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Zwölftes Capitel.

Die Ereignisse von Tiszarét waren in Porvár noch nicht bekannt, und Réty, obgleich ihm das Wegbleiben seines Sohnes, welches er politischen Gründen zuschrieb, nicht angenehm war, sah doch mit innerer Zufriedenheit und lächelnden Angesichtes auf die große Menge seiner Verehrer, auf deren Schultern er jetzt von seiner Wohnung zum Schauplatze des großen Nationalfestes getragen wurde. Wegen der großen Anzahl des Adels war zum Schauplatze der Restauration der Hof des Comitatshauses gewählt worden.

Nachdem der Obergespan seine Rede unter nicht enden wollendem Geschrei: Réty, Bántornyi, Éljen, geschlossen, und Réty mit gleichem Erfolge im Namen des ganzen Magistrats Abschied genommen hatte, wurde zur Bestrafung der allfälligen Excesse ein Gericht zusammengesetzt; hierauf entfernten sich zwei Deputationen, die eine unter dem Vorsitze des Baron Sóskúty, die zweite unter dem Vorsitze eines andern grün, blau und roth angezogenen Magnaten zur Ueberwachung der geheimen Stimmensammlung. Die Parteien hoben Réty und Bántornyi in die Höhe, und drängten sich nicht ohne alle Thätlichkeiten zum Thore hinaus; und der Hof, in dem nur der Obergespan, einige Geistliche, zwei königliche Räthe und ein hinkender Beisitzer zurückblieben, wurde verhältnißmäßig still.

Außer dem mittleren Thore hatte das im Viereck erbaute Comitatshaus auf zwei Seiten noch zwei Eingänge. Der Bequemlichkeit wegen und vorzüglich aus zarter Rücksicht für diejenigen, die an der Gicht litten, wurden die beiden Deputationen unter diese beiden Eingänge gestellt, oder vielmehr gesetzt. Nachdem der gesammte Adel bis auf den letzten Mann durch das Hauptthor war entlassen worden, wurde dieser Eingang versperrt und jeder wurde nur einzeln bei einem der Seitenthore hereingelassen und stimmte bei der rechten oder linken Deputation, je nachdem er zu diesem oder jenem Bezirk gehörte.

Im Taksonyer Comitat war in der letzten General-Congregation das Princip der geheimen Abstimmung angenommen worden. Die Frage, wie es allgemein hieß, war nur deswegen entschieden worden, um zu wissen, ob die Majorität für Réty sei, der für die öffentliche Abstimmung, oder für Bántornyi, der für geheimes Stimmgeben war. Aber wie dem immer sei, das geheime Abstimmen siegte, und Tengelyi, der da glaubte, hierdurch sei jeder Bestechung der Weg abgeschnitten, trug die Entscheidung des Comitates mit unendlicher Freude bei sich, und erklärte dieselbe jedem, mit dem er zusammentraf. Wenn er nun unter das Thor träte, wo Sóskúty mit der Deputation Platz genommen, würden sich die Augen des Notärs mit Freudenthränen füllen, wenn er die Anstalten sähe, die getroffen waren, um seine Wünsche ins Leben treten zu lassen.

Der kleine Tisch, an dem außer Sóskúty noch der alte Kislaky, Slacsanek und, damit auch Bántornyi's Partei vertreten sei, der Bruder des Candidaten und noch einige Beisitzer Platz nahmen, stand auf einer Seite des Einganges gleich neben dem Thore. Etwas weiter dem Hofe zu stand zwischen zwei spanischen Wänden der Tisch mit der Urne zur Abstimmung. Bei dem Thor standen Augustin Karvay und zwei Haiduken, nahe am Tisch Nyúzó und sein Geschworner als diejenigen, die den Adel ihres Bezirkes am besten kannten; neben ihnen der vormalige, und wie wir hoffen auch künftige Oberfiskal, Macskaházy.

