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Wenn wir solche Augen besäßen, wie gewisse Hexen im Mittelalter, die, wenn sie ihre Augenlider mit einer gewissen Salbe bestrichen, meilenweit und bei der Nacht eben so gut sahen, wie andere bei Tag, so könnten wir jetzt Zeugen eines merkwürdigen Ereignisses sein. Auf der Ebene, wo sonst an nebligen Herbsttagen, wie der gegenwärtige, wenn die Abendglocke aus den entfernten Dörfern verstummt ist, Alles verlassen steht, und nur zuweilen ein einsamer Fuchs Beute suchend mit leichten Schritten über die Flur hinstreicht, oder höchstens zuweilen ferner Rossestritt die feierliche Stille unterbricht, bewegen sich jetzt auf einmal ein Herrschafts- und ein Bauernwagen gegen Sz.-Vilmosch zu. Der Fall ist so außerordentlich, daß ich die Wahrscheinlichkeit kaum zu erhärten vermöchte, wenn die Leser nicht ebenso gut wüßten, wie ich, daß in dieser Nacht einerseits der Gulyás von Kislak mit Susi und andrerseits Nyúzó mit Macskaházy gegen den Sz.-Vilmoscher Wald zu auf dem Wege sind. Das eine Paar, um Viola an den Galgen zu liefern, das andere, um ihn davor zu bewahren. Das eine als unerbittlicher Feind, das andere als schützender Engel. Wodurch das Ereigniß noch unglaublicher wird, ist dies, daß die Freunde mehr zu eilen schienen, was, wie bekannt, unter die seltensten Dinge gehört, nachdem unter zehn Fällen kaum einer ist, in welchem sie nicht erst dann zu Hilfe kommen, wenn wir diese nicht mehr brauchen können. Daß im gegenwärtigen Falle das Entgegengesetzte geschieht, ist vorzugsweise zwei Ursachen zuzuschreiben; und zwar erstens, daß Viola's Freunde keine gebildeten Menschen sind und deshalb die erwähnte schöne Eigenschaft nicht besitzen; und zweitens, daß kluge Menschen – und Nyúzó und Macskaházy gehören ohne Zweifel zu dieser Zahl – sich selbst um vieles mehr lieben, als sie irgend Jemanden hassen, und wenn sie Jemanden henken lassen wollen, das Verfahren nicht gern damit beginnen, daß sie sich ihren eigenen Hals brechen; was nach Nyúzó's unerschütterlicher Ueberzeugung unausweichlich erfolgen mußte, wenn der Tiszaréter Kutscher seine fünf Pferde Eine gebräuchliche Art in Ungarn zu fahren, 2 Pferde an der Stange, 3 vorne. den ganzen Weg über so jagte, wie er es im Dorf Garacs begonnen.
»Du verfluchter Kerl,« schrie der Oberstuhlrichter, indem er sich den Kopf rieb, der durch einen gewaltigen Stoß mit dem Wagendache in nicht angenehme Berührung gekommen, »führst du Säcke zu Markt, daß du auf die Löcher nicht Acht gibst? Langsam, sage ich, langsam, sonst haue ich dir das Genick –«
»Ich bitte dich, fürchte dich nicht,« sprach Macskaházy, der sich ebenfalls den Kopf rieb, »im ganzen Comitat gibt es keinen verläßlicheren Kutscher, als diesen, die gnädige Frau fährt auch mit ihm.«
»Ein verläßlicher Mensch? Er ist besoffen, Freund Macskaházy, besoffen wie ein Zapfen.«
»Warum nicht gar, besoffen, seit wir von Porvár gekommen sind –«
»O weh,« schrie Nyúzó und riß sich die Pfeife aus dem Mund, die ein zweiter Stoß ihm so gewaltig zwischen die Zähne hineingeschlagen, daß, wenn es bei Tage geschehen wäre, Jeder hätte glauben müssen, daß der Oberstuhlrichter diese seine untrennliche Geliebte endlich aus Liebe verschlingen wolle. »Weh mir, das ist das letzte Gericht. Bleib' stehen, Kutscher! Bleib' stehen, sage ich! ich steige aus –«
»Wart' nur ein wenig,« sprach Macskaházy ungeduldig, »hier kannst du doch nicht aussteigen, hier mitten im Koth, wir kommen gleich auf den Rasen, der trocken ist wie der Tisch.«
»Dort sind viele von Schweinen aufgewühlte Löcher,« seufzte der Oberstuhlrichter, der seine Pfeife bei Seite gelegt hatte, aber nach dem Genuß, den er aus dem Mundstücke gesogen, noch immer ausspuckte, »das ist noch gefährlicher, hier könnte der Mensch wenigstens weich fallen. Ich steig aus.«
»Aber wenn du aussteigst, so kommen wir bis morgen nicht nach Szent-Vilmosch.«
»O weh, wir werfen gleich um,« schrie Nyúzó. »Bleib stehen! halte den Wagen, Jancsi, du verfluchter Kerl.« Diese Ausrufungen, während welcher Nyúzó sich krampfhaft an die Wagenpolster klammerte und zugleich überlegte, auf welcher Seite er wohl am besten hinausspringen könne, waren einer abschüssigen Stelle zuzuschreiben, auf welcher der Wagen sich etwas neigte. Aber bevor noch der Haiduk in Folge der freundlichen Mahnung vom hohen Bock herabsteigen konnte, stand der Wagen wieder gerade.
»Nur fort, nur fort,« sprach Macskaházy mit unterdrücktem Lachen, »wir sind auf dem Rasen, hier ist der Weg gerade; wenn wir so langsam fortkommen, durchfrieren wir bis an die Knochen.«
»Wenn nur die Knochen ganz bleiben,« bemerkte der Oberstuhlrichter, indeß die Pferde im langsamen Hundetrab weitergingen, und Jancsi nach altungarischer Sitte wie eine Elster von einem Wagentritt zum andern sprang und sich an den Wagen bald auf der einen, bald auf der anderen Seite anklammerte.
Nachdem der Kutscher den leichten Trab der Rosse zum Schritte ermäßigt hatte, saßen die beiden Männer schweigend neben einander.
Der Wagen verließ den Rasen und kam wieder auf die Straße, und derjenige, der in unserem Vaterlande im Herbst dieses Unglück gehabt hat, weiß, daß er nicht so schnell vom Fleck kommt. Der Kutscher fluchte, Nyúzó schimpfte oder jammerte bei jedem Stoß, während der Haiduk in ununterbrochener Bewegung von einer Seite des Wagens zur anderen eilte und mit unausgesetzten Schmähreden begrüßt ward, weil er immer zu spät kam und sich an diese oder jene Seite des Wagens eben dann anklammerte, wenn sich derselbe ohnedies dahinneigte, und auch ohne diese Hilfe umwerfen konnte. Während dieser ganzen Zeit war der rückwärts aufgehockte Czifra in tiefen Schlaf versunken, und wir können die Herren im Wagen mit der Ueberzeugung verlassen, daß, wenn sie so eilen wie bisher, der Gulyás mit seinen zwei gelben Rossen um ein Bedeutendes früher nach Szent-Vilmosch kommen werde als sie.
Es war finster als István und Susi sich auf den Weg machten; das Mondlicht vermochte nicht den schweren Nebelschleier zu durchdringen, der auf der Ebene lag, und es war wirklich die Orientirungsfähigkeit eines magyarischen Hirten nothwendig, um auf der ungeheueren Ebene die Richtung nicht zu verfehlen. Hier und da ein Schotterhaufen oder ein verlassener Reiherbrunnen, Reiherbrunnen, ungarischer Ziehbrunnen, die ihrer Form wegen Reiherbrunnen genannt werden. der aus dem Nebel sich wie ein finsteres Gespenst erhob; dort ein vom vorigen Jahr zurückgebliebener halber Strohschober oder ein Grabenaufwurf, oder manchmal in weiter Entfernung von einander einzelne Weiden, die, auf den oft überschwemmten Wiesen aufgewachsen und zufällig erhalten geblieben, jetzt im Herbstwind mit den dünnen blätterlosen Zweigen rauschten; dies war Alles. Der Gulyás trieb entschlossen vorwärts, ohne Zweifeln und Schwanken, als fahre er auf der betretensten Straße der Welt, und die Gelben legten sich in das Geschirr. István kannte sich nicht aus vor Freuden, über seinem Haupte schwirrte die Peitsche, freundschaftlich ermunterte er seine geliebten Thiere.
Weiden und Grenzhügel, Reiherbrunnen und Strohschober flogen an dem Wagen vorüber; die Mähnen der Rosse flatterten im Wind, der Gulyás hatte die Bunda zurückgeworfen, im weiten windgeblähten Hemde saß er auf dem Bock als jage er gegen den Sturmwind; die Pferde rannten als brenne der Boden unter ihren Füßen, als wollten sie den Nebelschleier durchreißen und jenseits anlangen, bevor er noch hinter ihnen wieder zusammenfloß.
