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Im Hause des Notars herrschte seit den letzten Ereignissen Kummer und Betrübniß. Der Schuß, den Ákos erhalten, war nicht gefährlich, er hatte nur den Arm getroffen; der junge Mann war bald zu sich gekommen und wurde auf sein eigenes Bitten und mit Vándory's Zustimmung noch dieselbe Nacht in das Schloß gebracht; aber der Diebstahl, dessen Größe Elisabeth nicht zu beurtheilen vermochte, Vilma's Zustand, die seit dem unglücklichen Augenblicke, als Ákos zu Boden stürzte, beinahe ununterbrochen zitterte und weinte, vorzüglich aber vor Allem, daß sie wider den Befehl ihres Mannes Ákos in ihrem Hause heimlich aufgenommen, daß ferner das ganze Ereigniß, wie es ohne Zweifel entstellt erzählt werden würde, dem guten Rufe der Tochter schaden könne, versetzten die gute Frau in einen Zustand, den Niemand ohne Mitleid sehen konnte. Vilma hatte sich niedergelegt, die Dienstboten liefen hin und her. Die Lipták war kaum im Stande, die andrängende Menge der Neugierigen abzufertigen, die durch ihre Erkundigungen die Verwirrung noch vermehrten. Wer dieses Haus vor 24 Stunden gesehen, Vilma mit dem durch Liebe und das Glück des Wiedersehens noch verschönerten Gesicht, Elisabeth durch mütterliche Freuden gleichsam verjüngt, und wer nun die Thürschwelle überschreitend, statt Ruhe Besorgniß, statt Freude Reue fand, und dabei erwog, daß zum Untergange all' dieses Glückes ein Tag, eine Stunde, ja ein paar Minuten hingereicht hatten: der mußte mit Trauer über unser Geschick erfüllt werden, das dem Unerwarteten so viel Macht einräumt, nicht nur über jenes Glück, das wir in den Schätzen der Außenwelt suchen, sondern auch über das, welches uns nur durch das Herz geboten wird, und uns nicht gestattet, die Freudenblumen zu genießen, die Jahre lang gepflegt nun in einem Augenblick von unseres Lebens Baum entschwinden.
Der einzige Tröster der Familie war Vándory, und nur seinen sanften Ermahnungen ist es zu danken, daß Vilma nach und nach ruhiger wurde, gegen Mittag in leichten Schlummer fiel, und selbst Elisabeth entschlossener dem Augenblick entgegensah, in welchem ihr Gatte wiederkehrte. Vándory war gleich nach dem unglücklichen Ereignisse gerufen worden und hatte das Haus seither nicht verlassen. Er hatte die aufgebrochene Lade untersucht und gesehen, daß seine Schriften alle, jene Tengelyi's aber größtentheils entwendet waren, und so kannte er wohl die ganze Größe des Verlustes; aber jenes Vertrauen auf die Vorsehung, das seine Brust erfüllte, die Ueberzeugung, daß Gott gute Menschen nicht verlasse, verbreitete sich theilweise auch auf die Uebrigen und bewahrte wenigstens die arme Elisabeth vor Verzweiflung, da sie seit der langen Zeit ihrer Ehe die Heimkehr ihres Mannes zum erstenmale mit Angst erwartete.
»Sie schläft,« sprach sie aus dem Zimmer tretend, lehnte die Thüre leise zu und trat zu Vándory, der am Fenster las. »Die Arme schläft. O mein Gott, wenn Jónás das Mädchen so bleich sieht! Wie frisch, wie blühend war sie, als der Vater ging, und jetzt –« und Thränen umdunkelten das Auge der Mutter.
»Bis Tengelyi nach Hause kommt,« sprach Vándory beruhigend, während er sein Buch schloß, »ist Vilma schon wieder wohlauf. Ákos hat den Hausleuten verboten, irgend eine Nachricht nach Porvár zu bringen, die Bauern sind mit der Feldarbeit zu sehr beschäftigt, als daß Jemand aus freiem Willen hinginge, und so kommt mein Freund vor dem Ende der Restauration schwerlich nach Hause, und bis dahin vertrauen wir auf Gott; Vilma wird sich erholen.«
»O ich bin für immer unglücklich.«
»Beruhigen Sie sich, liebe Frau Elisabeth,« sprach Vándory, indem er ihre Hände faßte, »Ákos ist nicht gefährlich verwundet, und der Verlust durch den Diebstahl wird auch nicht unersetzlich sein. Größtentheils sind Schriften entwendet, und die kann man wohl zurückerhalten.«
»Ganz Recht, aber das Vertrauen, welches Jónás bisher zu mir hatte, wie erhalte ich das zurück? Wer gibt mir seine Liebe, seine Achtung, alle die Glückseligkeit zurück, die mein war und die ich jetzt verloren? »»Ich bitte dich, nimm Ákos nicht in das Haus auf, laß Vilma nicht mit ihm sprechen; die Ruhe, die Ehre des Mädchens erfordert es,«« – so sprach er öfter zu mir, und ich hatte ihm versprochen, seinen Willen zu erfüllen; – und jetzt, die Ehre meines Kindes! O daß ich ihm nicht gehorcht habe!« Und Elisabeth schluchzte vor Schmerz.
