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Achtzehntes Capitel.

Kapitelüberschrift »Neunzehntes Capitel« fehlt. Re. für Gutenberg

Als Susi wieder zu sich kam und mit ihren Begleitern auf den Kampfplatz gelangte, war Alles ruhig und still; die Schritte, mit welchen der siegende Haufe mit dem Gefangenen und den Verwundeten nach Sz.-Vilmosch eilten, wurden schon längst nicht mehr gehört; das Freudengeschrei, mit dem die Sieger ihren Triumph feierten, verhallte in der Ferne, und nur die vielen Raben, aufgeschreckt aus ihrem Schlaf, schwebten noch krächzend über dem Walde um die Hütte herum; auf dem offenen Platze, der allwärts von Gebüschen umgeben ihr gleichsam zum Hofe diente, lagen hin und wieder zerstreut angebrannte Holztrümmer, und die Hälfte eines Querbalkens, aus dem manchmal kleine Flammen aufflackerten, verbreitete ein schwaches, ungewisses Licht über die Ruinen.

Susi war ruhig. Das menschliche Herz verträgt nur ein großes Maß Freude und Leid; ist der Kelch einmal voll, so können die Fluthen des Meeres über ihn hinrollen, sein Inhalt wird nicht um einen Tropfen vermehrt. Die unglückliche Frau hatte diesen Punkt längst erreicht. Als sie zur Hütte kam, bedeckte sie sich die Augen mit der Hand und stand eine Weile schweigend; Peti und der Gulyás, die sie geführt hatten, redeten gleichfalls nichts; endlich that sich die Frau Gewalt an, ging schnell zur Thüre und sah hinein.

»Peti,« sprach sie, sich zurückwendend mit einer Stimme, die der Rauch erstickte, »mach Feuer, du findest Holz genug am Boden, ich muß meinen Mann suchen.«

Peti seufzte und bereitete sich, ihr zu gehorchen; dem Gulyás war diese verzweiflungsvolle Ruhe der unglücklichen Frau hundertmal schaudervoller, als wie sie sich früher die Haare raufte; er wischte sich ein paar Thränen aus den Augen und sprach endlich: »Susi, meine Seele, geh dort hinter jene Bäume, wir werden ihn suchen, das heißt nicht deinen Mann, du wirst sehen, daß er gar nicht hier war, aber die Anderen, wenn wirklich Jemandem ein Unglück geschehen ist.« Der arme Mann wußte, daß er lüge, er wußte, daß sie, wenn Peti's Feuer aufloderte, Viola vielleicht halb verbrannt unter den Ruinen finden würden, oder daß er seinen Feinden in die Hände gefallen; aber seine Seligkeit hätte er dafür gegeben, wenn er das Herz dieser Unglücklichen nur einen Augenblick mit neuer Hoffnung hätte beleben können.

»Laß das, István,« sprach Susi ruhig, »ich weiß Alles, ich bin auf Alles gefaßt, ihr werdet mit mir kein Ungemach haben, wenn ich ihn auch halb verbrannt finde, wenn ich ihn nur wiedersehen kann. Hier unter diesen ausgebrannten Wänden ist ihm besser als dort unter seinen Feinden; er leidet wenigstens nicht mehr.«

»Wenn ich aber sage, daß Viola nicht hier war,« antwortete István, »auf meine Seligkeit sage ich dir, er ist nicht da gewesen; was zum Teufel willst du also in diesem Rauch suchen? Siehst du, das ist nichts für Weiber; wenn du unvermuthet etwas Entsetzliches siehst, so kann es dir schaden. Geh' zurück, wir werden Alles durchsuchen.«

Susi war aber nicht eines von jenen schwachen empfindsamen Geschöpfen, wie wir sie vorzugsweise unter den Frauen der gebildeten Classen finden. Jene Weichheit, jenes willenlose Anschmiegen, welches unter dem Namen Weiblichkeit bei den Frauen höherer Classen für unwiderstehlich gehalten wird, war in diesem, an Körper und Seele starken Dorfkind nicht zu finden. Dieses Herz hatte die Natur aus härterem Stoffe gebildet. Wenn ihr Mann in Gefahr war, so theilte sie dieselbe, anstatt zu zittern; wenn sie einen Leidenden sah, so weinte sie nicht, sondern half. Sie erbleichte nicht, sie wurde nicht ohnmächtig bei einer Wunde, sondern verband sie. Dort, am Waldrand, als sie das Geschrei der Dränger hörte und die Flintenschüsse, als sie die rothe Flamme sah, in der ihr Mann vielleicht sein Leben aushauchte, während sie, die das ihre für Viola hingegeben hätte, nicht einmal bei seinen Leiden zugegen sein konnte, um den Erschöpften mit liebenden Worten zu trösten, da verließ die unglückliche Frau ihre Seelenstärke, die sie nicht brauchen konnte und ohnmächtig sank sie in die Arme ihrer Begleiter.

Diese Momente der Schwäche waren jetzt vorüber; sie fühlte, daß ihr Mann, ihre Kinder ihrer bedürften, und die Thatkraft, die sie für ihre Liebsten verwenden konnte, erwachte wieder in ihrem Herzen.

»Ich danke, István, daß Ihr so für mich sorgt,« sprach sie mit gerührter Stimme, »fürchtet aber nichts, ich fühle mich schon wieder wohl; was ich auch in der Hütte sehen mag, es wird mir Gewißheit geben, und das ist das Beste. Ist mein Mann todt, so begraben wir ihn hier unter den Bäumen, wir werden wenigstens den Platz kennen, wo er ruht, und ich kann mit meinen Kindern zu seinem Grabe kommen und wir können hier unsere Thränen ausweinen.«

»Ich sage dir, Viola ist nicht da,« sprach der Gulyás, »aber wenn du einen halbverbrannten Menschen siehst, so ist das doch nichts für Frauen. Wenn du noch ganz gesund wärest, in Gottes Namen! aber so. Wie vor zwei Jahren in meiner Tanya Feuer ausbrach, sind mir zwei Kinder verbrannt, und ist doch die gnädige Frau, als sie die armen schwarzen Dinger sah, so erschrocken –«

»Ich bin keine gnädige Frau,« antwortete Susi bittend, »eine solche darf erschrecken und ohnmächtig werden, ich bin die Frau eines Räubers, ich habe für derlei keine Zeit! Schau, Alter, wenn du wüßtest, was für Gedanken durch meinen armen Kopf gezogen sind, seit Viola Räuber geworden ist, was ich geträumt habe, wenn ich vom Abend bis zum Morgen meinen Mann erwartet habe, und er nicht kommen konnte, welche entsetzlichen Möglichkeiten ich mir da gedacht, du würdest nicht besorgen, daß ich mich vor irgend etwas auf der Welt entsetze. Was mich auch erwartet, ist nur eine Art des Unglückes, ich habe durch Jahre alle Höllenqualen auf einmal zugleich im Geiste gelitten.«

Das Feuer, welches der Zigeuner unterdessen in der Hütte angezündet, begann hell aufzuleuchten. Susi schaute herum. Vor der Thüre lag der Leichnam des Sz.-Vilmoser Bauers, der an der Seite des Commissärs durch die Thüre war todtgeschossen worden; etwas weiter in der Nähe des Gebüsches waren noch ein paar Leichen zu sehen. Susi betrachtete die Todten, weil aber keiner derselben ihr Mann war, leuchtete sie mit einem Feuerbrand in die Hütte und schaute hinein.

Ich werde den Anblick nicht beschreiben, vor dem selbst der alte Gulyás erbleichte; der umgestürzte Tisch rauchte noch, im Innern der Hütte lagen Flinten und Pistolen mit schwarzgebrannten Schäften, einer der Unglücklichen, die hier ihr Leben geendet, lag auf seiner zu Asche verbrannten Streu, der Andere in einem Winkel der Hütte. »Er ist nicht hier,« sprach endlich Susi, nachdem sie die Leiche, deren Züge unkenntlich geworden, lange mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte, »sie haben keinen silbernen Ring am Finger, und mein Mann trennt sich von seinem Ringe nie. Viola ist gefangen.«

»Warum nicht gar, gefangen!« sprach der Gulyás, der noch immer in der unglücklichen Frau Hoffnungsstrahlen erwecken wollte, »wahrscheinlich –«

»Und was ist das?« fiel Susi ein, bückte sich und erhob eine Doppelflinte, »dieses Gewehr hat mein Mann immer bei sich gehabt – nimm es,« setzte sie hinzu, »und behalte es zu seinem Angedenken.«

»Gut, sobald ich ihn finde, gebe ich es ihm zurück,« sprach der Gulyás.

»Und nun segne Euch Gott für Euren guten Willen,« fuhr Susi fort, »wenn Ihr mit mir weiter ginget, so kämt Ihr selbst in Gefahr, Peti wird mich nach Szent-Vilmosch begleiten, gewiß haben sie meinen Mann dort hingeschleppt.«

Und somit schieden die Freunde; der Gulyás begab sich in trübe Gedanken versunken zu seinen Pferden, und als er diese an dem früheren Platze fand, nach seiner Tanya. Die Frau des Räubers und Peti eilten nach Sz.-Vilmosch.

Als Viola durch den Wald gegen Szent-Vilmosch geschleppt wurde, kam er zum erstenmale zur Besinnung und, sich bei dem ungewissen Licht der Kienfackeln, die ein Pandur vorantrug, umsehend, überschaute er seine unglückliche Lage und erinnerte sich der jüngsten Begebenheiten; alsobald fielen ihm Tengelyi's Schriften ein. Als er aus der brennenden Hütte trat, war er so verwirrt, so erblindet, daß er nicht wußte, durch wen sie ihm entrissen worden, und öfter fragte er jene, die ihn abwechselnd trugen – denn der Oberstuhlrichter erlaubte nicht, daß er gehe – ob sie nichts davon wüßten. Die Befragten antworteten entweder gar nicht, oder verneinten; einen abgerechnet, der, gesprächiger als die Uebrigen, sagte, daß in dem Augenblick als Viola aus der Hütte getreten, nur der Oberstuhlrichter und Macskaházy nahe bei der Thüre gestanden, und daß einer dieser Beiden ihm auch etwas aus der Hand gerissen, was es aber gewesen, vermöge er nicht zu sagen.

Seit Viola sich in den Händen seiner Feinde sah, hatte er allen Widerstand aufgegeben und duldete ohne Klage jede Marter, die ihm von Leuten angethan wurde, welche der Kampf aufgereizt hatte. – Als sie nach Szent-Vilmosch gekommen waren, wo der Gefangene in den Schoppen des Gemeindehauses war gebracht worden, befahl Nyúzó, daß man ihn festbinden möge, wenn ihm auch die Hand wund werde, nur daß er nicht entfliehe. – Da fragte ihn Viola mehreremale, ob er die Schriften habe? Die Antwort aber bestand in Flüchen und daß er gar nicht darnach zu fragen habe, oder daß er gar nicht wüßte, von welchen Schriften die Rede sei, und mehr dergleichen, woraus Viola ersah, daß Nyúzó läugnen werde, die Schriften gehabt zu haben, oder daß sie in Macskaházy's Hände gefallen seien, der sich so lange nach ihnen abgemüht, und der sie also gewiß dem Eigenthümer nicht zurückgeben werde.

»Darum also habe ich mich ergeben, darum komme ich an den Galgen,« sprach er endlich zu sich selbst, als Nyúzó und die Uebrigen sich entfernt hatten und er mit seinen Wächtern allein geblieben war, und während jene mit schweren Schritten auf- und abgingen, warf er sich ermüdet zu Boden. – Warum bin ich nicht in der Hütte geblieben? Warum habe ich mich nicht erschossen wie Rácz? Mich erwartet schimpflicher Tod, und Tengelyi's Schriften habe ich doch nicht retten können. Gott hat mich bei meiner Geburt verflucht. Habe ich nicht hundertmal auf den Pfad der Ehrlichkeit zurückkehren wollen? Und wie mir dazu jeder Weg versperrt war, wollte ich mich nicht wenigstens dankbar bezeigen für die einzige Wohlthat, die ich von Menschen empfangen habe? Wollte ich nicht Tengelyi helfen? Und was hat es genutzt? Gott selbst will nicht, daß ich in meinem Leben etwas Gutes thue. Nun so sterben wir meinetwegen auf dem Galgen, wenn es sein muß. Der Mensch kann seiner Bestimmung nicht entgehen.« – Der Räuber versank in Schlaf und vergaß auf einige Zeit seine entsetzliche Lage. So fand ihn Peti, der seine Begleiterin vor dem Dorfe gelassen und allein zum Gemeindehause gekommen war. In den Hof wurde er nicht eingelassen; nach dem strengen Befehle des Oberstuhlrichters durften selbst die Wachen nicht mit Viola reden, aber mit einem Panduren, der vor dem Thore Wache hielt, knüpfte er ein Gespräch an. Peti erzählte, daß er eben von Porvár komme, und der Haiduk erzählte wieder, daß Viola am nächsten Morgen nach Kislak geführt werde, wo das Statarium zusammentreten sollte und daß bereits ein Reiter nach Porvár an den alten Kislaky abgesendet worden, weil er in diesem Bezirke der Präsident des Statarialgerichtes sei. Der Zigeuner warf noch einen traurigen Blick auf den Schoppen, wo Viola in seine Bunda gewickelt auf dem Boden lag, und kehrte zu Susi zurück.

»Hast Du ihn gesehen?« sprach die Frau ihm entgegeneilend, als sie den Zigeuner nahen sah.

»Ich habe ihn gesehen! er ist im Gemeindehause. Wie es graut, führen sie ihn nach Kislak, wenn du mit ihm reden willst, hast du dort Gelegenheit dazu; in Szent-Vilmosch lassen sie Niemanden zu ihm.«

»Ich weiß Alles,« sprach Susi mit erstickter Stimme, »in Kislak wird Statarium gehalten und sie werden ihn henken; sie kümmern sich nicht darum, daß er unschuldig ist, sie brauchen sein Leben, aber komm, komm,« sprach sie sich umwendend und nahm Peti bei der Hand, »komm nach Kislak, schnell, ich muß ihn sehen.«

»Arme Frau, du bist nicht im Stande, nach Kislak zu gehen.«

»Ich?« erwiderte Susi, »fürchte dich nicht, ich gehe, ich werde meine Füße ohnedies nicht lange mehr benützen, zu was soll ich sie schonen.«

Zum Glück hatte Peti in Sz.-Vilmosch einen Bekannten, einen Schmied, einen Kameraden, der als Zigeuner wie Peti außer dem Dorfe wohnte. Dieser spannte sein schlechtes Roß an einen zweirädrigen Wagen und führte Susi nach Kislak, indeß Peti seinen Weg nach Tiszarét einschlug, um Tengelyi Nachricht zu geben, und Viola's Kinder nach Susi's Verlangen nach Kislak zu bringen.

Der alte Kislaky, der dem Comitate viele Jahre als Vicegespan gedient, war zur Belohnung seiner Verdienste seit Jahren zum Präsidenten des Statariums im Tiszaréter Bezirk ernannt worden. Man würde sich den sanften Alten in diesem Amt, welches mit seinem milden Herzen gleichsam im Widerspruche stand, kaum denken können, wenn ich nicht auf die Sitte hinweisen wollte, daß in Ungarn beinahe jeder Mensch, besonders aber ein solcher, der Vicegespan gewesen, auf irgend ein Amt Anspruch macht und so ist es sehr natürlich, daß der alte Kislaky – da gerade damals kein anderes Amt unbesetzt war – das Präsidium des Statariums mit Freuden annahm, welches in diesem Bezirke unter jene angenehmen ungarischen Aemter gehörte, von denen wir immer sagen können, daß uns ein wichtiges Amt obliegt, ohne daß wir jemals uns damit hätten plagen müssen.

