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Leo Fresenius hatte mit dem Lyriker das gemeinsame Geschick, zwei elektrische Bahnen an der Charlottenstraße vollbesetzt nach Tegel abfahren zu sehen.
Sie beschlossen, den Vorortzug vom Stettiner Bahnhof zu benützen.
Auf dem Weg dorthin und später im Coupé sprach Fresenius eigentlich nur von der schönen Frau. Der Lyriker hatte mit einer Frage nach ihr das Thema angerührt, und Fresenius war in seinem Element. Er wußte nicht, daß der junge Mann sie schon flüchtig kannte, und spielte mit innerer Befriedigung die Rolle des Protektors, der den Novizen in unbekanntes Land führt. Er liebte so etwas.
»Sie werden erstaunt sein. Einfach verblüfft, enthusiasmiert. Ein Weib, sage ich Ihnen, ein Weib –!« Ihm lief anscheinend das Wasser im Munde zusammen. »Sie wissen schon, was ich meine, nicht wahr?«
Eine Weile suchte er nach einem passenden Vergleich aus der Welt des Zuhörers. Aber da er keinen fand, griff er in ein ihm bekannteres Gebiet und sagte mit Faunlächeln: »Wie aus dem Dekameron. Sie kennen ihn doch? Wenn Sie ihn nicht besitzen, müssen Sie sich ihn unbedingt anschaffen. Ich vermittle es gern. Ja, wie aus dem Dekameron.«
»Und er?«
»Er?«
»Ja, der Doktor.«
»Auch wie von Baccaccio! Sie passen in dieser Beziehung famos zusammen. Stil!–… Über seinen Doktortitel bin ich übrigens nicht ganz klar. Muß ihm mal auf den Zahn fühlen. Ich würde ihm übrigens nicht mal meine Hauskatze anvertrauen. Aber Geld hat er. Wie Mist. Wie Mist. Sonst hätte er ja auch in unserem Kreise keine Berechtigung.
Sie hat übrigens eine Vergangenheit, mein Lieber! Nicht bloß so 'ne Vergangenheit, wie sie jede Dame hat, wo zwölf auf ein Dutzend gehen. Sondern 'ne richtige. Sie war –« (hier dämpfte er seine Stimme zum Flüstern herab) »– Chansonette! Na, was sagen Sie nun?«
Der Lyriker sagte nichts. Denn er wußte es schon lange.
»Er heiratete sie gerade weg von der Bühne. Höchst anständig, was? Sie hatte damals ein entzückendes Figürchen. Ich sah sie mal als Italienerbuben: braunes Jackett, dunkle Samthöschen und schwarze Strümpfe. In diesen Höschen hat sie ihn bezaubert: die Büchse der Pandora – au! Aber alles, was recht ist, sie hat sich als Chansonette so anständig gehalten, wie man das bei diesem ehrbaren Beruf halt kann. Und auch jetzt kann ihr der Neid nichts nachsagen. Aber ich traue dem Frieden nicht. Was meinen Sie?–… Er, der Auserwählte, meint es jedenfalls. Er ist enorm eifersüchtig. Bringt sie deshalb auch niemals mit. Und aus diesem Grund wohnen sie auch wohl in diesem schönen, aber unzugänglichsten aller berliner Vororte–… So, Gott sei Dank, da wären wir!«
Als sie an der Villa anlangten, die dicht am Wald lag, saß die ganze übrige Gesellschaft im Vorgarten.
Martin Melcher stimmte eben eine Laute ab. Eine Laute an einem langen blauseidenen Bande. Sie gehörte der Hausfrau. Fresenius erfragte es und zwinkerte dem Lyriker zu.
Die Herren gingen nach oben – auf des Doktors Aufforderung hin. Seine Frau folgte, um nach dem Essen zu sehen.
Inzwischen trank man ein Glas Sherry, den Kraatz als das bekömmlichste Getränk anpries.
»Namentlich, wenn man Kaviarbrötchen dazu ißt,« bemerkte Fresenius ungeniert.
»Gewiß, gewiß,« bestätigte der Doktor. Er hatte nicht verstanden.
Aus dem Winkel des Ecksofas her duftete die Capstan-Zigarette von Julius Marcuse. Er war Kunstwissenschaftler und hatte sich an den Kreis seit dem Vortrag der Renaissance-Verse angeschlossen. Es war das Einzige, was ihn an jenem Vortragsabend interessiert hatte, – wie Renaissance überhaupt das Einzige war, was ihn interessierte. Und seit Pronitz ihm von seinem Renaissancedrama »Isotta« gesprochen, an dem er schrieb, hatte er ihn mit Beschlag belegt.
