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Fünfzehntes Capitel.

Das Sprichwort sagt: »Der Ungar freut sich weinend.« Ich glaube, dieser Ernst, ein charakteristisches Merkzeichen der Magyaren, ist zum Theil das Resultat der trübseligen Gegenden unseres Vaterlandes, in denen gerade die meisten Magyaren wohnen. Wer ist der Mann, der seine Heiterkeit bewahren könnte von einem Ende der Ebene bis zum anderen? Wenn der Bewohner anderer Länder sich in seiner Gegend umsieht, wie viel gibt es da, sein Herz zu erfreuen! Ueberall Häuser, Bäume, Umzäunungen, grünende Saaten, überall erinnert ihn Etwas an die Wirksamkeit seiner Vorfahren, Alles mahnt ihn zur erneuten, zur höheren Thätigkeit, damit auch er wie sie die Spuren seines Erdenlebens in seinen Arbeiten zurücklasse. Auf unseren Pußten geben wir nur in den Hotterhügeln, die sich in langer Reihe erheben, ein Zeichen, daß diese Erde von Einigen als ihr Eigenthum betrachtet wird. Die allgemeine Verlassenheit, die Stille der Arbeitslosigkeit, die sich über die ganze Ebene ausbreitet, erfüllt unsere Seele mit Betrübniß. Wie viel Generationen sind aus diesen Gegenden verschwunden ohne Spuren ihrer Existenz zurückzulassen; und der Wandelnde, wie sollte er nicht denken, daß auch er einst in das Grab steigen wird, spurlos von der großen Ebene bedeckt, wie einer, den das grenzenlose Meer in seinen Wellen begraben?

Das Gesagte paßt wörtlich auf die ganze Umgebung von Tiszarét, und wenn wir nun diese Gegend im unsicheren Lichte eines Novembertages sehen, so wird das Herz unwillkürlich mit trüber Ahnung erfüllt.

Mittag war längst vorüber, als Susi von der alten Lipták begleitet das Dorf verließ; bei der äußeren Csárda ruhten sie eine Weile und schieden; die junge Frau ihr kleines Päckchen unter dem Arm, in welchem sie für sich und ihren Mann wenige Lebensmittel trug, schlug allein den Weg gegen Kislak ein, wo sie vom Gulyás etwas über Viola zu vernehmen hoffte. Die Tanya Tanya bezeichnet den Ort, wo der Hirt der wilden Hornviehheerde seinen Lagerplatz aufgeschlagen hat. des Gulyás war von Tiszarét gute zwei Stunden entfernt, und wie Susi zuweilen aus ihren tiefen Gedanken erwachte, fühlte sie mit Schmerzen die Schwäche, die ihr von der Krankheit geblieben. Oft genug setzte sie sich in einen der Gräben, wo sie der kalte Wind weniger bestrich, und wenn sie da ihr Auge umhersandte, und die große Heide um sich sah, und sich so allein, so verlassen, erfüllte die große Stille, in der sie ringsum athmen hörte, ihre Seele mit Angst. Es fiel ihr ein, daß sie dieser Tage von Wölfen reden gehört, ihre Kinder kamen ihr in den Sinn, ihr Mann, der vielleicht in diesem Augenblick in neuen Gefahren schwebte; und sie machte sich wieder auf den Weg. Ihre Unruhe wuchs, je mehr sie fühlte, daß sie bei ihrer Schwäche das Ziel, nach dem sie strebte, vor der Nacht nicht erreichen werde. Einmal weckte Pferdegetrappel sie aus ihren Träumen, ihre Seele durchzuckte der Gedanke, daß ihr Viola nachreite; mit pochendem Herzen blickte sie zurück, aber der Reiter war Kálmán, der schnell heimwärts trabte. So gelangte sie bis zum steinernen Kreuz, welches an der Kislaker Grenze steht, und, obschon es verfallen war, boten doch die Stufen zu demselben dem Wanderer einen angenehmen Ruheplatz. An diesem Kreuz setzte sich Susi. Sie dachte, wie viel Unglückliche schon auf diesen Stufen gekniet, wie viele ihr bitteres Leid vor dem Bilde desjenigen geklagt, der auf die Erde gekommen, um die menschlichen Leiden in ihrer ganzen Bitterkeit kennen zu lernen, wie viele getröstet von diesem Platze aufgestanden, und vor dem katholischen Kreuze durchströmte die Seele der kalvinischen Frau jene Beruhigung, die nicht die Einrichtung dieses oder jenes Glaubens, sondern jedes gläubige Gefühl gibt, und welches Mancher, der über einzelne Glaubenslehren ganze Bücher geschrieben, vielleicht sein Leben über nicht empfunden hat.