Nyúzó hatte den Wirthschaftsbeamten von Kislak durch einen Haiduken in einem amtlichen Schreiben ersucht, zur Aufnahme des Statarialgerichtes, des Gewahrsams und zur Hinrichtung des Räubers gehörige Vorkehrungen zu treffen. Dieses Schreiben, welches noch vor der Morgenröthe nach Kislak gekommen war, hatte Alles in außerordentliche Thätigkeit versetzt. Der dicke Hofrichter, sonst ein Feind jedes Uebereifers, stand heute mit der Morgenröthe auf; er zog sein schönstes mit silbernen Knöpfen verziertes Kleid an, ging im Hofe mit dem jungen Kastner und dem alten Oberknecht auf und nieder, der, kundig der Holzarbeit, die Herrichtung des Galgens übernommen hatte. Sie hielten Rath zusammen; »und daß nur Alles bequem gerichtet sei,« sprach er zu dem ersten, »und du habe Acht auf den Galgen,« redete er fortfahrend zu dem Andern, »nimm dich zusammen, daß er hoch und besonders stark ausfalle – für die Herren ist gesorgt?« sprach er sich zum Kastner wendend. »Sie geben mir Acht, daß die Panduren und die Dienerschaft das Ihrige bekommen. Du treibst hier einen Keil ein, aber tief und stark, dort wird er aufgeknüpft, und die Knechte sollen heute nicht aufs Feld, ein kleines Beispiel schadet nicht; die Feuerspritze muß bereit sein« u. s. w. Endlich blieb der thätige Hofrichter ermüdet stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirne und seufzte: »was hat der Mensch doch Alles zu thun!« und die beiden Begleiter nickten zustimmend mit dem Kopfe und seufzten gleichfalls.

Aber im Hause Kislaky's selbst hatte diese Nachricht noch größere Unruhe verbreitet. – Der verdienstreiche Hofrichter mühte sich ab, das kann man nicht läugnen, ja er entwickelte so viel Thätigkeit, daß, wer ihn damals sah, beinahe bedauern mußte, daß im Dorfe nicht alle Tage Statarium gehalten werde, weil er dadurch ein sehr thätiges Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft hätte werden können; aber seine Mühe wurde belohnt durch das Gefühl seiner persönlichen Wichtigkeit; für ihn begann mit diesem Tage eine neue Epoche, von welcher angefangen er jetzt die Jahre zählte, wie bisher vom großen Hagelschlag.

Aber Frau von Kislaky konnte sich mit dem nicht trösten, und als ihr der Hofrichter die Nachricht brachte, daß sich das Gericht in ihrem Hause versammle und Viola ebendaselbst gehenkt werden solle, rang sie verzweifelnd die Hände, als hätte ihr Haus ein großes Unglück getroffen. »Aber warum kommen sie gerade zu uns?« rief sie in großer Aufregung aus, »ist denn das Comitat nicht groß genug, daß sie den Räuber gerade vor meinen Augen aufhenken wollen?«

»Euer Gnaden vergessen,« antwortete der Hofrichter, der die Auszeichnung, welche dem Dorfe widerfuhr, nicht um Vieles gegeben hätte, »daß der gnädige Herr als einstmaliger hochverdienter Vicegespan zum Präsidenten des Standrechtes im Tiszaréter Bezirk ernannt worden ist; das ist zwar gewiß, daß sich das Gericht auch an einem anderen Orte hätte versammeln können, aber die Schicklichkeit erfordert, daß die Mitglieder sich im Hause des Präsidenten versammeln, was für ihn mit keiner Ungelegenheit verbunden ist. Ew. Gnaden sehen, es ist nichts als Verehrung und Auszeichnung und –«

»Ich bedanke mich für die Gnade,« fiel ihm die gnädige Frau in das Wort, »wenn sie ihn hier aufhenken, so traue ich mich nicht mehr vor das Haus.«

Damit ging die besorgte Hausfrau hinaus, um Alles zum Empfang der Gäste vorzubereiten, während der Hofrichter sich über die sonderbare Anschauung seiner Gebieterin nicht genug verwundern konnte, die sich vor einem gehenkten Räuber mehr fürchtete, als wenn er lebendig umherginge. Noch einmal wiederholte er seine Befehle, und mit der Pfeife auf dem Gang auf- und abgehend, erwartete er den Gefangenen oder das gestrenge Gericht, was nun eben früher ankommen werde. Ein großer Theil der Dorfbewohner hatte sich vor dem Thore versammelt, der Dinge harrend, die da kommen würden.

Nyúzó, der Gefangene und der Geschworene waren die ersten Schauspieler dieses traurigen Dramas, die in Kislak erschienen. Etwas später kam Macskaházy, der einen Umweg über Tiszarét gemacht hatte; endlich in zwei Wagen der Hausherr und die Richter, die er von Porvár mitgebracht hatte.

Im ersten Wagen saßen Kislaky und Baron Sóskúty, im zweiten der Gerichtstafelbeisitzer Zátony und der Vicefiskal Völgyesy; der Letztere schien so wie im Amte auch den Platz, den er neben seinem Alles bedeckenden Nachbar ausfüllte, nur ehrenhalber einzunehmen. Der Oberfiskal hatte Anfangs selbst kommen wollen; aber theils weil er unter die seltenen Oberfiskale gehörte, die alles bürgerliche Verfahren, wie z. B. alle Urbarialeinrichtungen, in denen sie von Amtswegen das steuerpflichtige Volk vertreten müssen, selbst übernehmen und das Criminalverfahren ihren Untergeordneten überlassen, theils weil das Gericht eines Notärs bedurfte, und er dieses Amt nicht übernehmen wollte, sandte er an seiner Statt den jungen Völgyesy, der eben jetzt ernannt, dieses Geschäft mit Freuden übernahm und genug Vorkenntniß besaß, um in dem vorliegenden Falle den Uebrigen mit juridischem Rath beistehen zu können.

In Völgyesy's Aeußerem war nichts, was eine günstige Wirkung hätte hervorbringen können; er war klein und schwächlich, die eine Schulter höher als die andere, das Gesicht bleich, kränklich und durch Blatternnarben entstellt; aber sein Wissen, und vorzüglich jene Bescheidenheit, mit der er dasselbe eher verbarg als vor Anderen glänzen ließ, stellte ihn unter die seltenen Menschen, die beinahe Jeder lobt, weil er an ihnen keine Eigenschaften bemerkt, die ihm beneidenswerth scheinen. In Porvár galt Völgyesy beinahe allgemein für einen angenehmen Menschen obgleich –, worunter Jedermann die höhere Schulter verstand – und der alte Kislaky, der vielleicht noch mehr erschrocken war als seine Frau, als man ihm die Nachricht brachte, daß Viola gefangen sei, und er beim Statarium präsidiren müsse, freute sich nicht weniger als der Baron und der dicke Gerichtstafelbeisitzer, als er vernahm, daß der junge Vicefiskal sie als Notär begleiten werde; der erste, weil er wußte, daß Völgyesy schöne juridische Kenntnisse besitze, der zweite, weil er stundenlang zuhörte, der dritte, weil er vollendet Tarok spielte.

Die Hausfrau lud die Gäste mit großer Freundlichkeit zum Frühstück; es wurde aber auf Macskaházy's sehr gründliche Bemerkung hin, daß es nämlich bald 11 Uhr sei, und man bei der Kürze der Tage eilen müsse, wenn man Etwas ausrichten wolle, abgelehnt.

»Heute können wir ja doch nichts mehr enden,« bemerkte Kislaky bescheiden.

»Warum nicht, Domine spectabilis? Warum nicht?« fragte der Gerichtstafelbeisitzer. »Belieben Sie zu bedenken, daß das Statarium beisammen bleiben muß, bis der Delinquent hingerichtet ist, und morgen wird bei mir angebaut und Erdäpfel werden ausgelöst. Ich muß nach Hause.«

»Versteht sich,« sprach Sóskßuty, »zu was das viele Herumziehen, wir sind zum Standrecht ausgeschickt, wir müssen Standrecht halten, das ist unsere Schuldigkeit. Wir haben den Delinquenten, wir sind auch fünf Personen; unser junger Freund,« er deutete auf Völgyesy, »wird mit gewohnter Geschicklichkeit das Urtheil in einer Viertelstunde aufsetzen und damit Punctum. Gott bewahre,« fuhr er fort und verbeugte sich mit Anstand vor der Hausfrau, »daß wir Euer Gnaden lange ungelegen sein sollten.«

»Keine Ungelegenheit,« sprach diese mit ihrer eigenthümlichen Herzlichkeit, »aber Sie werden doch den armen Menschen nicht wirklich aufhenken?«

»Warum nicht, gnädige Frau?« sprach der Gerichtstafelbeisitzer lachend, als ob er schon hinge, »bei fünfzehn Statarien war ich in meinem Leben und immer haben wir Einen aufgehenkt; im ganzen Comitat hat Niemand eine schönere Praxis als ich.«

Eine Stunde früher war Viola's Frau mit ihren Kindern bei Frau von Kislaky gewesen; denn nach des Oberstuhlrichters Befehl durfte Niemand mit dem Gefangenen sprechen, bevor er vor das Gericht gestellt worden. Die gutherzige Frau hatte der unglücklichen Susi ein eigenes Zimmer anweisen lassen und hatte, durch ihre Bitten gerührt, versprochen, ihrem Manne wo möglich das Leben zu retten. Die Bestimmtheit, mit welcher Zátony jetzt gesprochen, schlug ihre Hoffnungen mit einemmale nieder und sie bemerkte nur, daß Viola vielleicht nicht so schuldig sei, als Viele glaubten.

»Ich bitte unterthänig, verzeihen Euer Gnaden,« antwortete Sóskúty mit gewohnter Artigkeit, »so schuldig oder nicht so schuldig, das ist uns alles eins, die Frage ist nur die: Ist derjenige, der uns vorgeführt wird, ein Räuber oder nicht. Ob er hundert Menschen erschlagen oder keinen, ob er eine Million geraubt oder zehn Kreuzer, das geht uns nichts an; wir fragen nur: ist er ein Räuber, und wie hat man ihn eingebracht? Wenn bewaffnet und nach Widerstand, so wird er gehenkt.«

»Aber Herr Baron,« sagte Frau von Kislaky etwas wärmer, »wegen ein paar Groschen kann man einen Menschen doch nicht aufhenken.«

»Ja wohl kann man es,« fiel der Gerichtstafelbeisitzer mit Salbung ein, »wenn nur der Fall sonst vor das Statarium gehört. Ich war selbst ein paarmal zugegen, wo der, den wir henken ließen, durch die gewöhnlichen Gerichte vielleicht nicht auf 3 Wochen wäre verurtheilt worden, aber deshalb mußte er doch baumeln!«

»Ich bin nur eine schwache, unwissende Frau,« sprach die Hausfrau, immer mehr ins Feuer kommend, »aber wenn ich dabei gewesen wäre, so wäre das gewiß nicht geschehen.«

»Das glaub' ich,« antwortete Sóskúty, der aus Grundsatz und Gewohnheit die Gelegenheit nie versäumte, Frauen etwas Verbindliches zu sagen. »Ew. Gnaden sind lauter Milde, lauter englische Güte; aber wir sind Männer, das ist etwas ganz Anderes, für uns paßt eine solche Barmherzigkeit nicht; das hochlöbliche Comitat hat uns ausgeschickt, ein Beispiel zu geben, und wir müssen diesem ehrenden Vertrauen entsprechen.«

»Ich bitte unterthänig,« sprach nun Macskaházy, an dem schon längst Zeichen der Ungeduld bemerkbar waren, »fangen wir an, die Zeit vergeht.«

»Ganz recht,« sprach Kislaky, der während des Gespräches bald seine Frau, bald die Mitglieder des Statariums angesehen und in der größten Verwirrung seine Hände am Ofen gewärmt hatte, »wir müssen auch Zeugen verhören, und –«

»Mit den Zeugen werden wir nicht viel Plage haben,« sprach Nyúzó, »Alles ist klar; wenn es beliebt, im Hause des Hofrichters ist Alles vorbereitet, bis zum Mittagmahl können wir zweimal fertig werden.«

»Viola hatte zehnmal den Galgen verdient,« sprach Macskaházy der Thüre zueilend.

»Das wird sich aus den Aussagen ergeben,« sprach eine schöne männliche Stimme, und Alle drehten sich gegen Völgyesy, »ohne Verhör ist es nicht erlaubt, ein Urtheil im vorhinein zu fällen.«

»Dieser Mann gefällt mir nicht,« flüsterte Macskaházy Nyúzó ins Ohr. Frau von Kislaky, die den kleinen jungen Mann bisher kaum beachtet hatte, warf ihm einen freundlichen Blick zu, als sie seine Stimme vernahm, welcher die Natur jene Schönheiten verliehen, die sie seinem Körper versagt hatte. »Sie haben Recht,« sprach sie freundlich, »urtheilen wir über Niemand, den wir nicht gehört haben. Sie werden gewiß mit dem unglücklichen Menschen Erbarmen haben.«

»Ich bin kein Gerichtstafelbeisitzer,« antwortete der junge Mann, »ich habe keine Stimme.« Und er verneigte sich und ging mit den Uebrigen fort. Frau von Kislaky blieb mit ihrem Manne einige Minuten allein.

»Erwäge Bálint,« Bálint, Valentin. sprach die Frau und nahm ihn bei der Hand, »daß man kein Todesurtheil aussprechen kann, wenn nicht Alle einstimmig sind. Wenn ein Mensch hingerichtet wird, liegt er todt auf der Seele eines Jeden.«

»Ja, mein Herz,« erwiderte der Mann seufzend, »wenn es von mir abhängt, wenn es möglich ist; ich verlange gewiß keines Menschen Verderben, aber –«

»Ich weiß es, mein Alter,« sprach die Frau, »aber bedenke wohl, das menschliche Leben ist Etwas, was du nicht rückerstatten kannst. Sei lieber barmherzig.«

»Wenn es möglich ist, meine Seele, gewiß.«

»Noch eins,« sprach die mildherzige Frau zu dem schon sich Entfernenden, »wenn es sein kann, ohne daß du deine Pflicht verletzest, so erlaube, daß die Frau und die Kinder des armen Mannes ihn besuchen dürfen, damit sie doch ein paar Stunden noch mit einander zusammen sein können.«

»Sobald es das Gericht erlaubt,« sprach der Alte mit kaum unterdrückten Thränen, und seufzend den Augenblick verwünschend, an dem er das Präsidium des Standrechtes übernommen, ging er den Anderen nach in das Hofrichterhaus.

Hier war schon Alles zum Empfange bereit. Knechte mit eisernen Gabeln und Bauern standen vor dem Thore und stießen das andrängende Volk zurück, dessen größerer Theil, wie bei solchen Gelegenheiten immer, aus Frauen bestand. In dem Schoppen, an dessen einer Seite Pflugscharen und Eggen aufgehäuft lagen, stand Viola an einen Pfeiler gebunden zwischen Haiduken und Panduren und erwartete sein Urtheil. Auf dem Gange standen Czifra und der Glaser Jancsi, die man als Zeugen gerufen hatte und auf der anderen Seite die alte Lipták und der Schmied von Tiszarét, die aus eigenem Antriebe gekommen waren, und nachdem die Mitglieder des Gerichtes von dem sich tief verbeugenden Hofrichter in das Zimmer waren geführt worden, welches zur Berathschlagung bestimmt war, verkündete die feierliche Stille, die jetzt in der Menge herrschte, die Wichtigkeit des Augenblickes.