Pronitz hörte ihm gerne zu. Denn der kleine, unglaublich häßliche Jude war ein Meister des Stils. Seine Abhandlungen verwandelten sich in formvollendete, feingeschliffene Kostbarkeiten, in denen sich die wilden, roten Zeiten der Renaissance, die matten, violetten des Rokoko, die luftleeren, umgoldeten des Trecento konzentrierten und schimmernde Reflexe entsandten.
Jetzt drehte er gerade an seinem schwarzen Knebelbärtchen und sprach langsam und laut, als stände er auf dem Katheder: »Renaissance, mein Lieber, das ist eine Sache, an der man sich noch als Nachgeborener die Finger verbrennt. Kennen wir denn die Renaissance überhaupt? Doch nur auf Umwegen! Aus einer Übersetzung, sozusagen. Schon das Wort ist eine Übersetzung: warum gebrauchen wir nicht ein italienisches Wort für eine italienische Sache??–… Da haben wir gleich den Kardinalfehler: wir sehen alles durch die französische Brille. Wir sehen lauter Hugo'sche Dramen, voll Pathos und Perlen und heimlicher Hinrichtungen. Wenn man die Sache studiert, ist sie herzlich durchschnittlich. Die Menschen sind dumm und roh und mordslangweilig. Was gibt's denn an Literatur im Quattrocento??–… Nur paar sind interessant. Aber die lohnen freilich ein Lebensstudium.«
Er lehnte sich zurück und sah in die Luft. In den Zimmerwinkel am Ofen. Als zögen dort die »paar interessanten« Renaissancemenschen vorbei.
»Cesare Borgia, der › rè d'Italia‹, war einer. Denken Sie nur, wie wenig, wie lächerlich wenig die Frau für diesen universellen Menschen bedeutet. Wir Modernen staunen–… Sein Vater – Papst Alexander – war immerhin sentimental genug, sich zwanzig Jahre lang von der Vanozza fesseln zu lassen. (Da erst löste Julia Farnese sie ab, die Schwester des Tanzkardinals, des späteren Papstes Paul III.)
In Cesares fieberndem Leben hat das Weib nie mehr als eine Augenblicksrolle. Und kaum die. Ob er der Geliebte seiner Schwester Lucrezia war, ist nicht erwiesen und auch herzlich gleichgültig. Aber man denke an die Orgien am päpstlichen Hofe. An das eroberte Kapua, wo er unter den in der Burg zusammengeflüchteten Frauen seine Wahl trifft und aus den vierzig Schönsten seinen Harem ergänzen läßt. Oder an seine Stellung zu seiner Frau, der Charlotte d'Albret: uns ist der Brief erhalten, in dem er mit seinem Vater mit schmutzigem Lächeln das Intimste ihres Zusammenseins bespricht.
Aber er kann mehr als das. Er kann wundervoll hassen! In Sinigaglia läßt er seine besten Condottieri abschlachten. Mit dem Degen in der Faust verfolgt er den spanischen Erzbischof und durchsticht ihn am Sessel Alexanders, daß das Blut den Papst bespritzt. Er läßt seine Gefangenen wie ein vereidigter spanischer Inquisitor foltern und martern. Er bricht mit seinem Feldhauptmann Michelotto in das Zimmer des genesenden Alfonso und läßt ihn dort in Gegenwart der Frau erwürgen. Er mißgönnt dem Feinde jeden Atemzug und vergißt nie den finsteren Borgia-Spruch: Nur die Toten kehren nicht wieder!
Aber er kann mehr als töten! Pinturicchio malt seine Säle aus; Humanisten widmen ihm Werke; er kauft Michelangelos ›Cupido‹, den er richtig taxiert. (Kardinal Riario Sforza hält das Werk für eine Antike.) Lionardo da Vinci ist sein Festungsingenieur. Er schreibt griechische Verse und spielt die Laute wie ein Meister.
Macchiavell, der feinste Kopf der Renaissance, schätzt ihn, den › gran connoscitore della occasione‹, und webt die ewige Gloriole um sein Haupt, das den großen Königsgedanken hatte: die Einigung Italiens!
Wäre sein Traum Gestalt geworden, wie anders sähe Europas Geschichte aus! Es hätte keine kirchliche Inquisition, keinen dreißigjährigen Krieg, keine Vorherrschaft Frankreichs gegeben. Und die deutsche Reformation wäre überflüssig geworden.
Um die Zeit, deren Kind er war, zu verstehen, vergesse man nicht, daß der Mönch Savonarola dem Papst zum Tod seines ältesten Sohnes ein schwärmerisches Kondolenzschreiben schickte!