Die Frau stand auf, um weiter zu gehen, als sie sich plötzlich bei ihrem Namen nennen hörte. Die Stimme war ihr bekannt, aber doch nicht so, daß sie im ersten Augenblick gewußt hätte, wer sie anrufe. Sie schaute zurück, und wie sie Czifra erblickte, der an das Kreuz gelehnt, ihr mit dem Haupte grüßend zunickte, bebte sie zurück. Seit sie Czifra zum erstenmale gesehen, blickte sie ihn immer mit Schauder an. Sie kannte seine Verworfenheit, sie wußte, daß jede Grausamkeit, die Viola's Spießgesellen begangen, das Werk dieses Mannes sei, und die ganze Liebe, mit der sie an ihrem Manne hing, war oft nicht stark genug, ihren Abscheu zu besiegen, wenn sie beide zusammen sah. Und noch mehr, Viola hegte seit einiger Zeit Verdacht in Hinsicht der Treue seines Gesellen, und hatte öfter gesagt, der sei sein Judas. Dies Alles zusammengenommen erklärt die Angst, mit welcher das arme Weib den Räuber ansah, der auf seinen Knittel gestützt mit sonderbarem Lächeln, das seinem Gesichte einen noch häßlicheren Ausdruck gab, sie fragte: »Wo gehst du hin?«

Susi antwortete: »Zum Gulyás von Kislak.«

»Nicht wahr, du suchst deinen Mann?« sprach der Andere und richtete sich die Bunda auf den Achseln, »der Gulyás weiß vielleicht wo er ist; was gibt es Neues in Eurem Dorfe?«

»Also wißt Ihr es nicht?« sprach Susi und heftete die Augen auf den Räuber. »Und sie sagen doch, daß Ihr auch dort gewesen seid mit meinem Manne?«

»Mit Viola? war er denn im Dorfe?«

»Und Ihr solltet nichts wissen von dem Raub, der gestern Nachts beim Notär geschehen?«

»Also ausgeraubt haben sie ihn!« sprach er lachend. »Na, was habe ich gesagt; wie ich hörte, daß Viola freien Zutritt zum Hause habe, da sagte ich es voraus, daß Raub das Ende sein wird. Ein Mann wie Viola ist in drei Comitaten nicht zu finden, mit dem kann man nicht spassen.«

»Redet nicht so, – ich getraue mich zu schwören, daß Viola den Raub nicht begangen hat.«

»Kann sein, ich weiß es nicht, aber wer sollte es denn gewesen sein?« sprach Czifra gleichgiltig.

»Das ganze Dorf sagt, daß Ihr es waret.«

»Das ganze Dorf? Vielleicht Peti der Zigeuner?« und Czifra heftete flammende Blicke auf die Frau.

»Peti habe ich nicht gesehen, seitdem er nach Porvár gegangen; aber der Schmied, der Euch verfolgt hat, und das ganze Dorf sagt es.«