Die Beisitzer brannten ihre Pfeifen an, die kleinere Thüre des Thores öffnete sich und hereintraten zur geheimen Stimmgebung die einzelnen Wähler. Jeder derselben, sobald er die Deputation gewahrte, schrie mit herzerschütternder Stimme: » Éljen Réty! Éljen Bántornyi!« und zog sich zur geheimen Stimmgebung hinter die spanische Wand zurück.

»Es gibt nichts Schöneres auf der Welt, als die geheime Abstimmung,« sprach James und schüttelte einem Cortes, der eben zum Tische trat und ein furchtbares » Éljen Bántornyi!« brüllte, die Hand.

»Wenn sie dabei nur nicht so entsetzlich brüllten,« seufzte der alte Kislaky. »Freund!« sprach er zu einem Cortes, der eben » Éljen Réty!« rief, »brülle nicht so, es ist ja geheimes Stimmgeben.«

»Freilich, versteht sich,« sagte Jener, »es lebe unser Vicegespan Réty« und damit trat er hinter die spanische Wand.

»Ich bitte gehorsamst,« sprach Kislaky aufspringend, »so kann das nicht weiter gehen, das ist eine wahre Komödie.«

»Aber,« antwortete James, »schadet es denn, wenn diese Leute einen Namen ausrufen? Sie können deshalb doch hinter der spanischen Wand ihre Stimme geheim abgeben, wer sieht denn für wen sie dort drinnen votisiren, wenn sie hier vor uns auch was immer schreien.«

»Aber ich bitte,« sprach Kislaky in größter Ungeduld, »auf der Lade da drinnen ist auf jedem Fach der Name eines Candidaten geschrieben: wer nun nicht lesen kann, wie votisirt der? Ich habe zehn hinein gehen sehen, von denen ich weiß, daß sie keinen Buchstaben kennen. Eben kommt ein solcher heraus. Hej, Pista!« so rief Kislaky und hielt den Cortes auf, der eben in den Hof gehen wollte, »kannst du lesen?« – Stolz antwortete der Angeredete: »Ich lese nicht vor unserem Herrgott.«

»Aber du kannst doch lesen?« fiel Sóskúty ein, welcher der Deputation präsidirte, »du willst nicht, aber du kannst?«

»Nein! ich kann nicht lesen; ich bin kein slovakischer Student; auch mein Großvater hat niemals lesen gelernt.«

»Was hab' ich gesagt,« sprach Kislaky triumphirend, »in welches Loch hast du also deine Kugel geworfen?«

»In das Erste,« antwortete der Cortes, »wie es der Herr Stuhlrichter gesagt hat. Éljen Bántornyi!« und nun ging der Cortes hinaus und ließ die Deputation in nicht geringer Verwirrung.

»Dieser Mann ist gekommen um für Bántornyi zu stimmen, und hat seine Kugel in Réty's Lade geworfen,« sagte Kislaky, »nun frage ich, kann das so fortgehen?«

» It is very extraordinary,« seufzte James, während Slacsanek sich die Haare strich, und bemerkte, daß außerordentliche Fälle bei jeder Wahlmethode sich ereignen können.

»Außerordentliche Fälle? untersuchen wir das,« sprach Kislaky, der immer einer der größten Feinde der geheimen Abstimmung gewesen, »könnt Ihr lesen?« so fragte er den ersten.

»Nein.«

»Und Ihr?«

»Ich auch nicht.«

»Und du?«

»Als Kind hab' ich es zwar gelernt – –«

»Und Ihr?«

»Ja.«

Hierauf bemerkte Sáskay, daß sich nun Sóskúty selbst werde überzeugt haben, daß die des Lesens Unkundigen in auffallender Majorität seien; und James ging zum Thor, um jeden Eintretenden aufzufordern, die Kugel in das zweite Fach zu werfen.

