die Befragte, über Macskaházy's Betragen mehr und mehr verwundert.

»Hm, hm!« fuhr der Andere fort, gleichsam zu sich selbst redend, »wichtige Schriften! – Die Taufe ist zur Seligkeit nicht nothwendiger, als in Ungarn der Adel, damit man mit Ehren leben könne, und ich kann den Schmerz sehr begreifen, den Sie über diesen Verlust empfinden, besonders wenn Sie an die Zukunft Ihres kleinen Sohnes denken –«

»Um Gotteswillen, quälen sie mich nicht,« unterbrach Elisabeth seine Betrachtungen, »wenn Sie etwas von den Schriften wissen –«

»Aber ich bitte Sie,« fragte der Erstere, ohne die Bitte Elisabeths zu berücksichtigen, »sind Ihnen alle Schriften geraubt, durch die Sie Ihren Adel beweisen könnten? Ist gar keine Urkunde in Ihren Händen geblieben?«

»Nichts!« seufzte Elisabeth. »Mein Mann, als Ordnungsliebender, hatte alle Schriften zusammengebunden, und das Ganze hat man geraubt. Wenn Sie etwas von den Schriften wissen,« setzte sie mit bittender Stimme hinzu, »so machen Sie meine Kinder nicht unglücklich – wenn ich Sie je in meinem Leben beleidigt habe, so bitte ich Sie um Gotteswillen, rächen Sie sich nicht an den Unschuldigen.«

Elisabeth haßte und verachtete Macskaházy, aber in dem Augenblick, als in ihr die Ueberzeugung entstand, daß dieser Mensch ihren Kindern nützlich sein könnte, trat jede andere Rücksicht in den Hintergrund, und mit ineinandergeschlungenen Händen bat nun Elisabeth Denjenigen, von dem sie sich sonst mit Abscheu abgewendet.

Macskaházy konnte kaum die Freude verbergen, als er die Wirkung seiner Worte sah. »Ach,« sprach er endlich seufzend, »wenn es von mir abhinge! – Glauben Sie mir, liebe Frau Elisabeth, wenn ich nur wüßte, wo die Schriften sind, es wäre kein Mensch glücklicher als ich! – Wenn es Noth thäte, so ginge ich zu Fuß durch das ganze Land, ich würde nicht ruhen, bis ich sie aufgefunden hätte.«

»Also wissen Sie nicht, wo die Schriften sind?« fragte Elisabeth erstaunt.

»Und wie sollte ich das wissen?« antwortete der Andere freundlich. »Ueberlegen Sie die Sache nur selbst – Alles, was Viola von dem Raube gesagt, ist eine Erfindung. Wie wichtig auch Tengelyi's Schriften für seine eigene Familie sind, für die Vicegespanin und mich sind sie vollkommen gleichgiltig, und man kann nicht voraussetzen, daß Jemand ohne die wichtigsten Ursachen sich einer solchen Gefahr aussetzen würde, in welche Der käme, der sich zum Spießgesellen eines Gefangenen herabließe. Die Klage, welche in dieser Beziehung gegen uns erhoben worden, ist rein lächerlich, und ich frage Sie, auf welchem Wege hätte ich mir Kenntniß von diesen Schriften verschaffen können?«

»Aber wodurch können Sie meinen Kindern helfen?« fragte Elisabeth gespannt, »wenn Sie zum Beweise unseres Adels nichts beitragen können?«

»Aber wer hat denn gesagt, daß ich zum Wiedergewinn Ihres Adels nichts beitragen kann, nicht sehr viel beitragen werde?« sprach der Fiscal lächelnd. »Zu was braucht man dazu Schriften?«

Elisabeth hielt im ersten Augenblick diese Rede für Hohn und starrte ihn an; immer lächelnd sprach Macskaházy weiter: »Liebe Frau Elisabeth, Sie leben in Ungarn, aber es scheint, daß Sie nicht recht wissen, was um Sie vorgeht. Wer hat denn je gehört, daß der Adel nur durch Documente erhalten oder bewiesen werden kann? – Allerdings ist dies auch eine Art, zuweilen verleiht der König durch einen Schenkungs- oder Adelsbrief irgend Jemandem den Adel – aber dies ist nur eine Art, und der Himmel bewahre uns, daß dies die gewöhnlichste Art werde. Wenn man von Jedem, der die Adelsprivilegien genießt, seine Adelsbriefe fordern würde, so würde unsere Zahl um noch vieles mehr vermindert, als es durch die Mohácser Schlacht geschehen. Sehen Sie, liebe, gute Frau, es giebt eine bessere und zweckmäßigere Art, den Adel zu beweisen, und diese ist der Usus. In der neuern Zeit, wo man für Alles neue Worte erfindet, heißt dies »»gesetzlicher Gebrauch««, aber dies drückt die Sache nicht so aus, denn wo ein Gesetz ist, braucht man keinen Usus, ja es ist vielmehr die Haupteigenschaft des Usus, daß es einen solchen Gebrauch, eine solche Gewohnheit und solche Ausübung voraussetzt, die nicht auf dem Gesetze fußt oder eigentlich gar nie im Gebrauche war. Nehmen wir z. B. an, Sie haben irgend ein liegendes großes Gut, ich habe daneben ein kleines Stück Feld, ich gehe jedes Jahr mit meinem Pfluge etwas weiter und ackere mir ein Stück von dem Ihrigen zu, bis mein Besitz dreimal so groß wird, als er vordem war; Sie fangen endlich einen Proceß gegen mich an, ich beweise, daß ich im Usus war, daß ich immer so weit geackert und gesäet habe; Sie sagen, daß dies ein schlechter Gebrauch ist, denn das Feld gehört Ihnen: Alles eins, ich habe den Usus, und Sie können nur einen Proceß gegen mich anfangen, und der dauert 100 Jahre. Oder ich nehme an, wir haben einen gemeinschaftlichen Besitz, die eine Hälfte des Gutes gehört mir, die andere Ihnen; seit Menschengedenken habe ich immer Schafe gehalten, Sie nicht; endlich wollen Sie auch Schafe halten, ich erlaube es nicht; wenn Ihre Heerde auf unsern gemeinschaftlichen Grund kommt, vertreibe ich sie, und warum? Weil ich den Usus habe.«

»Aber was hilft das Alles uns?« fragte Elisabeth ungeduldig.