Savonarola–… Auch so ein Name voll elektrischer Spannung! Was hat man nicht alles in ihm gesehen! Einen Prediger des Katzenjammers der Renaissance-Trunkenheit – einen Demokraten großen Kalibers. Diese Deutungen verkennen seine Grundlagen: er war eine Herrschernatur!
Darum rebelliert er gegen die vornehme Souveränität Lorenzos gleichermaßen wie gegen die brutale Despotie Pieros. Darum der Entwurf seiner fast kommunistischen Verfassung. Und denken Sie an die Energie, mit der er an dem soliden Prachtbau seiner Epoche rüttelt und ihn in Trümmer verwandelt! Wie hätte das Einer leisten können, der nicht Wille zum Leben hatte, der nicht mehr war als ein keifender Mönch!
Er wollte Florenz für sich! Und hätte es bewacht und behütet wie nur je ein eifersüchtiger Liebhaber–… Er wußte, daß es absonderlicher Listen bedurfte, um die Vielumworbene zu erobern.
Denken Sie nur an den Überschwang des Lebens damals! Es ist die Zeit, wo Tore und Häuser bekränzt wurden, wenn eines Meisters Bronzeguß fertig war, und wo Kirchenfürsten sich Harems hielten. Mit einem Kernwort: papriziertes Hellas. – Und diese Zeit zwingt Savonarola.
Er zwingt sie durch das Gegensätzliche: er schimpft in maßlosen, gallebitteren Invektiven, wo die Rhetoriker näselten und flöteten. Er rast, wütet, blitzt, donnert, wo sonst die anderen flüstern. Er ist Dynamit, wo sonst nur Feuerwerk ist.
Das war was für den Hofpöbel an Lorenzos Hof! Das verblüffte und interessierte sie. Und wie's überall geschieht, wo von des Gedankens Blässe angekränkelte Naturen einer soliden Energie gegenüberstehen: sie wurden Jünger, Anhänger. Ein ganz einfaches Rezept, meine Herren.
Diese Energie war so stark, daß sie noch nach seinem Tode nachwirkte. Rafael malte ihn zehn Jahre nach seinem Tode in der ›Disputa‹ in den Stanzen des Vatikan! Die Stelle, wo sein Scheiterhaufen stand, wurde jahrhundertelang vom Volk mit Blumen geschmückt. Und der Historie Ironie will es, daß die Mittel, die ihm zum Zweck gerade recht waren, am tiefsten nachwirkten: daß die Künstler sein Asketentum so bitterernst nahmen, daß sie sich der Erdenschönheit schämten! Botticelli, Fra Bartolomeo, Lorenzo di Credi wurden Anachoreten. Pinsel und Meißel waren nur da, um Heiligenlegenden und biblische Mären zu verbildlichen. Bis im Norden eine rauschende Farbensymphonie vernehmbar ward. Bis Tizian kam!«
Er blickte zu der kleinen Reproduktion von Tizians »Verführung zur Liebe« empor, unter der in Goldlettern der alte dumme Titel: »Himmlische und irdische Liebe« stand. Sein Knebelbärtchen schien sich zu sträuben. Er lächelte listig.
»Das Buch ›Tizian‹ muß noch geschrieben werden. Aber ich werde mich hüten. Es würde konfisziert werden. Casanova war ein Stümper dagegen, ein fades Lebemännchen aus Europa W.
In dieser Eigenschaft nimmt er unter Ihren Renaissance-Größen eine ganz eigene Stellung ein. Der Lyriker deutete es neulich in seinen Versen nur an. Denken Sie mal nach. Michelangelo, bei dem alles kondensierte Leidenschaft ist, schreibt schluchzende verzweifelte Briefe an einen jungen, unbedeutenden Menschen. Uns ergreift Scham für ihn. – Rafael, der Gentleman und Höfling, genoß schweigend. So diskret, daß er einer närrischen Zeit als körperlos galt. Und wir wissen doch, daß er von Verwandten verlobt wurde, damit seine Debauchen ihm nicht über den Kopf wuchsen. – Den Lionardo reizt das Geistige, Unweibliche im Weibe. Die krause Linie, der Rösselsprung, den man erraten möchte. Siehe Monna Lisa. – Andrea del Sarto ist als schmachtender Liebhaber und betrogener Gatte eine ein bißchen komische Erscheinung. – Correggio ist weiter nichts als ein Philister, in seiner behaglichen Ehe mit Gironima Merlino.