Kislaky war aufgebracht. Sóskúty, der an diesem Tage seltene Präsidialfähigkeiten entwickelte, stellte zur Beruhigung Aller, und damit der Beschluß des Comitates in ganzer Reinheit aufrechterhalten werde, zwei Gerichtstafelbeisitzer hinter die spanische Wand, die, als zu entgegengesetzten Parteien gehörend, jedem Eintretenden die Aufschrift der Fächer zu erklären hatten. Und nun wurde die Abstimmung des Rétyschen Bezirkes ohne fernere Störung fortgesetzt.

Während dies unter dem Thore bei der stimmsammelnden Deputation geschah, schwebte Bántornyi, nicht weit von seinem Rivalen, beinahe ununterbrochen in den Lüften und verwünschte Freunde und Verwandte, deren Hochmuth ihn in diese unangenehme Lage gebracht hatte. Bántornyi, der sein ganzes Leben ruhig in seinem Dorfe zugebracht hatte, war die warmen Umarmungen der Volksgunst nicht gewohnt. Sein Bitten, Flehen, ja selbst Stöße und Ausschlagen, mit denen er seine Freilassung erstrebte, führten nur dahin, daß man ihn höher hinaufhob und fester hielt.

Tengelyi war über die Bántornyi's sehr aufgebracht, da James sein public dinner für 800 Cortes gegeben hatte: Tengelyi behauptete, daß sie ihr gegebenes Wort gebrochen, indem sie zu den niedrigen Waffen ihrer Gegner gegriffen, er behauptete, sie hätten sich hierdurch der Theilnahme aller Edelgesinnten unwürdig gemacht. Er hatte sich auch fest vorgenommen, unter solchen Verhältnissen an der Restauration nicht Theil zu nehmen. Aber als der Notär auf dem Wahlplatze erschien, das Geschrei der Réty'schen Partei vernahm, als Macskaházy sich die Hände fröhlich reibend, ihm vertraute, daß die Actien gut stehen, und Nyúzó durch die Szend-Vilmoscher Edelleute eben an ihm vorbeigetragen wurde, konnte unser rechtschaffener Jonás nicht widerstehen, und wir finden ihn vor dem Comitatshause, inmitten der Edelleute eine Rede haltend, und zwar mit mehr Begeisterung als wer immer von Bántornyi's Anhängern, oder besser gesagt Réty's Gegnern; denn der Notär wurde bei dieser Gelegenheit, wie so viele andere sich mit Politik beschäftigende Menschen, nur deshalb vermocht, sich an eine Partei anzuschließen, die er nicht mehr die Seine nannte, weil ihn Ueberzeugung und Leidenschaft zur Opposition gegen die andere Partei hinzogen. Tengelyi kannte alle Gebrechen der Comitatsverwaltung, er wußte das Sündenregister des gegenwärtigen Magistrates auswendig, und als er aus dieser Liste jene aufzählte, die Réty gegen Adelige begangen, wirkte er nicht nur auf Prediger, Notäre, Herrschaftsbeamte und jene gebildeten Abtheilungen des kleineren Adels, auf die er immer Einfluß hatte, sondern er wirkte sogar gewissermaßen auf die Cortes; obschon ein großer Theil seiner Rede in dem Lärm verloren ging. Die Anhänger Réty's gewahrten endlich mit Vergnügen, daß der ungelegene Redner der Abstimmung wegen dem Thore zuschritt und so von seinen Hörern getrennt wurde.

Wer aber könnte Tengelyi's Erstaunen beschreiben, als er unter das Thor tretend, die Anstalten sah, die auf Sóskúty's Rath getroffen waren, um das geheime Abstimmen ins Leben treten zu lassen. »Ich bitte Sie, hochgeborner Herr Baron,« so sprach er zu Sóskúty, als er die zwei Gerichtstafelbeisitzer bemerkte, die bei der Abstimmungslade jedem Stimmenden die erforderliche Weisung gaben, »wie können Sie diesen Mißbrauch erlauben, der im geraden Widerspruch mit dem Comitatsbeschlusse steht. Hat das Comitat in der letzten Congregation nicht geheime Abstimmung beschlossen?«