»Gott erbarme sich seiner,« flüsterte die Lipták dem Schmied zu, »ich habe keine Hoffnung.«

»Ich habe auch keine,« sprach der Andere, »ich bedaure nur, daß man nicht die zwei dorten statt seiner aufhängt,« und wer in diesem Augenblick Czifra und den Juden angesehen, hätte kaum etwas Anderes thun können, als dieser Meinung beizustimmen; der erstere wenigstens – dem es in diesem Augenblick vielleicht einfiel, wie nahe er öfter an dem Lose gestanden, das nun Viola betroffen – schaute unruhig hin und her, er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen und sah durchaus nicht so aus, wie wir uns einen Zeugen mit reinem Gewissen vorzustellen pflegen.

»Ich möchte wissen, wer ihn henken wird,« sprach ein altes Weib zu ihrer Nachbarin, die trotz aller Anstrengungen durch die Männer mit eisernen Gabeln nicht durchdringen konnte, »wenn es nur ein geschickter Mensch ist, daß der Arme nicht viel zu leiden hat; man sagt, daß der Gehenkte oft einen ganzen Tag noch lebt, wenn der Henker sein Handwerk nicht versteht.«

»Wirklich, Gevatterin?« antwortete die Andere, die indessen den besseren Platz, den sie sich errungen, durch den Stoß eines Knechtes wieder verloren hatte, »ich glaube, daß ihn irgend ein Zigeuner henken wird. Vielleicht der Zigeuner des Vicegespans? Siehst du, dort geht er herum, sieh nur, wie er umblickt, er wird es gewiß sein, ich fürchte mich ordentlich vor ihm.«

»Rede nicht so dummes Zeug, Verus,« Verus, sprich: Verusch, Verkürzung von Veronika. sprach ein älterer Mann, der neben den Weibern stand, »Peti ist Violas Freund mit Herz und Seele, er hat auch jetzt die Kinder von Tiszarét gebracht, und habt ihr denn nicht gesehen, wie freundschaftlich er mit Viola's Frau geredet? Wenn er der Henker wäre, würde Susi nicht so mit ihm reden.«

»Schon gut,« sprach die andere Frau, »aber wer wird ihn also henken?«

»Vielleicht wird er gar nicht gehenkt,« sprach die erste Frau.

»Mir wäre es auch lieber,« bemerkte der Mann, »denn wenn er auf unserem Hotter gehenkt wird, so bläst der Wind das ganze Jahr, das weiß die Gevatterin.«

»Vielleicht wird er begnadigt,« sprach eine junge, dicke Frau, die dem ganzen Gespräche mit Aufmerksamkeit zugehört hatte.

»Begnadigt?« sprach der Mann, »wenn die da drinnen einmal zusammensitzen, kannst du lange auf Gnade warten. Es ist Statarium.«

»Was ist denn das Statarium?« fragte die Frau.

»Was? das Statarium ist eben nur das, daß sich die Herren zusammensetzen und dann einer gehenkt wird. Das muß so sein!«

»Aber wenn ihn niemand henkt?« fuhr die Andere neugierig fort.

»Dann henken ihn vielleicht die Herren selber auf, oder sie würden sich aus lauter Betrübniß vielleicht selber erhenken.«

Während vor dem Thore dergleichen Gespräche geführt wurden, und die müßige Menge mit geschärfter Aufmerksamkeit allen Ereignissen folgte, war das Gericht längst eröffnet.

Die Gerichtstafelbeisitzer wurden nach hergebrachter Sitte beeidet, die Vorschriften des Statariums vorgelesen, und Nyúzó, der ebenfalls unter den Gerichtstafelbeisitzern Platz genommen, gab das species facti schriftlich ein. Aber wenn schon bei der Vorlesung der Vorschriften Völgyesy's Benehmen auffallend war, der die langen Instructionen langsam und verständlich vorlas, und wenn es Nyúzó nicht wenig verdroß, daß der junge Fiskal, als er mit seinem Nachbar während des langweiligen Vorlesens zu sprechen begann, ihn erinnerte, daß die Vorlesung der Vorschriften darum befohlen werde, daß man sie anhöre, und wenn Zátonyi schon damals bedauernd gegen Sóskúty bemerkte, daß dieser junge Mann noch keine Praxis habe, indem er sonst wissen würde, daß dieses Vorlesen nur eine Formalität sei, und daß ein etwas gewandter Notär mit dem Vorlesen in vier Minuten fertig werden könne, denn man pflege doch von jedem Punkt nur die ersten Zeilen zu lesen: wie groß war hierauf erst das Erstaunen, ja der Zorn des Gerichtes, als nach der Vorlesung man schon um den Gefangenen schicken wollte, und plötzlich Völgyesy mit der Behauptung auftrat, daß er nach diesem species facti Viola's Fall für keinen solchen halte, der vor das Statarium gehörte.

»Was, nicht vor das Statarium gehörig?« sprach Nyúzó erstaunt, »und das sagen Sie mir, dem ältesten Oberstuhlrichter des Comitates? Das ist doch stark! Ich finde darin eine Beleidigung; ich gehe lieber fort, als daß ich so mit mir umgehen lasse.«

Wenn die Leidenschaftlichkeit Nyúzó's dahin berechnet war, Völgyesy, der im ganzen Comitat für den bescheidensten Jüngling gehalten wurde, von fernerem Sprechen abzuhalten, so bewies sich die Rechnung als fehlerhaft. Sobald der junge Fiskal wieder zu Wort kommen konnte, bemerkte er gelassen, daß aus der authentischen und glaubwürdigen Darstellung des species facti sich nicht ergebe, daß der Räuber in unausgesetzter Verfolgung ereilt und eingebracht worden sei; und das gehöre unter die Hauptbedingnisse des Standrechtes.

»Nicht in unausgesetzter Verfolgung?« sprach Nyúzó, der seinen Zorn kaum mäßigen konnte, »auf seinen Kopf ist ein Preis gesetzt; seit länger als einem Jahr jagen wir ihn von einem Ende des Comitates zum andern, und jetzt will man die unausgesetzte Verfolgung leugnen.«

»Und ich sage noch einmal,« sprach Völgyesy mit Ruhe, »die ununterbrochene Verfolgung ergibt sich aus diesem Berichte nicht. Viola's letzte verbrecherische That war Einbruch beim Notär von Tiszarét, und von dieser That an wurde die Verfolgung nicht ununterbrochen betrieben.«

»Wenn es kein Statarialfall ist,« sprach Kislaky, der mit Freuden Alles ergriff, wodurch er von seiner unangenehmen Pflicht befreit werden konnte, »so verweisen wir den Delinquenten an das ordentliche Gericht.«

»Der Herr Notär scheint vergessen zu haben,« sprach Macskaházy mit gewohntem schneidendem Tone, »daß das Statarium eigens zur Aburtheilung von Dieben und Räubern eingesetzt ist, und sobald einer derselben verfolgt wird und sich bewaffnet widersetzt, kann über die Competenz des Gerichtes keine Frage mehr sein.«

»Ich habe dies durchaus nicht vergessen,« erwiderte Völgyesy, »aber wieso geht denn aus diesem Berichte hervor, daß Viola wirklich ein Räuber ist?«

Zátonyi schlug die Hände zusammen. »Steht denn nicht klar im Berichte, daß Viola ein anerkannter Räuber ist?«

»Ich bitte unterthänig,« fiel Sóskúty jetzt ein, der während des ganzen Streites seine Bemerkungen Kislaky nur leise mitgetheilt hatte, »ich werde es dem Herrn Notär gleich erklären; er ist noch jung, und Niemand kann es ihm übel nehmen, daß er keine Erfahrung hat; dergleichen lernt der Mensch nicht aus Büchern. Hier in der Anweisung für das Statarium steht sehr viel darüber, wer ein Räuber genannt werden könne, aber das ist nicht praktisch. Ein Räuber ist in dem weiten Ungarland derjenige, den man einen Räuber nennt. Volksstimme, Gottesstimme; wenn man einen solchen einfangen will, und er widersetzt sich, so kommt er vor das Statarium und wird gehenkt.«

»Nur darum, weil er sich widersetzt?« fragte Völgyesy scharf.

»Nur darum!« antwortete Sóskúty mit Würde. »Niemand darf sich dem Gesetze widersetzen, ausgenommen,« fügte er hinzu, »der Edelmann mit Art und Manier.«

»Wir sind nicht hieher gekommen um zu disputiren,« sprach Zátonyi ungeduldig, »Herr Völgyesy hat ohnedies keine Stimme, votisiren wir.«

Die Gerichtstafelbeisitzer stimmten ab. Der Präsident erklärte mit einem Seufzer, daß nach der Meinung der Mehrzahl der Fall vor das Statarium gehöre, und die Zeugen wurden hereingerufen.

Nachdem die Leser das Verhältniß kennen, in welchem Czifra und der Jude zu einander standen, werden sie sich darüber, daß ihre Aussagen vollkommen übereinstimmten, nicht sehr wundern.

»Zwei rechtschaffene Zeugen,« sprach Zátonyi, als sich die Zeugen zurückgezogen hatten und präsentirte seine Dose herum. »Es bleibt kein Zweifel übrig –«

»Wahr ist es,« seufzte Kislaky, »und wir haben sie beeidet. Als der Jude alle Flüche über sich aussprach, hat mich geschauert; es ist unmöglich, daß sie gelogen.«

Der Oberstuhlrichter spuckte aus in seiner Freude und wagte die Behauptung, daß ihm in seiner richterlichen Praxis noch nie zwei bessere Zeugen vorgekommen.

»Verzeihen der Herr Oberstuhlrichter, daß ich an dieser Behauptung etwas zweifle,« sprach Völgyesy, der sehr wohl bemerkte, daß, Kislaky ausgenommen, die übrigen Mitglieder des hochlöblichen Gerichtes den Gefangenen in ihrem Innern bereits verurtheilt hatten, und der sich deshalb vorgenommen, seinerseits Alles aufzubieten, um ihn zu retten, »ich meinerseits finde in dieser ganz ungewöhnlichen Uebereinstimmung der Zeugen Ursache zum Mißtrauen und muß ein hochlöbliches Gericht aufmerksam machen, daß diese Uebereinstimmung dieser zwei – um mich gelind auszudrücken – verdächtigen Zeugen in mir die Ueberzeugung erweckt, daß sie sich unter einander verabredet haben. Czifra ist ein im ganzen Comitat bekannter Verbrecher, ein Räuber.«

»Ich bitte um Vergebung,« fiel Nyúzó ein, »János Sz.-Vilmosy – denn es schickt sich nicht, daß ein hochlöbliches Gericht Jemanden nach seinem Spottnamen nenne – ist jetzt ein ehrlicher Mensch; ich kann von Amtswegen bezeugen, daß er, seitdem er aus dem Gefängniß entlassen worden, sich vollständig gebessert, von Viola und dessen Bande sich getrennt und zur Einbringung des Gefangenen nicht geringe Dienste geleistet hat.«

»Gut,« fuhr Völgyesy fort, der bei der Vertheidigung mehr und mehr in Feuer gerieth, »geben wir dies zu. Aber dieser Czifra oder János Sz.-Vilmosy, oder wie er sonst heißen mag, der jetzt ein ehrlicher Mann ist, aber sein ganzes Leben über ein Räuber war und seine meisten Tage im Comitatskerker zugebracht hat, was bekennt er? Er bekennt zuerst, daß Viola ihm den Raubvorsatz vorläufig mitgetheilt. Wenn wir aber auch beiseite lassen wollen, wie unglaublich dies ist, müssen wir uns doch fragen, warum hat der Zeuge, wenn er sich wirklich zur Ehrlichkeit entschlossen und aufgehört hat, des Gefangenen Genosse zu sein, da er voraus wußte, daß der Raub zu geschehen habe, denselben nicht gehindert?«

»Das ist wahr; diesmal hast du dich geirrt, Freund Nyúzó,« sprach Kislaky, »das kann kein ehrlicher Mensch sein.«

Nyúzó kratzte sich verwirrt den Kopf. Völgyesy fuhr fort: »Das Zweite, was der Zeuge aussagt, ist, daß er, als er in der Nacht, in welcher der Raub geschah, sich dem Dorfe Tiszarét näherte, plötzlich einen Schuß gehört und Viola mit der Flinte neben sich habe vorbeilaufen sehen. Aber weshalb ist der Zeuge nach Tiszarét gekommen, da er doch, wie er sagt, sich mit dem ganzen Sz.-Vilmoscher Adel zur Restauration gerüstet hatte? Wie kam es, daß ihn Niemand in Tiszarét gesehen, daß er, als ich ihn deshalb befragte, geantwortet, daß er gar nicht in das Dorf hineingegangen sei, wo er doch ohne Zweifel Geschäfte haben mußte, denn sonst wäre er von Porvár bei Nacht und Nebel nicht so weit gegangen?«

»Er ist verdächtig, sehr verdächtig,« sprach Kislaky. – Zátonyi, der eben eine Prise Tabak nahm, bemerkte, daß in dieser Lage der Dinge es nicht schaden könnte, auch Czifra in Eisen zu legen.

»Aber auf das Zeugniß eines solchen Menschen hin werden wir doch kein Todesurtheil aussprechen,« sprach Völgyesy, der sein Entsetzen kaum verbergen konnte.

»Sie haben hier keine Stimme,« antwortete Zátonyi trocken, »wir werden schon sehen, was wir zu thun haben, wir könnten jetzt vielleicht um den Delinquenten schicken,« fuhr er zu Kislaky gewendet fort.

Das Gericht wollte schon den Gefangenen vorführen lassen, als der Haiduk, der an der Zimmerthüre stand, meldete, daß noch zwei Zeugen gehört zu werden wünschten. Mit des Präsidenten Erlaubniß wurde die alte Lipták in das Zimmer geführt.

Die Alte schwieg darüber, daß sie Viola denselben Tag in Tiszarét gesehen; ihr Zeugniß lautete nur dahin, daß Viola dem Notär Tengelyi dergestalt zu Dank verpflichtet wäre, daß man unmöglich glauben könne, er habe den Raub begangen, umsomehr als Viola, mit dem sie seit Langem bekannt, und dessen Frau ihre Anverwandte sei, ihr, der Lipták, vor zwei Wochen gesagt habe, daß man die Schriften des Notärs rauben wolle und daß sie den Notär warnen möge.«

»Und habt Ihr dem Notär hinterbracht, was ihm Viola sagen ließ?« fragte der Oberstuhlrichter.

Die alte Lipták stockte.

»Nur muthig, gute Frau,« sprach Kislaky freundlich, »Ihr habt nichts zu fürchten.«

»Gnädiger Herr,« sprach sie, »wenn ich auch wollte, ich kann nicht lügen und so gestehe ich, daß ich es dem alten Tengelyi nicht gesagt habe, und zwar darum, weil ich gefürchtet habe, daß der alte Notär, wenn er erführe, daß Viola bei seinem Hause gewesen, zornig werde und auch die arme Susi fortschicken möchte.«

Macskaházy und Nyúzó winkten sich lächelnd zu.

