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Als Völgyesy das Gerichtszimmer verlassen hatte und zum Schlosse zurückkehrte, traf er auf dem Hofe Kálmán und Ákos' Husaren, den alten János, die mit einander sprechend auf- und abgingen. – Kálmán hielt einen geöffneten Brief in der Hand und ging etwas vor dem Alten einher; die Ungeduld, mit der er bald stehen bleibend den Boden stampfte, bald mit schnellen Schritten weiter ging, bald zu seinem Begleiter gewendet, etwas zu fragen schien, bewiesen seine Aufregung, während man aus der ernsten Haltung des Husaren, mit der er von Zeit zu Zeit seinen Schnurrbart strich, errathen konnte, daß die Nachricht, die er gebracht, keine erfreuliche war. Auf der anderen Seite des Hofes führte ein Reitknecht zwei Reitpferde herum, und man sah es den edlen Thieren an, daß die Reiter, die sie gebracht, die Zeit mehr als den Werth der Rosse berücksichtigt hatten.
Völgyesy war in diesem Augenblick zu aufgeregt, um Gesellschaft zu wünschen. Als er daher wahrnahm, daß ihn Kálmán nicht bemerkte, wendete er sich schon dem Hause zu. Kálmán, durch den Husaren aufmerksam gemacht, stürzte ihm jedoch entgegen und faßte ihn am Arme. »Ist es zu Ende?« so fragte er in der größten Aufregung. – Völgyesy erschrak über die Heftigkeit, mit der die Frage an ihn gerichtet wurde und blieb stehen.
Er antwortete: »Insofern wir eine Sache geendet nennen können, deren Ausgang wir voraus wissen, ist diese gewiß geendet. Ja, das Urtheil war gefällt, noch bevor wir zusammentraten. Uebrigens sitzen sie noch beisammen.«
»Und wie kommst du also jetzt hieher?« fragte Kálmán erstaunt weiter, »ich glaube, du bist ja ein Mitglied des Gerichtes.«
»Ja ein Mitglied ohne Stimme,« antwortete Jener bitter, »und ich bin fortgegangen, weil –« nach einer kurzen Pause fuhr er weiter fort: »Dieser Ort ist nicht geeignet, von derlei zu reden; wenn du hören willst, was geschehen ist, so gehen wir in dein Zimmer, dort können wir sprechen; ich selbst habe eine Bitte an dich.«
»Geht indessen zu meinem Diener,« sprach Kálmán zu János, »und laßt Euch ein Glas Wein geben, für sein Pferd wird schon mein Reitknecht sorgen.«
»Das geht nicht, gnädiger Herr,« sprach der Alte und schüttelte das Haupt, »zuerst das Pferd, dann der Mensch, zuerst Hafer, dann Wein, das ist alte Husarenregel, und dann sehen Sie ja, gnädiger Herr, daß ich auf meines Herrn Fecske Fecske, sprich Fetschke, Schwalbe, ein gewöhnlicher Pferdename in Ungarn. gekommen bin. Das Pferd überlasse ich einem solchen jungen Burschen nicht.«
»Wie Ihr wollt, János,« sprach Kálmán lächelnd, »wenn aber das Roß besorgt ist, so kommt zu mir herauf, wir haben noch zu reden.« Kálmán und Völgyesy gingen in das Zimmer des Ersteren, indeß János sein Roß noch eine Weile herumführte, dann den Renner in den Stall brachte und während er ihn absattelte und putzte, dem Kutscher wiederholte Vorlesungen hielt, wie ein Reitpferd am besten zu pflegen sei. Diesen Vortrag bekräftigte er durch das Beispiel seines unvergeßlichen Gelben, der in der Leipziger Schlacht unter ihm war erschossen worden.