»Es ist freilich sehr übel,« antwortete Vándory tröstend, »aber Tengelyi ist zu gut, um nicht verzeihen zu können. Seien Sie ruhig, ich werde mit ihm reden. Wegen der Ehre Ihrer Tochter brauchen Sie keine Sorge zu haben. Vilma und Ákos sind Brautleute, wer weiß, ob die leichte Wunde, die er erhalten, nicht zu seinem Nutzen ist; denn weder die Réty's, noch Jónás können jetzt gegen die Ehe sein.«
»O, die Réty's!« seufzte Elisabeth weinend.
»Die Réty's! liebe Frau Elisabeth, Sie halten die Leute für schlimmer als sie sind. Réty ist ein schwacher Mensch, aber sein Herz ist nicht verderbt, und die Frau – gibt es eine Frau, die nach einem solchen Ereignisse ihren Sohn hindern könnte, eine Uebereilung so gut zu machen, wie es einem ehrlichen Manne ziemt? Es kann noch Alles gut gehen.«
»Und wenn ich bedenke,« sprach Elisabeth mit Bitterkeit und ihre Thränen trocknend, »daß uns dies Unglück durch Viola zugekommen ist, dessen Weib und Kinder wir in der größten Noth bei uns aufgenommen haben!«
»Wer weiß, ob er es war,« sprach der Prediger ernst, »man muß nicht gleich urtheilen.«
»Es ist gar keine Frage. Sobald sich der Jude ein wenig erholt hatte, erzählte er gleich, daß er, Nachts nach Hause gehend, unser Thor offen gesehen hätte; da er nun gewußt, daß mein Mann in Porvár sei, ahnte ihm Schlimmes und er trat ein. Wie er nun auch die Thüre von meines Mannes Zimmer offen sah, ging er hin, um sich zu erkundigen, ob mein Mann nach Hause gekommen? In dem Augenblicke trat Viola mit seiner Beute aus dem Zimmer und schlug ihn nieder. Der Schmied, der den Räuber verfolgte, schwört, daß es kein anderer gewesen sei als Czifra, einer von Viola's Spießgesellen, und die Lipták selbst gesteht, daß Viola dieselbe Nacht im Dorfe, ja in ihrem Hause war. Es ist gar kein Zweifel! Der Jude liegt noch krank in Folge der Schläge Viola's, Sie können ihn selbst befragen.«
»Der Jude lügt,« sprach eine weibliche Stimme aus der Tiefe des Zimmers. Elisabeth schaute erschrocken, Vándory ruhig zurück; sie sahen Viola's Frau, Susi, die während des Gespräches unbemerkt eingetreten war und bei der Thüre Elisabeth's Worte vernommen hatte. »Viola hat in diesem Hause nicht geraubt und wird es nie thun, und sollte er noch hundert Jahre leben.«
Worte fester, inniger Ueberzeugung sind unwiderstehlich, und Vándory, der Alles, was seinen Glauben an den Menschen erschütterte, als persönlichen Verlust betrachtete, freute sich der Wirkung, die Susi's Worte bei Elisabeth hervorgebracht.
»So ist es, glauben Sie mir, geistlicher Herr,« sprach Susi, und die tiefe, aber dennoch weibliche Stimme bebte, indem sie sprach: »Viola ist ein armer unglücklicher Mann, vertrieben von Haus und Hof, verfolgt von Ort zu Ort, wie das wilde Thier; aber das hat Viola nicht gethan; in Stücke kann man ihn hauen, das Herz können sie ihm aus dem Leibe reißen, aber undankbar werden Sie ihn nie finden.«
Ergriffen sprach Elisabeth: »Es ist schön von dir, Susi, daß du deinen Mann vertheidigst, du hast ja geschworen, daß du ihn nicht verlassen wirst in Noth und Kummer; ich selbst möchte gern glauben, daß du Recht hast, aber Alles spricht gegen deinen Mann, ich will dir nicht weh thun, gute Frau, dein Mann ist aber doch ein Räuber.«
Als Elisabeth den Ausdruck sah, der bei diesen Worten Susi's Angesicht überflog, bereute sie selbst, derlei gesprochen zu haben. Vándory ermuthigte durch ein paar tröstende Worte die arme Dulderin, die indessen näher getreten war und sich auf den Tisch stützte, an dem die beiden Andern saßen. – Endlich sprach sie bitter, und die Stirnfalten und die fliegende Röthe im Gesichte zeigten, wie sehr Sie ergriffen war: »Ja, Viola ist ein Räuber, die Notärin hat Recht; ja ich bin die Frau eines Räubers, es weiß es das ganze Dorf, das ganze Comitat, sie haben einen Preis auf seinen Kopf gesetzt, die Kinder auf der Gasse sprechen davon: wenn aber das jüngste Gericht kommt und Gott sichtbar werden wird, den Sohn zu seiner Rechten, und die Engel alle um ihn, wie es in der Schrift steht, und wenn er richten wird über Gute und Böse und Jeden nach Verdienst lohnen: so wird er nicht von Viola Rechenschaft fordern, warum er ein Räuber ist, sondern von Jenen, die meinen Mann dazu gezwungen haben, die ihn verfolgt haben, bevor er schuldig war. Gott ist ewig gerecht, vor ihm ist kein Unterschied zwischen Armen und Reichen, zwischen Schwachen und Mächtigen, er sieht das Herz, und Viola wird vor ihm bestehen können.«
Die Lipták, das weiße Tuch auf dem Kopfe, die kleine Bunda um die Schultern, war indessen eingetreten und bis zum Tisch gekommen; bei Susi's letzten Worten legte sie ihr die Hand auf die Schulter und sprach: »Recht hast du, mein Kind, vertraue auf Gott und er verläßt dich nicht.« Ergriffen schwiegen die beiden Andern.