Der hierauf erscheinende Schmied sagte nur aus, daß er, nachdem er den Schuß gehört, zu des Notärs Haus gelaufen sei, den Mörder, der eben damals mit seiner Flinte durch das Thor gesprungen, verfolgt und in ihm Czifra erkannt habe, und daß er es auf seinen Kopf beschwören wolle, daß es nicht Viola, sondern Czifra gewesen. Nachdem man die Aussagen kurz aufgeschrieben und die beiden Zeugen ihre Aussagen unterschrieben hatten, ließ das Gericht den Gefangenen vorführen.

In der Zwischenzeit sprach Nyúzó: »Das hochlöbliche Gericht wird einsehen, daß die beiden letzten Aussagen keinen Werth haben. Die alte Vettel ist Viola nahe verwandt, kann also für ihn nicht zeugen; der Tiszaréter Schmied ist jeden Abend besoffen und konnte in diesem Zustande leicht Viola für Czifra halten.«

»Das ist wahr,« bemerkte Kislaky.

»Auf jeden Fall verdienen diese beiden Aussagen auch Berücksichtigung,« warf Völgyesy ein, »wenigstens was Czifra's oder wie ihn der Herr Oberstuhlrichter gern nennt, Herrn Sz.-Vilmosy's Glaubwürdigkeit angeht. Es ist hundertmal geschehen, daß eben derjenige, der das Verbrechen begangen hat, als Zeuge gegen einen Anderen auftrat.«

»Das ist auch wahr,« bemerkte der Präsident.

»Wissen Sie was,« sprach Zátonyi, durch dessen Gehirn plötzlich ein großer Gedanke fuhr, »lassen wir beide henken.«

»Was fällt Ihnen ein, amice,« sprach Sóskúty, während Kislaky und Völgyesy sich erstaunt gegen den Sprecher wendeten, »der zweite steht ja nicht vor dem Statarium.«

»Wenn er vor das Statarium gestellt wird, so steht er dort,« fiel Zátonyi ein, »ich weiß selbst einen solchen Fall. Ein Verbrecher stand schon unter dem Galgen und erkannte noch einen seiner Spießgesellen, der eben dort vorüberging, er zeigte ihn dem Oberstuhlrichter, der schickt ihm nach, der Schurke läuft, wird endlich auch eingeholt, er vertheidigt sich, sie bringen ihn zurück und hängen ihn gleich auf, dort neben dem Anderen, und als der Stuhlrichter zu dem Statarialgericht zurückkommt, berichtet er, daß er statt eines Verbrechers zwei habe henken lassen. Uebrigens will ich meine Ansicht dem hochlöblichen Gericht nicht aufdrängen, ich sage nur, daß es Schade ist, wenn wir nicht alle zwei henken. Aber da kommt der Gefangene.«

Die Thüre ging auf, und von Wachen umringt trat Viola ein.

Der Anblick des Gefangenen wirkte sichtlich auf das ganze Gericht. Kislaky empfand jenes Erbarmen, welches jeder bessere Mensch beim Anblick eines großen Unglückes zu fühlen pflegt, selbst dann, wenn er vollkommen überzeugt ist, daß das Unglück nicht unverdient sei; Völgyesy, der nach Allem, was er bis jetzt gehört und gesehen, ein günstiges Urtheil nicht mehr zu hoffen wagte, schauderte bei dem Gedanken, daß dieser Mann, den er jetzt gesund vor sich sah, in ein paar Stunden aus der Reihe der Lebendigen verschwinden werde; nicht nach Gottes Beschluß, sondern weil es seine Mitmenschen so wollten, weil Niemand sich unter ihnen fand, der dem Keim der Tugenden, die zweifelsohne auch in dieser Brust schlummerten, Zeit zur Entwicklung gönnen wollte. Mit sichtbarer Unruhe schaute Macskaházy umher, als er das Kettengeklirr hörte, und auf Sóskúty's Angesicht, der den berühmten Räuber noch nie gesehen, lag ebenso viel Neugierde, als in jenem Nyúzó's Schadenfreude, als der Gefangene vor ihnen erschien. Nur Zátonyi trug seinem Nachbarn eine Prise Tabak an, als ob ihm der ganze Vorfall nicht im Entferntesten nahe ginge.

»Also bist du endlich in die Schlinge gerathen, du kostbarer Vogel,« unterbrach Nyúzó die Stille und wendete sich zu dem Gefangenen. »Nun, wer wird jetzt aufgehenkt?«

Der Präsident warf einen verwunderten Blick auf den Oberstuhlrichter, als er die unerwartete Anrede hörte; Nyúzó aber sprach lachend zum Präsidenten: »Sie wissen gar nicht, in welchem Verhältnisse wir zwei zu einander stehen. Viola und ich sind alte Bekannte; nicht wahr, Viola,« setzte er hinzu, indem er den Gefangenen höhnend ansprach. – »Wir suchen uns schon lange und Viola hat geschworen, daß er mich henken läßt, wenn ich in seine Hände falle. Nicht wahr?«

»Das ist nicht wahr,« sprach der Gefangene, dessen männliche Stimme nach der schneidenden des Oberstuhlrichters wohlthuend wirkte. »Wenn ich Rache geschworen habe, so weiß die Welt, daß ich Ursache dazu hatte, denn ich verdanke es nur dem Herrn Oberstuhlrichter, daß ich nicht als ehrlicher Mensch sterbe. Aber, daß ich Sie henken lasse, habe ich nie gelobt.«

»Wir wissen schon,« sprach der Oberstuhlrichter. »Jetzt ist Alles lauter Unterthänigkeit, wenn ich aber in deine Hände gekommen wäre, so würdest du dein Versprechen gewiß gehalten haben. Schau, so wie ich gehört hatte, was Du mir bestimmtest, schwur auch ich, wenn hinwieder du in meine Hände gerathen solltest, dich henken zu lassen. Es ist eine bloße Wette. Nun, und wer hat jetzt Recht?«

»Daß es mit mir aus ist, weiß ich sehr gut,« sprach Viola und heftete seine dunklen Augen auf den Oberstuhlrichter, »aber der Herr Oberstuhlrichter handelt nicht recht, daß er mit einem unglücklichen Menschen Scherz treibt.«

Völgyesy, der während des ganzen Auftrittes kaum Herr seiner Gefühle war, bemerkte mit bebender Stimme in lateinischer Sprache, damit er vom Gefangenen nicht verstanden werde, daß zwischen dem Beklagten und einem der Richter tödtlicher Haß bestehe, daß man sich also um einen anderen Richter umsehen müsse. Diese Erinnerung aber hatte nur zur Folge, daß Nyúzó vom Präsidenten in ziemlich gebrochenem Latein ermahnt wurde, sich ähnlicher nicht hieher gehöriger Spässe zu enthalten. Hierauf begann das Verhör des Gefangenen.

Viola antwortete ruhig und einfach auf die Fragen; endlich gleichsam als ob die Länge des Verfahrens ihn langweile, sprach er zum Präsidenten: »Zu was diese lange Fragerei, der Herr Oberstuhlrichter hat vorausgesagt, daß ich gehenkt werde, warum soll ich viel Worte machen meines Lebens wegen? Ich will Alles gestehen, was es immer sei, mir ist es gleichgiltig. Das hochlöbliche Gericht möge mir glauben, daß ich, wenn ich nicht Weib und Kind hätte, nicht bis auf den heutigen Tag gewartet, sondern längst im Walde mich an irgend einen Baum selbst aufgehängt haben würde.«

»Aber wie könnt Ihr denn etwas gestehen,« sprach Völgyesy ergriffen, »wenn Ihr nicht wißt, wessen man Euch anklagt; Ihr steht vor gerechten Richtern, redet so wie Ihr vor Gott reden würdet, aufrichtig und wahr, das Gericht hat den Stab über Eurem Haupte noch nicht gebrochen.«

»Ich danke Ihnen, gnädiger Herr, für Ihren guten Willen,« sprach der Räuber, »aber mir hilft Niemand. Ich bin ein Räuber, man hat mich in Waffen gefangen, meiner wartet der Galgen, und je eher sich mein Schicksal vollzieht, desto lieber ist es mir. Verschonen Sie mich mit weiteren Fragen.«

Macskaházy, der unruhiger wurde, als er diese Wendung des Verhörs sah, sprach: »Wenn er hartnäckig nicht gestehen will, kann man ihn nicht zwingen; in der Instruction steht ausdrücklich, daß jeder Zwang zum Geständniß verboten ist. Wir lesen ihm die Fragen vor und wenn er nicht gesteht, nehmen wir es so, als ob er die Beschuldigungen anerkannt hätte.«

»Ganz richtig,« sprach Völgyesy, »aber dieser Mann muß doch zuvor wissen, daß sein Los nicht ausschließlich vom Willen des Herrn Oberstuhlrichters Paul Nyúzó abhängt; daß ein hochlöbliches Gericht seine Vertheidigung gerne höre, daß es im Urtheilsspruch weder Haß, noch Zorn, sondern reine Gerechtigkeit befolgen werde, und dann wird der Gefangene vielleicht nicht hartnäckig bei seinem Schweigen verharren.« Zu Viola gewendet, fuhr er hierauf fort: »Erwägt es wohl; Euer Leben ist in den Händen dieser Herren, die darüber nur Gott Rechenschaft geben werden, überlegt es wohl; wenn Ihr nicht redet, so gibt es für Euch keine Rettung mehr auf der Welt; denkt an Eure Frau, an Eure Kinder und sagt offen, könnt Ihr nichts zu Eurer Vertheidigung vorbringen?«

Kislaky's Auge wurde feucht, Macskaházy warf einen grimmigen Blick auf den Sprecher, Zátonyi gähnte.

»Meine gnädigen Herren,« sprach der Gefangene, den die Theilnahme, die er bei Völgyesy bemerkte, sichtbar ergriff, »Gott segne Sie für die Mühe, daß Sie mir helfen möchten, aber sehen Sie, es ist Alles umsonst. Wenn ich sage, daß ich einst ein ehrlicher Mensch war, und das ganze Dorf von Tiszarét würde dies bezeugen, hilft es mir etwas? Wenn ich sage, daß ich nicht aus freiem Willen, sondern weil man mich gezwungen hat, Räuber geworden bin? daß ich nie einem armen Menschen Schaden zugefügt habe und für meine Person auch von den Herren nur so viel geraubt habe, als ich zum Leben bedurfte, daß ich – außer bei der Selbstvertheidigung – Niemanden umgebracht habe, werde ich deshalb weniger gestraft werden? Was meine Gesellen gethan, wird mir angerechnet. Ich bin ein Räuber und damit ist Alles gesagt.«

»Alles dieses kann auf den richterlichen Spruch von großem Einflusse sein,« sprach Völgyesy. »Wie ist das zu verstehen, daß Ihr nicht aus freiem Willen Räuber geworden seid?«

»Fragen der gestrenge Herr den Herrn Oberstuhlrichter,« sprach der Gefangene und warf einen Blick auf Nyúzó, welchen dieser nicht aushalten konnte. »Er wird schon wissen, warum ich Räuber geworden bin,« und nun erzählte der Gefangene mit einer Stimme, in der seine Aufregung hörbar war, die Umstände seines ersten Verbrechens.

»Es ist Wort für Wort wahr,« seufzte Kislaky, »ich kam den anderen Tag nach Tiszarét, und der Vicegespan hat es mir selbst erzählt.«

»Aber was hilft das Alles?« fuhr der Gefangene fort, dessen bleiches Angesicht sich während des Sprechens geröthet hatte, und dessen Hand sich unwillkührlich ballte, »was hilft es, wenn ich alle die Niederträchtigkeiten hersage, die man an mir begangen und bei denen mein Blut immer neu aufsiedet, wenn ich nur daran denke; bin ich deswegen weniger ein Räuber? Komme ich deswegen später an den Galgen? Ich hätte müssen die Stockprügel ertragen und die Hand meines Henkers küssen oder ich hätte meine Frau verlassen müssen in ihren Wehen, weil die gnädige Frau mit mir nach Porvár fahren wollte; wie konnte ich es wagen zu widerstehen, als der Stuhlrichter befahl, daß man mich niederziehen sollte? Nicht wahr, gnädige Herren? Nun, und ich habe dies Alles nicht gethan, ich Narr habe gedacht, daß ich, wenn ich auch ein Bauer bin, bei meiner kranken Frau bleiben darf, wenn ich meine Obliegenheit abgedient, ich habe nicht gedacht, daß ein armer Mensch ein Hund ist, den jeder schlagen und verfolgen kann, dem es beliebt. Hier bin ich, henken Sie mich.«

»Es wird auch geschehen,« sprach Zátonyi zornig, der trotz aller seiner Unempfindlichkeit den Sinn der letzten Worte des Gefangenen richtig aufgefaßt hatte, so bitter war der Ton, in welchem sie gesprochen wurden, »für deine tollkühne Widersetzlichkeit, die du, wie es scheint, selbst jetzt noch nicht bereust, hast du zweimal den Tod verdient.«

»Sehen Sie, gnädiger Herr,« sprach Viola wieder ruhiger, indem er sich zu Völgyesy wandte, »ich habe ja gesagt, daß es nichts gibt, was ich hier zur Entschuldigung vorbringen könnte. Aber eine Bitte habe ich an das hochlöbliche Gericht.«

Macskaházy rieb sich in sichtlicher Unruhe die Hände.

Der Gefangene fuhr fort: »Als ich aus der brennenden Hütte trat, wo Rácy sich erschossen hatte und auch meines Bleibens nicht mehr war, brachte ich gewisse Schriften mit mir heraus, welche Tags zuvor beim Notär von Tiszarét geraubt worden sind.«

»Also gestehst du den Raub?« fiel Zátonyi ein.

»Ich gestehe den Raub nicht ein. Gott sieht meine Seele, ich bin unschuldig an diesem Raub,« antwortete der Räuber und hob die Hand zum Himmel auf. »Aber das gehört nicht hierher. Als ich aus der brennenden Hütte trat, war ich erblindet, ich trat ohne Waffen heraus und hielt nur die Schriften vor mich hin; da habe ich gefühlt, daß mir Jemand die Schriften aus den Händen riß, das kann ich beschwören; gleich darauf fiel ich ohnmächtig zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, war ich schon gebunden in den Händen der Panduren und Bauern; ich erkundigte mich gleich nach den Schriften, weil sie Herrn Tengelyi gehören, und ich habe mich nur darum ergeben, damit dieselben nicht mit mir verbrennen sollten, weil sie dem Notär sehr nothwendig sind. Nun sagen zwar Alle, daß damals, als ich aus der Hütte kam, außer dem Oberstuhlrichter und Herrn Macskaházy Niemand in meiner Nähe gewesen sei, der Herr Oberstuhlrichter aber leugnet entschieden, daß ich Schriften mit herausgebracht habe. Ich bitte also ein hochlöbliches Gericht in aller Untertänigkeit dem Herrn Oberstuhlrichter zu befehlen, daß er die Schriften herausgebe.«

»Mich soll der Teufel holen,« sprach Nyúzó zornig, »wenn ich nur ein Stück Schrift gesehen habe.«

»Herr Oberstuhlrichter,« sprach Viola, »Sie können mich henken lassen, wenn Sie wollen, aber leugnen Sie die Schriften nicht ab. Ich bin Herrn Tengelyi großen Dank schuldig, er hat mein Weib und Kind in ihrer größten Noth bei sich aufgenommen und dafür wollte ich ihm dadurch dankbar sein, daß ich ihm diese Schriften zurückverschaffte, die für ihn wichtig sind. Ich habe mich einem schimpflichen Tode ausgesetzt –«

»Nichtswürdiger Schuft!« schrie Nyúzó und sprang von seinem Stuhle auf, »wie wagst du es, mir dergleichen anzudichten? Du wirst doch nicht sagen wollen, daß ich die Schriften gestohlen habe!?«

»Ich sage nur, daß ich die Schriften mit mir herausgebracht habe,« erwiderte Viola, »daß Jemand sie mir aus den Händen gerissen hat, und das hochlöbliche Gericht kann hierüber alle Anwesenden befragen, ob Jemand Anderer mir nahe gestanden ist als der Oberstuhlrichter und Herr Macskaházy. Alles das bin ich bereit zu beschwören, und Gott, vor dessen Angesicht ich noch heute erscheinen werde, sei mir so barmherzig, wie ich jetzt die Wahrheit rede.«

»Sonderbar, sehr sonderbar,« murmelte Kislaky.