»Um Gotteswillen, was ist geschehen?« sprach Kálmán, sobald sie im Zimmer waren, »warum hast du das Gericht verlassen?«
»Weil ich keinen Theil an einem Morde nehmen wollte,« erwiderte der Andere, indem er in heftiger Bewegung auf- und abging, »weil ich kein Werkzeug sein wollte – nicht einmal ein willenloses Werkzeug zur Vollbringung einer That, bei der persönliche Rache und niedrige Interessen unter dem heiligen Mantel der richterlichen Pflicht ihre verächtliche Absicht erreichen.«
»Du bist aufgeregt,« erwiderte Kálmán, verwundert über die Heftigkeit, mit welcher der sonst so ruhige Völgyesy die Worte vorgebracht hatte, »das kann nicht sein, daß dergleichen Dinge geschehen, wo mein Vater zugegen ist.«
»Das habe ich auch geglaubt,« erwiderte Völgyesy, »Niemand kann deinen Vater mehr verehren als ich. Dein Vater ist ein guter Mann; aber – verzeihe meine Aufrichtigkeit – dein Vater ist schwach und dadurch werden die edlen Gefühle seines Herzens nutzlos. Glaube mir, Freund, was auf dieser Welt Schlechtes und Niedriges geschieht, ist nicht nur die Schuld derjenigen, die es in ihrer Bosheit entworfen, sondern größtentheils auch jener sonst rechtschaffenen Menschen, die es in ihrer Schwäche geduldet haben. Die Macht der Bösen liegt nicht in ihrer Zahl, sondern in der Schwachheit der Guten. Mit weitem Rachen schreien sie ihre Lügen aus, und wir haben nicht den Muth, die Wahrheit zu sprechen; es gibt keine Waffe, zu der sie nicht greifen, um ihre bösen Leidenschaften zu befriedigen, wir weichen dem Kampfe feig aus, höchstens reden wir ein schwaches Wort dagegen, zuweilen so, daß wir nur um Gotteswillen Niemanden beleidigen, wie Pilatus unsere Hände zufrieden und ruhig waschend, wenn die Niederträchtigkeit, die wir hätten hindern können, geschehen ist; wenn wir nur unsere Stimme nicht dazu gegeben haben. Wer nicht den Muth hat, für seine Ueberzeugung zu sprechen, dessen Rechtschaffenheit ist ein schwankendes Rohr, das vom Winde bewegt, sich seufzend beugt; aber die klagende Stimme wird das ankämpfende Element nicht im Laufe aufhalten.«
»Das ist wirklich so,« sprach Kálmán seufzend, »und ich fürchte, daß das Beispiel auf meinen Vater paßt; aber ich bitte dich, sage mir, was geschehen ist?«
Völgyesy erzählte so kurz als möglich, was geschehen war, er erwähnte auch der ihm widerfahrenen persönlichen Beleidigungen mit dem Zusatze, daß er dafür, sobald das Gericht geendet, von Nyúzó Genugtuung fordern werde.
Kálmán hörte mit der größten Unruhe zu. »Das kann nicht sein,« sprach er endlich und sprang vom Stuhle empor, auf welchem er während der Erzählung gesessen, »einen Menschen unter solchen Verhältnissen zum Tode verurtheilen; mein Vater wird seine Stimme nie dazu geben.«
»Er wird sie geben,« sprach Völgyesy bitter, aber ruhig, »sein Herz wird bluten, er wird sich vielleicht sein ganzes Leben über wegen dieser Schwäche Vorwürfe machen, aber er wird zustimmen oder hat wahrscheinlich jetzt seine Zustimmung schon gegeben, dessen kannst du gewiß sein. – Sobald die Frage entschieden war, daß jener Theil der Aussage Viola's, der die Schriften Tengelyi's betrifft, im Processe nicht erwähnt werde, konnte das Urtheil nicht mehr zweifelhaft sein.«
»Es ist entsetzlich,« rief Kálmán und ging im Zimmer auf und nieder, »und der Brief, den ich von Tiszarét bekommen! Ich muß ihn retten und wenn er hundertmal zum Tode verurtheilt wäre.«
»Du hast einen Brief bekommen? Vom Vicegespan?« fragte der Andere.
»Nein,« erwiderte Kálmán, »du weißt, Ákos ist am rechten Arm verwundet, statt seiner schrieb Etelka – lies selbst,« und er übergab ihm den Brief. Als er Etelka's Name genannt, röthete sich seine Wange.
Der Brief lautete so:
»Die Schriften, welche man Tengelyi geraubt, sind von der höchsten Wichtigkeit. Wir haben Ursache zu glauben, daß meines Bruders, ja vielleicht das Glück unserer ganzen Familie von der Auffindung dieser Schriften abhängt, die sich jetzt in der Hand eines Niederträchtigen befinden. Den Raub hat nicht Viola begangen. Alles, was er wahrscheinlich über diesen Gegenstand ausgesagt hat, ist wahr. Viola hat sich in dieser Sache edler benommen als unter ähnlichen Verhältnissen wahrscheinlich wer immer auf der Welt; es wäre entsetzlich zu denken, daß er unschuldig den Tod erleidet. Einige werden Alles daran setzen, daß er verurtheilt werde; denn wenn Viola nicht lebt, so kann Niemand über Tengelyi's Schriften Zeugniß ablegen. Retten Sie ihn; es ist die erste Bitte, die ich in meinem Leben an Sie richte, und die edle Art, mit der Sie sich bei der Restauration Tengelyi's angenommen haben, berechtigt mich zu der Hoffnung, daß ich diese Bitte nicht vergebens stelle, und wie Ákos, so werde ich Ihnen für diese edle Handlung ewig verpflichtet sein.