»Das ganze Dorf ist verrückt und der Schmied noch verrückter, wenn er Jemanden verfolgt hat, den er für Czifra hielt; in der Nacht ist jede Katze schwarz, ich möchte wissen, woran er mich erkannt hat,« setzte er lachend hinzu, und richtete sich die Bunda. »Vielleicht an meiner Bunda? die ist nicht schmutziger als eine andere. Viel Glück, ich muß gehen,« und der Räuber schlug den Weg ein, der neben dem Kreuz nach Garacs Garacs, sprich: Garatsch. führt; pfeifend ging er seine Straße hin. Susi sah ihm lange nach, bald nachher vernahm sie Wagengerassel, und sah die Kalesche, in welcher Macskaházy gleichfalls nach Garacs fuhr. Als der Wagen Czifra eingeholt hatte, den Susi, von Zeit zu Zeit zurückblickend, nicht aus den Augen verloren hatte, hielt ersterer an; der im Wagen Sitzende besprach sich kurz mit dem Räuber, worauf sich Czifra rückwärts auf den Wagen aufhockte, und dieser fortrollte.

Susi staunte hierüber nicht wenig und verdoppelte ihre Schritte, aber es begann schon zu dunkeln, als sie der Tanya nahte.

Hier traf sie den alten Gulyás und Peti. »Hast du Czifra nicht gesehen?« frug dieser.

»Allerdings,« antwortete Susi.

»Und wo?«

Susi erzählte das ganze Zusammentreffen, während dessen auf Peti's Gesicht, besonders als er hörte, daß Macskaházy den Räuber auf seinen Wagen genommen und nach Garacs gefahren sei, die größte Verzweiflung sichtbar war. »Jetzt ist Alles aus,« sprach er zuletzt und schlug sich vor die Stirne, »wie habt Ihr denn mit Czifra von Viola reden können? Wenn ich nicht zu rechter Zeit komme, so fangen sie ihn ein.«

»Aber um Gotteswillen, was ist denn geschehen?« fragte die Frau zitternd.

»Ich habe keine Zeit, István wird Euch Alles erzählen.«

»Ich laufe hier den geradesten Weg zum Sz.-Vilmoscher Wald. Wenn deine Pferde ankommen, so jage was du kannst. Du weißt den Ort, vielleicht kommen wir eher an, als die Leute des Stuhlrichters. Die Theiß ist heuer, Gott sei Dank, noch nicht ausgetreten, um Gottes Willen, István, schone deine Pferde nicht.«

Und der Zigeuner eilte so schnell er vermochte, gegen Sz.-Vilmosch hin.

Susi, die von Allem, was vorging, nichts begriff und nur aus Peti's und des alten Gulyás Benehmen errieth, daß ihr Mann in Gefahr sei, fragte mit bebender Stimme: »Was ist denn geschehen?«

»Bis jetzt noch nichts, sei ruhig, Susi,« sprach der Gulyás, »wenn etwas geschieht, so häng' ich mich auf, aber nicht eher, als bis ich Czifra in tausend Stücke gerissen habe.«

»Aber was ist geschehen? Um Gotteswillen sag' es mir aus Barmherzigkeit,« seufzte Susi, als sie in die Hütte traten; sie setzte sich auf die Bank neben das Feuer, und der alte Gulyás erzählte ihr unter nicht geringen Flüchen gegen sich selbst die ganze Sachlage, die für Viola eben nicht beruhigend war. Gleich nach dem Raube, dessen Umstände Susi vom Gulyás zum erstenmal hörte, war ihr Mann zu Pferde an die Tanya gekommen und hatte István, mit dem die ganze Bande beinahe im täglichen Verkehre war, gebeten, daß er, wenn Peti, den Viola zu ihm bestellt hatte, oder sonst einer seiner Getreuen ihn suchen sollte, ihn in den Sz.-Vilmoscher Wald zu seinem gewöhnlichen Versteck weisen solle, wo er sich so lange verborgen aufhalten werde, als der Lärm über den Raub dauerte und bis er Tengelyi die Schriften auf irgend eine Art zurückstellen könne. Er hatte ihn zugleich gebeten, daß er ihm bei dieser Gelegenheit Lebensmittel auf ein paar Tage senden möge. Der Gulyás hatte von Czifra's Verrath noch nichts gewußt und Viola hatte in der Eile vergessen, ihn davon zu unterrichten. Der Gulyás hatte Peti nicht gesehen, seit dieser Czifra belauscht hatte, und so war nichts natürlicher, als daß István, wie Czifra eben heute Nachmittags bei der Tanya gewesen und sich um Viola erkundigt hatte, ihm einen Kulacs Kulacs, sprich: Kulatsch, die ungarische hölzerne Feldflasche. Wein und ein paar Pfund Fleisch gab und ihn zu dem Verstecke in den Sz.-Vilmoscher Wald wies.