Nyúzó stieß den Sessel zurück und rief: »Das hochlöbliche Gericht wird doch nicht dulden, daß einer der Mitrichter vom Räuber als Dieb bezeichnet wird?«

»Was zu viel ist, ist zu viel,« sprach endlich Zátonyi, der voll edlen Zornes einen giftigen Blick auf den Gefangenen heftete, »wenn du nicht alsobald widerrufst, was du gesagt hast, und das hochlöbliche Gericht nicht um Verzeihung bittest, so lassen wir dir 50 Stockstreiche geben, dann wirst du schon anders reden.«

Völgyesy erinnerte daran, daß der X. Abschnitt des 6. Hauptstückes Drohungen und Prügel ebenso verbiete, wie Gnadenversprechungen, und erklärte mit allem Ernst, daß er, wenn am Gefangenen während des Geständnisses die geringste Gewaltthätigkeit ausgeübt werde, dies nicht nur dem Comitat, sondern auch höheren Ortes anzeigen würde, worauf Sóskúty von der Unverschämtheit der jetzigen Jugend, Zátonyi von niedriger Denunciation etwas murmelte. Die angedrohte Strafe unterblieb aber.

Während dieser kurzen Unterredung flüsterten Macskaházy und Nyúzó zusammen.

»Das hochlöbliche Gericht wird erlauben,« sprach endlich Macskaházy mit jenem freundlichen Lächeln, das ihm eigentümlich war, »daß ich einige Fragen an den Gefangenen richte, nachdem er auch mich beschuldigt. Ihr sagt, daß ich dabei gestanden bin, als Ihr aus der Hütte tratet. Habt Ihr mich gesehen?«

»Ich nicht,« antwortete Viola, »von dem Rauche und den Flammen in der Hütte waren meine Augen so geblendet, daß ich einige Zeit über gar nichts sah. Aber die Haiduken und die Bauern sagen Alle, daß die zwei Herren dort gewesen sind und das habe ich gefühlt, daß mir Jemand die Schriften aus der Hand riß.«

»Der Rauch in der Hütte war sehr groß?« fragte Macskaházy weiter.

»Ungeheuer, wir konnten uns kaum einander sehen und doch hat manchmal die Flamme plötzlich solches Licht verbreitet, daß wir beinahe erblindet sind!«

»Und wie habt Ihr die Schriften herausgebracht?«

»Sie sind neben mir auf meiner Bunda gelegen, ich habe sie rasch aufgehoben und herausgebracht, sie waren in ein blaues Tuch gewickelt.«

»Der Mensch spricht die Wahrheit,« wandte sich Macskaházy lächelnd zum Gericht, »wenigstens nach seiner Ueberzeugung; als er aus der Hütte stürzte, hielt er etwas in den Händen, im ersten Augenblick wußte ich nicht, ob es nicht eine Waffe sei, mit der er sich vertheidigen wolle, ich riß es ihm aus den Händen und da sah ich, daß es nur ein unschuldiges Tuch sei, in welchem etwas eingewickelt war. Aber,« fuhr er zum Gefangenen gewendet fort, »wenn du glaubst, daß du Schriften mit herausgebracht hast, so irrst du, armer Unglücklicher, dich sehr. Ich bitte Sie, Herr Oberstuhlrichter, bringen Sie herein, was wir Viola bei seiner Gefangennehmung abgenommen haben.«

Nyúzó ging hinaus.

»Im Tuche war nichts Anderes als meine Schriften,« sprach der Gefangene, auf dessen Angesicht bei Macskaházy's Worten zuerst die größte Freude, später die größte Unruhe zu bemerken war. Die Ueberraschung, die Wuth, die Viola's ganzes Wesen ergriffen, als Nyúzó zurückkam, das Tuch auf den Tisch legte, und Sóskúty und Zátonyi lächelnd nur ein paar weiße Unterhosen herauszogen, läßt sich nicht beschreiben. – Es war sein Tuch, dasselbe, in welches er Tengelyi's Schriften eingewickelt hatte, damit sie nicht verletzt würden; wie wollte er beweisen, daß die Schriften herausgenommen worden? Hätten Nyúzó und Macskaházy hartnäckig geleugnet, daß sie ihm etwas aus den Händen genommen, so konnte unter den damals Anwesenden noch einer gefunden werden, der bezeugt hätte, daß Viola etwas aus der Hütte herausgebracht, und daß dieses folglich einer der beiden Genannten ihm weggenommen habe. Aber was für ein Mittel blieb ihm jetzt, die Nichtswürdigkeit dieser beiden Menschen zu beweisen, die als Richter über ihn ihr Urtheil fällen würden?

»Das hochlöbliche Gericht sieht,« sprach Macskaházy, indem er die größte Theilnahme für den Gefangenen heuchelte, »daß dieser arme Mann das Gericht durchaus nicht mit einer falschen Angabe hat täuschen wollen. Ich glaube, und dies ist auch sehr wahrscheinlich, daß Tengelyi's Schriften in seinem Besitz waren, es ist ebenfalls glaublich, daß er sie mit sich herausbringen wollte; aber wie er früher selbst sagte, hatten Rauch und Feuer ihn ganz geblendet, und statt der Schriften hatte er das Kleidungsstück mit herausgenommen. – Es ist sehr natürlich –«

»Hochlöbliches Gericht,« sprach der Gefangene in höchster Aufregung, »ich bin ein armer verurtheilter Verbrecher und der Herr Oberstuhlrichter und Herr Macskaházy sind mächtige Herren, das weiß ich; aber ich werde heute noch vor meinem Gott erscheinen, welche Ursache hätte ich da zu lügen? Ich möge ewig verdammt sein, und Gott strafe meine Kinder bis in das zehnte Geschlecht, wenn in diesem Tuche nicht meine Schriften waren.«

»Ihr habt euch geirrt,« sprach Macskaházy zum Gefangenen, »beruhigt Euch. Bedenkt es nur vernünftig, wenn Ihr Tengelyi's Schriften herausgebracht hättet, was für eine Ursache könnte der Herr Oberstuhlrichter, könnte ich haben, sie dem Gerichte nicht ebenso vorzulegen, wie dieses Tuch und das Kleidungsstück?«

Viola schwieg eine Weile und sah starr vor sich hin, wie in tiefe Gedanken versunken; endlich hob er das Haupt und bat, man möchte die Haiduken hinausschicken.

Die Haiduken wurden hinausgeschickt, Viola heftete seine Augen auf Macskaházy und sprach:

»Was ich jetzt den gnädigen Herren sagen werde, wird Sie Alle, Herrn Macskaházy ausgenommen, gewiß in Erstaunen setzen; ich würde nie von dieser Sache geredet haben, und habe auch jetzt die Haiduken entfernen lassen, damit Niemand außer dem hochlöblichen Gericht meine Aussage höre, denn meine Frau und meine Kinder wohnen in Tiszarét und nach meinem Tode wird die Grundherrschaft vielleicht Gnade üben gegen die Waisen; weil man aber fragt, was für eine Ursache Herr Macskaházy haben könnte, Tengelyi's Schriften zu unterschlagen, sage ich nur, daß der gnädige Herr dies wohl am besten selbst wissen wird, daß es aber bedeutende Gründe sein müssen, sonst hätte er sie nicht rauben lassen, – denn der ganze Raub war auf seinen Befehl geschehen.«

Macskaházy erbleichte.

»Man muß gestehen, das ist eine schöne Bosheit,« sprach er mit bebender Stimme, noch immer lächelnd, »ich bin neugierig, wie der Gefangene diese Behauptung einem ehrlichen Manne gegenüber beweisen wird.«

»Hören wir ihn gar nicht an,« sprach Sóskúty, der schon öfter auf die Uhr gesehen und um sein Mittagsessen besorgt war.

Völgyesy forderte den Gefangenen zum Sprechen auf, und Viola, von Zátonyi und Sóskúty öfter unterbrochen, die besonders, als sie die Frau Vicegespanin nennen hörten, nicht im Stande waren, ihre Gefühle zu bemeistern, erzählte die ganze Begebenheit des Schriftenraubes, wie sie den Lesern bekannt ist, von dem Augenblick an, wo er im Garten das Gespräch Macskaházy's und der Vicegespanin belauscht hatte, bis zu jenem, wo er in Tengelyi's Haus den Juden niederschlug und ihm die geraubten Schriften wegnahm. – Seine Aussage war ganz richtig, mit der Ausnahme, daß er, um Niemanden bloßzustellen, verschwieg, daß er in Tiszarét verfolgt im Hause des Notärs versteckt war, daß er mit der alten Lipták geredet, und ferner, daß er von der räuberischen Absicht des Juden durch Peti Nachricht erhalten hatte.

Macskaházy, der den langen Vortrag ruhig mit verächtlichem Lächeln bis ans Ende angehört hatte, stellte jetzt die Bitte an die Uebrigen, einige Fragen an den Gefangenen richten zu dürfen. »Nicht,« sprach er mit Verachtung, »als ob ich und besonders meine gnädige Frau einer solchen Anklage gegenüber der Vertheidigung bedürften, aber nur um diesen Menschen selbst von der Haltlosigkeit seiner Lügen zu überzeugen.« Nun fragte er Viola mit scharfer Stimme: »Nachdem Ihr das Gespräch zwischen mir und der gnädigen Frau belauscht hattet, habt Ihr mit Niemandem darüber gesprochen?«

»Nein.«

»Erinnert Euch wohl, sagtet Ihr Niemandem, wenn auch nur im Allgemeinen, daß Jemand die Schriften des Notärs rauben wolle? Es ist gut, wenn wir auch Eure Gesellen kennen lernen; habt Ihr z. B. nichts dergleichen geredet mit Peti, dem Zigeuner oder mit der alten Lipták?«

Viola, der sehr gut wußte, welche Folgen es für seine Freunde haben könne, wenn man erführe, daß sie mit ihm unausgesetzt in Verbindung waren, leugnete standhaft.

»Und als man Euch in Tiszarét verfolgte, wo hieltet Ihr Euch damals auf?« frug Macskaházy weiter.

Viola antwortete, daß er während der Verfolgung nicht in Tiszarét gewesen.

Der Fiskal rief die alte Lipták herein, ließ das Bekenntniß ihr vorlesen, laut welchem sie ausgesagt, daß der Gefangene ihr aufgetragen habe, Tengelyi von dem bevorstehenden Raube zu verständigen, und fragte sie, ob sie dabei bliebe. Die alte Frau antwortete Ja und trug einen Eid an.

»Viola hat gestanden,« so sprach Macskaházy weiter zur Lipták, »daß er mit Euch hiervon damals geredet habe, als er während der Verfolgung zu Tiszarét im Hause des Notärs versteckt war. Wann hätte er sonst mit Euch reden können?«

Die alte Lipták, in der Ueberzeugung, daß Viola dies wirklich gestanden habe, sagte, dies sei vollkommen wahr, aber Tengelyi habe nicht gewußt, daß sich der Verfolgte in seinem Hause befinde.

Die alte Lipták wurde hinausgeschickt, und Macskaházy's Gesicht leuchtete, als er das Gericht fragte: »Haben Sie je eine unverschämtere Lüge gehört? Der Eine sagt, daß er von dem Raubanschlage, welchen angeblich ich geplant, mit Niemandem geredet habe, der Andere, daß Viola ihn davon unterrichtet, und zwar deshalb, daß er Tengelyi zur Vorsicht ermahne, was aber der Zeuge nicht gethan, ohne eine Ursache dieser Unterlassung anzugeben. Der Gefangene behauptet, daß er während der Verfolgung nicht in Tiszarét war, der Zeuge, daß er von dem betreffenden Gegenstand eben damals mit ihm gesprochen habe. Höre,« so sprach er zu Viola weiter, »wenn du noch einmal in deinem Leben Gelegenheit zum Lügen hättest, so bereite dich besser vor. Aber gehen wir weiter. Von wem hast du die Nachricht bekommen, daß der Jude und Czifra beim Notär einen Raub begehen wollen?«

»Das kann ich nicht sagen,« antwortete Viola, der lieber sechsmal den Tod erlitten, als seinen treuesten Freund in sein Unglück mit hineingerissen hätte. »Der Jude und Czifra haben dies im Wirthshause nahe bei Porvár verabredet.«

»Hast du ihre Verabredung selbst gehört?«

»Nein, ein Anderer hat sie mir mitgetheilt.«

»Wenn du es so bestimmt gewußt hast, daß der Raub geschehen wird, warum hast du es nicht auf der Stelle angezeigt?« frug der Fiskal weiter.

»Auf meinen Kopf ist ein Preis gesetzt.«

»Auf deinen Kopf? Ja das ist wahr,« sprach Macskaházy, »aber der Andere, der die Nachricht brachte, warum hat er es nicht selbst Tengelyi gesagt? oder Herrn Vándory, dem, wie es heißt, der Raub gleichfalls nahegeht?«

»Ich weiß es nicht,« sprach der Gefragte, »vielleicht hat er Herrn Tengelyi nicht gefunden, er hat gewußt, daß ich den Raub hindern werde und so hat er es nur mir gesagt.«

»Das ist ungewöhnlich,« sprach Macskaházy weiter, »daß der, der einen Raub hindern will, sich eben an einen Räuber wendet. Und bist du, da du den Raub hindern wolltest, allein gegangen? Und dein Geselle, der dir die Nachricht hinterbrachte, warum ist der nicht mitgegangen?«

»Es war nicht nothwendig,« antwortete Viola.

»Es bleibt aber doch sonderbar,« fuhr der Fiskal fort, »daß Ihr nicht zu zweien gegangen seid, da Ihr doch wußtet, daß Zwei den Raub ausführen wollten. Schau, wie nützlich wäre jetzt das Zeugniß deines Gefährten. Denn wenn Ihr nur die Absicht hattet, das Verbrechen zu hindern, so kannst du den Anderen getrost nennen, er darf von Seite des hochlöblichen Comitats sogar eine Belohnung erwarten.«

»Ich war allein,« sprach Viola, dessen Hoffnungen mehr und mehr schwanden, besonders als er auf Nyúzó's Angesicht Schadenfreude las und jene unaussprechliche Zufriedenheit sah, mit welcher Zátonyi und der Baron dem geschickten Frager Beifall zunickten.

»Gut, also du warst allein,« fuhr Macskaházy fort, »und wen sahst du auf dem Schauplatz des Verbrechens?«

»Nur den Juden, der draußen stand,« antwortete Viola, »sonst Niemanden.«

»Hast du nicht Czifra dort gesehen?«

»Nein, der Jude war allein dort.«

»Aber der Jude sagt, daß du den Raub begangen hast und wird es auf dein Haupt beschwören,« fuhr Macskaházy fort.