»Fürchte nichts, Susi,« sagte der Gulyás freudig, »wir sind dort, bevor der verfluchte Stuhlrichter noch aus seinem Zimmer kommt.«
»Gott gebe es,« seufzte Susi.
»Der Teufel kann ihn holen, wenn wir doch zu spät kommen,« erwiderte der Gulyás, »sag' Susi, aber auf deine Seele sag' es mir, bist du schon jemals so gefahren?«
»Nie,« antwortete diese, aber ihre Gedanken waren wo anders.
»Ich glaub's. Nur keine Trauer, Susi, in einer Stunde sind wir dort und gehen zum Szent-Vilmoscher Csikós Csikós, Pferdehüter. auf Gulyásfleisch; wenn er nichts Anderes hat, so findet sich schon ein Füllen, Wenn Rindfleisch fehlt, so ißt der magyarische Hirt auch Pferdefleisch. Wenn es stärker gesalzen wird, kann es Niemand vom Rindfleisch unterscheiden. dem wir den Garaus machen.«
Plötzlich sprangen die Rosse schnaubend zur Seite. »Was ist das?!« schrie der Gulyás und griff nach der Peitsche. – » Sárga! Vercse! Sárga, Gelber; Vércse, Sperber, gewöhnliche Pferdenamen. – Aha, ist es das,« sprach er, indem er, seine Augen anstrengend, einen Wolf erblickte, der über den Weg gelaufen war und nicht ferne von ihnen stand. »Ich hoffe, Peti ist ihm nicht begegnet, wäre aber auch kein Unglück, altes Zigeunerfleisch mag selbst der Wolf nicht.«
Die Unruhe aber, die Susi, seit sie den Wolf gesehen, wegen Peti empfand und die durch István's naturhistorische Bemerkung nicht beschwichtigt wurde, dauerte nicht lange, denn sie waren kaum wieder im Zug, als bei einem Grenzhügel, neben dem sie vorbei mußten, der Zigeuner sie anrief.
Peti saß auf. »Wir kommen noch zur rechten Zeit,« sagte er, sich neben den Gulyás setzend, »der Garacser Weg, auf dem die Anderen kommen, ist grundlos, und hier ist lauter Rasen.«
»Wenn wir nur keinen Wolf gesehen hätten,« sprach Susi traurig, »ich habe immer gehört, das bedeutet nichts Gutes.«
»Sei gescheit, Susi,« erwiderte der Gulyás lächelnd, »wie viel Wölfe habe ich in meinem Leben gesehen und bin doch noch da. Was könnte uns geschehen?«
»Wenn nur der Wagen nicht bricht,« sprach Susi besorgt, »ich fürchte mich heute vor Allem.«
»Er bricht nicht,« sprach der Gulyás und schnalzte dazu, »es ist ja kein Herrschaftswagen. Zwischen einem Herrschafts- und einem Bauernwagen ist derselbe Unterschied, wie zwischen Herren und Bauern; der Herrschaftswagen ist groß, hoch, lauter Polster, schön angestrichen, wenn man ihn so ansieht, eine helle Pracht. Aber auf schlechtem Wege oder wenn man ihn auf eine Fähre fahrt, bums! hin ist er – lauter Schrauben und überall so unnützes Zeug, er bleibt stecken, wenn er nicht auf einem Damm oder weichem Rasen fährt; ein Bauernwagen kommt überall durch und besonders der meinige! Die Räder habe ich selbst gemacht und beschlagen, und die Reifen hat Peti aufgezogen – na Sárga!«
Peti war nicht so ganz ruhig, wie István. »Wenn wir nur auf kein Wasser kommen,« sprach er öfter und kratzte sich den Kopf, »es regnet jetzt immer, und wenn sich die Niederungen mit Wasser gefüllt haben –«
»Fürchte nichts, Peti, Alles wird in Ordnung sein, und auch du, Susi, sei ohne Sorgen; mein Bruder Pista, der dort drüben jenseits der Theiß wohnt, ist die vorige Woche gestorben; er hatte der Herrschaft schon längst aufgesagt und seine Entlassung und seinen Paß erhalten. Mit diesen unnützen Schriften kann seine Witwe jetzt nichts mehr anfangen, aber du und Viola und Eure Kinder könnt damit fortgehen, wohin Ihr wollt. Ich selbst weiß einen Dienst auf gute zwanzig Meilen von hier, und dort könnt Ihr wieder wie ehrliche Leute leben. Euer jetziges Brod ist nichts für Euch. Ich führe Euch selbst hin mit meinen Gelben; Bagage habt Ihr so nicht viel. Wenn wir nur einmal aus dem Comitat draußen sind, so ein Comitat ist ein hartes Zeug,« setzte er hinzu und schnalzte eines, »es ist nur das Eine gut, daß es nicht weit reicht. Was sagst du, Peti?«
Aber Peti sprach nicht, er antwortete auch der Frau nicht, die, als sie diese guten Aussichten hörte, gleichsam einen neuen Hoffnungsstern in ihrem dunklen Lebenskreise aufgehen sah und mit bebender Stimme fragte: »wäre denn dies nicht mehr Glück, als ich in meiner unglücklichen Lage hoffen darf?« Der Zigeuner hatte seine Falkenaugen in das Nebeldunkel versenkt und saß unbeweglich; nur manchmal, wenn er das Haupt besorgt schüttelte, sah man, daß er nicht schlafe. Der Gulyás hatte dies schon ein paarmal bemerkt, aber lustig eines dazu geschnalzt und immer hinzugesetzt: »Sei ohne Sorgen, Peti, wir sind gleich dort,« und so ging es schweigsam fort, nur der Nebel schien sich zu verdichten; die Gegend, durch welche die brausenden Rosse flogen, schien noch verödeter. Grenzhügel, Weiden, Strohschober und Brunnen waren schon lange nicht zu sehen, und wer die wunderbare Eigentümlichkeit unseres Volkes nicht kennt, sich auf seinen Wegen zurecht zu finden, wenn auch nichts da ist, was eine Richtung zu geben vermag, der wird kaum begreifen können, wie sich die Eilenden nicht schon längst verirrt haben. Das Plätschern unter den Rossestritten endete die Schnelle der Fahrt.
Obschon der Gulyás nicht gesprochen, so hatte er doch schon lange Peti's Besorgniß getheilt; einzelne lichte Flecken, die durch den Nebel auf dem Boden sichtbar wurden, hatten in ihm schon lange den Gedanken erweckt, daß die Theiß vielleicht doch ausgetreten sei. Der Platz, auf welchem der Wagen stehen blieb, war schon mit Wasser bedeckt, obgleich man dies beim ersten Anblick kaum bemerken konnte, weil das breite Schilfgras das Wasser bedeckte. Der Zigeuner sprang ab und ging vorwärts. Vor ihm dehnte sich eine breite Wasserniederung aus, deren Ende er des Nebels wegen nicht sehen konnte. Er kehrte zurück und suchte einen Weg rechts; auch hier Wasser überall, nur einzelne schwarze Flecken schauten wie Inseln aus der Ueberschwemmung heraus, die, immer wachsend durch das einströmende Wasser, auf der grünen Ebene sich wogend fortbewegte. Nur links schien das Erdreich erhöht und noch trocken; dorthin führte Peti die Pferde. »So,« sprach er und setzte sich auf den früheren Platz, »da können wir vielleicht noch zum Walde kommen, die Ueberschwemmung hat noch nicht alle Niederungen angefüllt: gib Acht, István, bleib immer neben dem Wasser, sonst verirren wir uns; das ist die gelbe Ader.« Gelbe Ader, der Ungar nennt Quellen auch Ader.
»Jesus Christus!« schrie Susi, in deren Seele jetzt alle Besorgnisse wieder erwachten, »wir kommen zu spät und mein armer Mann –«
»Wir können noch zurecht kommen,« antwortete der Zigeuner beruhigend, obschon sich in seiner Stimme die größte Besorgniß kundgab, »wenn das Wasser den Froschgraben nicht überstiegen hat, so finden wir den schwarzen Teich trocken und Alles ist gut; fahrt nur zu, István.«
»Verdammte Theiß,« sprach Jener und ermuthigte die Rosse mit der Peitsche.