Schon eine Stunde später, als nämlich Peti, der beim Raub der schnellen Flucht wegen sich von Viola getrennt hatte, bei ihm angekommen war, erfuhr er, daß er das Geheimniß einem Verräther anvertraut. Nach alldem, was Susi mit eigenen Augen gesehen, blieb über Czifra's Absicht kein Zweifel übrig, und die arme Frau, indem sie die Umstände überlegte, saß in Verzweiflung auf der Bank.

Zwei Stunden waren vergangen, seit sie Czifra und Macskaházy gesehen, Garacs war um eine halbe Stunde näher am Sz.-Vilmoscher Wald, im Hause des Oberstuhlrichters waren berittene Husaren und Commissäre – es blieb keine Hoffnung übrig, Viola noch rechtzeitig zu warnen.

»Wenn nur mein Wagen käme,« sprach der Gulyás vor die Hütte tretend, »ich habe ihn vor zwei Stunden in das Dorf geschickt und er kommt noch nicht. Nun warte, verdammter Bube! wenn ich jetzt zu meinen Pferden komme, sind wir noch zur rechten Zeit dort. Diese Stuhlrichter eilen nicht so, besonders jetzt nach der Restauration; wer weiß gar, ob der Stuhlrichter schon zu Hause ist; freilich hat Peti gesagt, daß ihn der Obergespan nach Hause geschickt habe, des Raubes wegen eine Untersuchung einzuleiten. Warum hat mich der Teufel mit seinen Donnerkeulen nicht dreiunddreißigmal niedergeschlagen, als ich meinen Mund vor dem Verräther aufthat! Na, fürchte dich nicht, Susi meine Seele, du wirst sehen, wir kommen noch zurecht, Niemand hat bessere Pferde als ich, aber wer hätte auch glauben können, daß Czifra ein solcher Schurke sein könne. Dreißig Jahre ist er Räuber und ist doch ein Verräther, aber warte, warte! Gleich nach Czifra war der junge Herr Kálmán bei mir und erzählte, daß die Schriften des Notärs verloren seien, und bat, ich solle sie zurückverschaffen, und ihm sagen, wo Viola sei; er bat mich um Gotteswillen, ich habe ihm aber kein Wort gesagt und nur versprochen, daß ich mit Viola rede, wenn ich einmal zufällig mit ihm zusammentreffen sollte, und dem Hund, dem Czifra habe ich Alles gesagt.« – Da tönte das Gerassel eines schnell heraneilenden Wagens, István raffte Axt und Bunda schnell auf und schrie: »Hier sind meine Pferde.«

Der kleine Wagen mit zwei starken gelben Rossen hielt vor der Küchenthüre. »Komm, Susi, setze dich rückwärts auf den Wagen und hülle dich gut ein,« sprach István, indem er sie auf den Wagen hob, »du aber packe dich,« rief er dem Kutscher zu, indem er ihm die Zügel aus der Hand nahm und ihn vom Sitz hinunterstieß, »ich werde dich lehren, im Wirthshause zu verweilen.«

Und die Pferde flogen über die Ebene, bald darauf verklang das Wagengerolle, und die Hunde, die ihm nachgelaufen, waren längst verstummt. Nur Bandi, Bandi, Andreas. der Kutscher, stand noch auf seinem früheren Platz und starrte, der Finsterniß zum Trotz, die auf der Ebene lagerte, dem sich entfernenden Wagen nach. Das Haupt, das István eben nicht sanft berührt hatte, sich kratzend, rief er endlich aus: »István wird doch Viola's Weib nicht stehlen, sie ist doch kein Vieh!«


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