Tizians Liebesleben hat etwas Goethesches. Nur: daß er nie seine Köchin geheiratet hätte–… Kalt, berechnend und doch gern dem süßen Schauer des Blutes untertan. Sehen Sie nur den Blick seiner Venus da oben! Mit souveränem Lächeln nimmt er die Kränzlein vom Haupt der Venezianerinnen, immer rechtzeitig ein Ende machend. Ein echter ›Lebemann‹ – auf alle Fälle der ästhetisch wertvollste, den wir kennen.
Er hätte sich ja auch gar nicht im Irrgarten der Amouren verirren dürfen. Wie hätte er sonst diese gewaltige Lebensarbeit leisten können! Neunzig Jahre alt, malt er noch die grandiose ›Verkündigung‹ in San Salvatore in Venedig.
Mit neunundneunzig Jahren stirbt er. Und auch da ist es kein Erlöschen der Kraft, sondern ein Zufall: die Pest, die Venedig durchrast, erwürgt auch ihn–… Ich habe mich manchmal gefragt, ob er nicht heute noch lebte, wenn ihn nicht die tückische, wahllos vergiftende Seuche erfaßt hätte–… Ja, es gibt Übermenschen, was unsere Herren Reporter auch spötteln mögen. Machen Sie's nach, meine Herren!«
Wieder flog sein Lächeln über sein Gesicht: verschlagen, witzig, aggressiv, überlegen, so überlegen, daß es fast schon wieder umbog und gutmütig wurde. Wie Tizian und Aretino sich angelächelt haben mögen.
Amanda Zelewski war mit Lucy im Vorgarten geblieben.
Als sie endlich nach oben kamen, begegnete ihnen auf der Treppe ein kleines, strohblondes, sehr dumm dreinschauendes Mädchen.
Der eine Zopf hing ihr in langen Strähnen herunter. Frau Amanda machte sich sofort an sie heran und flocht ihn ihr, leise lächelnd. Als sie fertig war, küßte sie die Kleine, die ihr verwundert nachsah.
»Du wärst wie geschaffen zur Mutter,« sagte Lucy in einem ihrer plötzlichen Einfälle. »Warum bist du's nicht, so gesund wie du bist?« Ihr Blick überflog die gesunde und festgefügte Gestalt der Freundin.
Amanda sah sie erschrocken an. »Ein Kind? Um Gottes willen? Wenn ein Kind bei uns käme, was wäre das für ein Elend, ein Elend! Wie sollte ich dann wohl arbeiten können?«
Lucy folgte ihr kopfschüttelnd in das Zimmer zu den anderen.
Sie hatte das unklare, erbitternde Gefühl, daß dieser Frau etwas Unrechtes geschähe, und sie flüsterte ihr erregt zu: »Warum hast du ihn denn geheiratet? Du stehst doch wirklich besser allein da! Laß ihn doch!«
Ein tiefes mütterliches Lächeln ging da über das Gesicht der jungen Frau. »Ihn lassen? Er braucht mich doch!!« Und nach einer kleinen Pause: »Es ist doch auch etwas, Frau zu sein. Man ist doch was! Ich wünsche es dir auch so sehr.«
»Ich werde mal mit Jens Peter reden. Soll ich?«
»Es nützt nichts. Laß nur!«
»Er ist aber doch im Grunde ein guter Kerl.«
»Na, du wirst ja sehn.«
Pronitz sprach mit Frau Isolde, als Amanda ihn anredete. Es ging nicht anders – er folgte ihr in einen Fensterwinkel.
»Ich habe nämlich eine Gewissensfrage an Sie zu richten. Wie stehen Sie zu Lucy? Ich meine: wann heiraten Sie?«
Er antwortete lächelnd: »Übers Jahr!«
Sie konnte nicht weiter in ihn dringen. Denn Martin Melcher hatte die Laute gestimmt und sang das Lied von dem » Bouquet de deux sous«. Alle gruppierten sich um ihn und summten den Refrain mit.
»
Cher petit bouquet de deux sous
Qu'à notre premier rendez-vous
Ma tendre amante
M'offrit, avec un regard doux,
En me disant: ›Il est pour vous.‹
Toute tremblante–…«
Konnte er eigentlich Lucy heiraten? Er hatte nie darüber nachgedacht. Jetzt, wo sich die Forderung leibhaftig vor ihn hinstellte, sah er ihr prüfend ins Gesicht und verneinte sie restlos.
Er hatte mit Lucy nichts gemeinsam als den Rausch einiger Stunden.
Und selbst daran mochte er sich kaum erinnern. Es war nicht der Rausch gewesen, der zu den Sternen emporträgt; nein, der andere, der einen taumeln läßt und das Hirn verklebt: es war wohl, bei Licht besehen, nur ein Sich-Betrinken gewesen, kein Sich-Berauschen. Er war damals der Gefahr des Einsamsten unterlegen. Heute wußte er das.