»Nun ja, ich soll auf Gott vertrauen,« sprach Susi, trübe vor sich hinstarrend, als sie die Redende erkannte, »Ihr habt das hundertmal gesagt, und was thäte auch so ein armer Mensch, wenn er nicht auf Gott vertraute; aber wenn ich so unser ganzes Unglück überdenke, wenn mir zu Sinne kommt, daß uns Niemand mehr auf der ganzen Welt traut, daß die rechtschaffensten Menschen, wie hier der geistliche Herr und die Frau Notärin, von meinem Manne glauben, daß er an seinem größten Wohlthäter zum Judas werden konnte, da verläßt mich mein guter Engel, und manchmal glaube ich beinahe, daß der arme Mensch keinen Gott hat auf der Welt.«
»Rede nicht so, Susi,« erwiderte die Lipták ernst, »es steht geschrieben: Leichter geht ein Kameel durch ein Nadelöhr als ein Reicher in das Himmelreich. Wir Armen dürfen nicht an Gottes Barmherzigkeit zweifeln, Gottes Sohn hat ja seine Apostel unter den Armen gewählt; wenn die Frau Notärin etwas Bitteres geredet hat, so bedenke, sie ist deine Wohlthäterin, und der beste Mensch ist ungerecht, wenn er Schaden erlitten hat; mein Mann selbst – Gott schenke ihm die ewige Ruhe – hatte den Zigeuner Peti in Verdacht, als man uns die Kuh stahl. Trage dein Kreuz mit Ergebung wie unser Erlöser.«
»Ja, der war Gottes Sohn,« seufzte Susi, »aber ich bin ein schwaches Kind, und weiß denn Jemand was ich gelitten habe? Ich war eine arme Waise; Vater und Mutter starben mir frühe, und wenn Ihr mich nicht in Euer Haus aufnahmet, so wäre ich vielleicht zu Grunde gegangen, wie so viele Kinder, die von keiner Mutter beschützt werden. Gott segne Euch dafür; ich wuchs auf wie die Uebrigen, und im ganzen Dorfe war kein fröhlicheres Mädchen als ich. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben, aber bei Euch ist mir niemals eingefallen, daß es noch Jemand geben könne, der im Stande wäre mich mehr zu lieben.«
Vándory und Elisabeth schwiegen ergriffen; in den Augen der alten Lipták schwammen Thränen.
»Ja, ich war fröhlich,« sprach Susi immer lebhafter, »ich glaubte, daß ich nicht mehr glücklicher werden könne. Und doch war dies Alles nichts. – Nur, seit ich Viola kennen lernte, weiß ich was es heißt, den Himmel auf Erden besitzen. Anfangs glaubte ich gar nicht, daß ein Mann wie er mich lieben könnte. Viola war reich, vom Vater hatte er eine ganze Ansässigkeit geerbt; sein Haus war nächst dem Hause des Notärs das schönste im ganzen Dorfe, sein Vieh prächtig; wie konnte ich, eine arme Waise, hoffen, daß er mich lieben werde! Wenn ich draußen auf dem Felde bei der Ernte war, und er mit den vier Ochsen neben mir stehen blieb und mir Garben binden half, oder wenn er an der Theiß mir Wasser in meine Eimer schöpfte, oder zuweilen bei Hochzeiten mir einen schönen Rosmarin brachte und mit mir tanzte, dachte ich bei mir selbst: Viola ist ein guter Mensch; – aber daß er mich heiraten werde, dachte ich mir nicht, und ich betete zu Gott, mich vor so stolzen Gedanken zu bewahren. Aber als Viola am Weihnachten zu uns kam und mich fragte, ob ich ihn liebe, und wie er mich zu sich zog und sagte, daß er mich im Frühling heiraten wolle, da drehte sich mit mir die ganze Welt, und mir war, als müßten mich die Engel beneiden.«
»Die arme Frau,« sprach Elisabeth und trocknete sich die Thränen.