»Ach, was Theiß,« antwortete der Zigeuner, »wie könnt Ihr nur so reden, wenn das Wasser von hier kommt; ich habe bei Rét die Theiß noch gestern gesehen, die rührt sich nicht, das Alles kommt von der Krebsenquelle; seitdem die Herren einen neuen Damm aufgeworfen haben, ist das Wasser ganz närrisch geworden.«
»So schlag der Donner drein, auch hier ist Wasser,« und er riß die Rosse zurück, deren eines ausgeglitten und gefallen war; Susi schlug die Hände krampfhaft in einander und betete, Peti watete im Wasser bis ans Knie, der Wagen bewegte sich vorwärts. »Das ist nichts!« schrie er endlich, nachdem er durch das nicht breite Gewässer durch war und zum Wagen rückkehrend die schnaubenden Rosse in das Wasser führte. »Fürchtet euch nicht, ihr Narren, beim Gulyás Pista werdet ihr noch mehr gewöhnen.« Der Wagen kam am jenseitigen Ufer glücklich wieder aufs Trockene, und nun ging es wieder weiter im Galopp, wo der Rasen nicht durch Wasser bedeckt war. Durch die einzelnen Wassertümpel führte Peti die Rosse. Eine breite Wasserfläche hemmte plötzlich ihren Fortschritt.
»Der schwarze See ist voll Wasser!« schrie der Zigeuner und schlug die Hände zusammen, »es gibt kein Roß auf der Welt, das hier durchkäme.«
»Bleibt hier,« sprach Susi mit zitternder Stimme, »ich gehe hinüber.«
»Du, Susi, das ginge uns noch ab,« sprach der Gulyás und hielt sie mit Gewalt auf dem Wagen fest, denn sie wollte schon absteigen. »Der See ist voll Vertiefungen; und du, die du krank warst, wenn du einmal ausgleitest und fällst, kannst du nicht mehr aufstehen und bist verloren.«
»Gott wird mir helfen, ich kann meinen Mann in seiner letzten Noth nicht verlassen, du weißt, sie wollen ihn henken.« Und die arme Frau wollte vom Wagen herunter.
»Sei gescheit, Susi,« sprach der Gulyás und stieg ebenfalls ab, »wenn sie deinen Mann aufhängen und du ertrinkst, was wird aus deinen Kindern?«
Susi setzte sich neben den Wagen, bedeckte das Gesicht mit beiden Händen und weinte bitterlich.
»Fürchte nichts, mein Kind,« sprach der Gulyás beruhigend, »wir gehen hinüber, ich oder Peti, Du siehst, der Wald ist vor uns, es muß ja einen Weg geben, um über dies verfluchte Wasser hinüber zu kommen. – Ei, Peti, Peti! du bist so ein alter Mann, warum hast du uns hierher gebracht!«
Der Zigeuner, der indessen seine Augen rund umher hatte schweifen lassen, und sich zu orientiren trachtete, antwortete auf diese Klage nur kurz, daß der Weg, auf dem sie gekommen, im trockenen Wetter um zwei Stunden näher sei, und daß er vor 8 Tagen, als er hier gewesen, noch keine Spur von Wasser gesehen habe. »Fürchte dich nicht, Susi,« setzte er hinzu, »ich gehe hinüber, und wenn mich der Teufel holt, gehe ich hinüber, ich muß mich nur ein wenig auskennen. Ist das nicht der große Baum, bei dem wir neulich gewesen?« so sprach Peti zum Gulyás und wies nach dem jenseitigen Ufer, wo der Wald durch den Nebel herübersah, wie eine dunkle gerade Mauer, aus der sich nur hie und da höhere Bäume erhoben.
»Es kann wohl sein,« antwortete der Gulyás, einen der höheren Bäume schärfer ins Auge fassend, »wenn der verdammte Nebel nicht wäre – aber so kann ihn der Teufel erkennen.«
»Links vom Baum,« fuhr der Zigeuner nachdenklich fort, »so beiläufig auf zweihundert Schritte ist eine Lichtung im Wald; an jenem Tag sind wir mit unserem Wagen durchgekommen, erinnert Ihr Euch noch?«
»Wie zum Donner soll ich mich nicht erinnern, und rechts, wenn sie es nicht niedergemäht haben, muß noch näher beim Baum Geröhricht sein.«
»Richtig,« antwortete der Zigeuner wieder, »und du hast noch gesagt, wie gut wäre das zu einer Umzäunung. Also gehen wir, du rechts, ich links; wenn ich die Lichtung finde, und das wirklich der Baum ist, so wate ich durch. Vom Baum bis zum anderen Ufer der Theiß ist das Erdreich erhöht.«
»Ich gehe mit Euch,« sprach Susi, die jedes Wort dieses Gespräches mit zitternder Aufmerksamkeit gehört hatte; sie stand auf, »ich kann in dieser Unruhe nicht bleiben.«
»Susi, meine Seele,« sprach der Zigeuner, der schon im Laufe war, aber sich noch einmal umwandte, »du warst krank, der Boden ist lauter Koth und Schlamm, du erkältest dich, setze dich nieder und erwarte uns.«
»Aber Ihr kommt zurück? Ihr geht nicht ohne mich hinüber? Ich bitte dich um Gotteswillen, Peti, laß mich nicht hier.«
Der Zigeuner wandte sich noch einmal um und rief ihr zu: »Wenn wir durchkommen, so trage ich dich auf meinem Rücken hinüber.« Wer in diesem Augenblick neben dem Zigeuner gestanden wäre, hätte einen Tropfen sehen können, der über das braungefurchte Antlitz herabfloß.
Die Männer verschwanden im Dunkel des Nebels; nur Susi stand am Rande des Wassers und heftete die Augen auf den dunklen Wald drüben. »So nahe und ich kann nicht hinüber!« seufzte sie, und ihre Seele fühlte alle Qualen der Liebe.
Die arme Frau hatte Recht. Jenseits des Wassers, kaum tausend Schritte von dem Platze, wo seine Frau die Arme sehnsüchtig nach ihm ausstreckt, finden wir Viola und seine Gesellen. In dem harten Lehm, der rechts und links an der Theiß manchmal vorkommt, erheben mächtige Eichen ihre dunklen Kronen; in der ganzen wilden Pracht der Natur ragen sie majestätisch gegen den Himmel; nicht die Axt fällt sie, nur die Zeit stürzt sie oder die Theiß, wenn sie das Ufer und die Wurzeln unterwäscht. Da das Innere der Wälder unzugänglich ist, weil der größte Theil derselben häufig überschwemmt wird, so besteht der Ertrag dieser Wälder beinahe ausschließlich in der Eichelernte, die in guten Jahren eine der größten Einkünfte der Gutsherren bildet.
Ein solcher Eichenwald war der von Szent-Vilmosch. Der Boden, auf dem dieser Wald stand, unterlag beinahe unausgesetzten Ueberschwemmungen und dehnte sich lang hinaus bis an die Theiß, auch dort vom Flusse mehr durchrissen als begrenzt, denn jenseits stand ebenfalls ein meilengroßer Eichenwald. In guten Jahren, wenn nämlich Eicheln wuchsen, war der Wald voll Lärm und Leben. Das Gegrunze von tausenden zur Mästung bestimmten Thieren, Gesänge und das Pfeifen von hundert Kondás Kondás, Schweinhirt. ertönte unter diesen Bäumen. Wenn du zu solcher Zeit durch den Szent-Vilmoscher Wald kamst, konntest du unter den Bäumen hie und dort große Feuer und um dieselben in Bundas gehüllte menschliche Gestalten gewahren; manchmal tönte aus dem Gebüsche ein Dudelsack oder die Furulya Furulya, die ungarische Pfeife; der Ton ähnelt der Flöte, sie wird aber nicht so gehalten, wie diese, sondern wie das Clarinet., manchmal lautes Gelächter, so daß du die Menschen beneiden könntest, die bei so wenigem zufrieden und fröhlich leben, und deren Sorgen ein Krug Wein zerstreut. Jetzt herrscht Todtenstille im Walde; die Bäume hatten dieses Jahr keine Eicheln getragen; die Hütten, welche die Kanáße im vergangenen Jahr nur gegen das strengste Unwetter errichtet hatten, standen jetzt verlassen oder verfielen.
In einer dieser Hütten, und zwar in jener, welche von Szent-Vilmosch am entferntesten ist und beinahe am Rande des Waldes liegt, lagerte jetzt Viola mit den Seinen. Es war der sicherste und beliebteste Zufluchtsort von Viola's ganzer Bande. Neben dem Walde, auf der Seite, wo die Hütte stand, war auf eine halbe Stunde kein Weg, um die Hütte selbst das Gebüsch so dicht, daß man auf 20 Schritte von der Hütte ihre Existenz noch nicht ahnte, auf der anderen Seite, gegen Szent-Vilmosch zu, dichter hochstämmiger Wald, in welchen sich selbst die entschlossensten Comitatspanduren nicht tief hinein wagten, seitdem vor ein paar Jahren nicht weit von diesem Platze ein Commissär und zwei Panduren waren erschossen worden. Wenn nicht Verrath zu besorgen war, konnte Viola unter diesem Dache so ruhig schlafen, wie ein König in seinem Palaste. Außer Peti und dem Gulyás Pista wußten sein Geheimniß nur solche Menschen, die, wenn sie es verriethen, der Galgen erwartete.