»Und weil es dies befohlen hat,« antwortete Sóskúty, »erfüllen wir den Befehl. Oder glauben Sie, daß wir uns sonst hierher gesetzt und die spanischen Wände aufgerichtet hätten? Geheime Abstimmung! Was ist denn dies anders als geheime Abstimmung!«

»Das kann nicht so bleiben,« sprach Tengelyi mit immer zunehmender Aufregung, als er gewahrte, daß indessen die alte Art des Abstimmens fortgesetzt wurde, »ich gehe gleich zum Obergespan und zeig' es ihm an, die ganze Wahl muß von Neuem beginnen.«

»Mäßigen Sie sich, Herr Notär,« schrie Slacsanek giftig, »wähnen Sie nicht, daß Sie hier in einem Bauernrath sind; stimmen Sie wenn's beliebt; Lectionen nehmen wir von Niemandem an, besonders von einem solchen Dorfnotär nicht,« setzte er mit einem verachtenden Blicke hinzu.

Kálmán, der mit Tengelyi und einigen Anderen zugleich unter das Thor getreten war, und über Slacsanek's Rohheit die Geduld verlor, rief: »Ob Sie die Lection annehmen, oder nicht, Herr Tengelyi hat Recht; vor zwei Zeugen besteht keine geheime Abstimmung.«

»Ich bitte Sie, mein lieber guter Freund,« erwiderte ihm Sóskúty, »gehört denn in Ungarn nicht zu Allem und Jedem das Testimonium legale, zwei Gerichtspersonen, die Zeugniß ablegen über das Geschehene? Sehen Sie also, lieber Freund, die zwei Herren dort hinter der spanischen Wand werden bezeugen, daß der Adel geheim abgestimmt hat, ganz unabhängig.«

Kálmán lachte, Tengelyi redete, ohne sich verständlich machen zu können, von der Heiligkeit der Beschlüsse, die Abstimmung war unterbrochen, bis Nyúzó, mit dem Macskaházy eben ein paar Worte gewechselt, erzürnten Antlitzes vortrat, Tengelyi bei dem Gebräme des Pelzes ergriff und rief: »Pack er sich nach Hause; ein Unadeliger hat hier nichts zu reden.« Und mit diesen Worten schob er ihn der Thüre zu.

Nie hat der größte Redner auf der Welt eine größere Wirkung hervorgebracht, als mit diesem kurzen Worte Nyúzó. Als vor einem Jahre nach dem großen Raube, der in Porvár stattfand, es sich herausstellte, daß derselbe durch lauter Edelleute war verübt worden, ja daß sich unter den Hehlern zwei gnädige Herren befanden, verwunderte sich das ganze Comitat; das Heer der Beisitzer war ebenfalls von Staunen ergriffen, als bei dem letzten Gerichtsstuhl, nach dreijährigem Processiren, eben das Todesurtheil über einen Grundherrn ausgesprochen werden sollte, und nun der Oberfiskal bedauernd anzeigte, daß der Angeklagte vergangenes Jahr gestorben sei: aber so wie jetzt hatte sich in Porvár noch Niemand gewundert.

Tengelyi's Angesicht flammte vor Zorn; er war so ergriffen, daß er nicht ein Wort hervorzubringen vermochte.

Nyúzó blickte im Gefühle des Sieges um sich her und genoß die Herabwürdigung des stolzen Notärs vielleicht noch mehr als Macskaházy, der die Befriedigung seines Herzens kaum durch Seufzer zu verbergen vermochte.

»So ist es,« sprach der Oberstuhlrichter zur Deputation gewendet, »wie sehr Sie sich auch verwundern mögen, der Mann ist nicht von Adel, und indem ich dies meiner Pflicht gemäß anzeige, bitte ich zugleich im Namen des ganzen Adels, daß ihm das Abstimmen nicht gestattet werde.«

Auf den Lärm, der unter dem Thor entstanden war, versammelten sich Alle, die schon gestimmt hatten und sich im Hofe befanden. Der Eingang war zum Ersticken voll.