»So viel hilft es,« antwortete der Andere lächelnd, »daß wie alles Andere, so auch die Adelsfreiheit bei uns in Ungarn meistens durch den Usus erworben wird, und zum Usus braucht man keine Papiere.«

»Ich verstehe das nicht,« sprach Elisabeth.

»Und es ist doch sehr natürlich,« fuhr der Fiscal belehrend fort. »Ich sage, daß A oder B nicht eine einzige Schrift besitzt, seinen Adel zu beweisen; nehmen wir an, daß er vielleicht selbst weiß, daß er von einer nichtadeligen Familie abstammt, aber er hat Freunde im Comitate, und denen hat er es zu danken, daß er nie der Contribution unterworfen worden ist, und im ganzen Comitat hat er »»Edler«« oder »»von«« geheißen; wenn nun irgend ein Bösgesinnter seines Adels wegen eine Frage erhebt, wäre es nicht höchst beschwerlich für ihn, wenn er beweisen müßte, daß z. B. seine Voreltern sich dadurch den Adel verschafft haben, daß sie für das Vaterland geblutet? – statt dessen beweist er nur, daß er an den allgemeinen Lasten nie theilgenommen, und sein Adel ist gerettet; besonders wenn er noch überdies zu beweisen im Stande ist, daß er bei irgend einer Restauration geprügelt worden ist, oder Jemanden geprügelt hat, dann ist gewiß Keiner muthig genug, seinen Usus zu bezweifeln. Ich weiß einen Fall, wo Jemand, der in einen Adelsproceß verwickelt war, nur dies Eine bewies, daß sein Großvater wegen Pferdediebstahl mehrere Male eingesperrt gewesen und nie zu Stockstreichen verurtheilt worden war, und der Usus war bewiesen. Glauben Sie mir, daß Derjenige sich sehr täuscht, der da meint, zum Beweise des Adels seien Schriften nöthig. In vielen Comitaten macht man bei jeder Restauration hunderte und eben so gute Edelleute, als irgend wer auf der ganzen Welt; hierzu gehören nur Freunde und –«

»Ja wohl, aber haben wir Freunde?« seufzte Elisabeth.

»Allerdings,« sprach der Erstere weiter, und nickte freundlich mit dem Haupte, »und zwar solche Freunde, die zu Allem bereit sind, um Ihnen zu nützen, und wenn es eben nothwendig wäre, auch zum Eide entschlossene Zeugen aufzutreiben bereit wären, daß Tengelyi geradezu aus einer gräflichen Familie stammt. Der Vicegespan selbst –«

»Der Vicegespan wird Alles gegen uns thun.«

»Sie irren sich,« unterbrach sie der Fiscal, »wenn der Vicegespan sieht, welchen Antheil ich an Tengelyi's Angelegenheiten nehme, so wird er sich selbst bemühen, daß der Proceß, den der Oberfiscal angefangen hat, in Vergessenheit gerathe, oder wenigstens nach unsern Wünschen entschieden werde. Der gnädige Herr von Réty ist an sich genommen ein recht guter, ein herzensguter Herr, und wenn die eine Ursache entfernt würde, die zwischen den beiden Häusern eine Spannung verursacht hat, so bin ich überzeugt, daß er Herrn Tengelyi jetzt eben so lieben würde, wie damals, als sie zusammen auf der deutschen Universität waren.«

»Ich verstehe Sie nicht!«

»Die Ursache der Spannung,« fuhr Macskaházy vertraulich fort, »ist jene Liebe, die der Vicegespan bei seinem Sohne zu unserer englischen kleinen Vilma bemerkt hat. Glauben Sie mir, sonst ist es nichts. Wenn dies auf irgend eine Art beseitigt werden könnte, wäre Alles in Ordnung. Wer kann dafür? die Ehe ist, wie Sie sagen, der Himmel auf Erden! Es ist kein Wunder, daß Jeder, indem er in diesen Himmel eintreten will, glaubt, sich höher erheben zu müssen, und der Vicegespan – zuletzt sind wir Alle Menschen.«

»Aber wissen Sie denn nicht, Herr Fiscal,« fragte Elisabeth, die jetzt des Fiscals Absicht zu ahnen begann, »daß, wenn das wirklich die Ursache der Feindseligkeit des Herrn Vicegespans ist, diese nicht entfernt werden kann? Ákos hat meine Tochter förmlich zur Frau begehrt, und so wie er Vilma's Liebe besitzt, so besitzt er auch seit gestern unsere Zustimmung. – Verstehen Sie mich? Auch die Zustimmung meines Mannes. Wenn Sie kein anderes Mittel wissen, um uns die Freundschaft des Herrn Vicegespans zu erwerben, als daß wir das Lebensglück unserer Tochter opfern, dann reden wir hiervon nicht weiter.«

»Aber wer spricht denn davon, daß Vilma's Glück geopfert werde?« sprach Macskaházy, gleichsam sich beschwerend, »das Wohl dieses kleinen Engels liegt ja Niemandem mehr am Herzen, als mir; aber kann dieses liebe Mädchen nur dann glücklich werden, wenn sie den Sohn des Vicegespans heiratet?« – Elisabeth wollte reden, der Fiscal fuhr fort: »Ein schöner Name und bedeutender Besitz sind ohne Zweifel recht gute Dinge – glauben Sie mir, das weiß Niemand besser, als ich; es thut dem Menschen wohl, wenn er seine Tochter in einem Schlosse, in einem Wagen mit vier schönen Pferden sieht; aber dies macht den Menschen noch nicht glücklich! Es gab ja Zeiten, wo Sie selbst – ich will nicht sagen, einen gerade so reichen – aber wenigstens einen solchen Mann hätten finden können, bei dem Sie aller häuslichen Sorgen ledig gewesen wären, und Sie haben Ihre Hand dennoch Tengelyi gereicht, und so –«