Die Hütte, in deren einem Winkel wir Viola auf einem kleinen Faß sitzend finden, hatte eine hölzerne Thüre, mit welcher der schmale Eingang zu sperren war. Längs der Wand an beiden Seiten lag einiges Stroh, welches mit Bundas bedeckt den Räubern als Bett diente. Ein kleines Brett, auf vier Füßen aufgenagelt, welches als Tisch benutzt wurde, ein rußiger eiserner Kessel, der an der Wand hing, waren außer zwei Kulacs und den Waffen der Anwesenden Alles, was in dieser Hütte zu finden war, und worauf das in der Mitte derselben glimmende Feuer ein unsicheres Licht warf. Das Rohrdach der Hütte senkte sich neben den Wänden so tief nieder, daß ein Mann unter ihm nicht stehen konnte. Der Rauch zog sich durch die offene Thüre und durch einzelne Löcher in der Wand hinaus, so daß die Existenz in der Hütte, auch wenn das Feuer brannte, für erträglich gelten konnte.
Viola saß in tiefe Gedanken versunken in der finsteren Ecke, während seine beiden Gefährten, die in diesem Augenblick bei ihm waren, sich auf ihren Bundas dehnten, das glimmende Feuer manchmal anschürten und die mehr und mehr erlöschende Glut betrachteten.
»Du Fleischhauer,« sprach der Eine, den die ganze Gegend unter dem Namen Rácz Andor Andor, Andreas; Rácz, sprich Rátz. kannte, sich die grauen Haare aus der Stirne zurückstreichend, »was meinst du, jetzt wäre Gulyásfleisch recht gut?«
»Hol' dich der Teufel,« brummte der Andere, der bis dahin das Feuer geschürt und die Flammen angestarrt hatte, »warum redest du von so etwas?«
»Und etwas Tabak,« fuhr der Andere lachend fort, »nicht wahr, eine Pfeife Tabak wäre jetzt auch nicht übel?«
»Verdammter Henker!« schrie der Andere, auf dessen jungem, durch Trunk etwas abgestumpftem Gesichte Zorn sichtbar wurde, »wenn man's nicht hat, warum bringst Du einen auf?«
»Nun so!« antwortete Rácz, »oder ist's dir etwa nicht recht?« setzte er ruhig hinzu und blickte seinen jüngeren Gefährten mit all jenem Ansehen an, welches so ein alter Räuber, der seine freie Kunst bei sechs Banden durch fünfundzwanzig Jahre ununterbrochen ausgeübt, ohne dem Comitat in die Hände gekommen zu sein, einem solchen Neuling gegenüber behaupten kann.
»Du machst immer Spässe,« sprach der Fleischhauer und stieß mit dem Fuße an das brennende Holz, »seit frühem Morgen sind wir hier und haben keinen Bissen; wenn das lange dauert, so können sie uns getrost henken, bevor wir verhungern.«
»Warum holst du denn nichts?« sprach Rácz und lächelte höhnisch.
»Wenn Alles gegen uns auf den Beinen ist,« seufzte jener. »Gib den Kulacs her, daß ich trinke.«
»Er steht hier neben dir,« erwiderte der Andere und wies auf den Kulacs, der neben dem Fleischhauer stand.
Dieser schüttelte den Kopf wie Jemand, dem man Gift bietet und sprach: »Nicht den, in dem ist ja Wasser, den anderen neben dir.«
»Den bekommst du nicht, mein Junge,« sprach Rácz und schob den Kulacs etwas weiter, denn der Junge hatte schon die Hand darnach ausgestreckt, »in deinem Kopf ist ohnedies mehr Branntwein, als Verstand, und du weißt, bei nüchternem Magen schadet er,« und der alte Räuber lachte wieder.
»Gib her,« entgegnete Jener immer zorniger, »ich will trinken; ich bin nicht dein Narr, mir befiehlt Niemand!«
»Das werden wir gleich sehen,« sprach der alte Räuber, und während er seine dunklen Augen auf seinen Gesellen heftete, faßte er die Hand desselben, die sich wieder nach dem Kulacs ausgestreckt, mit so kräftiger Faust, daß Jeder hätte sehen können, daß Rácz das Ansehen, welches er in der Bande genoß, nicht blos seinen langjährigen Räubererfahrungen zu danken habe. »Setz dich nieder, Knabe, und sei ruhig.«
»Na wart', du alter Hund,« schrie der Andere, der, wie es schien, aus dem Kulacs, nach welchem er sich neuerdings sehnte, schon mehrere recht ergiebige Libationen dargebracht hatte, und sprang auf und riß seinen Fokos von der Wand, »wir werden gleich sehen, wer mir befiehlt!«
Rácz, der alle Bewegungen des Jüngeren aufmerksam verfolgte, sprang ebenfalls auf, faßte den Drohenden bei der Gurgel, noch bevor er den Fokos hatte schwingen können, drückte ihn an die Mauer und drehte ihm die Waffe aus der Faust. »Ich werde dich lehren, Bube!« rief er mit flammenden Blicken, »die Kanáße haben Schweine genug an dieser Wand geschlachtet; wenn du zankst, so gibt's um eines mehr.«
»Was gibt's,« fragte Viola von dem Fasse aufstehend, da er ihre Reden nicht beachtet hatte, ehe sie diese thätliche Wendung genommen.
»Dieser Junge will mit Teufelsgewalt Branntwein,« sprach der ältere Räuber, der jetzt den unglücklichen Gesellen losließ und selbstzufrieden lächelnd sah, wie dieser sich das schmerzende Genick rieb, »und ich werde ihm gleich was anderes geben.«
»So gib ihm Branntwein, wenn wir welchen haben,« sprach Viola, »wir brauchen ihn so nicht!«
Der Fleischhacker warf einen Hoffnungsblick auf den Kulacs und ging auf ihn zu.
Rácz stellte sich ihm in den Weg. »Ich gebe ihm keinen,« sagte er, »der Junge hat ohnedies mehr getrunken, als nöthig, und ein besoffener Mensch bringt uns nur in Verlegenheiten.«
»Aber wenn ich hungrig bin,« sprach der Andere mit einem flehenden Blick auf Viola.
»Warum bist du Räuber geworden?« sprach Rácz höhnisch lächelnd. »Es hat dir's ja Niemand befohlen.«
»Und wer hat es dir befohlen?« murrte Jener zwischen den Zähnen.
»Das ist was Anderes,« sprach Ersterer ernst, »ich bin ein Deserteur! Zehn Jahre habe ich dem Kaiser gedient, Knabe, in dem größten Krieg habe ich ihm gedient, und wie wir nach Hause gekommen sind, und sie mich nicht entlassen wollten, Bis zum Jahre 1830 hatte das ungarische Militär keine Capitulationszeit; der zum Militär Gestellte blieb sein ganzes Leben über dabei. ist mir, der Teufel weiß wie, eingefallen, daß ich jetzt schon lange genug Soldat gewesen sei, und daß es jetzt auch ein Anderer versuchen könne; ich habe Flinte und Patrontasche weggeworfen und habe geglaubt, daß ich leben könne, auch wenn ich nicht mehr Schildwache stände. Wenn ich eines Fleischhauers Sohn gewesen wäre, wie du, so läge ich jetzt wahrlich nicht im Walde, und auch Viola nicht, das kannst du mir glauben.«
»Was liegt mir daran,« sprach der Andere, den, wie es schien, der Ernst, mit dem Rácz gesprochen, gar nicht rührte. »Räuberleben, frohes Leben; ich will trinken.«
»Gib ihm den Kulacs,« sprach Viola wieder, »er möge sein Gelüste stillen.«
»Gut, aber er ist ja jetzt schon besoffen,« erwiderte Rácz, »wo je eine Bande ins Unglück gerieth, ist es durch Trunkenheit geschehen.«
»Heute haben wir nichts zu fürchten,« sprach Viola, »höchstens wird noch Peti kommen, durch den der István Gulyás-Fleisch schickt; der Stuhlrichter ist in Porvár und aus eigenem Antrieb gehen die Haiduken nicht so weit. Glaube mir, wenn sie wüßten, wo wir sind, so würden sie uns vielmehr ausweichen. Sei also ohne Furcht.«
»Ei! dergleichen muß man nie glauben,« sprach Rácz und schüttelte das Haupt, »das Verderben bricht dann herein, wenn es der Mensch am wenigsten denkt. Nun denn in des Himmels Namen, weil du es willst,« und unmuthig reichte er dem Anderen den Kulacs hin und bot ihm den Trunk unter mancherlei Flüchen an; den Jüngeren beirrte dieses aber nicht, und mit dem Ausdruck thierischen Vergnügens nahm er große Züge aus dem Gefäß.
In der Hütte war es wieder ruhig. Der Fleischhauer, der eine Weile von seinen Heldenthaten sprach, erhielt keine Antwort, und als er sah, daß ihm der Andere nicht einmal zuhörte, verstummte er nach und nach und schlief ein. Rácz stützte die Ellenbogen auf die Kniee und starrte in das Feuer; Viola war vor die Hütte getreten.