Tengelyi gewann nach und nach seine Fassung wieder.

»Niemand in ganz Ungarn könnte seinen Adel besser beweisen als ich,« sagte er mit ruhiger Würde.

»Also belieben Sie nur,« fiel der Oberfiskal ein, »aber vergesse der Herr dabei nicht, daß man dazu Schriften braucht. Die Genealogie läßt sich beweisen durch echte Theilungsbriefe, Taufscheine, beglaubigte Zeugnisse, belieben Sie also nur.«

»Meine Documente sind zu Hause.«

»Belieben Sie nur dieselben zu bringen. Nicht wahr, hochgeborner Herr Baron, sobald Tengelyi die Documente bringt, kann er stimmen?« Und dabei lachte der Oberfiskal.

»Allerdings, belieben Sie nur die Schriften zu bringen!« rief Sóskúty ermunternd.

»Aber ich habe mich ja immer der Vorrechte des Adels erfreut, habe immer in die adeligen Cassen gezahlt.«

»Warum haben Sie Ihren Adel nicht im Comitat publiciren lassen?« fiel Sáskay ein.

»Weil an meinem Adel Niemand gezweifelt hat!« rief der Notär aus Zorn bebend dazwischen, »weil ich zum Stuhlrichter vorgeschlagen, zum Notär wirklich ernannt worden bin.«

»Die Publicirung des Adels ist immer gut,« belehrte der Oberfiskal. »Sehen Sie, hätten Sie das gethan, so hätten Sie jetzt keine Ungelegenheit. Uebrigens beweist das nichts, daß Sie candidirt, ja sogar zu einem adeligen Amte ernannt worden sind.«

»Verlieren wir unsere Zeit nicht,« rief Sóskúty ungeduldig, »setzen wir das Votisiren fort, und Herr Tengelyi gehe nach Hause um seine Schriften.«

»Ich will votisiren,« sprach Tengelyi mit Entschiedenheit, »einen Edelmann kann man auf eine bloße Anzeige hin nicht um seine Rechte bringen, und während des Adelsprocesses selbst bleibt Jeder in seiner vorigen Stellung.«

»Herr Tengelyi hat Recht,« sprach dazwischen ein junger Fiskal, einer der Wenigen, die während des ganzen Auftritts sich Tengelyi's angenommen hatten. »Die königliche Resolution vom 21. Juli 1785 befiehlt, daß Jeder, so lang sein Adelsproceß verläuft, in seiner vorigen Stellung verbleibe.«

»Das heißt im Bauernstand, wie der Herr Notär, bis er nicht seine Schriften bringt,« antwortete Slacsanek.

»Man hat mich immer für einen Edelmann gehalten. Reden Sie,« wendete sich Tengelyi an Macskaházy, der indessen ebenfalls an den Tisch getreten war, »wir kennen uns nahe an dreißig Jahre.«

»Ich kann nur so viel sagen,« erwiderte der Angeredete, sich die Hände reibend, »daß der gnädige Herr Vicegespan den Herrn Notär immer wie einen Edelmann behandelt hat; übrigens ist der gnädige Herr, wie die ganze Welt weiß, wirklich ein gnädiger Herr, dessen Gutherzigkeit oft durch Undank belohnt wird. Die Schriften des Herrn Tengelyi habe ich nie gesehen, ich weiß nur, daß sein Adel im Comitat nicht publicirt ist, er ist von wo anders hergekommen, und es gibt Fälle –«

»Schlagt ihn nieder, hinaus mit dem Bauer,« brüllte die Menge, und Karvay, dessen Stimme aus dem Chor herausschallte, drängte sich vor und griff nach Tengelyi.