»Wenn Sie glauben,« unterbrach Elisabeth den Sprechenden, »daß wir diese Verbindung darum wünschen, weil Ákos reich ist, so irren Sie sich sehr; wir wünschten vielmehr, daß er gleichen Loses mit uns wäre, so würde wenigstens Niemand die Freude meiner Tochter verbittern. Gott hat ohnedies die beiden Wesen für einander erschaffen.«

»Glauben Sie das nicht,« antwortete der Andere, das Haupt wiegend, »Gott hat sich ein einziges Mal in Heiratsangelegenheiten gemischt, und nachdem dieses schlecht ausgefallen ist und Adam mit der eigens für ihn geschaffenen Gemahlin aus dem Paradiese verjagt wurde, sucht Jeder sich selbst sein Theil, und Jeder fehlt, der sich nicht Seinesgleichen wählt. Ich meinerseits, wenn ich eine Tochter hätte, würde sie nie einem höherstehenden oder reichern Manne geben; allerdings können sie ihren Frauen viele Lebensgenüsse bieten, auf die sie in beschränkteren Verhältnissen nicht rechnen dürften, allerlei Bequemlichkeit, Pracht, Freude, und was weiß ich! –aber die wirkliche Liebe – sehen Sie, liebe Frau Elisabeth,« so sprach er und bemühte sich, in seiner Stimme Gefühl auszudrücken, »die wirkliche Liebe, wie wir sie verstehen, kann man in einer reichen Heirat doch nicht finden.«

»Ákos ausgenommen,« sprach Elisabeth, die nach der Gewohnheit der Frauen während des Gesprächs vergaß, daß sie nicht sprechen wolle, »er betet Vilma an.«

»Ohne Zweifel,« fiel Macskaházy scherzend ein, »wen betet er nicht an? Es giebt kein gefühlvolleres Herz, als das seine – aber sehen Sie, liebe Frau Elisabeth, das Anbeten ist eine gar sonderbare Sache; der Mensch sinkt auf die Knie, hebt die Hände zum Himmel hinauf, ist halb außer sich, und wenn er endlich sein Gebet geendet hat, steht er auf und geht weiter.«

Die menschliche Natur ist wunderbar, man glaubt nichts so stark, daß man daran nie zweifelte, und wieder hält man nichts für so unmöglich, daß man nicht manchmal daran glaubte, und besonders wenn wir etwas sehr einsehen, oder uns besonders fürchten, sind wir Alle geneigt, an Wunder zu glauben. Obschon Elisabeth Macskaházy's ganze Niederträchtigkeit kannte, wirkte doch der Zweifel, den er über Ákos' Liebe aussprach, sichtbar auf sie, obgleich sie nur erwiderte, daß sie den Bräutigam Vilma's kenne und ihm die Tochter gewiß nicht zugesagt hätte, wenn sie an seiner Ehre zweifelte.

»Sie haben Recht, wenn sie Ákos achten,« sprach der Fiscal beistimmend, »auf der ganzen Welt giebt es keinen bessern und ehrlichern Menschen, als er ist! Ich kenne ihn von seiner Kindheit an; wie oft habe ich ihn auf meinen Knien geschaukelt – meinen eigenen Sohn könnte ich nicht mehr lieben; wer kann es ihm verübeln, daß er leicht erregbar und in der Liebe nicht so beständig ist, als wir, die wir im reiferen Alter sind, es von der Jugend verlangen? – Sehen Sie, liebe Frau, von so hochgestellten jungen Leuten, wie Ákos, kann das Niemand fordern.«

»Aber ich verlange es,« sprach Elisabeth eifrig; »wenn ich ihm meine Tochter gebe, so fordere ich, daß er keine Andere liebe.«

»Das geht nicht,« sprach Macskaházy lächelnd; »wenn Ákos Unseresgleichen wäre, so würde das Begehren natürlich sein, in höhern Kreisen ist es lächerlich; was würde die Welt sagen, wenn ein Mann wie er außer seiner Frau Niemandem den Hof machte?«

»Sie wissen aber von Ákos doch nichts Schlechtes?«

»Schlechtes, Gott bewahre,« sprach der Andere ruhig, »nicht das Geringste, was gegen ihn spräche, er hat Geliebte, aber –«

»Geliebte?« schrie die Andere erschrocken.

»Was wäre denn das Schlechtes?«

»Was?« erwiderte Elisabeth, die in ihrem Eifer ganz vergaß, mit wem sie sprach, »wenn er jetzt Geliebte hätte, jetzt, wo er meiner Tochter hundert Mal gesagt, daß er außer ihr Niemand liebe – dies wäre ja die höchste Schändlichkeit.«

»Aber wenn ich schon sage,« sprach der Erstere beruhigend, »daß man dies solchen jungen Herren nicht übelnehmen kann.«

»Aber ich werde es übelnehmen,« fiel sie ein, »ehe so was geschieht, wäre ich bereit –«

»Liebe, gute Frau Elisabeth,« sprach jetzt Macskaházy, indem er sich neuerdings umsah und noch näher rückte, »ich kenne Ihre Ansichten, und muß daher als ehrlicher Mann, der an Ihrem Schicksal lebhaft theilnimmt, meine Ueberzeugung aussprechen, daß Ákos Ihren Wünschen und Erwartungen nie entsprechen wird. Er ist ein guter, ehrlicher, geistreicher junger Mann, aber wie gesagt, Treue, beständige Liebe von ihm begehren, ist eine Unmöglichkeit! – Wenn Sie Ihrem Schwiegersohn diese Eigenschaft wünschen,« setzte er leise hinzu und nahm Elisabeth bei der Hand, »so kenne ich einen.«

Elisabeth sah ihn erstaunt an.