Es war finstere Nacht. Die hohen Eichen, die den Platz umgaben, und deren Gipfel im Nebel verschwanden, erhöhten noch das Dunkel, und nur das matte Feuer, dessen Glanz durch die Thüröffnung auf die Blätter fiel, verbreitete eine Art von Schimmer über das Ganze. Lautlose Stille herrschte in der Gegend ringsum. Manchmal hauchte der Herbstwind über den Wald hin, dann rauschten die dürren Blätter, die noch an den Zweigen hingen; wie ein langer schmerzlicher Seufzer zog es durch die Wipfel der Bäume, immer ferner und ferner hin, bis das leise Geräusch ganz erlosch und die Bäume wieder in stummer Unbeweglichkeit standen. Einzelnes Rabenkrächzen ertönte zuweilen, das Gevögel, das zu Tausenden in diesem Walde lagerte, erwachte dann und schlug die Zweige mit den schweren Flügeln, hierauf herrschte wieder Stille und Schweigen rund um. Viola stand vor der Hütte, und seine Seele füllte unbeschreibliche Trauer. Die dunkle Nacht, das Schweigen, die Verlassenheit, in der er sich sah, und die ihm noch schmerzlicher wurde, wenn er in die Hütte schauend die Gefährten erblickte, die ihm auf dieser Welt geblieben; alles, alles füllte seine Seele mit Traurigkeit. Wie glücklich war er einst gewesen! Wenn die Feldarbeit geendet, und der Herbst wie jetzt mit seinen langen Abenden gekommen, saß er in seiner warmen Stube, auf den Knien schaukelte er den kleinen Sohn, die Augen waren auf Susi geheftet, die bei der Lampe mit rastlosem Eifer die Spindel tanzen ließ. »Und doch,« sprach er jetzt zu sich selbst, und die Faust ballte sich krampfhaft, »und doch haben sie mein häusliches Glück zerstört! Ich habe alle meine Schuldigkeiten erfüllt, nein, ich habe mehr gethan, als ich schuldig war. Ich habe alle ihre Befehle vollzogen, ich habe meinen Hut herabgenommen vor den Henkern, ich war unterthänig wie ein Hund, die Stiefeln an ihren Füßen hätte ich geküßt, nur damit sie meine Susi und meinen Sohn in Ruhe ließen, nur daß sie meinen häuslichen Frieden nicht störten, und doch!« Viola überdachte noch einmal all' das Unwürdige, was er hatte erdulden müssen. Wie man ihn zwingen wollte, seine Frau in ihren Wehen zu verlassen, wie man ihn durch das Dorf geschleppt, wie ihn Nyúzó prügeln lassen wollte, und endlich den Moment, wie er die Axt erblickt, die Schneide gegen die Hirnschale des Kastners gekehrt, und wie er beim Anblick des Blutes sich zum erstenmale vor sich selbst entsetzt hatte. »Nein, nein,« so sprach er und hob die Hände gegen Himmel auf, »Gott vergebe mir meine Sünden, aber was ich gethan habe, kann ich nicht bereuen! wenn ich jetzt dort wäre, die hohnlachenden Henker um mich, und die Axt auf einmal vor mir blitzte, so raffte ich sie wieder auf, und wehe dem, der mir entgegenkäme. Aber Ihr, die ich in meinem ganzen Leben nicht beleidigt, und die Ihr mich ins Elend gestürzt, Ihr, die Ihr Weib und Kind an den Bettelstab gebracht, die Ihr einen Räuber aus mir gemacht, Ihr, die Ihr mich hinausgetrieben unter das Wild des Waldes, Ihr, derentwegen ich hier und jenseits verdammt bin – du, Fiskal und du, Stuhlrichter! hütet euch, so wahr mich Gott sieht, ich räche mich, ich soll nicht selig werden, wenn ich nicht blutige Rache nehme!«
In diesem Augenblicke rauschte es durch den Wald, Viola beugte den Kopf vor und horchte. Es war, als nahten Menschen. Das trockene Laubwerk rauschte, manchmal krachte ein gebrochener Zweig, die Raben flogen von den Wipfeln der Bäume auf und über dem Wald ertönte ihr trauriges Gekrächze. »Wer kann das sein,« dachte Viola bei sich, »vielleicht Peti und der Gulyás, aber wie kommen die von Sz.-Vilmos?« Und jetzt war von der anderen Seite des Waldes ähnliches Geräusch hörbar, die Schritte kamen immer näher. »Das sind viele Menschen,« dachte Viola, »die suchen vielleicht mich!« Es blieb kein Zweifel übrig, durch die Stille der Nacht wurde schon das Flüstern der Nahenden hörbar. Viola stürzte in die Hütte, schloß die Thüre ab, weckte den Fleischhauer durch einen Fußtritt und erzählte kurz, was vorging.
»Hab' ich es nicht gesagt?« sprach der alte Räuber aufspringend und griff nach seiner Doppelflinte, »und der hier,« er stieß den Fleischhauer an, »besoffen wie ein Zapfen.«
An diesem Letzteren beging Rácz eine große Ungerechtigkeit; der arme Geselle, der jetzt den Stoß mit engelsgleicher Geduld ertrug, war ganz nüchtern geworden, als er hörte, daß der Feind nahe. »Können wir nicht entfliehen?« sprach er leise und drückte mit bebender Hand den Arm seines Gefährten.
»Wir sind umringt,« antwortete Viola, »wenn es nicht Viele sind, so geschieht uns nichts; sind die Gewehre geladen?«
»Alle, vier Doppelflinten, sechs Pistolen,« sprach Rácz, dessen Gesicht wilde Kühnheit verrieth, »sie sollen nur kommen, hier erwartet sie ein gutes Nachtmahl.«
»Zünde die Lampe an und stelle sie in die Ecke, damit sie nicht durch die Ritzen durchschimmere, bedecke das Feuer mit Asche.« Der Fleischhauer gehorchte zitternd. »Du, Rácz, und ich, wir stellen uns an die ersten zwei Einschnitte neben der Thüre. Du, Fleischhauer, gib auf die beiden Seiten Acht, ob sich Jemand naht; wenn Einer von der Seite kommt, schieß ihn nieder, du kannst einmal rechts und einmal links hinausschießen, gib nur Acht, daß Keiner sein Gewehr bei einem Einschnitt hereinsteckt. Fürchte dich nicht, Junge, es wird dir nichts geschehen.«
Gesagt, gethan – das mit Asche bedeckte Feuer verursachte so starken Rauch in der Hütte, daß die Lampe aus der Ecke nur schwaches Licht verbreiten konnte. Viola und Rácz standen neben der Thüre, das Gewehr in der Hand und schauten durch die kleinen Einschnitte hinaus, die als Schießscharten für ähnliche Angriffe in der Mauer waren angebracht worden; im Hintergrund ging der Fleischhauer auf und ab, und that manchen Schluck aus dem Kulacs, auf den Rácz jetzt nicht mehr achtete. Aber der begeisternde Trank hatte jetzt seine Macht über den jungen Mann verloren; zitternd und mehr und mehr erbleichend, je näher die Gefahr kam, ging er halb außer sich in der Hütte auf und ab. »Wenn ich nur jetzt davon komme,« brummte er in sich hinein, »so will ich wieder ein ehrlicher Mann werden. Gott! wenn sie mich fangen, werde ich gehenkt.«
»Die Vögel sind da,« rief eine starke, kreischende Stimme, in der Jeder Nyúzó erkennen konnte, »ich sehe Licht in der Hütte. Ist sie von allen Seiten umringt? Gebt Antwort!«
Vierzig bis fünfzig Stimmen, die nach diesem Anruf zugleich aufschrieen, verkündeten den Räubern, daß hier von Rettung keine Rede mehr sei. Der Fleischhauer kniete nieder und schlug ein Kreuz.
»Hund, ich schieß dich nieder,« schrie Rácz, »stell' dich an den Einschnitt und schieß nieder, was sich naht; wenn wir uns gut vertheidigen, so lassen sie alle ihre Zähne hier.« Der Fleischhauer that noch einen starken Schluck Branntwein und stellte sich zu einem der Einschnitte.
»Ergebt euch, Räuber,« schrie Nyúzó, »wenn ihr euch nach dieser Aufforderung des löblichen Comitats nicht ergebt, so wird man mit euch nach dem Statarium Statarium, Standrecht. verfahren.«
In der Hütte blieb Alles stille. »Vorwärts Bursche, brecht die Thür ein; nur frisch drauf,« schrie der Oberstuhlrichter. Zwei Panduren und einige Bauern stürzten gegen die Thüre; aber bevor ihre Aexte dieselben berühren konnten, fielen zwei Schüsse und zwei Angreifer wälzten sich in ihrem Blute, die Uebrigen liefen zurück. Aus der Hütte rief Rácz mit donnernder Stimme: »Wer Leben hat, mag kommen!«
In demselben Augenblick, als die beiden Andern schossen, drückte auch der Fleischhauer seine Flinte ab; das Schicksal wollte es so, daß auch auf diesen Schuß einer, der an der Seite der Hütte aufgestellt war, zusammenfiel, wodurch die Belagernden in solchen Schrecken geriethen, daß ein Theil sich zur Flucht wandte.