Etelka.«
»Du siehst, daß ich ihn retten muß, wenn es auch mein Leben, wenn es meine Seligkeit kostet, aber ich muß ihn retten,« so rief Kálmán leidenschaftlich.
»Hier geht eine großartige Niederträchtigkeit vor,« sprach Völgyesy nachdenkend, »dieser Brief beweist mir offenbar, daß Alles wahr ist, was ich während des Gerichtes vermuthet habe.«
»Aber was sollen wir thun?« sprach der Andere, mit immer wachsender Unruhe auf- und abgehend, »ich gehe geradenwegs hinunter zum Gericht und sage Macskaházy, daß er ein Schuft ist, daß er ein Dieb ist, daß –«
»Ruhig, Freund,« sprach Völgyesy und nahm Kálmán bei der Hand, der schon der Thüre zueilte, »wir müssen Alles vermeiden, was Lärm machen könnte; nach Allem, was ich in dieser Sache gehört habe, ist Macskaházy selbst nur das Werkzeug, und ich fürchte, daß Leute in die Sache verwickelt sind, die du und noch weniger Ákos und Etelka in einen Criminalproceß verwickeln können.«
»Es wäre aber vielleicht doch gut, wenn ich hinunterginge,« sprach Kálmán, der die Richtigkeit dieser Bemerkung fühlte, »zu seiner Rettung ist ja doch nur eine Stimme nöthig.«
In diesem Augenblick trat János ein mit der Nachricht, daß die gnädigen Herren kämen und daß Viola zum Tode verurtheilt sei.
Kálmán schlug sich verzweifelnd an die Stirn: »Verflucht!« schrie er, »daß ich gerade heute fern sein mußte; weil ich wußte, daß unser Gulyás mit Viola vertraut ist und uns vielleicht die Schriften verschaffen kann, sprach ich auf Ákos' Bitten gestern mit ihm; gestern Abend bin ich hieher gekommen, und weil mir der Gulyás gesagt, daß er den Räuber nicht gesehen, ritt ich in der Morgenröthe auf unsere Pußta, um auch mit unserem Csikós zu reden; als ich fortging, wußte man noch nicht, daß Viola gefangen sei und hieher gebracht werde; die Pußta ist gute drei Stunden entfernt, und erst, nachdem ich mein Pferd dort hatte ausrasten lassen und schon auf dem Rückwege war, erhielt ich diesen Brief.«
»Freilich,« sprach János, »denn ich habe nicht gewußt, daß der gnädige Herr auf der Pußta ist; den ganzen Tag bin ich hin und her geritten, bis mir ein Hirt sagte, der gnädige Herr sei dort hinaus.«
»Ihr, János, könnt nichts dafür,« sprach Kálmán, »es ist ein unglückseliges Verhängniß! Wenn ich zu Hause bin, geschieht Viola kein Leid, darauf schwöre ich; aber jetzt, nachdem er zum Tode verurtheilt ist –«
»Und nun?« fragte János und strich sich den Schnurrbart.
»Ihr wißt, was in dem Briefe steht,« sprach Kálmán, »wie soll ich ihn jetzt retten, nachdem er verurtheilt ist?«
»Wenn der gnädige Herr dem Fräulein Etelka, ich will sagen, dem jungen Herrn Ákos zu Lieb,« verbesserte János seine Rede, als er die Röthe bemerkte, die Kálmán's Wange überflog, »Viola retten wollte –«
»Ob ich es will? Mein Leben gebe ich darum, wenn ich es kann!«
»Na, na! da wird uns so ein kleines Urtheil nicht viel Kummer machen. Ei, gnädiger Herr,« sagte János weiter, »wenn Jeder, der in Ungarn zum Galgen verurtheilt wird, auch wirklich gehenkt würde, so hätten wir ja nicht Stricke genug.«
»Ihr vergeßt,« fiel Völgyesy ein, »daß hier vom Standrecht die Rede ist, das ist etwas Anderes, aber wenn Ihr ein Mittel finden könnt, wodurch Ihr das Leben des armen Mannes zu retten vermöchtet, woran ich aber zweifle, so werde ich Alles thun, was ich vermag, um diese rechtschaffene Absicht zu fördern.«
»Wir werden schon ein Mittel finden,« erwiderte János. »Heute wird Viola nicht mehr gehenkt, und es müßte doch sonderbar sein, wenn ich eine ganze lange Nacht hindurch keinen Ausweg fände, ihn zu befreien. Der gnädige Herr sind ohnedies zu Haus, Ihr Keller ist voll Wein, Geld ist da, so viel wir brauchen, Schlüssel, Leiter, Strick, Pferd, Hej!« setzte er lachend hinzu.