»Ja, liebe Frau Elisabeth,« fuhr Macskaházy immer lebhafter fort, »ich kenne einen, dessen Treue jede Probe besteht, dessen Anhänglichkeit unerschütterlich ist, einen Menschen, der zwar weniger äußeren Glanz bieten kann, als Ákos, aber in dessen Armen Vilma jenes stille Glück finden kann, dessen ganzen Werth sie so sehr zu würdigen versteht,« und einen fragenden Blick auf Elisabeth werfend, die vor Erstaunen keine Worte fand, »ich selbst bin bereit, an Ákos' Stelle zu treten.«

»Sie, Herr Fiscal!« rief endlich Elisabeth, die Hände zusammenschlagend.

»Und warum nicht?« fuhr der Andere immer freundlicher fort, »allerdings bin ich nicht mehr so jung, als ich damals war, da ich meine Hand Ihnen antrug, aber ich bin nicht alt, ich kann sagen, in meinen besten Jahren; überdies hat sich meine Stellung gebessert, und statt eines anständigen Auskommens, was ich damals zu versprechen vermochte, kann ich meiner Frau einen schönen Besitz bieten. Mein Vermögen übersteigt 150,000 Gulden. Wenn Vilma meine Frau wird, so wird Tengelyi's Adel nicht mehr in Zweifel gezogen – ja ich könnte vielleicht auf eine schöne Inscription von den Réty's hoffen. Ich bin viel zu vernünftig, als daß ich, was mit Ákos geschehen, übel deuten könnte, und –«

Macskaházy hatte, während er die Vortheile aufzählte, die mit seiner und Vilma's Verbindung zusammenhingen, die Wirkung nicht bemerkt, die seine Worte auf Elisabeth hervorbrachten, und überrascht verstummte er, als Elisabeth plötzlich aufsprang, auf die Thür wies und heftig ausrief, daß er ihr Haus auf der Stelle verlassen solle.

Der Fiscal wollte sprechen. Das Gefühl, welches dieser kluge Mann für Vilma hegte, gehörte, wie die Leser wissen, unter die ruhigeren. Der Gedanke, eines der schönsten Mädchen des Comitats zu heiraten, war ihm nicht unangenehm, besonders wenn er dadurch seine übrigen Pläne zu befördern vermochte; sollte dies aber nicht gelingen, so wird Macskaházy einen andern Weg einschlagen, und es ist nicht wahrscheinlich, daß er darüber großes Herzweh empfinden wird. Die Liebe – damit auch ich über diesen Gegenstand, der mit so vielerlei verglichen worden, weil er selbst so vielfach ist, als es Menschen giebt, einen Vergleich gebrauche – ist für Jedermann der Pegasus, durch den er sich hinreißen läßt; es giebt Leute, denen die Liebe wie ein gut abgerichtetes Reitpferd oder auch Wagenpferd erscheint, durch welches sie sich, und was sie sonst haben, dorthin bringen lassen, wohin es ihnen beliebt, und Macskaházy gehörte zu diesen Leuten. Wenn ihm Elisabeth zu reden gestattet, so nimmt er seine Worte gewiß zurück, oder erklärt sie wenigstens zu ihrer vollkommenen Zufriedenheit; aber die Frau Notärin war nicht in der Stimmung, ihm hierzu Gelegenheit zu geben. Der Gedanke, daß sie diesem Menschen, dessen niedrige Gesinnungen sie kannte, dennoch geglaubt habe, daß sie an Ákos nur einen Augenblick gezweifelt, brachte die sonst ruhige Frau dergestalt auf, daß der Fiscal bei allen seinen Bemühungen nicht zu Worte kommen konnte, und er wollte sich schon entfernen mit dem Vorsatz, das Ganze bei einer andern Gelegenheit auszugleichen, als die Thür aufging und zu seinem nicht geringen Schrecken Tengelyi selbst in das Zimmer trat.

»Was wollen Sie hier?« sprach der Notär, und seine Stirn runzelte sich.

Macskaházy wollte antworten, aber Elisabeth überhob ihn dieser Mühe, indem sie ihrem Mann das Geschehene erzählte und ihren Vortrag mit solchen Ausdrücken würzte, deren sie den Fiscal würdig hielt. Gegen die Wahrheit ihrer Worte konnte nichts eingewendet werden, bis auf das Eine, daß sie das Ganze der Frau Vicegespanin zur Last legte, obschon, wie wir wissen, Macskaházy dieses eine Mal ganz seinem Kopfe gefolgt war.

»Packen Sie sich auf der Stelle, und lassen Sie Ihr unverschämtes Gesicht nie mehr in meinem Hause sehen.« Dies waren die einzigen Worte, die der Notär zu Macskaházy sprach, als er den Zusammenhang des Ganzen erfuhr. Aber wer den Ton hörte, in dem sie gesprochen wurden, konnte die innere Aufregung merken, obschon Tengelyi sich bemühte, gemäßigt zu sein. Aber eben diese Mäßigung verleitete Macskaházy zu dem Irrthum, daß er sich werde rechtfertigen können; als er daher, statt sich zu entfernen, eine Erklärung begann, und von der Freundschaft sprach, die er für die ganze Familie hege, kannte der Zorn des Andern keine Grenze mehr, und Elisabeth selbst erschrak über den Zustand ihres Mannes.