»O damals war ich es nicht,« fuhr Jene leuchtenden Angesichts fort, »da schien mir die ganze Welt ein großes Hochzeitsfest, das Glück preßte mein Herz, jeden Augenblick hätte ich weinen können, wie ein Kind. Und doch war dies Alles nur ein Tropfen gegen das Meer von Glück, das ich später in meines Mannes Hause fand, als unser erstes Kind zur Welt kam und wir für den kleinen Pista wirthschafteten. Gottes Segen ruhte auf unserem Hause und unseren Feldern. Mir schien jeder Tag schöner als der vorhergehende, so glücklich war ich.«
Gleichsam erdrückt durch die Gefühle, die durch die Erinnerung an jene glücklichen Zeiten in ihrer Brust erwacht waren, schwieg sie einen Augenblick, endlich fuhr sie mit erstickter Stimme fort, aber sie unterbrach sich selbst von Zeit zu Zeit, als ob die gepreßte Brust nicht hinreichend Athem hätte, ihr ganzes Leid auszusprechen: »Wir waren nicht hochmüthig in unserem Glücke; wir hatten Niemand auf der Welt beleidigt, mein Mann bezahlte die Steuer, diente seine 52 Zugtage ab, und wenn er einen Armen sah, theilte er den letzten Bissen Brod mit ihm. Viola war wohlhabend, aber er war nur ein Bauer, und unter den Herren entstanden ihm Feinde. Der Fiskal – Gott strafe ihn« – und Susi ballte die Faust, »haßte meinen Mann; denn so oft die anderen Bauern einen Anstand hatten, wenn sie z. B. öfter zur Arbeit getrieben wurden, als ihre Schuldigkeit war, oder sonst etwas dergleichen, wählten sie ihn zum Wortführer. Auch der Oberstuhlrichter schwur uns Rache; denn der schlechte Mensch schlich mir nach, ich aber als ehrliche Frau jagte ihn aus dem Hause, wie es sich gebührt, und ich war immer besorgt, obgleich mein Mann stets sagte, daß wir uns vor des Fiskalen und Oberstuhlrichters Zorn nicht zu fürchten hätten, so lang er seine Schuldigkeit thue. Aber die Herren halten alle zusammen, und die Unschuld des Armen schützt nicht gegen ihren Zorn. Jetzt, im Herbst sind es zwei Jahre, daß ich mein kleines Töchterlein gebar; schon des Morgens fühlte ich mich unwohl; mein Mann und Ihr, Frau Lipták, waret bei mir, da schickte der Fiskal zu uns ins Haus – er hatte gewiß durch die Hebamme unsere Lage erfahren – Viola solle auf der Stelle mit vier Pferden in das Herrenhaus kommen, denn er müsse die gnädige Frau nach Porvár führen. Mein Mann ging hinaus und sagte dem Haiduken, daß er heute nicht gehen könne; er habe ja das Jahr hindurch mehr Vorspann geleistet, als welcher immer von den ganzen Bauern, Ganzer Bauer, der eine ganze Ansässigkeit hat. aber doch werde er recht gern wann immer gehen, nur heute nicht, weil ich im Entbinden sei. Wir glaubten, Alles sei gut, aber nach einer halben Stunde kam der Haiduk und sagte: Wie es immer sei, mein Mann müsse kommen, denn Niemand im Dorfe habe bessere Pferde. Viola war zornig; aber wie ich ihn bat, er möchte, um allen Verdrießlichkeiten auszuweichen, den Knecht mit den Rossen schicken, that er es, obschon mit Widerwillen, denn die Pferde vertraute er nicht gerne fremden Händen. Und wir waren wieder ruhig. Bei mir begannen schon die Wehen; da kommt der Haiduk mit dem Kutscher wieder und sagt, daß Viola selbst kommen solle, denn die gnädige Frau fürchte sich mit jedem andern Dorfkutscher, Viola sah mein Leiden und daß ich ohne ihn nicht bleiben könne, und sagte: sie möchten thun, was sie wollten, es sei genug, daß er seine Pferde gesendet, von mir gehe er nicht weg, selbst für des Königs Sohn nicht. Der Haiduk erwiderte, daß er selbst es auch nicht anders thäte, daß es aber doch besser sein dürfte, zu gehen, denn der Stuhlrichter habe unter vielen Flüchen geschworen, daß er ihn mit Gewalt bringen lasse, wenn er nicht gutwillig komme, und dann soll er zusehen, was ihn erwarte. Mein Mann ist auch heftig und manchmal eigensinnig; er wurde zornig und ließ dem Stuhlrichter sagen, er habe seine diesjährige Vorspann schon geleistet, und er gehe nicht einmal für den Herrgott. Der Haiduk ging fort, was weiter geschehen ist, weiß ich nicht; mir wurde so übel, daß ich weder sah noch hörte; aber wie die Nachbarinnen und auch die Lipták sagen, ist der Stuhlrichter mit seinen Panduren gekommen und hat Viola unter Flüchen aus seinem Zimmer gerissen, wo ich bewußtlos lag, und hat ihn gebunden ins Herrenhaus schleppen lassen.«
»So ist es,« fiel nun die Lipták ein, »ganz so ist es geschehen, wie Susi sagt. Wie sie Viola fortführten, ging ich nach. Es war entsetzlich anzusehen, er wollte nicht gehen und warf sich aus Zorn zur Erde, die Henker schleppten ihn fort, wie ein Stück Vieh. Das ganze Dorf ging jammernd mit, aber Niemand wagte zu helfen, und wir weinten nur so in uns hinein und schmähten, daß sie den Unschuldigen, der nicht gehen wollte, mit Stock und Fokos Fokos, sprich Fokosch, ein gewöhnlicher Stock, worauf ein Hammer von Eisen oder Messing. schlugen; der Stuhlrichter ging voraus fluchend und drohend, daß Viola seine Halsstarrigkeit büßen müsse. Wir waren kaum dort, so fragte der Oberstuhlrichter den Haiduken vor uns Allen, ob er in Viola's Haus gewesen, und wie oft, ob er gesagt, daß er zum Herrschaftsdienst berufen sei, und was Viola geantwortet, und was weiß ich, was noch alles. Na, warte! sprach er zuletzt und ließ die Bank holen, wir werden sehen, ob du ein anderesmal nicht zum Herrschaftsdienst kommen wirst. Zieht ihn nieder. Viola stand dort unter den Panduren; wenn ich hundert Jahre lebe, vergesse ich das nicht, wie er dort im Hofe stand, sein Kopf an zwei Seiten wundgeschlagen, das Gesicht blutig, die Lippen, die er zusammenbiß vor Zorn, blau, die Hände hatten sie ihm losgebunden; wie er im Hofe war, da riß er sich von den Haiduken los, wie ein Löwe sprang er hervor und rief: »»Wer eine Seele hat, der komme mir nicht nahe.«« Alle schraken zurück. Aber Nyúzó schwur auf seine Seele, wenn sie ihn nicht niederzögen, haue er sie Alle zusammen. Da stürzten Alle auf ihn hin. Viola ersah eine Axt, die man eben zum Holzhacken gebraucht, und die ihm der Teufel in den Weg gelegt hatte; er rafft sie auf, schlägt um sich, und ein Pandur und ein Ispán liegen auf der Erde in ihrem Blute. Und nun bricht er durch die Andern durch, läuft nach Hause, setzt sich auf sein Roß und reitet in den Sz-Vilmoscher Wald, wie Kain, den Gottes Fluch jagt. Der Ispán starb und Viola hatte kein Bleiben mehr unter den Menschen.«
»Und seitdem ist Viola ein Räuber,« rief Susi und schloß die Hände krampfhaft in einander; die alte Lipták setzte sie auf einen Stuhl, Vándory schaute seufzend zum Himmel auf.