»Alter János, wenn du das ausführst!« rief Kálmán und fiel ihm vor Freuden um den Hals, »gebiete über Alles, was du brauchst, schone nichts, du kannst das Ganze auf mich schieben.«
»Schon gut, schon gut,« sprach János und strich sich wieder den Schnurrbart, »der alte János ist nicht so dumm, wie Viele glauben. Aber es wird geläutet. Gehen die gnädigen Herren zum Essen, sonst bemerken Jene, daß wir Musterung halten; ich werde mich indessen unten umsehen und nach Tisch reden wir weiter.«
»Auf mich kannst du zählen, so lange ich lebe,« sprach Kálmán, indem er mit Völgyesy hinausging.
»Schon gut, schon gut,« murmelte der alte Husar, »wer dem Kaiser so viele Jahre gedient und die Schlacht von Aspern gewonnen hat und nachher sogar Paris erobert hat, braucht keine Dankbarkeit, besonders wenn man einen Herrn hat, wie der meine, und für seine alten Tage nicht um Brot besorgt sein muß. Na, nicht wahr, dem jungen Herrn Kálmán wäre es lieb, wenn unser Fräulein ihm dankbar wäre?« so dachte er weiter, als er das Zimmer verließ, »ist mir auch recht, er ist ein braver junger Mann, reitet beinahe so gut, wie mein Herr und der hat es doch von mir gelernt. Kálmán und Etelka sind ein schönes Paar, der junge Herr paßt in unser Haus.« Und so nachdenkend, ging er der Wohnung des Hofrichters zu, wo ihm Peti entgegenkam.
Die Leser können sich denken, daß nach dem Geschehenen das Mittagsmahl eben nicht das fröhlichste war. Völgyesy und Kálmán waren in Gedanken versunken, die gastfreundliche Hausfrau nöthigte nicht zum Essen und bat wegen der schlechten Kocherei nicht um Entschuldigung, obschon der Braten, der um gute drei Stunden länger gewendet worden war, als gewöhnlich, unter die allerbräunsten gerechnet werden konnte. Und der alte Kislaky, der die Veränderung an seiner Frau bemerkte und den vorwurfsvollen Blick wohl verstand, mit dem ihn die gute Frau zum erstenmale in ihrem Leben empfing, nachdem sie Viola's Verurtheilung gehört hatte, saß wortlos vor seinem Teller. Wer ihn je in seinem eigenen Hause gesehen, und statt des Lächelns, welches sonst das ehrliche Gesicht belebte, heute nur Niedergeschlagenheit darauf gelesen hätte, würde ihn vielleicht nicht erkannt haben. Nyúzó und Keniházy, die nach ihrer amtlichen Sitte neben einander saßen, thaten zwar Alles, was sie vermochten, um die Fröhlichkeit, die von Außen nicht kommen wollte, von Innen heraus mit dem hervorzurufen, was nach der heiligen Schrift des Menschen Herz erfreut; aber ohne daß die mächtigen Gläser, die sie leerten, auf die beiden verdienstreichen Herren eine andere Wirkung hervorgebracht hätten, als daß der Erste sein Gesicht in immer grimmigere Falten zusammenzog und der Zweite ein um das anderemal schöner und schöner gähnte; auch der Baron, der während des Mittagmahles sein ganzes Redetalent wieder zurückgewann, erinnerte die Hausfrau mit ritterlicher Galanterie an vergangene Zeiten und an jene Mazurka, die, seit Frau von Kislaky nicht mehr tanzte, Niemand auf der Welt so schön zu tanzen vermöge; aber er war nicht im Stande, ihr das geringste Lächeln zu entlocken, so wenig wie Zátonyi durch seine Standrechtserlebnisse, obschon er es nicht unterließ, jenen allerunterhaltendsten Fall vorzutragen, wie ein Räuber zum Tode verurtheilt als letzte Gnade sich erbeten, daß er in jener weißen Wäsche gehenkt werde, die ihm seine Frau gebracht und die sie selbst gesponnen und genäht hatte; er, Zátonyi, aber ihn eben deshalb in engen deutschen Unterhosen habe henken lassen. Damals hatte das ganze Comitat darüber gelacht; jetzt aber wollte Nyúzó und den Geschworenen ausgenommen, Niemand auch nur lächeln.