»Fort aus meinem Hause! Auf der Stelle fort, Nichtswürdiger!« schrie Tengelyi, »wenn ich Dich nicht hinauswerfen soll!«

»Aber ich bitte Sie,« sprach der Andere beruhigend, »belieben Sie mich nur anzuhören; der Antrag, den ich gestellt, ist, wie ich glaube, ein solcher, der diese Behandlung nicht verdient; wenn Vilma –«

»Nenne sie nicht,« unterbrach ihn der Notär, »wage es nicht, von ihr zu reden, Du Nichtswürdiger! Du der Gemahl meiner Tochter? Du Räuber, Du Dieb, Du Auswurf des menschlichen Geschlechtes!«

Auf diesen Lärm kamen Vilma und die Lipták in das Zimmer und mehrere Vorübergehende blieben am Fenster stehen und schauten neugierig hinein. Macskaházy glaubte sich durch die Gegenwart so vieler Zeugen vor Schlägen gesichert; er fühlte zugleich, daß sein ganzes Ansehen verloren gehe, wenn er diese Behandlung geduldig ertrage, und begann also im höhern Tone zu reden.

»Was zu viel ist, ist zu viel,« sprach er mit der gewöhnlichen kreischenden Stimme, »der Herr Notär wird seine Worte bereuen.«

»Bereuen, bereuen?« schrie Tengelyi nun heftiger.

»Ja wohl, mein lieber Herr Notär,« sprach der Andere mit Hohn weiter. »Sie scheinen zu vergessen, daß Sie kein Edelmann sind. Ha, ha, ha!«

»Du mahnst mich an Deine Nichtswürdigkeit!« schrie der Erstere und hob den Stock auf, während Frau und Tochter seinen Arm kaum zurückzuhalten vermochten.

»Und wenn ich mich auch herabließ, Ihre Tochter zur Frau zu begehren, müßten Sie den Unterschied nie vergessen, der zwischen uns besteht.«

»Unterschied? Ja, jener Unterschied, der zwischen einem ehrlichen Manne und einem Verbrecher besteht. Laßt mich!« schrie er seiner Frau zu, die seinen Arm noch immer zurückhielt.

Macskaházy bemerkte, dies sei der Augenblick, über welchen zu verweilen Gefahr bringe, und während er noch ein paar Drohungen ausstieß, erreichte er die Thür in dem Moment, als der Hausherr, frei geworden, mit dem Stocke auf ihn zustürzte.

»Dieser Mensch stirbt noch durch meine Hand,« sprach Tengelyi, als er von dem Hofe, wohin er dem enteilenden Fiscalen nachgegangen war, durch den eben ankommenden Vándory in das Zimmer zurückgeführt wurde. Der Notär warf sich, durch den Zorn ermattet, auf einen Stuhl und gewann mit Mühe seine Ruhe wieder, obgleich die Uebrigen, und später Ákos, der Vándory gefolgt war, zu wiederholten Malen sagten, daß dieser Nichtswürdige es gar nicht werth sei, daß ein rechtschaffener Mann seinetwegen auch nur einen Augenblick in Zorn gerathe.

Während Tengelyi sich im Kreise der Seinen nach und nach beruhigte und zuletzt seine Heftigkeit bereute, und Jene, die theils an den Fenstern, theils am Hausthor, des ganzen Auftrittes Zeugen waren, sich zerstreut hatten und ihren Nachbarn erzählten, theils daß Macskaházy geprügelt und hinausgeworfen worden, theils daß Tengelyi den Fiscal habe umbringen wollen und dieser sich nur durch die Flucht gerettet habe, und während dies im ganzen Dorfe mit Schadenfreude gehört wurde, ging der Gegenstand dieses Gespräches in seinem Zimmer in der größten Aufregung auf und nieder.

Die Leser wissen, warum er das Tengelyi'sche Haus besucht. »Wie konnte ich nur so thöricht sein, Vilma zu begehren,« so sprach er bei sich selbst, »dazu hat mich nur die dumme Treue bewegen können, die ich für die Réty's habe. Wenn ich auch Vilma heirate, was kann ich gewinnen? Mehr als die 50,000 Gulden, die ich mir bedungen, bekomme ich von ihnen auf keinen Fall, und wenn ich auch jetzt Ákos' Heirat hintertreibe, wird es mir die undankbare Frau nie vergeben, daß ich sie um so viel Geld bringe. Ich habe eine Dummheit begangen, das ist sonnenklar! – Aber wer hat auch glauben können, daß diese Frau mich vor Zorn nicht reden lassen wird? – Und als Tengelyi nach Hause gekommen, was mußte ich nicht erdulden – vor dem Hausgesinde, vor den Bauern erdulden? Und ich kann mich nicht einmal rächen. Ákos darf ich nicht beleidigen – am Ende bleibt doch nichts Anderes übrig, als daß ich Tengelyi's Adelsbrief und ein paar Briefe aus Vándory's Schriften Ákos übergebe und ihm das Ganze mittheile, so entgehe ich wenigstens einem Criminalprocesse; aber zuvor müssen die Wechsel über 50,000 Gulden in meinen Händen sein.«

Macskaházy fühlte sich selbst durch diesen Entschluß nicht beruhigt, denn im Reiche der Möglichkeiten lag auch noch dies, daß Ákos, der ihn schon längst haßte, ihn selbst dann dem Gerichte anzeigte, wenn er ihm das Geschehene mittheilte und einen Theil der Schriften übergab; dann aber dachte er, daß er sich im Vorhinein darüber sein Ehrenwort geben lasse, und Menschen wie Ákos halten viel auf solche Vorurtheile. »Ueberdies kann er mich nicht angeben, ohne seine Stiefmutter zu compromittiren, und davor wird er sich hüten, ob er gleich die Frau verabscheut, denn sie führt seinen Namen, und den wird er nicht beflecken wollen;« so tröstete sich der Fiscal, zündete ein Licht an und begann Vándory's Schriften durchzusehen.

Es war schon nahe an eilf Uhr, als der Fiscal diese Arbeit beendete, und aus den Briefen, die den größten Theil der Schriften bildeten, ein paar herausnahm, in eine eigene Tischlade sperrte, die übrigen auf den früheren Platz zurücklegte und schlafen gehen wollte.