»Meinetwegen,« antwortete der Gefangene, »ich bleibe bei meiner Aussage.«

»Hast du sonst noch etwas vorzubringen?« fragte Macskaházy.

»Nein.«

Auf den Befehl des Präsidenten wurden die Haiduken hereingerufen, und Viola verließ mit ihnen das Zimmer.

Der Widerspruch, in welchem Viola's Angabe mit jener der alten Lipták stand, die Unwahrscheinlichkeit der ganzen Aussage, die der Gefangene gegen Macskaházy und besonders gegen die so hoch verehrte Vicegespanin vorgebracht hatte, überzeugten die Anwesenden, daß, wie Nyúzó sagte, das Ganze eine niedrige Erfindung sei, und Völgyesy selbst konnte trotz des guten Willens, dem Gefangenen zu helfen, kaum etwas anderes denken. Wenn der Jude und Czifra sich zur Beraubung des Notärs verabredet hatten und dabei so unvorsichtig waren, ihr Gespräch durch einen Dritten behorchen zu lassen – was wenigstens in Bezug auf den vielerfahrenen Czifra nicht unter die Wahrscheinlichkeiten gehörte – wer wollte dann glauben, daß dieser Dritte, der das Verbrechen zu hindern die Absicht hatte, sich an Viola, den einstmaligen Spießgesellen Czifra's wenden werde und daß der Jude und Czifra, wenn sie sich schuldig fühlten, als Zeugen auftreten würden, besonders nachdem der Letztere gar nicht vorgeladen war. Und schließlich, hatte Viola nicht ausgesagt, daß der Raub nur durch den Juden vollbracht worden sei und er Czifra am Orte des begangenen Verbrechens gar nicht getroffen habe, wogegen der Schmied eben darauf schwört, daß er Czifra gesehen und verfolgt habe? woraus sich klar ergab, daß der letztere Zeuge entweder wissentlich falsch aussagte, oder wenigstens den vor ihm laufenden Mann irrthümlich für Czifra gehalten.

»Die Sache ist klarer als der Tag,« sprach Zátonyi, nachdem diese Umstände durch die Mitglieder des Gerichtes wiederholt waren erörtert worden. »Der Gefangene leugnet nichts, wir lassen die Aussagen schnell unterschreiben, halten eine kleine Confrontation und dann können wir kurz das Urtheil fällen. Es ist bald zwei Uhr; wir müssen dem Gefangenen drei Stunden gestatten, um sich zum Tode vorzubereiten und um fünf Uhr ist es schon dunkel; wenn wir heute enden wollen, so müssen wir eilen.«

»Das wird kaum möglich sein,« sprach Kislaky, dessen Unruhe wuchs, je näher der Moment des Urtheilsspruches kam.

»Warum nicht?« antwortete Zátonyi, »beeilen wir uns nur, ich muß heute unbedingt nach Hause, ich muß Erdäpfel ausgraben und ackern lassen.«

»Beeilen wir uns,« erinnerte auch Sóskúty, den, wie es schien, mehr das verspätete Essen als der nahende Urtheilsspruch beunruhigte, »wir können unsere himmlische Hausfrau nicht länger warten lassen.«

»Der Gegenstand kann heute nicht erledigt werden,« sprach Völgyesy dazwischen, »die Aussage des Gefangenen ist lang, ich brauche wenigstens zwei Stunden, um dieselbe aus meinen Notaten ordentlich zu Protokoll zu bringen.«

»Das ist nicht nothwendig,« sprach Nyúzó, »sobald Viola in meine Hände kam, verhörte ich ihn in Gegenwart meines Geschworenen; das hochlöbliche Gericht weiß, daß der Gefangene seine Aussage weder geändert noch widerrufen hat; wenn sie auch nicht in so schönem Ungarisch geschrieben ist, wie sie der Herr Actuar aufsetzen würde, so ist sie doch gut genug zu einer Proceßbeilage, wenn sie der Gefangene wird unterschrieben haben.«

Völgyesy schüttelte verneinend das Haupt und bemerkte, daß der Gefangene sein früheres Bekenntniß zwar weder verändert noch widerrufen, aber vielerlei erklärt habe, wovon seine erste Aussage nichts enthalte, daß es daher seine Pflicht sei, auch dies Alles genau zu verzeichnen.

»Verzeichnen? was?« fragte Sóskúty erstaunt, »vielleicht, daß Herr Macskaházy und die gnädige Frau Vicegespanin die Schriften des Notars haben rauben lassen?«

»Alles, was der Gefangene vor dem Gerichte ausgesagt hat,« antwortete Völgyesy.

»Das ist unerhört,« schrie Nyúzó.

»Sie kennen Ihre Pflicht als Richter,« sprach Völgyesy, »ich kenne die meine. Sie werden nach Ihrem Gewissen das Urtheil sprechen, ich, der ich keine Stimme habe, werde Alles protokolliren, was meiner Ansicht nach zur Sache gehört.«

»Aber, verehrter Freund,« bemerkte Sóskúty mit der möglichsten Höflichkeit, »belieben Sie zu überlegen, daß der Herr Zátonyi wegen der Erdäpfel noch heute nach Hause muß, und dies ist unmöglich, wenn Sie das Gerede des Verbrechers Wort für Wort niederschreiben wollen. Ueberdies wartet unsere Hausfrau schon lange genug; die Höflichkeit erheischt es, daß wir uns beeilen.«

»Wenn das Leben eines Menschen in Frage steht, so können die Erdäpfel des Herrn Zátonyi noch einen Tag warten; ich wenigstens pflege mich bei solchen Gelegenheiten um die Regeln der Höflichkeit nicht viel zu kümmern.«

Kislaky sprach mit einiger Scheu: »So könnten wir den Urtheilsspruch vielleicht doch bis morgen verschieben, bis dahin wird Herr Völgyesy die Aussage zu Papier gebracht haben, und Herr Zátonyi –«

»Nein, unmöglich – Niemand erfüllt die Pflichten, die ihm das Comitat auferlegt, emsiger als ich; aber wegen einer bloßen Sekkatur werde ich meine Wirthschaft nicht vernachlässigen. Ich bin bei fünfzehn Statarien gewesen, und glauben Sie mir, daß solche Fälle darunter waren, wo man Monate lang darüber disputirt hätte, wenn die Sache vor das gewöhnliche Gericht gekommen wäre; und doch haben wir jedes Mal die Sache in einem Tage beendet, und gerade hier sollte das nicht gehen? In meinem Leben habe ich solche Prätensionen nicht gehört, wie sie jetzt Herr Völgyesy stellt. In der Instruction für das Statarium ist nirgends zu finden, daß jede Eselei, die der Gefangene vor Gericht vorbringt, protokollirt werden muß. Sagen Sie mir, Herr Völgyesy, nur einen vernünftigen Grund, warum Sie das wünschen; denn ich hoffe, daß Sie nach den Fragen, die Macskaházy an Viola gerichtet, doch dessen Aussage nicht für wahr halten!«

Völgyesy antwortete: »Mein Grund ist der, daß es die Glaubwürdigkeit der Acten so erheischet, und wenn dies auch nicht wäre, so belieben Sie doch zu wissen, daß gegen den Notär von Tiszarét ein Adelsproceß eingeleitet ist, und daß Violas Geständniß, wenigstens insofern er anerkennt, daß aus Tengelyi's Haus gewisse Schriften geraubt worden seien, von der höchsten Wichtigkeit sein kann.«

»Nachdem es scheint,« sprach Macskaházy schneidend, »daß es Manchem sehr am Herzen liegt, daß meiner und vorzugsweise der gnädigen Frau von Réty in den Proceßacten auf verunglimpfende Weise Erwähnung geschehe, bin ich, wenn es das hochlöbliche Gericht verlangt, für meine Person nicht dagegen; die gnädige Frau wird wenigstens ihre guten Freunde kennen lernen.«

»Der Himmel verhüte,« sprach der Baron, »daß in die Acten etwas aufgenommen werde, was der gnädigen Frau nur im Entferntesten unangenehm sein könnte und –«

»Jeder Mensch hat seine eigenen Ansichten,« fiel Macskaházy ein, »doch das hochlöbliche Gericht wird nach eigenem Ermessen beurtheilen können, ob es der gnädigen Frau und mir angenehm sein kann, daß Viola's niedrige Verläumdung, wenn sie im Processe erwähnt wird, alle Dikasterien durchläuft, und besonders da, wenn der Räuber seine verdiente Strafe erhält, uns kein Weg offen bleibt, die Nichtigkeit der Anklage zu beweisen. Das Sprichwort sagt: verleumde nur, es bleibt immer etwas hängen! Jeder wird selbst beurtheilen können, ob es schicklich und anständig ist, daß Herr Völgyesy, der bei der Restauration zu Réty's Gegnern gehörte, die jetzige Gelegenheit benützt, um sich zu rächen.«

Es ist natürlich, daß, als Macskaházy erklärt hatte, wie sehr die Familie Réty verletzt sein müßte, wenn jener Theil von Viola's Aussage, der die gnädige Frau betreffe, unter die Acten aufgenommen würde, die ganze Gesellschaft wie von heiligem Schauer ergriffen wurde.

Selbst der alte Kislaky, der seines Sohnes wegen jedes harte Zusammentreffen mit dem Vicegespan vermeiden wollte, erschrak vor dem Gedanken, daß unter seinem Vorsitz etwas geschehen könnte, wodurch sich Réty und vorzüglich die gnädige Frau beleidigt fühlen dürften und wodurch sein geliebter Kálmán auch um jene Hoffnung gebracht würde, die ihm auf Etelka's Hand noch übrig blieb, seit er bei der Restauration für Tengelyi aufgetreten war. Er sprach daher mit versöhnender Stimme: »Herr Völgyesy hat mit seinem Antrage gewiß nicht den Zweck gehabt, unseren verehrten Vicegespan zu beleidigen, er hat sicher nicht bedacht, daß die umständliche Aufzeichnung des ganzen Geständnisses des Gefangenen nothwendigerweise der ganzen Réty'schen Familie unangenehm sein müßte. Unser verehrter Notär kann selbst nicht wünschen, daß eine der bedeutendsten Familien des Comitates beschimpft werde; denn, wie Herr Macskaházy bemerkt hat, wenn der Gefangene verurtheilt wird, verlieren die unwürdig Verleumdeten die Hauptgelegenheit, sich zu rechtfertigen.«

»Wer hindert den Herrn Macskaházy, dieses zu seiner Vertheidigung nothwendige Mittel zu erhalten?« sprach Völgyesy, dessen sonst bleiches Gesicht ungewöhnliche Röthe überflog. »Nach der Instruction ist eine einzige günstige Stimme nöthig, um den Gefangenen vom Tode zu befreien. Wenn Herr Macskaházy sich oder die gnädige Frau von Réty durch das Geständniß des Gefangenen verleumdet glaubt, wenn diese Verleumdung völlig unbegründet ist, so bedarf es, um dies zu beweisen, nichts weiter, als daß Viola am Leben bleibe, und daß er durch die fortgesetzte Untersuchung der Lüge überwiesen werde, und wie ich nicht zweifle, seine Behauptung selbst zurücknehme; warum sollte also nicht Herr Macskaházy, oder einer von Jenen, die hier Stimmrecht haben, seine Stimme mit Rücksicht auf diese Verhältnisse formuliren?«

»Das ist wahr,« sprach Kislaky, der auf diese Weise seine beiden Hauptwünsche, nämlich die Nichtverurtheilung des Gefangenen und die Rücksichten gegen die Familie Réty erfüllt zu sehen hoffte, »um meine Verehrung für den Vicegespan darzuthun, wäre ich selbst hiezu bereit.«

» Per amorem! Domine spectabilis,« sprach Zátonyi, der in seinem Schreck die Tabaksdose abermals offen ließ, »also werden wir diesen Verbrecher nicht henken lassen!«

»Das ist entsetzlich,« sprach Sóskúty, die Augen gegen den Himmel erhebend, »der größte Räuber ist in unseren Händen, der Oberstuhlrichter Herr Nyúzó hat zu seinem ewigen Ruhme ihn mit Lebensgefahr eingefangen, er stellt ihn vor Gericht, wir haben das Standrecht und lassen ihn frei, wo wird das hinführen?! – Und wenn noch Jemand –«

»Ich meinerseits,« fiel Nyúzó ein, »werde Niemandes Narr mehr sein; der Teufel bringe sein Leben in Gefahr, wenn ein solcher Schuft nachher noch freigesprochen wird.«

Um den Tisch herum entstand ein Lärm, aus dem man nur einzelne Worte vernehmen konnte, wie öffentlicher Scandal, unerhört – fautores criminum – Schande, bis Völgyesy mit nicht geringer Schwierigkeit eine kleine Stille erwirkte, um den Richtern begreiflich zu machen, daß er nicht die Freisprechung des Gefangenen beantragt habe, sondern nur, daß er vor den gewöhnlichen ordentlichen Richter gestellt werde.

»Natürlich,« antwortete Zátonyi heftig, »als ob wir nicht wüßten, wie die ordentlichen Gerichte zu urtheilen pflegen. Ich weiß drei Fälle, in welchen der Gefangene vom Statarium an das ordentliche Gericht verwiesen wurde, und was war die Folge? Der Eine wurde auf drei Monate, der zweite auf ein Jahr verurtheilt und der Dritte wurde gänzlich freigesprochen; und ich möchte zehn Gulden wetten, daß dieser ein Räuber war. Besorgen Sie nichts, wir werden keine solchen Narren sein. Das Statarium ist dem hochlöblichen Comitate nicht deshalb gegeben worden, damit es sich desselben nicht bediene.«

Völgyesy warf einen verachtenden Blick auf den Sprecher und sagte: »Ich glaube, das Standrecht ist dem hochlöblichen Comitate nicht unter der Voraussetzung zugestanden worden, daß es seine Verdienste in der Handhabung des Statariums jährlich durch ein paar gehenkte Menschen legitimire.«

Sóskúty hatte indessen in der Instruction geblättert und sprach nun: »In der Instruction steht deutlich, daß die Strafe keine andere sein kann, als die des Galgens. Es kann also Niemand leugnen, daß von uns verlangt wird, daß wir Jemanden henken lassen und daß dies in Folge unseres Amtes auch unsere Pflicht ist.«

Kislaky wußte in diesem Augenblicke nicht, was zu thun sei, bis ihn Macskaházy erinnerte, daß es sich nur noch um die Frage handle: Ob der Gefangene jenes Geständniß zu unterschreiben habe, was er vor dem Stuhlrichter abgelegt, oder ob ein neues Geständniß protokollirt werden müsse, wodurch das Urtheil erst den nächsten Tag gefällt werden könne.

»Man muß das frühere Geständniß authentisiren,« sprachen einstimmig die Uebrigen, nur Kislaky bemerkte, daß nach seiner unvorgreiflichen Meinung es vielleicht doch besser wäre, nach Herrn Völgyesy's Ansicht das Geständniß des Gefangenen anders aufzusetzen. Hierauf bemerkte Zátonyi, daß infolge der höchsten Instruction die Einstimmigkeit der Richter nur beim Todesurtheile nothwendig sei, und daß über den vorliegenden Fall die Majorität schon entschieden habe.

»Für diesen Fall,« sprach Völgyesy, »wird das hochlöbliche Gericht mich als Notär meiner Pflicht gütigst entbinden, denn ich meinerseits erkläre, daß ich das Protokoll anders, als ich gesagt habe, nicht verfassen werde.« Er stand auf und übergab Macskaházy die Schriften mit der Aeußerung, daß alle Schätze der Welt ihn nicht dazu bewegen könnten, an der Verhandlung, die er für einen Act richterlicher Willkür halte, nur noch einen Augenblick weiter theilzunehmen.