Jeder freute sich, als das lange Mittagsessen zu Ende ging und besonders Kálmán, der seine Unruhe kaum bemeistern konnte. Sobald die Uebrigen aufstanden, verließ er mit Völgyesy den Saal.
»Wie steht es, alter János,« fragte Kálmán, als er den alten Husaren sah, der rauchend auf dem Gange stand.
»Gut, gnädiger Herr,« sprach der Angeredete, »gehen wir in Ihr Zimmer, dort erzähle ich Alles.«
»Glaubst du also, daß wir den Unglücklichen retten können?« sprach der Erstere, als sie im Zimmer waren.
»Kein Zweifel,« entgegnete János mit leiser, beinahe flüsternder Stimme, »unser Tiszaréter Geistlicher ist hier und wie er gesehen, daß Viola in der kalten Novembernacht unter freiem Himmel angebunden steht, nur wenig Stroh dabei zur Lagerstätte, und neben ihm sein armes Weib und die Kinder vor Kälte zitternd – und Gott weiß es, beide sind schöne Kinder, das Kleinere lacht immer und greift nach meinem Bart, man kann sich daran gar nicht satt sehen – also wie gesagt, nachdem dies der Herr Prediger gesehen, sagte er gleich: das sei nicht erlaubt, es sei eine wahre Quälerei, und im königlichen Befehle stehe, daß man den Gefangenen nicht unter freiem Himmel halten dürfe, wenn es kalt wäre. Da dachte ich bei mir, das ist ein gescheiter Befehl, denn ich zweifelte schon, daß wir ihn befreien könnten, wenn er unter dem Schoppen bliebe; denn diese Esel haben vier Lampen neben ihn hingestellt, um jede seiner Bewegungen sehen zu können; natürlich aber habe ich davon kein Wort fallen lassen, sondern habe nur dem Hofrichter, der auch dort war, gesagt, daß es besser sein werde, die Mahnung des Geistlichen zu berücksichtigen, denn es sei doch sicherer, wenn man den Gefangenen hinter Schloß und Riegel habe.«
»Aber,« sprach Kálmán ungeduldig, »um was sind wir dem Ziele näher, wenn Viola eingesperrt wird?«
»Um Vieles, gnädiger Herr, um Vieles,« erwiderte János lächelnd, »wenn der Mensch allein ist und thun kann, was er will und ihn Niemand sieht, da kann er viel vollbringen. Wenn sie nur einmal Viola in die Spreukammer sperren, denn der Hofrichter sagt, daß er keinen anderen Platz habe, so können sie ihn morgen suchen.«
»Aber wie?« fragte Völgyesy.
»Also so, gnädiger Herr,« flüsterte der Husar noch leiser als früher, »die Spreukammer ist am entgegengesetzten Ende des Hofrichterhauses; vom Fruchtboden, der auf der anderen Seite des Hauses ist, führt eine Thüre gerade auf den Dachboden des Hofrichters. Nicht wahr?«
»So ist es,« antwortete Kálmán, »weiter!«
»Also wie gesagt, vom Fruchtboden führt eine Thüre gerade auf den Dachboden des Hofrichters; wenn die Frucht mein wäre, so hätte ich die Thüre nicht machen lassen, aber es ist zur Bequemlichkeit des Hofrichters und jetzt auch zur unsrigen.«
»Weiter, weiter!« sprach Kálmán ungeduldig.
»Der Schlüssel zum Fruchtboden,« fuhr der Andere ruhig fort, »ist bei Ihrer Frau Mutter, den wird uns der gnädige Herr verschaffen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sonst brauchen wir nichts. In der Nacht, wenn das ganze Haus schläft, gehen wir auf den Fruchtboden, von dort durch die Thüre auf den Dachboden des Hofrichters, von dort oben in die Spreukammer. Die Kammer ist nur so an das Haus angepappt, das Gebälke ist blos von Brettern, der Zigeuner Peti kennt das Alles. Ganz leise heben wir zwei Bretter auf, lassen eine Leiter in die Kammer, auf dieser kommt Viola herauf und geht mit uns fort durch die Thüre des Fruchtbodens. Wenn er einmal draußen ist, so ist er geborgen; der Gulyás des gnädigen Herrn, zu dem Peti schon gegangen ist, hält seine Pferde bereit und die Sache ist erledigt.«
Kálmán schlug die Hände freudig zusammen. Völgyesy gestand, daß dieser Plan ohne Zweifel der beste sei, den man unter den gegenwärtigen Umständen ersinnen konnte, daß aber die Ausführung noch von so vielerlei abhänge, daß es zu früh wäre, sich jetzt schon zu freuen.