–… Cher petit bouquet de deux sous,
Ah! pourquoi me rappelez-vous
Son existence?
Elle est absente au rendez-vous;
Maintenant je pleure sur vous
Son inconstance!–…«
Hatte er sich Vorwürfe zu machen? Hatte er ein häßlich Spiel mit ihr getrieben? Nein. Sie war ja kein Kind. Sie war ein Jahr älter als er und – o – mit allen Wassern der Großstadt gewaschen.
Und wieviel er ihr gegeben hatte! Er hatte den ehrlichen Versuch gemacht, ein leer, in geraden Linien dastehendes Gestell mit Ton zu verkleiden und eine schöne menschliche Erscheinung daraus zu schaffen.
Nein, er war nichts schuldig.
Und lockte dort in der Ferne nicht ein fremdes schönes Gesicht?–… Wie köstlich Frau Isolde heute war!
Das würde nun immer, immer so sein. Der Weg seines Herzens ohne Ende–…
Das war sein Glück und sein Leid gleichermaßen–…
Dadurch gewann er tausend Seligkeiten und Hoffnungen, und tausend Speere rannten sich in seine Brust–…
Würde einer darunter tödlich sein?
»
–… Chers petits bouquets de deux sous,
D'elle, pourquoi me parlez-vous?
Douleur suprême!
Vous réveillez mon coeur jaloux;
Je ne puis vous cacher, a vous,
Combien je l'aime–…«
* * *
Bah, einmal mußte es kommen. Aber bis dahin, Jens Peter –
Es war totenstill im Zimmer.
Der Lyriker rief zu Melcher herüber: »Schläfst du ein?«
»Ja, spielen Sie doch weiter,« bat Frau Amanda, die nichts vom Text verstand. »Es ist so schön und es geht gewiß noch weiter.«
»
–… Chers petits bouquets de deux sous,
A votre langage si doux,
On s'habitue.
Pourtont, ô perfides joujoux,
Sous vos attraits que cachez-vous?
L'amour qui tue!!–…«
Alle klatschten.
»Herr Melcher scheint verliebt zu sein,« sagte die schöne Frau neckend. Und einen Augenblick flammte ihr Blick zu ihm hinüber.
Er errötete und machte sich an der Laute zu schaffen.
»Immer dies schmalzige Zeug,« grunzte Zelewski. »Spiel doch mal das vom Herrn Sergeanten, der in das Kämmerlein stieg!«
Seine Frau sang halblaut den Refrain: »Es wird auch wohl beim Küssen – Nicht immer geblieben sein – – –«
»Nein,« sagte Lucy mit herausforderndem Lachen. »Dabei wird's nicht geblieben sein.«
Pronitz zuckte zusammen. Er hätte sie schlagen mögen. Zelewski und Fresenius lachten.
Melcher war durch das dunkle Nebenzimmer auf den Balkon gegangen und sog den Kiefernduft in tiefen Zügen ein. Der Wald stand schwarz und schwer. Voll tiefer Geheimnisse.
Lachte dort im Zimmer nicht Isolde?? Raschelte dort nicht ihr Kleid?? Nein. Es war nichts.
Sein Blut war heiß und quälte ihn.
Er ließ sich auf dem niedren Hocker nieder und stöhnte.
Warum hatte er das Lied gespielt, vor ihr gesungen? Am liebsten hätte er sich über die Brüstung geschwungen und wäre auf und davon gerannt in den Wald hinein, in die Heide –
Plötzlich ging die Türe nebenan, und das Licht wurde angeknipst. Eine Flamme.
Er stand auf.
Frau Isolde Kraatz ging auf das offene Fenster zu, nicht nach der Balkontüre.
»Hier findet man Sie?«
Der helle Fensterrahmen stand wundervoll zu ihrem Gewand.
Er starrte sie an und sprach etwas.
Aber seine Worte wurden leiser und unverständlicher.
Er trat näher, um die Arme nach ihr auszustrecken.
Da tönten von drinnen Schritte.
Fresenius kam mit großer Grandezza auf die Hausfrau zu und behauptete, er hätte eben gewettet, daß er die Hausfrau als Tischdame bekäme. Seine Frau, die ein weiblicher Othello sei, könne heute nicht gefährlich sein, da sie durch holde Abwesenheit glänze.
Frau Isolde lachte.
»Da haben Sie aber die Wette verloren, Herr Fresenius, so leid es mir tut. Aber ich habe eben Herrn Melcher diese zweifelhafte Ehre zuerteilt.«
Martin Melcher trat ins Zimmer und bot ihr den Arm.