»Heran, wer sein Leben liebt!« schrie nun Kálmán, der während des ganzen Auftrittes sich bald zu diesem, bald zu jenem gewendet und Unterstützung für Tengelyi geworben hatte, »Tengelyi ist mein Freund, und wer ihn nur mit einem Finger anrührt, ist ein Kind des Todes, und wenn ihn Gott auch mit sechzehn Leben erschaffen hätte.«

Karvay prallte erschrocken zurück, der alte Kislaky eilte an Kálmán's Seite und mahnte ihn an sein Verhältniß zu den Réty'schen, Baron Sóskúty erinnerte ihn mit Anstand an den Ort, an dem er sich befinde, und der Oberfiskal murmelte etwas von Action.

Aber Kálmán gehörte nicht unter jene Menschen, die klugem Rathe zugänglich sind, wenn ihr Blut siedet; heiter, ja leichtsinnig im täglichen Leben, war etwas in der Brust des jungen Mannes, was ihn aus der Reihe der alltäglichen Menschen heraushob, und wer ihn sah in diesem Augenblicke, wie er flammenden Angesichtes den alten Notär gegen so viele Feinde schützte, wer seine Stimme, die Verkünderin seines aufgeregten Zustandes, hörte, der fühlte, daß er vor einem jener Menschen stehe, die, wie manche Goldschachte, umso reicher zahlen, je tiefer wir in sie eindringen. Der alte Kislaky selbst würde nicht zu sagen gewußt haben, ob es nicht die Freude gewesen, die ihm die Thränen ausgepreßt, welche ihm entperlten, als sein Sohn rief: »Was Verhältnisse! was liegt mir daran! wenn ich Unwürdigkeiten sehe, wie diese, so kenne ich nur ein Verhältniß, das zwischen allen rechtschaffenen Menschen besteht und welches uns verpflichtet, nicht zuzugeben, daß einer von ihnen durch niederträchtige Kniffe unterdrückt werde.«

»Aber, ich bitte unterthänig, wir sind im Comitatshause,« sprach Sáskay mit zum Himmel gekehrtem Blick.

»Gott weiß, man könnte vergessen, wo man ist,« rief Kálmán mit wachsendem Zorn, »dieses Haus ist erbaut zur Aufrechthaltung der Ordnung und Sicherheit, und statt dessen wird ein rechtschaffener Mann mit Niederschlagen bedroht; wahrlich, wenn man sich hier umsieht, so könnte man glauben, daß man in einer Räuberhöhle ist.«

»Was?« donnerte ein Cortesführer, »er schmäht den Adel. Actio!« Die ganze Masse brüllte » Actio!« Tengelyi war in seinem ganzen Leben nicht so überrascht gewesen, als jetzt durch Kálmán's unerwartetes Auftreten, er besorgte, daß dieser, hingerissen von seinen Gefühlen, sich schaden könne, und bat ihn also, er möchte ihn aus dem Comitatshause führen und ihm eine Fahrgelegenheit verschaffen, mit der er nach Tiszarét um seine Documente fahren könne.

»Action? gut, meine edlen Herren!« sprach Kálmán mit Hohn zu den Adeligen, »dictiren Sie nur eine Action, damit wenigstens aus den Proceßacten bewiesen werden könne, daß es im Taksonyer Comitat hinreicht, wenn ein solcher Mensch« – und er wies mit unaussprechlicher Verachtung auf Nyúzó – »von einem rechtlichen Manne Etwas sagt, diesen gleich aller seiner Rechte zu berauben.« Und damit warf er seinen Siegelring auf den Tisch und führte Tengelyi hinaus. – »Kommen Sie, Freund, mit meinen Pferden sind wir in zwei Stunden in Tiszarét, ich kutschire selbst, Abends sind wir mit den Schriften zurück.«

Die anwesenden Adeligen murrten, und Slacsanek sprach zu Kálmán's Vater gewendet, halblaut: »Wenn der junge Herr Kálmán nicht Stuhlrichter wird, so können Sie uns nicht beschuldigen.« Worauf der Alte tief aufseufzte; die geheime Abstimmung aber wurde fortgesetzt, obgleich die spanischen Wände längst umgestürzt waren.


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