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Winter

. Vom Steglitzer Ratsturm schlug die Uhr vier, als Martin Melcher und Frau Isolde aus dem Weichbild des Städtchens ins Freie traten.

Die weiten, weiten Felder waren unter Schnee begraben. Vor ihnen in einer Talmulde träumte Schmargendorf. Die Luft war so klar, daß man beinahe jedes einzelne Fenster erkennen konnte. Ganz hinten stand der Grunewald wie eine grün-schwarze Mauer.

Langsam gingen sie den Landweg hinab, dessen feste Schneekruste unter ihren Füßen knarrte.

Purzel, ihr kleiner Terrier, fror furchtbar: er hob bei jedem Schritt die Beine hoch auf und wimmerte kläglich.

»Armes Vieh! Er friert so. Ich werde ihn doch auf den Arm nehmen.«

»Ach laß ihn nur: er gewöhnt sich bald daran.«

Aber Purzel gewöhnte sich nicht daran. Er klagte mit unterdrückten, zitternden Schmerzenslauten. Und es war ihr gar nicht klar, ob es Mitleid mit seiner Herrin war oder das Kältegefühl. Es war aber wohl nur dies; der glattgefrorene Schnee brannte gewiß seine verwöhnten Pfoten.

Sie beugte sich nieder und nahm das Tier auf den Arm.

»Wie schön das ist,« begann er nach einer Weile. »Wer das malen könnte: diese blauen Schatten auf dem Schnee, dies Luftflimmern über der weiten Fläche!«

Dann schwiegen sie wieder. Keiner schien die rechten Worte zu finden. Die rechten – das waren die, die nicht schmerzten.

Langsam durchschritten sie die Dahlemer Dorfstraße, bogen an der alten, verwitternden Kirche um und näherten sich dem Grunewald. Der hatte seine Farbe verändert; auf dem weißen Grund standen die Bäume wie metallene Säulen; die Kronen waren die Kapitäle, und sie waren bizarr und seltsam verschlungen, fast unheimlich; wie in alten deutschen Kathedralen.

Er ging schweren Schritts und gesenkten Hauptes.

Vor seinem Auge erschien immer wieder das blutige, eingesunkene Antlitz von Jens Peter Pronitz. Er spürte: er würde den Anblick nie los werden. Drohte das Schicksal oder warnte es?

Von dem Weib an seiner Seite trennte er sich nun für immer. Würde sie leiden müssen?

Zuerst wohl. Aber lange würde es nicht dauern.

»Ihr Herz ist weich, und schnell und tief schreibt sich da etwas ein. Schneller und tiefer als in Wachs. Aber die Schrift verwischt sich auch ebenso leicht. Jetzt glaubt sie noch an mich. Und hängt an mir. Wie lange noch? Jedes Gläserklingen wird den Ruf nach mir übertönen–… Ehe der Sommer kommt und die weißen Rosen von Tegelort aufblühen, wird sie mich vergessen haben–…«

»Nein, nein,« sagte eine andere Stimme, »eine Frau, eine rechte Frau vergißt den Mann ihrer tiefsten Liebe nicht. Sie wird dich nie vergessen.«

»Ach,« höhnte die erste, und die klang jetzt wie die Stimme Zelewskis, »man soll nie ›Nie‹ sagen! Und geh mir doch mit den sogenannten ›Opfern‹, die das Weib bringt! Das überschätzt der Mann ja so gern. Er steigt ja auf seiner eigenen Börse, im eigenen Kredit, wenn just er es war, dem die Schätze Eldorados anvertraut wurden.«

Sie ließ plötzlich das Tier zur Erde gleiten und lehnte sich an das Wildgatter.

»Ich kann nicht weiter.« Sie hielt das Tuch vor die Augen. »Nun ist's bald Weihnachten. Und ich hatte es mir so schön gedacht!«

»Was?« fragte er und wunderte sich selber über die Schärfe, die in seinem Ton lag.

»Ach, nichts. Es ist nun ja doch alles vorbei.«

Und nun schwieg sie. Denn sie hatte in sein gefurchtes Gesicht gesehen. Und wußte nun: es ging nicht anders. Sie biß die Zähne zusammen und ging mit kurzen, festen Schritten weiter.

Links schauerte der Grunewald, und die Birken an der Straße bogen sich wie unter unsichtbaren Fäusten. Nun kam das Dorf mit seinen alten, einfachen Landhäuschen, die scheu zu den modernen geputzten Palästen emporsehen – Nun lag auch das Dorf hinter ihnen und es kam der Landweg, der zum Bahnhof führte.