Die schlichte Erzählung, deren vollständige Wahrheit Vándory und Elisabeth ebenso gut kannten, wie Jeder im Dorfe, aber noch mehr der schmerzvolle Ausdruck im Gesichte der armen Unglücklichen wirkten tief auf die Anwesenden, und nur die Worte der alten Lipták, die Susi's kalte Hände in die ihren schloß und sie mit sanftem Laute öfter bei ihrem Namen rief, unterbrachen die herrschende Stille. Endlich stand Susi auf, der Ausdruck ihres bleichen Gesichtes war ruhiger, ihre Stimme war stärker, als sie sagte: »Und nun segne Sie Gott, Frau Notärin, für Alles, was Sie an mir und meinen armen Kindern gethan; ich gehe fort und suche Viola auf, und wenn er etwas von den geraubten Sachen weiß, oder ihre Spur auffinden kann, so besorgen Sie nicht, daß Herr Tengelyi Schaden leiden wird.«
»Wo denkst du hin? so lasse ich dich nicht fort,« sprach Elisabeth sich erhebend.
»Fürchten Sie nichts,« fiel Susi ein und lächelte bitter, »ich gehe nicht durch, meine Kinder bleiben hier im Hause, und glauben Sie mir, wenn ich auch die Frau eines Räubers bin, meine Kinder verlasse ich doch nicht.«
»So habe ich es nicht gemeint, Susi,« sprach Elisabeth gerührt und reichte ihr die Hand, »aber du bist auch krank, und wenn du in diesen kalten Herbsttagen draußen herumgehst, so kann dich ein Unfall treffen.«
»Ich danke,« sprach Susi ergriffen, »aber jetzt fühle ich mich wieder wohl. Wenn ich nur auf das Feld komme, so wird mich die frische Luft schon wieder röthen. Ich kann hier nicht bleiben. Auf Viola ruht ein schwerer Verdacht, ich weiß Alles; der Jude und Andere sagen gegen ihn aus. Daß er im Dorfe war, läßt sich nicht läugnen; seine Bunda hat man hier im Zimmer gefunden, Alles zeugt gegen ihn, und die Leute wissen nicht, daß das, weshalb man ihn anklagt, dennoch unmöglich ist. Ich würde in Qualen vergehen, wenn ich hier bleiben, wenn ich all' das Entsetzliche hören müßte, was sie von meinem Manne reden. Gott segne Sie, Frau Notärin.« Und Susi wandte sich und ging der Thüre zu, die alte Lipták folgte ihr nach.
»Die arme Frau,« seufzte Elisabeth unwillkürlich, und schaute ihr betrübt nach, »sie hat auch ein besseres Los verdient.«
Susi stand schon an der Thüre, da wandte sie sich um und sprach mit Begeisterung: »Ein besseres Los? – Glauben Sie mir, Frau Notärin, wenn ich noch einmal auf die Welt komme und dies Alles voraussehe, was Viola getroffen hat, ich nehme doch keinen Andern; sie können ihn henken und ich werde mich unter den Galgen setzen, und doch meinem Gott danken, daß ich seine Frau war. Ein solches Herz, wie das seine, ist nicht mehr auf der Welt. Gott segne Sie, gestrenge Frau.« Damit ging sie von dannen.