»Das ist niederträchtig,« schrie Nyúzó.

»Eine Infamie,« sprach Zátonyi.

»Bitten Sie sich selbst um Vergebung,« kreischte Macskaházy Eine gewöhnliche ungarische Redensart..

Sóskúty sprach so schnell, daß schon sein erstes Wort unverständlich war, und der alte Kislaky selbst sprach, so viel man aus seinem erröthenden Angesicht merken konnte, einige zürnende Worte, die im Geschrei verhallten.

»Meine Herren Gerichtstafelbeisitzer,« sprach endlich Völgyesy, nachdem er mit nicht geringer Anstrengung zu Wort gekommen war, »ich habe Niemanden persönlich beleidigen wollen; erlauben Sie, daß ich meine Worte erkläre.«

»Erklären, was erklären?« schrie Zátonyi immer heftiger, »vielleicht, daß das hochlöbliche Gericht aus Mördern bestehe? Wissen Sie aber, daß Sie keine Stimme mehr haben; wer Richter dehonnestirt, ist infam, der Herr ist infam.«

»Richtig,« sprach der Baron dazwischen, »wir erklären ihn für infam.«

»Im Standrechtsweg?« fiel Völgyesy mit bitterem Lächeln ein.

»Im Standrechtsweg oder anders, das ist mir alles eins,« fuhr der Baron fort. »Wer gegen den Richter oder das Gericht so spricht, ist infam, so steht es im Corpus juris. Unser gerichtliches Verfahren dehonnestiren, ist unerhört.«

»Es ist ad horribilationem!« schrie Zátonyi dazwischen, und das allgemeine Entsetzen, welches die Anwesenden über die Kühnheit ihres Notärs bald latein, bald ungarisch laut ausdrückten, machte es unmöglich, den Sprecher wieder zu verstehen. Es schien aber, daß die Bedrohung mit Infamie ohne Wirkung blieb. Der Notär überschaute die Gesellschaft ruhigen Blickes, bis er endlich wieder zum Wort kam.

»Wenn es Ihnen beliebt, so sprechen Sie die gesetzliche Infamie über mich im Standrechtswege aus,« so sprach Völgyesy ruhig, »aber erlauben Sie, daß ich – nicht Jenen zu Gefallen, die, wie es scheint, nur die Hinrichtung des Gefangenen ersehnen, sondern aus Verehrung für den Herrn Präsidenten –«

» Captatio benevolentiae,« schrie Zátonyi dazwischen, »unser verehrter Präsident braucht von einem solchen Menschen dergleichen nicht –«

»Das hochlöbliche Gericht aufmerksam mache,« sprach jener weiter.

»Das hochlöbliche Gericht braucht nicht aufmerksam gemacht zu werden,« lärmte der Baron dazwischen.

»Welch' schwere Verantwortung auf jedem Anwesenden lasten wird, wenn das gegenwärtige Verfahren bis zu seinem traurigen Ende fortgesetzt wird.«

Völgyesy nahm die Instruction in die Hand und bemerkte dem Gerichte, daß das Statarialgericht nur insofern gesetzlich verfahren könne, als es sich streng an die Vorschriften halte, der gegenwärtige Fall aber gehöre gar nicht in seinen Wirkungskreis.

»Das ist eine schöne Unwissenheit,« sprach Zátonyi verächtlich, »aber in der jetzigen Zeit sind wir das bei jungen Leuten gewohnt; nie hat ein Gefangener mehr vor das Statarium gehört als Viola.«

Völgyesy bemerkte, daß der Fall ein solcher sei, welchen das Gericht binnen drei Tagen nicht ins Klare bringen könne.

»In drei Tagen?« antwortete Zátonyi lachend, »das werden wir sehen, in drei Tagen werden wir mit 20 solchen Schuften fertig; wir hätten auch jetzt schon das Uebrige längst gethan, wenn Sie uns nicht durch Ihre impertinenten Einwürfe aufgehalten hätten.«

»Haben Sie also die Aussage des Gefangenen vergessen, in welcher gewisse Beschuldigungen –«

»Das gehört nicht zur Sache,« unterbrach Sóskúty den Redenden, »in den Acten steht nichts, und ich werde es vergessen.«

»Herr Baron,« sprach Völgyesy erstaunt.

»Der Herr Baron hat ganz Recht,« sprach Zátonyi, »alle die verworrenen Reden, die wir vom Gefangenen vernommen, gehören nicht zur Species facti; es ist überflüssig, derselben im Protokolle zu erwähnen.

»Aber die Vollständigkeit der Acten?« fiel Völgyesy heftig werdend ein.

»Unnütze Formalität,« antwortete der Gerichtstafelbeisitzer, »und im 6. Abschnitt, 5. Paragraph der Instruction steht, daß der Gerichtsstuhl urtheilt, mit Hinweglassung aller Formalitäten, die im gewöhnlichen gerichtlichen Verfahren sonst beobachtet werden.«

»Richtig, wir können gegen alle gerichtlichen Formalitäten urtheilen: wie es uns gefällt,« erwiderte der Baron mit Würde.

»Daß die Herren den Gefangenen können henken lassen, unterliegt keiner Frage,« schrie endlich Völgyesy, der alle Mäßigung verlor, »aber daß ich Ihr Verfahren nie für ein richterliches Verfahren, sondern für eine Gewaltthat halten werde, das ist auch wahr.«

»Was?« schrieen drei Stimmen auf einmal.

»Der Gerichtsstuhl besteht nicht aus solchen Männern, wie sie nach der Instruction auf den Richterstühlen erforderlich sind.«

»Das ist stark, das ist stark!« schrie Zátonyi und sprang von seinem Stuhle auf, »sind wir keine Gerichtstafelbeisitzer? Haben wir nicht beim Beginne der Sitzung geschworen, daß wir unser Urtheil ganz nach den allerhöchsten Ortes bestimmten Vorschriften fällen werden?«

»Und sind wir nicht Rechtskundige, reife, frei urtheilende Männer?« fuhr der Baron fort.

»Hinaus mit ihm, hinaus!« schmetterte Nyúzó.

» Actio, Actio,« schrie Sóskúty.

Es bedurfte langer Zeit, bis Völgyesy sich in dem Lärm dahin verständlich machen konnte, daß nach seiner Ueberzeugung dem Richter Unparteilichkeit nöthig sei.

»Larifari,« donnerte Zátonyi, »davon steht nichts in der Instruction.«

»Sehr wahr, und wenn es auch wäre,« fuhr Sóskúty fort und focht mit den Händen in der Luft, »wer kann uns der Parteilichkeit beschuldigen, ist nur ein Wort zur Vertheidigung des Gefangenen gesprochen worden, außer von Ihnen, der Sie, dem Himmel sei Dank, keine Stimme haben?«

»Ich wäre doch neugierig zu erfahren, wie Sie unsere Parteilichkeit beweisen würden,« sprach Macskaházy schneidend, indem er seine Augen auf den jungen Fiskal heftete.

»Diese Neugierde kann ich befriedigen,« sprach Völgyesy, der trotz seines Zornes wenigstens äußerlich ruhig schien. »Was Sie anbelangt, ist es wahrscheinlich, daß es in Ihrem Interesse liegt, die Klage und den Kläger zugleich hinwegzuräumen, weil sie das einzige Mittel nicht ergreifen wollen, wodurch Sie sich gänzlich reinwaschen könnten, und dieses Mittel ist, den Gefangenen am Leben zu erhalten. Ueber die Parteilichkeit des Herrn Oberstuhlrichters ist gar keine Frage. Herr Nyúzó hat auf dem Richterstuhle denjenigen, über den gerichtet werden soll, als seinen Henker empfangen.«

»Niederträchtigkeit – Impertinenz! – hinaus mit ihm – Actio!« tönte es von allen Seiten.

»Wo zum Urtheilsspruch Einstimmigkeit der Richter nothwendig ist,« sprach Völgyesy mit erhöhter Stimme, »und bei fünf Richtern es von Einem wahrscheinlich ist, daß die Verurtheilung des Gefangenen in seinem persönlichen Interesse liegt, und ein zweiter Richter vor dem Gericht offen erklärt, daß er mit dem Gefangenen in persönlicher Feindschaft stehe; da kann kein gesetzliches Urtheil gefällt werden.«

Der Lärm unterdrückte die Stimme des Fiskals. – »Ich werde Alles thun, was in meiner Macht steht, daß diese himmelschreiende Sünde der ganzen Welt bekannt werde!« schrie der Unterbrochene, der jetzt vor Zorn alle Mäßigung vergaß, »ich werde mit meiner Klage allerhöchsten Ortes erscheinen, damit ein so niedriges Verfahren nach Verdienst bestraft werde.«

»Nichtswürdiger Denunciant!« und mehr dergleichen Schmähungen, bei denen die Stimme des Oberstuhlrichters am deutlichsten ertönte, überzeugten Völgyesy, daß jedes fernere Reden fruchtlos sei; er wollte sich schon entfernen, als Nyúzó aufsprang, nach seinem Rockkragen griff und wüthend schrie: »Hinaus, du Buckliger!«

»Dafür werden wir abrechnen,« sprach Völgyesy, setzte den Hut auf und verließ das Zimmer flammenden Angesichtes.

Der Lärm im Gerichtszimmer zog die Aufmerksamkeit der Außenstehenden in nicht geringem Maße auf sich; jedes Ohr war der Thüre zugewendet, von woher stets mehr wachsender Lärm ertönte, und unter jenen Horchenden, die, wie Viele, vielleicht wähnten, daß Grobheit und Gerechtigkeit meist Hand in Hand gingen, verbreitete sich die Beruhigung, daß noch bei keinem Gericht gerechtere Richter beisammen gesessen seien; die alte Lipták aber, so schien es, war anderer Meinung. Sie saß der Thüre nahe und vernahm jedes Wort; plötzlich sagte sie seufzend zum Schmiede: »Die Herren sind sehr böse aufeinander, es ist traurig, daß der arme Viola ihnen eben jetzt in die Hände fallen mußte.«

Viola stand theilnahmslos in diesem Lärm an eine der hölzernen Säulen des Ganges gelehnt; von Wachen umstanden, war er in das Anschauen eines Gegenstandes versunken, der sich jetzt seinen Augen darstellte. An dem Thore stand seine Frau, das kleine Kind auf dem Arm, den kleinen Sohn neben sich, und alles Andere verschwand vor dem Räuber.

Sobald das Gericht begonnen, war die Unglückliche am Thore erschienen. Sie hatte um Einlaß gebeten, die Wachen aber hatten ihr den Eintritt versagt. Sie versuchte es darauf, mit Gewalt zu ihrem Ziele zu gelangen. Umsonst natürlich! im Auftrage des Oberstuhlrichters stießen die Panduren die Drängenden zurück. Viola sah dies Alles, er sah die unbarmherzige Weise, mit der die Frau und die Kinder zurückgestoßen wurden, er sah den Schmerz auf dem Angesicht des lieben Geschöpfes und die Anstrengung, mit der sie ihre Thränen unterdrückte. Er hätte sein Leben darum gegeben, wenn er zu ihr gekonnt hätte, wenn er sie an die Brust hätte drücken dürfen, den Schlag ihres Herzens zu fühlen, dessen Liebe ihm die ganze Welt nicht zu nehmen vermochte, und er mußte da stehen, ein paar Schritte von ihr und doch getrennt. Es war etwas unaussprechlich Bitteres in der Lage dieser beiden Menschen, das selbst die nicht sehr empfindsamen Wachen ergriff, und mehr als einer unter diesen war zum Mitleidem bewegt, als er die beiden getrennten und doch in ihren gegenseitigen Anblick versunkenen, unglücklichen Wesen betrachtete.

Als die Thüre des Gerichtsstuhles aufging, und Völgyesy auf den Gang trat, drehte sich Viola um; er glaubte, daß man ihn zur Vernehmung des Urtheilsspruches berufe, sehnte sich nach dem Augenblick, denn die Wachen hatten ihm gesagt, daß er dann mit seiner Frau sprechen dürfe. »Ist es zu Ende?« fragte er den Heraustretenden.

»Noch nicht,« sprach jener leise.

»Und der gnädige Herr gehen weg?«

»Ich habe keine Stimme,« antwortete der Fiskal seufzend, »ich kann Ihm nichts nützen.«

»Ich habe es gewußt,« sprach Viola und sein Gesicht überflog ein bitteres Lächeln, »Gott segne Sie dafür, daß Sie sich für mich armen Mann so viel abgemüht haben; aber wenn Sie sich meiner erbarmen wollen, so bitte ich Sie, wirken Sie mir nur die Erlaubniß aus, daß man mein armes Weib zu mir läßt. Dort steht sie beim Thor, die Unglückliche, mit ihren Kindern, man läßt sie nicht zu mir. Wenn sie nur bei mir sein kann, sonst verlange ich nichts; ich bin ja gebunden und von Panduren umringt, nach ein paar Stunden bin ich ein Kind des Todes; was schadet es dem hochlöblichen Comitat, wenn das Herz des armen Weibes etwas weniger Leid fühlt?«

»Dieser Wunsch soll erfüllt werden,« sprach Völgyesy tief ergriffen, und nachdem er Susi und die Kinder selbst in den Hof geführt hatte, entfernte er sich in Gedanken versunken.

Ich werde die Scene nicht beschreiben, deren Zeugen jetzt die auf dem Gange Stehenden waren, als die unglückliche Frau mit den Kindern zu ihrem gefesselten Gatten trat. Die Unglücklichen sprachen nicht; als aber der kleine Sohn des Räubers weinend die von Fesseln wunde Hand des Vaters küßte und über das bleiche Angesicht des Räubers schwere Tropfen herabrollten, blieb unter den Zuschauern kein Auge trocken.

Im Zimmer drinnen hatte sich die edle Indignation der Gerichtstafelbeisitzer indessen beschwichtigt. Macskaházy hatte die Acten übernommen und beschäftigte sich mit dem Ordnen derselben. Nyúzó brummte zwischen den Zähnen und schmähte auf Völgyesy's Unverschämtheit; die Uebrigen flüsterten unter sich über gleichgiltige Gegenstände und waren ziemlich wohlgemuth, Kislaky ausgenommen, dessen Unruhe, seit sich Völgyesy entfernt, immer sichtbarer wurde.

Es blieb nur die Unterschrift der Aussage des Gefangenen übrig; Viola wurde hereingerufen. Als ihm seine Aussage vorgelesen wurde, bemerkte er, daß darin nichts von dem enthalten sei, was er über Tengelyi's Schriften vor Gericht ausgesagt; nachdem aber Macskaházy bemerkte, daß hier nur die Frage sei, ob er das als richtig erkenne, was in der Aussage enthalten sei, und daß das Gericht Alles was er sonst gesagt und was nicht zu diesem Gegenstand gehöre, abgesondert verzeichnen werde, unterschrieb er seinen Namen ohne Schwierigkeit. Der Proceß war bis zum Spruche fertig. Zátonyi gähnte gewaltig, bot seine Dose herum und bemerkte, daß er noch bei keinem Statarium so viel Plage gehabt habe. Der Baron sah vielleicht schon zum zwanzigstenmale auf seine Uhr und bemerkte dem Gericht, daß es schon drei Uhr sei, daß ihn vor Hunger der Kopf schmerze, und daß man eilen müsse.