Macskaházy war nun ganz beruhigt. Aus den Briefen hatte er die Ueberzeugung geschöpft, daß die Réty's alle Oeffentlichkeit vermeiden wollen werden, und daß er von einem richterlichen Verfahren nichts zu besorgen habe. Vergnügt ging er ein paar Mal im Zimmer auf und nieder. »Ho!« sprach er zu sich selbst, »noch ein paar Tage, und die 50,000 Gulden sind in meinen Händen; wenn ich Ákos Alles entdecke und die ausgeschiedenen Schriften seinen Händen übergebe, so bin ich gegen die Rache der Frau gesichert und ich habe mich durch so viele Jahre nicht umsonst geplagt!« und mit dem ging er zur Thür, um sie abzuschließen.

Er drehte den Schlüssel um und probirte die Thür – sie blieb offen; er versuchte noch einmal zu schließen – der Schlüssel drehte sich um, aber die Thür blieb offen. Macskaházy erstaunte und schüttelte das Haupt. Noch nie hatte ihm das Schloß versagt, was konnte so plötzlich geschehen sein? Er wollte den Riegel vorschieben, aber wie sehr er sich auch mühte, der Riegel blieb unbeweglich – die Thür war nicht zu schließen. »Der Teufel weiß, was der Thür geschehen,« sprach er ärgerlich, und versuchte noch einige Male, die Thür abzuschließen, aber immer vergebens. Es fiel ihm ein, daß, seit Ákos das Haus verlassen und Etelka mit ihren Eltern abgereist, auf dieser Seite des Hauses Niemand außer ihm wohnte; in der jüngsten Zeit hatte er so viel von Räubern reden gehört, daß ihn einen Moment der Gedanke ängstete, daß er die Nacht allein und bei offenen Thüren zubringen müsse. Ja, während der kurzen Aufregung schien es ihm sogar, als bemerke er eine Bewegung im Ofen; als er aber hinging und horchte, und Alles still war, beruhigte er sich wieder. – »Bin ich denn verrückt geworden?« sprach er und ging wieder zu der Thür, und versuchte sie abermals abzuschließen. – »Was ist denn da für eine Ursache zur Furcht, daß ich die Thür nicht schließen kann? – Der Haiduk wird das Schloß überrissen haben, als er mir Alles zum Schlafen richtete; daß ich den Riegel nicht vorschieben kann, ist natürlich, ich habe ihn nie gebraucht und er ist verrostet,« und somit zog sich Macskaházy aus und überließ sich im Bette jenen angenehmen Gedanken, die nur einem solchen Menschen kommen können, der plötzlich zu einer großen Summe Geldes gelangt, und Pläne schmiedet, wozu er es verwenden soll.

In diesen angenehmen Gedanken wurde der Fiscal bald durch ein Geräusch gestört. Schritte auf der Stiege wurden hörbar, leise wie Jemandens Tritte, der nicht gehört werden will, aber in der Stille der Nacht dennoch vernehmlich. Macskaházy war überzeugt, daß er sich nicht irrte, er hörte jeden einzelnen Schritt deutlich, wie Jemand von Stufe zu Stufe aufwärts stieg und endlich längs des Ganges sich seinem Zimmer näherte; er wollte eben aus dem Bette springen, als die Thür leise aufging und Viola in einer Bunda vor ihm stand.

»Viola!« sprach Macskaházy mit zitternder Stimme, denn zum Schreien hatte er nicht die Kraft, seine Haare sträubten sich, als er sich mit dem Räuber allein sah.

»Gut, daß Du mich kennst,« sprach der Andere, lehnte die Thür zu und ging gerade zu Macskaházy's Bette. »Wenn Du um Hilfe schreist, so bist Du ein Kind des Todes! Uebrigens wäre Dein Schreien vergebens, auf dieser Seite des Hauses hört Dich Niemand.«

»Ich schreie nicht, ich mache keinen Lärm,« sprach der Andere und Todtenblässe überzog sein Gesicht. »Ihr werdet mir gewiß kein Leid zufügen. Brauchst Du Geld? ich bin zwar ärmer, als man glaubt, aber nimm, was ich habe; warum solltet Ihr mir armen kranken Mann ein Leid anthun? Was ich habe, gebe ich ja her!«

»Warum ich Dir ein Leid anthun soll?« sprach Viola zu dem unglücklichen Fiscal, und warf einen Blick auf ihn, daß sein Blut erstarrte, »ich hätte vielleicht Ursache dazu. Glaube ja nicht, daß ich die Vergangenheit ganz vergessen habe; Alles, was ich Dir anzuthun vermag, und wenn ich jeden Tropfen Deines Blutes einzeln vergieße, zahlt Das nicht, was Du mir angethan hast.«

»Ihr seid in großem Irrthum,« sprach der Fiscal, indem er verzweifelnd umhersah, »ich –«

»Wer ist schuld,« sprach der Andere ernst, »daß ich Räuber geworden bin? Wem danke ich es, daß ich verfolgt wie das wilde Thier durch Wälder und Haiden irren mußte, während Weib und Kind das bittere Brot des Erbarmens aßen? – Sage, sage, daß Du es nicht warst – sage, daß nicht Du es warst, der Alles that, auf daß ich zum Tod verurtheilt werde – sage, daß Du nicht nach meinem Leben gestrebt – sage, daß Du nicht mein Todfeind bist.«

»Aber wenn ich Alles, Alles hergebe, was ich habe,« sprach der Andere flehend, »auch von meinem Herrn sind ein paar hundert Gulden hier, auch die will ich hergeben, ob ich sie gleich später ersetzen muß, und –«

»Ich brauche Dein Geld nicht,« unterbrach Viola verächtlich den Redenden, »die Schriften gieb mir, die Du und Dein schändlicher Jude vom Notär geraubt.«

»Die Schriften?« sprach der Fiscal, und warf einen erstaunten Blick auf Viola, »welche Schriften?«

»Jene Schriften,« sprach der Andere und runzelte die Stirn, »die Du mir aus den Händen rissest, als ich gefangen wurde, jene Schriften, an deren Stelle Du bei Gericht weiße Wäsche vorwiesest – wenn Du sie nicht auf der Stelle zurückgiebst, stehst Du nicht mehr von diesem Bette auf.«