»Ich möchte schwören,« sprach Vándory endlich aufstehend und an das Fenster tretend, an dem Susi und die Lipták eben vorübergingen, »daß Viola unschuldig ist. Ein Mann, den seine Frau nach acht Jahren so zu lieben im Stande ist, kann nicht niedrig sein.«
»Wer weiß!« erwiderte Elisabeth seufzend, »das weibliche Herz ist so sonderbar, die Dornen, zwischen die es geräth, halten es oft fester, als wenn das Geschick es unter Rosen gebettet hätte, aber daß Susi ein Engel ist, das ist gewiß; der Mensch möchte beinahe an der göttlichen Vorsehung zweifeln, wenn er sieht, daß einem solchen Wesen ein solches Los geworden.«
»An der göttlichen Vorsehung zweifeln?« sprach Vándory mit Feuer, »haben Sie denn die Worte nicht gehört, mit denen die Frau von uns Abschied nahm? Die Vorsehung legt die schwersten Lasten auf die edelsten Schultern; aber ist sie bei alldem nicht glücklich? Diese Liebe, die ihr ganzes Wesen erfüllt, die in jedem Schlage ihres Herzens laut wird, die das Leben ihres Lebens ist, gibt sie ihr nicht mehr Genuß, nicht mehr Beruhigung, als wenn um sie alle die Freuden aufgehäuft wären, von denen wir die Bösen oft umgeben sehen? Es ist möglich, daß er diese Anhänglichkeit nicht verdient, dieses gute Geschöpf ist vielleicht getäuscht; aber liegt nicht eben darin das Glück, daß der gute Mensch seine Täuschungen so lang zu bewahren fähig ist, und wenn sein Herz auch einem Unwürdigen geweiht ist, deshalb doch mit edlen Empfindungen erfüllt werden kann, die den Menschen über den Erdenstaub erheben? Glauben Sie mir, Frau Elisabeth, wer so liebt, ist nicht zu bedauern.«
Der Prediger wurde durch Tengelyi unterbrochen, der die Bunda auf den Schultern plötzlich vor den Sprechenden stand. Der Notär war, wie wir wissen, gleich nach dem scandalösen Auftritte beim Votisiren mit Kálmán nach Tiszarét gefahren; unterwegs trafen sie einen der Söhne des Juden Itzig, den sein Vater nach Porvár geschickt, damit er Macskaházy von dem, was vorgefallen, und besonders von des jungen Herrn Verwundung, Nachricht bringe. Dieser erzählte ihnen Alles. Von da an trieben die beiden Reisenden ihre Rosse zur größten Eile bis zu Réty's Schloß. – Tengelyi dankte noch einmal dem jungen Gefährten für seine Herzlichkeit und schritt seinem Hause zu.
»Ist es wahr, daß wir ausgeraubt sind?« sprach der Eintretende und schaute sich im Zimmer um.
»Nur die Casse ist ausgeraubt,« antwortete Elisabeth zitternd, »das Uebrige –«
»Die Casse? die Schlüssel? wo sind die Schlüssel?«
»Wahrscheinlich sind sie noch im Schreibtisch, aber die Lade ist offen.«
Tengelyi warf die Bunda ab und eilte zur eisernen Lade, er warf den Deckel zurück und blätterte in den Papieren. In stummer Unruhe standen die Anderen neben ihm, im Ausdruck seines Gesichtes lasen sie die Größe seines Verlustes. Endlich stand der Notär auf, warf sich auf einen Stuhl und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. »Ich bin verloren,« sprach er mit gepreßter Stimme. – »Meine Schriften sind fort, jetzt kann mir Niemand helfen!« Elisabeth und Vándory boten Alles auf, was, wie sie glaubten, seinen Kummer zu lindern vermochte; er, in stummem Schmerz versunken, antwortete nicht, und nur weil er sein Haupt zuweilen ungeduldig schüttelte, sah man, daß er sie höre.
»Schon gut,« sprach Tengelyi, »schon gut, nur die Schriften sind verloren gegangen, nicht wahr? ich weiß es! Das Geld habt Ihr gefunden, hier ist es gelegen, auf der Thürschwelle, nicht? Aber weißt du, Frau, daß wir nicht adelig sind! Wir und unsere Kinder nicht adelig! Bauern! so etwas, das man verachtet mit Füßen tritt, was keinen Besitz hat, was keine Verdienste haben kann, solche, wie die sind, die in Hütten rund um uns wohnen, keine Fremden, denn sie sind hier geboren, und doch können sie keinen Fleck der Erde ihr Vaterland nennen; denn das Vaterland ist ja was du dein nennen kannst.«
Tengelyi war aufgestanden und ging mit großen Schritten auf und ab, die Uebrigen sahen ihn verwundert an. Endlich blieb der Notär vor Vándory stehen und erzählte kurz, was sich in Porvár zugetragen. »Jetzt weißt du Alles,« setzte er bitter hinzu, »sie verlangen meine Adelsbeweise. Ich bin aus einem anderen Comitat hierher gekommen, mein Vater kümmerte sich als Prediger nicht viel um seinen Adel, meine Rechte waren nie in Zweifel gezogen, und daher hatte ich es für überflüssig gehalten, meinen Adel hier im Comitate publiciren zu lassen, und nun sind die Schriften, mein Adelsbrief geraubt – mein armer Sohn!«
Und der Notar warf sich auf einen Stuhl und bedeckte seine Augen mit den Händen.