Nach diesem Anfang des Treffens war eine Weile Ruhe, sowohl in der Hütte als unter den Angreifenden; dort luden die Räuber wieder ihre Gewehre, hier versammelte sich ein Theil der Belagernden um Nyúzó und den Sicherheitscommissär und hielt Rath. Es muß bemerkt werden, daß bei diesem Kriegsrath Macskaházy's Stimme nicht gehört wurde. Diese Bescheidenheit übersteigt unsere kühnste Erwartung.
»Ich weiß wirklich nicht, wie wir sie fangen,« sprach der Commissär und drehte in einer Hand die Pistole, in der anderen seinen breiten Insurgentensäbel, der seit der Insurrection von 1711 bei seiner Familie wie in vielen adeligen Häusern war aufbewahrt worden, und in tapferere Hände nicht hätte kommen können.
»Man muß also nochmals stürmen und noch einmal und wieder,« antwortete der Oberstuhlrichter und stampfte mit dem Fuß, »bis wir die Schurken fangen, binden und zum Galgen schleppen.«
»Wenn es sein kann,« antwortete der Andere und zuckte die Achsel, »an mir wird's nicht fehlen.«
»Wenn es sein kann? Alles ist möglich, was ich befehle,« schrie Nyúzó, der seine Feldherrnfähigkeiten schon dadurch erprobte, daß er nach der Weise großer Feldherren die Bewegungen seiner Schaar leitete, aber sich außer dem Bereich der Kugeln hielt.
»Mir ist's recht,« sprach der Commissär zornig, »ich greife an und wenn's der Teufel ist, wenn nur die anderen nachkommen.«
»Wer nicht geht,« schrie Nyúzó, »ist ein Hund, ein Poltron, man muß ihn gleich niederschlagen.«
»So komme der gestrenge Herr mit uns, ich kann den Leuten nicht so befehlen.«
»Wo denken Sie hin, Herr Commissär!« antwortete Nyúzó mit viel sanfterer Stimme, »das ist nicht meine Schuldigkeit, und ich muß das Ganze im Auge behalten.«
»Meinetwegen,« sprach der Commissär und warf einen verachtenden Blick auf seinen Vorgesetzten, und wenn in der Finsterniß der Stuhlrichter den Blick auch nicht bemerkte, so konnte er ihn doch aus der Stimme des Redenden ahnen. »Vorwärts, Bursche!« schrie der Commissär, der Oberstuhlrichter wiederholte den Befehl noch lauter, und von einer entfernteren starken Eiche tönte auch noch ein kreischender Ruf, in welchem die Leser die schöne Stimme des klugen Macskaházy erkennen werden. Der Commissär schwenkte seinen Säbel über dem Haupt, und die Panduren und einige Bauern ihnen nach, rannten gegen die Hütte. Als die Stürmenden der Thüre nahten, wurden sie wieder mit Schüssen empfangen, der Blitz aus den Röhren verbreitete einen Augenblick Licht über das Ganze, darauf wieder Finsterniß, und nur Schmerzensrufe, die vom Boden aufschallten, bewiesen, daß auch diese Schüsse getroffen.
Der ganze Haufe retirirte. »Nur vorwärts, jetzt vorwärts,« schrie der Commissär, »bevor sie neu laden können, es ist keine Gefahr,« und der Commissär und die Muthigsten der Schaar stürzten wieder auf die Hütte zu; dem Commissär ward der linke Arm durchschossen, ein Pandur ward durch die Brust getroffen.
Der Commissär fluchte aus Zorn und Schmerz. »Sie haben kein Pulver mehr, nur darauf, nur darauf,« so schrie er, riß einem neben ihm stehenden Bauern die Axt aus der Hand und lief wieder gegen die Thür. Die übrigen, theils weil sie wirklich glaubten, daß die Räuber kein geladenes Gewehr mehr hätten, theils weil der Muth wie die Furcht ansteckend ist, und der Kampf selbst, das Bewußtsein der Gefahr auch den Furchtsamsten in Aufregung bringen, erhoben ihre Waffen und eilten ihm nach. Aus der Hütte fiel ein Schuß nach dem anderen, und beinahe jeder streckte einen Mann nieder. Der Jammerruf der Verwundeten, das Fluchen der Belagerer und Belagerten und die Schüsse bildeten einen umso schrecklicheren Lärm, je finsterer die Nacht sich auf den Kampfplatz niedersenkte, über den nur die blitzenden Schüsse augenblickliches Licht verbreiteten. Die ermunternde Stimme des Commissärs und der Klang der Aexte, mit denen er und ein Bauer an die Thüre schlugen, tönte aus dem allgemeinen Lärm hervor.
»Her mit der Flinte,« schrie der Commissär, indem er die Axt wegwarf und die Flinte einem Panduren aus der Hand riß. »Dies für dich, Viola,« und das Gewehr an die Thür haltend, drückte er los.
Auf diesen Schuß schrie Jemand in der Hütte auf und fiel zusammen. Aber ehe noch der Commissär seiner Freude Worte geben konnte, fiel aus der Hütte ein zweiter Schuß, und der Bauer, der mit der Axt neben dem Commissär stand, sank auf den Tod getroffen nieder. »Eine andere Flinte her,« schrie der Commissär, aber Niemand war mehr um ihn, der ganze Haufe floh unaufhaltsam dem Oberstuhlrichter zu, der während des ganzen Auftrittes nicht aufgehört hatte zu fluchen und die Kämpfenden zu ermuthigen, aber als unerschütterlicher Feldherr sich dem Kampfplatz nicht um einen Schritt näherte. Der Commissär sah, daß er allein den Räuber nicht bezwingen könne, denn ein zweiter Schuß durch die Thür hatte seine Achsel getroffen. Fluchend zog er sich zu den Seinen zurück.
Der Sturm war abgeschlagen; der besiegte Haufe sammelte sich um den mächtigen Feldherrn. Nyúzó war außer sich vor Zorn; der Räuber, den er so lange gesucht, war hier, 200 Schritte von ihm in der Hütte, von seinen Leuten umgeben, er hatte Alles mit Umsicht angeordnet wie der beste Feldherr, der eine Festung belagert: und jetzt diese miserablen Menschen, die sich unterstanden davonzulaufen, wenn hinter ihrem Rücken ihr eigener Stuhlrichter steht und in einer kalten Novembernacht bis in die Knöchel im Koth steckt, sich dem größten Schnupfen aussetzt, und so seinen Untergebenen ein Beispiel gibt, daß keine Gefahr existire, die der gute Patriot nicht bestehen müsse für das allgemeine Wohl. Die Sache war unerhört; und dann die Pfeife selbst! der nasse Tabak brannte nicht, das Rohr hatte keine Luft, und Paul Nyúzó sollte nicht fluchen, nicht vermaledeien die ganze Welt von ihrer Erschaffung bis auf diesen Tag, denn fünfmal hatte er Feuer geschlagen und konnte die Pfeife doch nicht anzünden. Mit der ganzen Gewalt seines Grimmes in die verstopfte Pfeife blasend, stand er wie ein feuerspeiender Greif unter den hohen Eichen.
»Also ihr nichtsnutzigen Schufte, wo ist der Räuber?« so schrie er und warf die Pfeife zu Boden, die er nicht zurecht zu bringen vermochte. »Wo ist Viola? wie wagt ihr es, ohne ihn zurückzukommen?« Der Haufe schwieg, ein Haiduk hob die Pfeife auf, die zum Glück auf weiches Erdreich gefallen war.