Macskaházy wiederholte kurz den Thatbestand, so wie er sich aus den Acten ergab und endete seinen Vortrag mit der Erklärung, daß im vorliegenden Falle über das Todesurtheil kein Zweifel sein könne. Mit anderen Worten sagte Nyúzó dasselbe; lachend bemerkte Zátonyi, daß in diesem Prozeß selbst eine empfindsame Frau nichts anderes sagen könnte; der Baron verneigte sich höflich und trat der mit so vielen Gründen unterstützten Meinung seiner Collegen vollständig bei; nur Kislaky war noch übrig. Wer den guten Alten sah, wie er auf seinem Stuhl sich unruhig von einem Richter zum anderen wandte, wie er, als er jeden Einzelnen für den Tod stimmen hörte, aufseufzte und die Hände zum Himmel erhob, und wie nun, da endlich die Reihe an ihn kam, seine rothen Wangen vielleicht seit Jahren zum erstenmale erbleichten, und das Papier, welches er in den Händen hielt, zu zittern begann, der konnte das ehrliche Gesicht nicht ohne Mitleid betrachten.

Kislaky war ein freundlicher, gutherziger Mann, einer von jenen Glücklichen, die das Geschick mit ruhigem Gemüth beschenkt und in eine angenehme Lage versetzt hat; er war nie gezwungen gewesen, mit seinem Schicksale oder den Menschen zu kämpfen; er hatte nie Gelegenheit gehabt, seinen Willen an Schwierigkeiten zu stärken, seine Gefühle waren nie verbittert worden. Geliebt von seiner Frau, die auf ihn, den Willenlosen, grenzenlosen Einfluß übte; geliebt von seinem Sohne, den Bekannten, Dienern und Unterthanen, alle diese wiederliebend, Jedem nur Gutes und Freundliches wünschend, war er alt geworden, ohne die Schattenseite des Lebens kennen zu lernen, ohne sich je für etwas entscheiden zu müssen, was mit den Empfindungen seines Herzens im Widerspruche gestanden wäre: und jetzt ward unversehens von ihm verlangt, daß er, der den ganzen Werth des Lebens kannte, er, der nicht einem Hunde wehe zu thun vermochte, ein Todesurtheil aussprechen solle!! Die Uebrigen hatten ihr Urtheil abgegeben, aber wenn nur Einer der Stimmenden sich anders aussprechen würde, so wäre das Leben des Räubers gerettet, und zwar nicht nur für den Augenblick, sondern wahrscheinlich für immer, denn es blieb zu hoffen, daß Viola, wenn auch später zum Tode verurtheilt, des Königs Gnade erwarten dürfe, weil er die Todesangst schon einmal überstanden. Ein Menschenleben war in seinen Händen, ein Wort, und dieses war gerettet; ein Wort, und er überlieferte den Unglücklichen dem Henker, – und andererseits seine Richterpflicht, die Aufrechthaltung der öffentlichen Sicherheit, die er, wie so viele rechtschaffene Männer unseres Landes, nur durch die strengsten Maßregeln erhalten zu können glaubte! Schweigend saß er da, und vermochte sich nicht zu entscheiden. »Aber ich bitte unterthänig,« sprach Sóskúty und wies abermals die Uhr vor, »wir können unsere verehrte Hausfrau nicht länger warten lassen.«

»Richtig,« sprach Kislaky aus tiefen Gedanken erwachend, »lassen wir das Urtheil auf morgen, die unglückliche Execution kann ohnedies heute nicht statthaben. Wir müssen dem Gefangenen wenigstens drei Stunden zugestehen und um 5 Uhr ist es schon finster. Im Dunkeln können wir das Urtheil nicht vollziehen lassen.«

»Unser verehrter Präsident hat vollkommen Recht,« fiel Sóskúty ein, »heute Abend tarokiren wir; ich bin dem gnädigen Herrn ohnedies für den abgefangenen pagat ultimo Revanche schuldig. Aber ich sehe nicht ein, warum wir das Urtheil nicht heute aussprechen können, damit wir morgen Früh weniger zu thun haben?«

»Weil, weil,« sprach Kislaky unruhig, »das Aussprechen des Todesurtheils nur von mir abhängt und ich gestehe, daß ich mit mir nicht im Reinen bin.«

» Domine spectabilis,« sprach Zátonyi, die Hände zusammenschlagend. »Sie in Ihrem Alter, Sie, der Sie so lange Comitatsdienste versehen haben, sind mit sich nicht im Reinen? Ich war bei fünfzehn Standrechts-Fällen zugegen und war jedesmal im ersten Augenblick mit mir im Reinen. Es ist recht gut, daß Sie unter Freunden sind, sonst würde man Sie falsch beurtheilen.«

Die Anderen schauten sich verwundert an, und Nyúzó mußte sich zurückhalten, um nicht die Verachtung auszusprechen, die eine solche Schwäche in ihm erweckte; aber Kislaky blieb bei seiner Ungewißheit, und weder das entlastende noch das verdammende Urtheil aussprechend bat er nur, das Ganze auf den nächsten Tag zu verschieben.

Macskaházy, der sein Ziel erreicht glaubte, als sich Völgyesy entfernt hatte, wurde wieder unruhig. Er kannte seinen Mann und wußte, daß Kislaky, wenn er vor dem Urtheile nach Hause käme, den Bitten seiner Frau und denen Kálmán's, sowie Völgyesy's Vernunftgründen nicht widerstehen werde, und er wollte daher Alles aufbieten, daß Viola heute noch zum Tode verurtheilt werde, was ihm mehr als alles Andere am Herzen lag.

»Was uns anbelangt,« sprach er so ruhig als ihm möglich war, »ist es ganz gleichgiltig, wenn der gnädige Herr wünscht, daß wir erst morgen urtheilen. Ich wünschte nur das Ganze zu endigen, um das Schicksal des Gefangenen zu erleichtern. Wenn das Urtheil gefällt ist, kann er frei mit der Frau und den Kindern reden, er kann sich ruhiger zum Tode vorbereiten, kann Anordnungen treffen, wenn er welche zu treffen hat. – Wenn es aber dem gnädigen Herrn die geringste Ungelegenheit macht, so ist das natürlicher Weise eine Sache, auf die man keine Rücksicht zu nehmen braucht.«

Als Zátonyi die Wirkung bemerkte, welche diese Worte bei Kislaky hervorbrachten, setzte er hinzu, daß Viola zwar ein großer Verbrecher sei und ohne Zweifel verdiene, zehn Tage hindurch der Todespein ausgesetzt zu bleiben; aber der Mensch bleibe doch immer ein Mensch, und was Herr Macskaházy gesagt habe, empfehle er der erprobten Menschlichkeit des Hochlöblichen Gerichtes, nachdem ohnehin über das zu fällende Urtheil kein vernünftiger Mensch im Zweifel sein könne und Viola am Leben zu erhalten, eine Sünde gegen den Staat wäre.

Sóskúty sprach lang über Humanität und bewies, daß es die Menschenliebe erfordere, Viola gleich zum Tode zu verurtheilen. Die Nothwendigkeit eines Beispiels wurde erwähnt und daß derjenige, der dem Verbrecher verzeiht, den Guten straft. Nyúzó erzählte eine entsetzliche That nach der anderen, die Viola und seine Gesellen der Sage nach verübt hatten und noch verüben würden, wenn die Furcht vor dem Statarium aufhöre, bis der gute Alte von allen Seiten angegriffen und Niemand neben sich, der seine Besorgniß theilte, nicht fähig, auf Gründe zu antworten, die er sein ganzes Leben hindurch für unwiderleglich gehalten, und denen auch jetzt nur sein Herz widersprach, schwer aufseufzend das erwartete Urtheil fällte.

»Gott sieht mein Herz,« so sprach er und schaute gegen den Himmel, »ich weiß nicht, was ich geben möchte, um das Leben dieses Menschen zu schonen, aber ich kann meine Pflicht nicht verletzen.«

Macskaházy begann gleich das Urtheil zu schreiben, die Uebrigen trachteten auf alle Weise den Präsidenten zu erheitern, auf dessen Brust, seit er das Urtheil ausgesprochen, das ganze Gewicht der Verantwortlichkeit lastete, die er jetzt auf sich geladen.

In diesem Augenblick ging die Thüre auf und Susi stürzte herein, ihren Sohn auf dem Arme haltend, von zwei Haiduken gefolgt, die sie vergebens zurückzuhalten strebten.

Nachdem die arme Frau auf den Gang gekommen war, hatte sie ihr kleineres Kind der alten Lipták übergeben und war ruhig neben ihrem Mann gestanden, wo ihr die Wachen aus Mitleid Platz gegönnt hatten. Die Stille, die im Gerichtszimmer herrschte, seit Völgyesy fortgegangen und der Gefangene seine Aussage unterschrieben, das Flüstern der Haiduken, daß jetzt das Urtheil gesprochen werde, erfüllte ihre Seele mit unendlicher Angst. »Wenn ich nur hinein könnte,« sprach sie einigemale zu ihren Nachbarinnen, »wenn ich sie bitte, ist es unmöglich, daß sie ihn verurtheilen,« und ihre Blicke waren unausgesetzt auf die Thüre geheftet, hinter der über das Leben ihres Mannes entschieden wurde. Als ihr endlich das Warten unerträglich geworden, ging sie zur alten Lipták, die zunächst der Thüre saß; sie sprach leise mit ihr und als Niemand sie beachtete, stürzte sie mit ihrem Sohne zu der Thüre hinein, bevor sie zurückgehalten werden konnte.

»Erbarmen,« schrie die Unglückliche und stürzte zu Kislaky's Füßen, »Erbarmen, gnädiger Herr, bringen Sie meinen Mann nicht um.«

Der erschütterte Kislaky wollte die Knieende aufheben.

»Nein, nein,« schluchzte diese, »lassen Sie mich hier knieen, mich und mein Kind, küsse des gnädigen Herrn Hände, sieh, von ihm hängt deines Vaters Leben ab,« so sprach sie und zog den kleinen Pista zu sich, »es ist ein so guter Herr, ihm werden wir Alles danken.«

»Ich bitte, bringen Sie meinen Vater nicht um,« weinte der kleine Pista.

»Welche Unverschämtheit,« schrie Nyúzó, »das hochlöbliche Gericht bringt Niemanden um.«

»Nein, Gott bewahre,« sprach die Frau sanft, »hören Sie das unverständige Kind nicht, wenn es sagt, Sie sollten seinen Vater nicht umbringen; es weiß nicht, was es spricht, ich weiß ja selbst nicht, was ich rede.«

»Arme Frau,« sprach Kislaky, »der Richter hat schwere, aber strenge Pflichten und –«

»Ich bitte ja das hochlöbliche Gericht nicht,« so sprach Susi immer knieend, »daß Sie ihn von aller Strafe freisprechen. Gott bewahre, strafen Sie ihn mit langem, meinetwegen wenn es sein muß, mit ewigem Gefängniß, erhalten Sie ihm nur das Leben. Vielleicht hat er selbst gesagt, daß er den Tod nicht scheut, denn er redet öfters so, aber glauben Sie ihm nicht, damals hat er seine Kinder nicht gesehen; jetzt, seitdem er den kleinen Pista wieder geküßt, würde er nicht so sprechen, und auch das andere Kind hat ihn so freundlich angelächelt. O! wenn Sie die sanfte schöne Stimme hören würden, mit der es den Vater ruft, so würden Sie nicht glauben, daß Viola sterben will!«

»Zu was ist diese unnütze Geschichte,« schrie Nyúzó, »ich möchte wissen, wer die zu uns hereingelassen hat. Trolle dich, dein Mann wird sterben; wenn er den Tod scheut, umso besser.«

»Also hab' ich gesagt, daß er den Tod scheut?« seufzte Susi, die durch diese Worte auf einen anderen Gedanken kam, »Gott, was ich rede! Viola wünscht sich den Tod, für ihn ist der Tod keine Strafe, wenn Sie ihn strafen wollen, müssen Sie ihn einsperren; hundertmal hat er gesagt: lieber will ich sterben, als mich einkerkern lassen.«

Kislaky schaute mit thränenden Augen und erschüttertem Herzen auf die Unglückliche, Sóskúty mit großer Ungeduld auf die Uhr.

»Nicht wahr, gnädiger Herr, Sie sperren ihn ein?« fuhr die Flehende fort, als sie Kislaky's Bewegung wahrnahm, »was ist ihm der Tod? ein Moment und es ist aus – aber uns, ich habe zwei Kinder, dieses hier und das andere draußen bei der Lipták, was beginnen wir, wenn der Vater dieser Kinder gehenkt wird?«

Zátonyi bemerkte, daß es in Bezug auf die Kinder einerlei sei, ob er gehenkt oder zu 20-jährigem Kerker verurtheilt werde.

»O, nein,« sprach Susi, »den gnädigen Herren ist es einerlei, aber uns nicht; mein Mann wird sich gut aufführen, ich geh' zu Fuß nach Wien, auf meinen Knieen werde ich dem König nachrutschen, bis er meinen Mann begnadigt, und wenn auch nicht, so kann ich ihn doch zuweilen im Kerker besuchen, kann ihm die Kinder zeigen, wie sie gewachsen sind; sperren Sie ihn nur ein, für mich ist es das Himmelreich, der Tod ist entsetzlich.«

»Halb vier Uhr! das ist schrecklich,« seufzte Sóskúty.

»Lasse Sie uns in Frieden,« sprach Zátonyi, indem er eine Prise nahm, »es ist zu spät, das Urtheil ist gefällt.«

»Das Urtheil, das Todesurtheil!« schrie Susi und sprang entsetzt auf.

»Hier ist es,« sprach Nyúzó höhnend und wies auf ein Papier, welches Macskaházy eben bestreute.

»Aber wenn es schlecht, wenn es fehlerhaft ist,« sprach die Frau mit gepreßter Stimme, »wenn ich sage, daß es nichts taugt; denn für Viola ist der Tod keine Strafe, er macht nur uns unglücklich.«

»Was geschehen ist, ist geschehen,« sprach Zátonyi, »störe Sie uns nicht durch unnützes Flehen.«

»Aber ich bitte,« sprach Susi sich immer mehr entsetzend, »was ist so ein Bogen Papier? Sie können ja einen anderen nehmen und etwas anderes darauf schreiben, und mein Viola wird leben.«

»Warum nicht gar, wir haben uns genug abgemüht,« scherzte Nyúzó, »Euch zu Gefallen wird Herr Macskaházy gleich ein neues Urtheil schreiben!«

»Nicht uns zu Gefallen, sondern wegen eines Menschenlebens!«

»Arme Frau,« sprach Kislaky und trocknete sich eine Thräne, »wir dürfen das Urtheil nicht ändern.«

»Sie dürfen nicht,« schrie Susi und erhob die Augen zum Himmel.

»Es ist unmöglich,« sprach Zátonyi ruhig. Da stürzte die arme Frau mit einem Schrei zu Boden.

Dieselbe wurde hinausgetragen, das Urtheil Viola vorgelesen, der es mit vollkommener Ruhe anhörte, die Richter gingen dem Castelle zu; Kislaky's Seele erfüllte eine neue, nie geahnte Empfindung: Gewissensbisse. »Mein Gott!« sprach er zu sich selbst, »diese unglückliche Frau, das Leben dieses Menschen liegt auf meiner Seele, ich kann nie mehr ruhig werden! Warum habe ich das Todesurtheil ausgesprochen!«

Warum gibt es Gesetze, von deren Nothwendigkeit der Verstand nicht überzeugt werden kann und deren Vollstreckung das Herz des besseren Menschen mit Schauder erfüllt?


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