»Jónás,« sprach Vándory und legte die Hände auf des Freundes Schulter, »du weißt, daß auch mich Verlust getroffen hat, wie groß er ist, wie sehr dies auf solche Dinge wirken kann, die mir auf dieser Welt vielleicht am meisten am Herzen liegen, du weißt es wohl – aber vertrauen wir auf Gott.«
»Hast du Kinder?« sprach Jónás, Vándory anstarrend, »der Verlust, den du erlitten, wird er die Existenz deines Sohnes gefährden?«
»Ich begreife deinen Schmerz ganz, glaube es mir, Niemand wäre im Stande, den Kummer, den du deiner Kinder wegen empfindest, tiefer zu fühlen, als ich, wenn dich der Unglücksschlag des Schicksals wirklich träfe und du deines Adels verlustig würdest; aber ist denn keine Hoffnung übrig? ist es nicht möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß die Schriften, die dem Räuber keinen Nutzen bringen können, auf einem oder dem anderen Wege zurückkommen, und selbst wenn dies nicht geschehe, kannst du nicht beweisen, daß dir deine Schriften entwendet worden und du und dein Vater alle Adelsrechte genossen habt? Die königliche Gnade und hundert andere Mittel stehen dir offen, den Adel wieder zu erlangen.«
»Die königliche Gnade, einem armen Dorfnotär?«
»Und warum nicht?« sprach Vándory begeistert, »wenn deine Schriften nicht aufgefunden werden, so geh' ich selbst nach Wien, ich werfe mich an den Stufen des Thrones nieder, erzähle den ganzen Fall; wem Gott so viele Macht gegeben, der wird sicher Erbarmen fühlen, wenn er dein Mißgeschick hört.«
»Warum leben wir nicht in der Welt deiner Träume?« versetzte Tengelyi trübe, »die Welt ist nicht so schön! Du in Wien, du ein reformirter Dorfprediger vor des Königs Thron, um einem Dorfnotär den Adel zu verschaffen. Wie glücklich bist du, daß du so lange leben konntest, ohne dir aus des Lebens bunten Märchen die eine traurige Belehrung herauszuziehen, die wir in unserer Lage finden.«
»Du wirst wieder sagen, daß ich ein Optimist bin,« sprach der Prediger, »du glaubst, daß ich, ein armer Prediger, nicht den Muth habe, vor den König zu treten? Besorge nichts. In mir ist Entschlossenheit genug, und das ganze Comitat wird meine Bitte unterstützen. Wer dem König Gelegenheit gibt, durch seine Macht Gutes zu wirken, hat keine Ursache, vor ihm zu erröthen; die Bitte, welche er stellt, ist ein Geschenk, welches er darreicht. Der König steht so hoch, daß der Dorfprediger sich vor ihm jenen großen Herren gleichgestellt fühlen kann, die sonst geringschätzig auf ihn herabsehen.«
Tengelyi sprang ungeduldig auf. »Freund,« sprach er, »der Optimismus ist schön und gut, aber Alles hat seine Grenzen. Das Comitat wird deine Bitte unterstützen? Siehst du denn nicht, daß der ganze Diebstahl kein zufälliges Ereigniß ist, sondern nur ein Theil jenes Planes, mich zu verderben, jenes Planes, den eben die Herren ausgesonnen haben, auf deren Unterstützung du rechnest? Oder glaubst du, es sei etwa zufällig, daß mein Adel, an dem bis jetzt Niemand gezweifelt hat, gerade in dem Augenblicke angefochten wird, in welchem meine Schriften gestohlen werden? Glaubst du, es sei etwa zufällig, daß die ganze Deputation blos aus meinen Feinden zusammengesetzt ist? Dies ist nur alles reines Ungefähr? O, hättest du nur Macskaházy gesehen, wie er am Deputationstische stand, die grauen Augen auf mich geheftet, du würdest nicht so reden. Ich bin das Opfer teuflischer Anschläge; Viola ist nur das Werkzeug, das kannst du glauben. Weil ich mit der Unwürdigkeit nicht in Bund treten, den Unterdrückern nicht zum Werkzeug dienen, weil ich nicht einer der Verfolger werden wollte, mußte man meinen Stolz niedertreten. Mir hilft Niemand.«
»Um Gotteswillen Jónás,« rief Elisabeth, ihres Mannes Hand ergreifend, »mir bricht das Herz, wenn ich dich so hoffnungslos sehe. Denk' an die Vergangenheit; durch wie viel Kummer sind wir hindurchgegangen, wie oft waren wir der Verzweiflung nahe, und –«
Tengelyi's Angesicht überflog der Ausdruck unbeschreiblichen Schmerzes, er drückte die Hand der Frau, die noch in der seinen ruhte, und fragte mit erstickter, bebender Stimme: »Was ist mit Vilma geschehen?«
Elisabeth erbleichte und schwieg.
»Elisabeth,« fragte er noch einmal und starrte sie an, »was ist mit meiner Tochter geschehen?«
Elisabeth erschrak dergestalt über den Ausdruck, der im Gesichte des Notärs lag, daß sie nicht zu sprechen vermochte. Vándory suchte nach Worten, dem Freunde das Geschehene mitzutheilen.
»Also ist es wahr!« rief endlich Tengelyi, die Hand seiner Frau zurückstoßend, »meiner Tochter Ehre bloßgestellt!«
Elisabeth weinte, Vándory brachte der Reihe nach Alles vor, was des Freundes Schmerz hätte lindern können. Ákos' Ehrgefühl, die Liebe des jungen Paares, und daß von Ehrenverletzung gar keine Rede sein könne. Tengelyi stand bleich an den Tisch gestützt, und seinen bebenden Lippen entwand sich kein Wort des Trostes für Elisabeth.
»Freilich, freilich,« so sprach er endlich lächelnd, »Alles ist in Ordnung. Nicht wahr, Vándory, du gehst nach Wien und die Majestät gibt uns Alles wieder zurück, Alles. Wenn es nur einen Ort in der Welt gäbe, wo ein Mädchen seinen guten Ruf wieder zurückerlangt!«
Vándory versuchte wieder ein paar tröstende Worte: daß keine Ursache sei, warum Ákos nicht mit Vilma in Gegenwart der Mutter zusammentreffen sollte, und daß derselbe mit redlichen Gesinnungen ins Haus gekommen.