»Klopfe sie aus, aber gut, du Schuft,« sprach der Oberstuhlrichter, sich zu ihm wendend, »sie hat keine Luft. Habe ich es nicht hundertmal gesagt,« schrie er wieder die Uebrigen an, »daß ihr mir die Räuber gebunden bringen sollt?«
»Gestrenger Herr,« sprach der Eine in unterthänigem Tone, »wir haben alles mögliche gethan, 3 oder 4 sind todt, die Hälfte der anderen verwundet, dem Commissär haben sie den Arm durchschossen.«
»Es sind wenigstens zehn Räuber in der Hütte, wo man nur hinschaut, nichts als Flintenläufe,« sprach ein Anderer, »es ist unmöglich aufzukommen.«
»Unmöglich? wer hat gesagt unmöglich?« schrie der Oberstuhlrichter wüthend, »ich möchte wissen, wer zu sagen wagt, unmöglich, wenn ich befehle – wo ist der Schuft?«
»Er hat Recht,« sprach der Commissär, der nun auch zu den Uebrigen getreten war, »mit solchen Leuten, wie diese, wird Viola nicht gefangen. Nimm mein Schnupftuch,« sagte er zu einem Panduren, »und verbinde mir den linken Arm. Alles eins, wie immer, nur stark, damit das Blut weniger rinnt, bis wir einen Feldscher finden.«
»Aber wenn ich sage, daß man ihn fangen muß,« schrie Nyúzó im Gefühle seines verletzten Ansehens, »wer befiehlt hier?«
»So versuchen es der gestrenge Herr selbst, wenn es beliebt, ich kann nichts mehr thun, ich habe zwei Schüsse erhalten, kann weder meine rechte noch linke Hand brauchen; ich könnte kein Kind fangen.«
Nyúzó schüttelte das Haupt. »Es ist ein Unglück, daß der Herr Commissär verwundet worden ist. Die Verwundeten sollen also zurückbleiben, ihr anderen stellt euch in eine Reihe. So meine Kinder! Jetzt drauf und dran, und wenn euch der Teufel holt.«
Nach dem Anruf des Oberstuhlrichters fielen ein paar Schüsse aus der Hütte, und das Haupt der Gorgonen hatte noch nie eine Schaar so fest gebannt auf einen Fleck, wie der Schall dieser Schüsse die Belagernden. Nyúzó schien sogar zu retiriren.
»Drauf, drauf, ihr Nichtswürdigen,« schrie er hinter einem Baume hervor, aber Jeder blieb auf seinem Platze; wenn sie statt Belagerer Belagerte gewesen wären, so hätte sich Niemand besser halten können.
»Wirst du nicht gehorchen?« sprach Nyúzó mit zornerstickter Stimme zu einem, der neben ihm stand und packte ihn bei der Gurgel, »gehst du nicht gleich zur Hütte?«
»Ich wahrlich nicht,« antwortete dieser ruhig und trat zur Seite.
»Na wart, wie heißt du?«
»Jovács Miksa Miksa, Maximilian., ein Sz.-Vilmoscher Edelmann.«
»Ich habe Euch nicht erkannt, und der?« schrie er sich zu einem Anderen wendend.
»Das ist mein Verwandter András, auch ein Edelmann.«
»Wo sind denn die Bauern?«
»Die sie nicht erschossen haben, sind nach Hause gelaufen.«
»Feiges, unnützes Bauernvolk,« schrie der Oberstuhlrichter, »ich werde es ihnen schon eintränken.«
»Gestrenger Herr,« sprach der Commissär zum Oberstuhlrichter, »gehen wir nach Hause; wir haben Alles gethan, was das hochlöbliche Comitat von uns verlangen kann; zu Mehrerem kann Niemand gezwungen werden. Alles in Allem sind wir kaum fünfzehn, die Andern sind todt oder verwundet oder davongelaufen; wenn wir uns bis auf den letzten Mann erschießen lassen, so werden wir Viola doch nicht fangen. Sobald er merkt, daß wir so wenige sind und die Hütte nicht mehr umstellt ist, wird er sich davon machen, und wer kann ihm nach in den finsteren Wald?«
Nyúzó sah das Gewicht dieser Gründe ein und wollte schon nachgeben, als Macskaházy aus seinem Versteck herauskam und sich den Uebrigen zugesellte; der Streit war vorüber und er hatte bemerkt, daß die Kugeln nicht hierher reichten. Er brachte einen neuen Plan vor. »Man muß die Hütte anzünden,« sprach er, »wenn ihnen warm wird, kommen sie schon heraus; wir stellen die Schützen hinter Bäume, und wie ein Räuber herauskommt, wird er niedergeschossen.«
Diese Worte brachten neues Leben in das Ganze. Der Commissär lachte vor Freude; Feuerzeug, Schwefelhölzchen und eine Pechfackel wurde einem Panduren übergeben, der die Brandstiftung auf sich nahm und sich auf einer Seite zur Hütte schlich, an der keine Schießscharte war. Die Schützen versteckten sich hinter's Gebüsch und Nyúzó, der bei Macskaházy geblieben war, umarmte ihn aus Freude über diesen göttlichen Gedanken.
Die Lage der Räuber war indessen sehr ungünstig; der Schuß, den der Commissär durch die Thüre gethan, hatte Rácz in die Brust getroffen; er lag röchelnd auf dem Boden, die Erde um ihn wurde schlüpfrig von seinem Blute. Der Fleischhauer schwankte auf und nieder in der Hütte, fluchend und betend zugleich, den Tag verwünschend, an dem er geboren worden. Mit Branntwein wollte er seinen Muth aufrechterhalten, aber das starke Getränk hatte keine Macht über seinen Kopf, in welchem der Gedanke an die drohende Gefahr allem Anderen widerstand.
Viola war ruhig und sprach nichts; er war überzeugt, daß sein letzter Tag gekommen, und furchtlos sah er dem Tode entgegen; nur an Weib und Kind dachte er mit Besorgniß. Einen Augenblick dachte er an Flucht, als sich die Belagerer zum letztenmal zurückzogen; wenn er das Dach durchbrochen und auf der Rückseite der Hütte sich herabgelassen hätte, konnte er in der finsteren Nacht vielleicht entkommen; aber da fielen seine Blicke auf den alten Gefährten, der zu seinen Füßen im Blute lag, er gedachte, daß er bei anderer Gelegenheit ihm das Leben zu verdanken gehabt, und jetzt wollte er ihn nicht verlassen in der Noth. Da hörte er neue Vorbereitungen zum Angriff und ohne Klage erwartete er die Erfüllung seines Schicksals.
»Schieße nur,« sprach Rácz, als er den Lärm vor der Hütte hörte, mit der Stimme eines Sterbenden, »schieße, so lang nur einer von ihnen übrig ist.«
»Wir haben keine Kugeln mehr,« sagte Viola ruhig, »Pulver so viel du willst, das Blei aber ist ausgegangen.«
»Höll' und Teufel!« sprach der Andere schwer athmend, »wir haben kein Schrott?«
»Nein,« antwortete Viola, »eine Flinte und zwei Pistolen sind noch geladen, die Uebrigen sind leer.«
»Gib mir eine Pistole,« sprach der Räuber leise und streckte die Hand nach Viola aus.
Viola verstand den Zweck dieser Bitte und reichte ihm traurig die verlangte Waffe, der Andere faßte sie krampfhaft in die Hand und sank seufzend auf das Stroh zurück. »So,« murmelte er zwischen den Zähnen, »jetzt können sie kommen, lebendig schleppen sie mich wenigstens nicht zum Galgen.«
»Du, Viola,« sprach der Fleischhauer leise und wies auf Rácz, der mit geschlossenen Augen wie ohne Bewußtsein dalag, »er ist gestorben.«
»Siehst du denn nicht, wie sich seine Brust hebt?«
»Aber er wird sterben, nicht wahr? wie wäre es, Viola,« setzte er flüsternd hinzu, »wenn wir uns ergeben möchten; vielleicht würden sie uns verzeihen.«
»Verzeihen!« rief Viola und lachte. »Wenn sie uns nicht erschießen, so sind wir bis morgen Abends gehenkt, du und ich.«
»Nicht so verzeihen,« sprach wieder der junge Räuber mit immer leiserer Stimme, als ob Jemand seine Gurgel zusammendrücke, »nicht so verzeihen, daß wir wieder frei umhergehen könnten; ich meine nur, daß sie uns einsperren auf 5 bis 10, meinetwegen 20 Jahre, und daß sie uns alle Vierteljahre durchprügeln und uns hungern und arbeiten lassen, meinetwegen was immer, nur nicht henken. Was glaubst du, Viola, würden sie das nicht thun, wenn ich sie bäte, wenn ich sie auf den Knieen darum anflehte? Schau, Viola, ich bin noch so jung und du weißt, ich habe Niemanden umgebracht, ich habe auch jetzt nur in die Luft geschossen.«
»Armer Bursche,« sprach Viola und befreite seine Hand aus den zitternden Händen seines Gefährten, »sag' das deinen Richtern, aber was ist das,« schrie er plötzlich gegen einen Winkel der Hütte zeigend, »dort raucht's.«
»Die Hütte brennt,« hieß es draußen, »werft Alles zurück ins Feuer,« schrie Nyúzó's gewaltige Stimme durch den Lärm; das Innere der Hütte füllte sich mit schwerem Rauch.
»Sie haben die Hütte angezündet,« sprach Viola schaudernd, »das ist entsetzlich.«
Rácz schlug die Augen auf, hielt sich den Kopf und schaute umher; in einer Ecke der Hütte schimmerte schon das Feuer durch, unleidliche Hitze verbreitete sich. »Laß dich nicht lebendig fangen,« rief er mit der letzten Kraft, »wenn es möglich, schieß den Oberstuhlrichter nieder und dann stirb,« darauf schoß sich der alte Räuber vor den Kopf. Sein Blut spritzte auf Viola's Hände; dieser schwankte einen Augenblick.