Macskaházy merkte aus dem Tone, mit dem Viola sprach, daß es nicht rathsam sei, seine Geduld auf die Probe zu stellen, er antwortete also: »Die Schriften waren allerdings bei mir, es ist wahr, daß ich sie Dir aus der Hand riß, aber sieh', als ich sie hatte, warf ich sie in's Feuer. Warum soll ich Dir Etwas verschweigen, da Du Alles weißt; die Vernichtung dieser Schriften lag den Réty'schen sehr am Herzen, und Du weißt, daß ich immer ihr treuer Diener war; sobald ich die Schriften in meinen Händen hatte, warf ich sie in die brennende Hütte, damit sie uns weiter keinen Kummer machen.«

»Sage Du das einem Andern,« sprach der Räuber ruhig, »ich weiß, daß die Schriften hier bei Dir sind und daß Du von den Réty's für die Herausgabe derselben 50,000 Gulden begehrst.«

»Wer hat Euch das gesagt?« fiel ihm Macskaházy erstaunt in's Wort, dem in demselben Augenblick in den Sinn kam, daß Viola von der Vicegespanin gedungen sei.

»Das ist alles eins,« antwortete Jener trocken, »wenn Du aber Dein Leben nicht selbst auf 50,000 Gulden anschlägst, und wenn Du die Schriften nicht gleich herausgiebst, so wirst Du sehen, daß Deine Seele, die Du nur zu Schlechtem gebraucht hast, vor mir noch viel weniger Werth hat.«

»Aber ich bitte Dich,« sprach der Fiscal flehend, »sage mir nur, von wem Du weißt, daß die Schriften bei mir sind? Wer hat Dich zu mir geschickt?«

»Schwätze nicht,« sprach Viola und warf die Bunda zurück, »sondern steh' auf und gieb die Schriften her, sonst –«

Das Benehmen des Räubers bewies klar, daß er zu Allem entschlossen sei; Macskaházy fühlte, daß er nicht widerstehen könne, er stand lautlos auf und ging zu seinem Schreibtische, indessen Viola in der Mitte des Zimmers stand und jede seiner Bewegungen beobachtete.

Die Hände des Fiscals zitterten, als er aus der Lade die Schriften herausnahm und auf den Tisch legte. Es waren zwei Bündel Schriften, in dem einen Vándory's Briefe, in dem andern Tengelyi's wichtige Schriften. Außerdem waren es noch einzelne Briefe Tengelyi's, die, mit diesen Schriften in ein Papier gewickelt, durch den Juden mit den übrigen weggenommen worden waren. »Hier sind sie« sprach er mit erstickter Stimme, »aber Ihr wißt, wie viel Werth diese Schriften für Euch haben, Ihr könnt sie nicht brauchen, fordert von mir, was Ihr wollt, und –«

»Ich sage Dir, behalte Dein Geld,« sprach der Räuber verachtend und näherte sich dem Tische; in demselben Augenblick fiel dem Fiscal ein, daß in seinem Schreibtisch eine geladene Pistole liege, die er einst dort eingesperrt, um nicht ganz ohne Waffe zu sein. Wenn wir bedenken, daß die Schriften, von denen er sich jetzt trennen mußte, für ihn 50,000 Gulden werth waren, so wird sich Niemand wundern, daß er bei all' seiner angebornen Furchtsamkeit unwillkürlich nach der Pistole griff und auf Viola anschlug. Im nächsten Augenblick lag der Fiscal auf dem Boden und die Waffe war in Viola's Händen.

Dies war Macskaházy's Verderben. Viola war nicht grausam; der Gedanke, daß er Menschenblut vergossen, hatte seine Seele oft mit Schauder erfüllt, und ob er sich gleich vor sich selbst dadurch hätte entschuldigen können, daß er dies nur zu seiner Vertheidigung und im Augenblick der größten Verzweiflung gethan, so vergaß er doch über der That die Ursachen derselben, und wie das Volk im Allgemeinen zwischen dem vorsätzlichen Mord und dem Todtschlag keinen besondern Unterschied sieht, so sagte Viola oft, daß Alles, was er seither erduldet, nur die Strafe seines Verbrechens sei. Wenn Macskaházy die Schriften ohne Widerstand übergeben hätte, so hatte er für sein Leben nichts zu fürchten, aber in dem Ringen, während Viola ihm die Pistole aus der Hand riß, erwachte des Räubers Zorn; der Haß, der seine Brust gegen diesen Mann erfüllte, durch den er so viel gelitten, der jetzt sein Leben bedrohte, übermannte ihn, und alles Andere vergessend, halb außer sich, stürzte er auf den Unglückseligen, der, um Hilfe schreiend, sich aufzurichten strebte. – »Erbarmen!« rief Macskaházy mit erstickter Stimme, als ihn der Räuber bei der Gurgel packte.

»Hattest Du Erbarmen, als Susi bettelte, als Du mich zum Galgen verurteiltest?«

Macskaházy's Angesicht wurde blau, die Augen quollen heraus, aber die Verzweiflung gab seinen schwachen Händen Kräfte, als er das blanke Messer, das der Räuber vom Tische weggenommen, über sich blitzen sah. Aber der Kampf währte nicht lange. Viola hörte Lärmen im Haus. Die Leute, durch Macskaházy's Wehruf aufgeschreckt, eilten herbei. – Viola nahm alle Kräfte zusammen, und das Messer versenkte sich dreimal in der Brust des Unglücklichen.

Mit blutigen Händen griff Viola rasch nach den Schriften auf dem Tisch und bemerkte gar nicht, daß er ein paar Briefe verstreute. Er stürzte beim Zimmer hinaus, gerade noch zu rechter Zeit, um auf den Hof zu gelangen, bevor ihn Jemand an der Flucht hindern konnte. Dort ersah ihn der Kutscher und noch ein Anderer, die aus dem Stalle mit einer Laterne kamen; sie verfolgten ihn, er rannte über die Wiese und verschwand zuletzt vor ihren Augen in den Gesträuchen an den Ufern der Theiß.