Isolde seufzte. Was würde und mußte nun kommen? Sie würde alle ihre Sachen nehmen und von Ferdinand fortgehen und allein bleiben. Irgendwo. Sie würde zu arbeiten versuchen – Sie zu arbeiten?? Ach, nein, sie würde langsam versinken–… Sie spürte es deutlich. Sie sah ein Bild: ein weites Moor, aus dem sich zwei Arme reckten, die Arme einer Versinkenden, ihre feinen, weißen Arme mit den blauen Äderchen am Gelenk und am Puls–…

Sollte sie ihrem Geschick dankbar sein, daß es sie das gelobte Land der Liebe hatte sehen lassen?

Denn sie würde nie wieder froh werden–… Hände würden sich nach ihr ausstrecken, o ja – denn sie war ja schön, schöner als je; Lippen würden auf den ihren brennen; heiße Augen Funken zu ihr hinübersprühen. Sie würde Stunden schwüler Seligkeiten leben. Aber mitten drin – das wußte sie – würde sie jäh nüchtern werden, wie einer, dem trunkene Genossen den Eiskübel vom Champagner-Gelage jäh über den Kopf stülpen: sie würde dann ihr Elend sehen!!! An jedem Tag. In jeder Nacht. Sie würde sie alle mit ihm vergleichen und sich schlecht und verachtet und niedrig vorkommen. Und dann würde eine Stunde kommen, wo sie alle Kleinodien, alles, was diese Liebe ihr mit beiden Händen täglich gegeben, in den Kanal werfen würde–… und–… sich–… dazu–… Und das letzte Wort würde sein: »Martin!«

Hu, wie häßlich sie sein würde, wenn man sie herausfischte!–… In dem rotgoldenen Haar, das wie die Abendsonne war, hing vielleicht ein zappelnder Stichling, der sich darin verfangen hatte – der letzte, der sich bei ihr verfing – sie lächelte ein kurzes Lächeln bei diesem Gedanken – – und ihr zarter Leib war dann aufgedunsen und blau angelaufen und jeder Student der Charité könnte Zoten reißen–… Mußte alle Schönheit, die man zu vergeben hatte, zu Schmutz werden?

Aber am Ende konnte sie ja bei Ferdinand Kraatz bleiben? Er würde froh sein und sie ruhig dahinleben lassen, ohne Sorge, ohne Sturm.

War das nicht noch schlimmer?

Sie blickte in Martins ernstes, durchfurchtes Gesicht, in dem die Augen so tot lagen: sie sah das Opfer, das er mit diesem Schritt sich selber brachte.

Und im gleichen Moment sagte ihre Frauenlogik: Wenn es ihn schmerzt, liebt er dich ja noch! Liebt er dich – noch!

Sie rührte einen Augenblick seinen Arm an. Aber er faßte nur ihre Hand fest und sagte: »Ja, Isolde!«

Da schämte sie sich ihrer Schwäche.

Ach, sie war doch recht feige.

Als sie sich dem Schmargendorfer Bahnhof näherten, faßte er sie sachte unter dem Arm. Wie früher. Sie lächelte still.

Die Sonne ging zur Rüste. Die Fenster des kleinen Dienstgebäudes sahen auf Augenblicke wie vergoldet aus.

Isolde lehnte sich fest an ihn. Ganz fest.

»Du hast mir das Beste meines Lebens gegeben und mir das Böseste angetan. Ich danke dir für beides, Martin.«

»So ist's recht. Tapfer sein!« Er sagte es laut. Denn er spürte, wie seine Stimme zitterte.

»Ich denke immer daran,« begann sie wieder, »wie du nun bald berühmt sein wirst. Ich werde stolz auf dich sein! Und schreib deine pariser Adresse. Ich schicke dir dann –«

»Was?«

»Eine Locke.«

Er küßte ihre Hände. »Dank.«

Sie bot ihm die Lippen.

»Nicht den Mund! Nicht den Mund!«

»Doch! doch!«

»Nicht so schwer machen, du!«

»Also adieu denn so! Auf Nimmerwiedersehen!«

Eine kurze Weile zögerte sie noch: als könnte irgendeine Schicksalsfügung eingreifen, daß alles wieder gut würde.

Dann ging sie schnell fort, eilte ins Gebäude, löste das Billett und jagte die Treppe zum Perron herunter. Der Zug kam eben an.

Hastig stieg sie ein und nahm Purzel auf den Schoß. Seine braunen Augen sahen sie dumm und traurig an. Als er sich bei einem stärkeren Ruck des Zuges näher an sie drängte, nahm sie seinen kleinen Kopf zwischen ihre Hände.

»Mein armes Vieh!« sagte sie mit Tränen in den Augen. »Was wird das nun mit uns beiden werden?«


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