»O Gott,« schrie der Fleischhauer und fiel auf die Kniee, »wir verbrennen, gib den Kulacs her, vielleicht lösche ich es. Der brennt auch,« schrie er mit Entsetzen, als der Branntwein in blauen Flammen über den Boden hinrann, »Vater unser, der du bist in dem Himmel – Viola, Viola, warum hast du die Schriften des Notärs gestohlen, das ist unser Unglück!« Der Unglückliche drückte den Kulacs verzweifelnd an den Mund und trank, bis ihn das starke Getränke zu Boden warf; er lag neben Rácz hingestreckt.
Die letzten Worte hatten Viola an die Schriften gemahnt, die er in der großen Gefahr vergessen; er war entschlossen gewesen, sich unter dieser Hütte begraben zu lassen; wenn dann Susi die Kinder dorthin führen wollte, wo die Asche des Vaters lag, mußte sie doch nicht unter den Galgen gehen. Aber durfte er jetzt sterben? Tengelyi hatte menschenfreundlich Weib und Kind in sein Haus aufgenommen, diese Schriften waren für ihn vielleicht von unendlicher Wichtigkeit, und jetzt sollten sie mit ihm hier verbrennen, und er sollte mit der Nachrede aus der Welt gehen, daß er seinen größten Wohlthäter unglücklich gemacht. Das durfte er nicht thun.
Die Flammen griffen immer weiter um sich, an der Rückwand der Hütte fiel brennendes Stroh auf den Boden, Viola's Haare entzündeten sich, seine Brust fand keinen Athem mehr in der erhitzten Luft, seine Augen erblindeten; noch einen Augenblick und sein Entschluß stand nicht mehr in seiner Macht.
Noch einen Blick warf er auf seine Gefährten, und die Schriften in der Hand, öffnete er die Thüre und stürzte hinaus.
Nachdem in der Hütte eine Zeit über Alles still gewesen, und trotzdem, daß das Strohdach in hellen Flammen stand, die Thüre doch nicht aufging und Niemand sich rührte, meinten schon Alle, daß die Räuber in der Finsterniß entflohen seien. Der Schuß, durch welchen Rácz sein Leben geendet, ließ sie glauben, daß eines der zurückgebliebenen Gewehre durch das Feuer von selbst losgegangen sei. Selbst Nyúzó und Macskaházy, obgleich erzürnt, daß sie in ihren Hoffnungen betrogen worden, nahten sich doch der Hütte ohne Furcht. So geschah es, daß Viola, als er mit versengtem Haar und raucherblindeten Augen, die Schriften in ein Schnupftuch gewickelt und in einer Hand haltend, aus der Hütte herausstürzte, eben auf diese beiden Männer traf.
Macskaházy riß ihm die Schriften aus den Händen und lief zurück, mit unendlichem Geschrei rannten Alle hinzu und umgaben Viola.
In des Räubers Händen war keine Waffe, aber der Schrecken, durch welchen er seit langem die ganze Gegend beherrschte und der durch seine verzweifelte Gegenwehr noch vermehrt worden war, hielt selbst die Kühnsten zurück, und wenn in seiner Hand noch eine Waffe, wenn im Arm noch Kraft gewesen wäre, hätte er durchbrechen, sich noch retten können. Aber Viola dachte nicht mehr an Widerstand. Die Körper- und Seelenleiden, die er während des Hüttenbrandes erduldet, hatten die Kräfte seines eisernen Körpers aufgezehrt; er riß die Augen weit auf, aber er sah nicht, in langen Zügen athmete er die frische Luft ein, die Brust hob sich als sollte sie zerspringen, er streckte die zitternden Arme aus, und mit einem schweren Seufzer stürzte er zu Boden. Er war ohnmächtig. Da schrie der ganze Haufe: »Sieg« über den liegenden Feind, und es war keiner unter ihnen, der nicht Jenem Hände und Füße hätte binden wollen, vor dessen bloßem Namen er noch vor Kurzem gezittert.
Nachdem Nyúzó mit nicht geringer Schwierigkeit das Freudengeschrei beschwichtigt, um Anstalten zu treffen, wie der Gefangene nach Sz.-Vilmosch zu bringen sei, vernahm man aus der Hütte Stöhnen und leisen Wehruf. Die Anwesenden entsetzen sich, und Todtenstille herrschte um die Hütte; nur das Knistern des Feuers und das laute Wehklagen des Unglücklichen waren hörbar.
»Vielleicht bring' ich ihn heraus,« sprach ein Pandur, menschlicher als die Uebrigen.
Ein ungeheueres Gekrach unterbrach den Redenden; das Pulver, welches die Räuber in der Hütte aufbewahrt, hatte sich entzündet, das Dach flog in die Höhe und auseinander, und die einzelnen brennenden Stücke fielen im Walde und unter den Menschen nieder, ohne jedoch einen derselben zu beschädigen.
Todtenstille herrschte nun rundum: das Wimmern in der Hütte war verstummt; der Helligkeit, welche die brennende Hütte früher überall verbreitet, war wieder Finsterniß gefolgt, nur einige der hier und da zerstreuten Dachtrümmer verbreiteten rothes Licht in ihrer Nähe; der Pulverdampf ließ sich auf das Ganze wie ein Nebel nieder.
»Da hätten wir gut ankommen können,« sprach der Commissär, der zuerst seine Ruhe wieder gewann. »Die verdammten Kerle!«
»Kann nichts mehr geschehen?« rief Nyúzó aus der Ferne hinter einem Baum hervor, und seine Stimme bebte.
»Nein, gestrenger Herr,« antwortete der Commissär, »aber bleiben der gestrenge Herr nur dort, wir haben nichts mehr zu thun. Zwei starke Bursche tragen den Räuber,« sprach er zu den Anderen gewendet, die sich nach und nach wieder sammelten, »und nun fort mit ihm nach Szent-Vilmosch.«
Viola, noch immer ohnmächtig, wurde aufgehoben, und die ganze Schaar schlug den Weg nach Szent-Vilmos ein.
»Hast du die Schriften?« flüsterte Nyúzó zu Macskaházy.
»Ja,« antwortete Jener ebenso leise, »ich habe sie ins Feuer geworfen.« Ihre Schritte verklangen im Walde, und der Ort, wo so Entsetzliches geschehen, stand wieder verlassen.
Susis Gefühle während dieser Zeit kann ich nicht beschreiben.
Kurze Zeit, nachdem wir die Frau verlassen, waren Peti und der Gulyás zurückgekehrt. Der Eine hatte den Einschnitt, der Andere das Röhricht gefunden, der hohe Baum war der, von dem sie gesprochen; sie zogen die Stiefel aus und wollten hinüber, die Rosse wurden gekoppelt. Peti mit einem starken Stock in der Hand, ging voraus, der Gulyás hatte Susi auf den Rücken genommen, sie hatte ihn um Gotteswillen gebeten, sie mitzunehmen. Sie waren aber kaum in der Mitte des Wassers, als der Lärm der Angreifenden aus dem Walde herausschallte.
»Wir sind zu spät gekommen!« schrie Susi, »tragt mich hinüber, daß ich zu seinen Füßen sterbe.«
Schüsse wurden gehört, einige der fliehenden Bauern hatten den Weg auf dieser Seite genommen, und die Watenden waren nahe genug am Ufer, um die Tritte der Laufenden zu vernehmen.«
Der Gulyás fing wieder an zu hoffen: »Fürchte dich nicht,« sprach er tröstend, »du siehst, die Schufte sind alle davongelaufen.«
Peti ging vorsichtig weiter und so kamen sie an's Ufer; aber der Lärm begann wieder, neues Geschrei, ein neuer Sturm waren zu hören.
Susi riß sich halb von Sinnen aus den Händen des Gulyás, rannte dem Lärme zu, die Männer hielten sie mit Gewalt fest, sie stürzte auf die Kniee, aber ihre Seele füllte nur ein Gedanke: Viola's Gefahr. Kam nicht jeder Klang von seinen Feinden? Konnte nicht jeder Schuß seine Brust treffen? Sie konnte nicht beten; verzweifelnd raufte sie sich die Haare aus, und ihre Seele sprach einen Fluch über die ganze Schöpfung. Da flammte helles Licht aus dem Walde, das Geschrei der Angreifenden, von denen diese drei nicht fünfhundert Schritte entfernt waren, ließ über die Ursache keinen Zweifel. Susi sprang auf, erhob die Hände zum Himmel: »sie haben die Hütte angezündet, mein Mann wird verbrannt!« schrie sie mit herzzerreißender Stimme und sank ohnmächtig in Peti's Arme.