»Wenn Viola in der Kammer und der Fruchtbodenschlüssel in meiner Hand ist,« sprach János, »stehe ich für das Uebrige gut.«
»Aber die Wachen,« bemerkte Völgyesy, »der Hofrichter, der jedes Geräusch auf dem Boden hören und Lärm schlagen kann!«
»Die Wachen nehme ich auf mich,« antwortete der Husar mit verächtlicher Miene, »der Commissär liegt krank, und wenn der gnädige Herr den Oberstuhlrichter und den Geschworenen sich besaufen lassen, daß sie nicht Inspection halten können, was nicht schwer sein wird, und wenn Sie als guter Hausherr den Wachen Wein geben lassen, damit sie in der kalten Nacht nicht erfrieren, so kann der Hofrichter Lärm machen, so viel er will. Aber das haben wir nicht zu fürchten; wenn der Hofrichter einmal liegt, so steht er nicht leicht mehr aus seinem Bette auf; aber den Schlüssel müssen wir haben, und Viola muß in die Spreukammer gesperrt werden. Sonst steht es schlecht.«
»Wenn es sonst nichts ist,« sprach Kálmán wohlgemuth, »so ist keine Sorge,« und nun rief er Völgyesy mit sich und beide gingen in den Saal zurück. Dort fanden sie außer den früheren Gästen noch Vándory, der seine Bitte dem Gerichte vorgetragen hatte und eben die Einwürfe mit Wärme beantwortete, die vorzugsweise von Zátonyi und dem Baron vorgebracht wurden. Der erste wendete ein, daß nach den Begriffen des Volkes ein Statarialverbrecher unter freiem Himmel gehalten werden müsse, der andere, daß es unbillig wäre, dem Hause, in welchem sie sich befänden, noch mehr Verlegenheit zu bereiten; aber die Bitte des Geistlichen wurde durch Kálmán's Eltern, besonders aber durch seine Mutter mit solcher Wärme unterstützt, daß das Einschreiten der beiden jungen Männer überflüssig wurde.
»Ich halte es zwar nicht für nothwendig,« bemerkte Macskaházy höflich, »daß der Gefangene wo anders untergebracht werde; aber wenn wir dadurch unserer verehrten Hausfrau nur den geringsten Gefallen erweisen können, so bin ich dem Begehren des Herrn Vándory gar nicht entgegen, immer in der Voraussetzung, daß für Sicherheit gesorgt ist, daß die Fenster mit Gittern versehen sind, daß die Thüre sperrbar ist und daß man nicht versäumt, die nöthigen Wachen aufzustellen.«
»Wenn die gnädigen Herren befehlen,« sprach jetzt der Hofrichter dazwischen, der Vándory gefolgt war, »so kann ich den Gefangenen an einen Ort bringen, wo gar kein Fenster ist. Die Spreukammer kann mit einem Schloß abgesperrt werden, sie hat kein Fenster, und wenn man an die Thüre nur eine Wache stellt, ist Viola so gut verwahrt, als ob er in der Festung Munkács im Gewahrsam säße.«
Vándory und besonders Frau v. Kislaky erhoben sich gegen diesen Vorschlag, aber nachdem die Schwierigkeit, daß die Kammer nicht zu heizen sei, auch von Kálmán nicht für bedeutend erklärt würde, kam der Beschluß zu Stande, daß der Gefangene in die Spreukammer gesperrt werden solle, und Nyúzó in eigener Person und der Geschworene und Macskaházy, der sich von den Sicherheitsmaßregeln selbst überzeugen wollte, begleiteten Vándory zu des Hofrichters Haus, um bei der Ueberführung zugegen zu sein.
»Sei auf deiner Hut,« sprach Völgyesy zu Kálmán, als sie den Uebrigen in einiger Entfernung folgten, »als du dich für die kalte Kammer erklärtest, warf Macskaházy einen argwöhnenden Blick auf dich.«
Nachdem Macskaházy sich überzeugt hatte, daß das Gemäuer von guten Materialien gebaut sei, wurden ein Tisch, eine Bank und etwas weniges Stroh in die Kammer gebracht, vor die Kammer wurden zwei Wachen gestellt, und Viola blieb mit Vándory allein, der, nachdem er ihm keine leibliche Wohlthat mehr zu erweisen vermochte, wenigstens dessen letzte Lebensmomente durch geistlichen Zuspruch zu erleichtern bestrebt war.
Der alte Kislaky hatte sich unter dem Vorwande von Kopfschmerzen in sein Zimmer zurückgezogen, seine Frau war ihm gefolgt.