»Ist er aber in der Weise rechtschaffener Männer in das Haus gekommen?« fiel Tengelyi mit steigender Bitterkeit ein, »wenn man hört, daß er heimlich von Porvár weggeritten ist, daß er in finsterer Nacht einem Diebe gleich sich in mein Haus geschlichen hat, wohin es ihm nach meinem ausdrücklichen Willen zu kommen nicht erlaubt war, daß er um Mitternacht hier bei meiner Tochter gewesen; wer wird da an seine ehrlichen Absichten glauben?«
»Die Zukunft wird dies am besten beweisen,« sprach Vándory ruhig. »Wenn Vilma Frau von Réty heißen wird, wer darf ihr dann etwas nachreden?« Elisabeth wiederholte leise diese Worte.
»Wenn sie Réty heißen wird, nicht wahr, Frau?« so sprach Tengelyi zürnend gegen Elisabeth, »und du wünschtest es, und du hast vielleicht, als dies Alles geschah, dich gefreut, daß nun Ákos fest gebunden ist? Und weißt du, daß du auf das Unglück deiner Tochter gerechnet hast, daß sie einst deinem Andenken fluchen wird? Denn du hast deiner Eitelkeit ihr Lebensglück geopfert. Meine Tochter Frau von Réty, weil ihre Ehre verunglimpft worden, weil Ákos keinen anderen Ausweg hatte? Mit Verachtung wird sie empfangen werden, wenn sie in das Haus tritt, mit Haß von den Verwandten, die sie nicht aufnehmen in ihren Kreis, sondern nur dulden, herausgerissen wird sie aus ihrer natürlichen Stellung, eine Dienerin sein, die der Gemahl aus Gnaden aufgenommen, deren Anblick ihn nur an den Zwang erinnert, unter dem er sie zum Altar geführt, und nicht an die Liebe, der er ihren Besitz dankt; – Du hast dein eigenes Kind unglücklich gemacht!«
Elisabeth weinte.
»Weine, weine, unglückliche Frau,« sprach Tengelyi leidenschaftlich, »es gibt nicht Thränen genug, dein Vergehen wegzuschwemmen. Gab es ein besseres, liebenswürdigeres Kind auf der Welt, und was hast du aus ihr gemacht? Sie war der Stolz meines Lebens, mein Herz verjüngte sich bei ihrem Anblick, ich vergaß die Vergangenheit, ich begann die Menschen beinahe wieder zu lieben, wenn ich unter ihnen wandelnd in jedem Worte das Lob meines Kindes vernahm – und jetzt! Wenn ich nun erröthen, die Augen niederschlagen muß wie ein Verbrecher, wenn Vilma erwähnt wird ...«
»Um Gotteswillen sei barmherzig,« sprach Elisabeth, und hielt sich schwankend an einem Stuhl, »wenn du mich liebst, wenn du mich je geliebt hast.«
»Wenn ich dich geliebt habe! Der Allmächtige weiß es, wie ich dich geliebt! Hast du seit dem ersten Tage unserer Ehe nur ein bitteres Wort von mir gehört, hattest du einen Wunsch, den ich nicht erfüllt? Und was thatest du für so viel Liebe? Du kanntest meine Ansichten, ich bat dich, du möchtest den Ákos nicht in unserem Hause empfangen, du versprachst es und in dem Augenblicke, als du es versprachst, war der Plan, mich zu hintergehen, schon fertig. Ákos wußte den Tag voraus, an dem mein Gebot übertreten werden sollte, du hast deine Tochter abgerichtet, wie sie ihren Vater betrügen soll, und während ich vertrauend das Haus verließ und entfernt mich des Augenblickes freute, der mich wieder zurückbringen sollte in den Kreis jener Wesen, auf die ich bauen kann in dieser Welt, habt ihr Euren Gast erwartet, nur dies Eine wünschend, daß ich nicht vor der Zeit nach Hause kommen möge. So hast du meine Liebe gelohnt!«
»Gott sieht meine Seele, Jónás, das hab' ich nicht von dir verdient.«
In Tengelyi's Augen loderte wildes Feuer auf. »Sprich nicht zu mir,« rief er außer sich, »wenn du nicht willst, daß ich den Augenblick verfluche, an dem ich mit dir vor den Altar und in dies Haus getreten bin.«
Tengelyi konnte nicht fortfahren, denn die Thüre des Nebenzimmers ging auf, Vilma kam mit raschen Schritten auf ihren Vater zu, sank zu seinen Füßen und flehte: »Vater!«
Jónás, den an diesem Tag so Vieles getroffen, der seine bürgerliche Existenz vernichtet, die väterlichen Empfindungen verletzt, der sich von dem einzigen Wesen, dem er vertraute, hintergangen sah, vermochte über den Trümmern seines bürgerlichen und häuslichen Glückes seine Gefühle nicht zu besiegen, und seine Leidenschaft brach ebenso heftig aus wie früher sein Schmerz. Vilma's weiche Stimme gab seinen Empfindungen eine andere Richtung, die zum Fluch erhobene Hand senkte sich mild auf des Kindes Stirn, das harte Wort erstarb vor dem sanften Mädchen, das seine Kniee umschlang und flehenden Blickes aufschaute zu dem unglücklichen Vater.
»Verzeihst du deiner Vilma?« sprach das Mädchen leise.
»Komm an mein Herz,« rief Tengelyi das Mädchen aufhebend, und Vater und Tochter hielten sich weinend umschlungen.