Die Hausleute, die gleich nachher in Macskaházy's Zimmer stürzten, fanden den Fiscal im Blute mit dem Tode ringend. Spuren eines Raubes fanden sich nicht, die Uhr und Brieftasche lagen noch neben dem Bette.

»Raub! Mord!« schrie der Koch, der mit einer Kerze der Erste in das Zimmer trat, »setzt ihm nach!«

»Einen Arzt!« schrie ein Anderer.

»Einen Geistlichen!« rief die Köchin.

Alles rannte in wilder Unordnung hin und her, die Anwesenden mehrten sich, Zwei trugen den Sterbenden auf das Bett.

»Setzt ihm nach,« röchelte Macskaházy, »meine Schriften –«

»Was für Schriften?« fragte der Koch und hob den Kranken etwas auf.

»Tengelyi,« sprach Macskaházy, seine letzten Kräfte zusammennehmend; das Uebrige, was er wahrscheinlich noch sagen wollte, war nicht mehr verständlich, die Lippen bewegten sich, aber statt zu reden, röchelte er nur. Die Anwesenden entsetzten sich.

In diesem Augenblick hörte man auf dem Gange den Haiduken schreien, er habe den Mörder gefangen, und gleich darauf trat er in das Zimmer und schleppte den jüdischen Glaser nach sich. »Hier ist er,« sprach er mit nicht geringer Selbstzufriedenheit, »im Ofenloch ist er gesteckt.«

»Der Niederträchtige!« schrie der Koch und schleppte den bebenden Juden zum Bett. »Nicht wahr, gnädiger Herr,« so sprach er zu Macskaházy, »der war's?«

Der Fiscal schüttelte das Haupt, seine Lippen zuckten, aber man konnte nichts verstehen.

»Aber, gnädiger Herr, es kann ja kein Anderer sein,« sprach der Koch wieder, »nicken Sie nur mit dem Kopf – nicht wahr, er war's?«

Macskaházy schüttelte wieder das Haupt, er faßte den Koch bei der Hand, er wollte wieder sprechen – umsonst! Noch einmal öffnete er den Mund, als ob er aufzustehen versuchte; in wilder Verzweiflung schaute er herum, fiel auf die Kissen zurück und war todt.

»Wenn ich nur wüßte, was er hat sagen wollen,« sprach der Koch, als der Todte zugedeckt und der jüdische Glaser trotz seinen Eiden, mit denen er seine Unschuld betheuerte, festgebunden in den Keller gesperrt war; »als ich ihm den Juden zeigte und fragte, ob dieser ihn umgebracht hätte, schüttelte er das Haupt gewaltig, und ich will doch mein Leben verwetten, es hat es Niemand Anderer gethan, als der nichtswürdige Glaser.«

»Als er noch sprechen konnte,« fiel die Köchin ein und trocknete sich die Augen – nicht als ob ihr um Macskaházy leid gewesen wäre, sondern weil nach ihren Begriffen es sich für Frauenspersonen bei solchen Gelegenheiten ziemte – »hat der Herr Fiscal Tengelyi genannt.«

»Rede Sie nicht so dumm,« antwortete der Koch, »von Herrn Tengelyi kann man so was gar nicht denken.«

»Ich weiß nicht,« fiel ihm die Köchin in das Wort, die ganz getröstet schien, daß sie Gelegenheit zum Streiten fand, »aber wie wir den Herrn Fiscal gefragt, wer der Mörder sei, nannte er doch Tengelyi; nicht wahr, so ist es?« so sprach sie zu den Uebrigen, die Alle die Wahrheit ihrer Worte bestätigten, »und als er nicht mehr reden konnte, habe ich auf seine Lippen gut Acht gegeben, und sie haben sich so bewegt, als ob er nur immer Tengelyi hätte sagen wollen. Wie mein verstorbener Mann – Gott gebe ihm die ewige Ruhe! – an der Wassersucht auf dem Sterbebette lag, konnte er drei Tage nicht sprechen, aber ich sah ihm auf den Mund und habe Alles verstanden. »»Geh' fort, komm' her, gieb mir Wasser!«« was er nur wollte, ich that Alles!« und die Frau trocknete sich wieder die Thränen.

»Die Frau wird doch den Mord nicht dem Notär zuschreiben wollen?« sprach der Koch heftig.

»Gott bewahre mich vor einem solchen Gedanken, ich sage nichts Anderes,« so sprach die Angeredete immer hitziger, »als daß der Fiscal, als wir ihn fragten, wer ihn umgebracht habe, Tengelyi genannt hat, und das so klar und vernehmlich, daß wir es Alle gehört haben, und wenn es nöthig ist, so kann ich es auch beschwören.«

»Schon gut, schon gut,« sprach der Koch verdrießlich, »wer weiß, was er hat sagen wollen.«

»Ich weiß es nicht,« fuhr die Andere immer grollend fort, »ich sage nur, daß der Fiscal nur Tengelyi genannt hat, und das werde ich sagen bis zum jüngsten Gericht.«

»Der Stuhlrichter wird es schon herausbringen, dafür steh' ich gut,« sprach der Koch, »und zuletzt wird Jedermann sehen, daß ich Recht gehabt habe, und daß Niemand Anderer den Mord begangen hat, als der Jude. Aber jetzt sperren wir das Zimmer zu und schicken um den Stuhlrichter und um den Geschwornen! – Ich weiß von alten Zeiten her, daß man dort, wo ein Raub oder Mord begangen worden, nichts anrühren darf.«

Und Alle verließen das Zimmer – nur die blutige Leiche blieb in der Finsterniß allein.

 

Ende des zweiten Bandes.

Druck von E. Jasper in Wien.

 


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