»Trési (Therese), meine Seele,« sprach der Alte, indem er sich zu seiner Frau wandte, die ebenfalls sehr nachdenklich war, »ich bin ein unglücklicher Mensch. Nicht wahr, du wirst mich nicht mehr so lieben wie bisher, auch Kálmán nicht; wenn Ihr mich seht, so wird es euch immer einfallen: der alte Mann hätte sein Leben retten können und hat es nicht gethan.«
Die Frau sprach einige tröstende Worte, aber Kislaky schüttelte trübselig das Haupt. »Nein, nein, meine Trési, ich weiß sehr gut, daß ich den Mann hätte retten können, und er stirbt doch; sein Blut liegt auf meiner Seele. Völgyesy hat vielleicht Recht. Jetzt, nachdem ich die Sache ruhig überdenke, scheint es mir selbst, daß das Protokoll nicht gehörig abgefaßt ist; wem wird man das zur Last legen als mir, dem Präsidenten! Aber mag das sein: sie mögen sagen, daß ich ein Esel bin, sie sollen sagen, was sie wollen, mir ist es einerlei; aber wenn ich aus meinem Hause heraustrete und den unglücklichen Menschen sehe, den sie auf meinem Gebiet henken und den ich hätte retten können, und wenn mir seine Frau und seine Kinder ins Gedächtniß kommen, die zu meinen Füßen hingesunken um sein Leben wimmerten, so ist die Ruhe meines Lebens verloren.«
»Sie ist nicht verloren,« sprach Kálmán, der indessen leise eingetreten war und des Vaters letzte Worte gehört hatte, »wenn der Herr Vater nichts dagegen hat, so ist Viola noch heute frei und dies einemal wird sein Blut auf Niemandes Seele lasten.«
Die Eltern schauten sich verwundert um. »Scherze nicht, mein Sohn,« sprach der alte Kislaky, »was du sagst, ist unmöglich.«
»Vielleicht auf gesetzlichem Wege,« antwortete der junge Mann wohlgemuth, »aber dem Himmel sei Dank, es gibt noch andere Auswege.«
»Vom Statarium gibt es keine Appellation,« seufzte der Alte.
»Und doch gibt es eine Appellation,« antwortete Kálmán, »die bei jedem menschlichen Ereignisse vorhanden ist. Die Appellation an die Zukunft.«
»Ich verstehe dich nicht,« sagte der Alte erstaunt.
»Ich verstehe ihn,« fiel die Mutter ein, deren Augen die ganze Zeit auf dem Angesichte des geliebten Sohnes hafteten, »du willst ihn entfliehen lassen, nicht wahr, mein Sohn?«
»So ist es, liebe Mutter. Auf dem Rechtswege ist die Sache unmöglich. Aber wie so Manche unsere heimischen Gesetze für die Prüfung so lernen, daß sie jene anderen vergessen, die sie in ihrer Brust verzeichnet mit auf die Welt gebracht haben, so bewahre ich hinwieder jene nicht erlernten Gesetze in meinem Herzen und kümmere mich nicht das Geringste darum, wenn die ganze Welt sagt: Viola's Rettung sei nach dem Gesetze nicht erlaubt gewesen. – Wenn mir nur mein Gewissen sagt, daß ich recht gehandelt habe!«
Kálmán war der Abgott seiner Mutter, und die Leser können sich die Empfindung denken, welche diese Worte bei ihr hervorbrachten. »Du hast Recht,« sprach sie mit freudestrahlendem Gesicht, »das ist ein unmenschliches Gesetz, welches befiehlt, daß dieser arme, unglückliche Mensch hier auf unserem Grund und Boden gehenkt werde. Wenn du ihn rettest, so wird dich Gott dafür segnen.«
Auf dem Gesicht des alten Kislaky hatte sich ein kurzer Freudenstrahl gezeigt, aber gleich darauf trat jene Unentschlossenheit ein, die diesen rechtschaffenen Mann charakterisirte, sobald ein Entschluß zu fassen war. Er sprach: »Ja wohl, aber ich sehe nicht ein, wie.«
»Das überlasse du nur ihm,« unterbrach die Frau den Redenden, »sobald ich Kálmán's erste Worte hörte, war ich überzeugt, daß sein erfinderischer junger Geist ein Mittel ersonnen habe –«
»Dies einemal hat sich die liebe Mutter geirrt,« sprach Kálmán lächelnd, »der erfinderische junge Geist, der zu Viola's Flucht die Mittel gefunden, ist der alte János und der Zigeuner Peti; aber das Mittel ist gut.« Und zur sichtlichen Freude der Mutter erzählte Kálmán den Plan des alten János, dessen Vollziehung schon damit begonnen hatte, daß Viola in die Kammer eingesperrt war.
»Aber zur Ausführung unseres Planes sind noch zwei wichtige Dinge nöthig,« fügte Kálmán hinzu, »der Keller- und der Fruchtbodenschlüssel. Ich bitte, liebe Mutter, mir diese beiden Schlüssel heute anzuvertrauen.«
»Von ganzem Herzen,« sprach die Frau, die jetzt ihre Heiterkeit wieder gewonnen. Aus einer Tischlade nahm sie aus vielen anderen zwei große Schlüssel heraus und übergab sie Kálmán. »Schone nichts, lasse allen Wein austrinken, lasse die Haiduken Tokayer trinken, wenn es nöthig ist, nur rette den Unglücklichen.« – Der alte Kislaky ging indessen mit großen Schritten und in höchster Aufregung im Zimmer auf und nieder. Die Frau legte die Hand auf seine Schulter und fragte ihn mit Herzlichkeit: »Was fehlt dir, mein Alter?«
Der Alte blieb stehen und antwortete: »Ich denke darüber nach, in welche entsetzliche Lage mich meine Schwäche gebracht hat. Es stand in meiner Macht, den Unglücklichen zu retten; ich konnte es thun, ganz in der Ordnung und nach dem Gesetz; und jetzt, um meinen Fehler gut zu machen, verwickelt sich mein Sohn in eine wahre Criminalität, verdirbt sich vielleicht das ganze Glück seines Lebens und ich kann ihm nicht einmal sagen: thue es nicht.«
»Quälen Sie sich nicht mit Gespenstern,« antwortete Kálmán, »wie könnte ich meines Lebens Glück dadurch verderben, daß ich das Leben eines Menschen rette?«
»Wenn die Rétys erfahren, daß du Viola gerettet!« erwiderte der Vater, »du kennst die Leidenschaftlichkeit der Frau; wer weiß, ob sie dir nur das verzeiht, was du bei der Restauration für Tengelyi gethan?«
Kálmán antwortete ruhig: »Was das anbelangt, so können wir ohne Sorge sein, ich verlange weder von Réty noch von seiner hochgeborenen Hausfrau irgend eine Gnade; und was Etelka anbelangt, so können Sie sich aus diesen Zeilen überzeugen, daß sie darüber anders denkt.« Mit diesen Worten übergab er dem Vater den Brief, den János gebracht.
»Ein engelgleiches Geschöpf,« sprach die Mutter, die mit dem Alten zugleich Etelka's Zeilen gelesen. »Du hast Recht, mein Sohn, du mußt Viola retten.«
»Es sind die ersten Zeilen, die ich in meinem Leben von Etelka bekam,« sprach Kálmán begeistert, »wenn sie ein Verbrechen begehrte, ich hätte es verübt und wie erst dies?«
»Gott bewahre, daß ich dich davon abhalte,« sprach der Alte und gab ihm den Brief zurück. »Dein Zweck ist edel und heilig; aber trotzdem ist er nach unserem Gesetz ein Verbrechen. Wenn es herauskommt – ich zittere.«
»Wenn es nicht gelingt?« antwortete Kálmán heiter, »was ist denn nothwendig zum Erfolge, als daß sich die Haiduken besaufen und wir Nyúzó und den Geschworenen in der kalten Nacht im Zimmer behalten? Die Thüre, die vom Schüttkasten auf den Dachboden des Hofrichters führt, ist von unserer Seite zugeschlossen, da gibt's keine Schwierigkeiten. In meiner Hand ist der Keller- und der Schüttkastenschlüssel.« Und nachdem er die Schlüssel triumphirend hochgehalten hatte, steckte er sie ein und ging davon.
»Ein prächtiger Junge!« sprach die Mutter und sandte ihm einen liebevollen Blick nach, »wie sollte ihn Etelka nicht lieben?«
»Glücklich!« seufzte Kislaky und setzte sich zum Kamin, »wenn es nur Niemand erfährt, es ist allerdings eine schöne That, aber auch eine Criminalität.«
»Quäle dich nicht mit solchen Gedanken!«
Und das brave Ehepaar saß schweigend neben einander, bis die Frau sich erinnerte, daß sie des Nachtmahls wegen Anordnungen zu treffen habe. Sie ging fort, Kislaky zündete eine Pfeife an und suchte seine tarokspielenden Gäste auf, die unter häufigen Contra und Recontra den Hausherrn und seine vorgeblichen Kopfschmerzen längst vergessen hatten.