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Die beiden Geliebten

. Frau Isolde ordnete vor dem großen ovalen Spiegel im Atelier ihr Haar.

Martin Melcher stand hinter ihr.

Sie neigte kokett den Kopf zurück und lächelte: »Was siehst du jetzt, Liebster?«

»Mein Glück.«

»Was noch mehr?«

»Die Erfüllung meines Traumes.«

»Und –«

Er küßte sie. »Noch mehr, du Quälgeist?« Und durch ihr schimmerndes Haar fahrend: »Lorelei!«

Sie lachte. »Und kämmt es mit goldenem Kamme–… Der hier ist von Zelluloid. ›Unzerbrechlich‹ steht hier drauf. Und drei Sprossen sind schon heraus!«

»Und singt ein Lied dabei–…«

»Was wohl für eines?«

»Ach, kein gutes.«

Er wurde plötzlich ernst und ging langsam auf und ab.

Eine Weile sah sie ihm erstaunt nach; dann steckte sie ihr Haar auf und ging zu ihm.

»Was ist dir?«

»Das weißt du doch.«

»Immer das Alte? Eifersucht?«

»Mir ist der Gedanke so furchtbar, dich wieder in seine Hände zu geben. Jedesmal ist das so. Manchmal überkommt es mich, ob es nicht besser wäre, hundertmal besser: wir gingen auseinander. Alle meine Tage sind voll Unruhe und Schmerz; tausend Phantasien und Träume quälen mich und martern mich. Und haben alle das gleiche Thema: du in seinen Händen.«

Der Schnee fegte draußen in ganzen Wolken an die Fenster. Der Winter stürzte sich kopfüber auf die Erde. Das Licht veränderte sich in jeder Minute. Tag und Nacht hielten sich an den Händen und tanzten Ringelreihen. Der Wind schüttelte die Bäume, daß ihre kahlen Zweige an das Haus schlugen.

»Aber jetzt hast du mich doch!«

»Ja, jetzt!«

Es war nicht dies allein, was ihn quälte. Er war in diesem Moment nicht ehrlich. Nicht gegen sie, nicht gegen sich.

Was an ihm fraß, saß tiefer und war älter und stärker als seine Liebe. Es war diese dumpfe, unmotivierte Angst, das Erbteil aus der Zeit, da ihn die verzagende Mutter trug. Sie tauchte in beinahe zu bemessenden Abständen in unheimlicher Bestimmtheit wieder und wieder auf.

Wie sollte dies hier enden? Wie dachte sie sich die Zukunft? Sollte er – wie sie vorgeschlagen – sich mit ihrem Mann versöhnen? Dr. Ferdinand Kraatz, der alle Unbequemlichkeiten auf die Dauer haßte, war bereit dazu, denn er hatte keine weiteren Beweise gefunden und mit dem Rausch jenes Abends war auch sein Groll lange vorüber. Aber sollte er diesem Manne die Hand geben, die in Isoldes Locken gewühlt?

Ach, er konnte es ja gar nicht. Es kam ein Tag, wo er müde sein würde, sich sein Glück weiterhin zu stehlen, wo er es in das helle Licht des Tages vor alle Menschen tragen würde, tragen mußte.

Und dann??

Ja, was kam dann? Man schoß sich nicht in ihren Kreisen. Nein. Aber man war Philister im Bohèmekittel geradeso wie im Garderock. Man fand Waffen, die gefährlicher und tödlicher waren als die Duellpistole. O, er hatte bereits einen Vorgeschmack davon bekommen! Und aller grimmige Humor, aller Witz half ihm nicht über die Erkenntnis hinweg, daß seine Nerven den kleinen Nadelstichen alltäglicher Widerwärtigkeiten nicht lange widerstehen konnten. Er würde wie ein überheizter Kessel explodieren müssen, um nicht sich zu verraten, sich und die Kunst, deren Priester er ja sein wollte.

»Ich kann nicht mehr arbeiten, nicht schaffen –«

»Und einst sagtest du, ich wäre deine Muse.«

»Mein Lieb bist du!«

»Mehr nicht?«

Er schwieg.

»Du wirst wieder schaffen können.« Sie umschlang ihn heiß und liebevoll und wußte doch, daß er diesen Arm bald von seinem Nacken lösen würde.

Er hatte in diesen letzten Wochen nichts geleistet. Es war ganz zwecklos gewesen, daß sie ihm Modell gestanden hatte.

Das Bild wurde gemalt und übermalt. Die Farbe schlug ein. Es lag kein Segen darauf. Er kratzte es wieder ab und malte es neu. Nun stand der Hintergrund wieder nicht. Die Valeurs veränderten sich über Nacht. So waren Wochen und Monate ohne ein Ergebnis verlaufen.

Die Kunst duldete halt keine Göttin neben sich. Und Isolde war ihm immer mehr Weib als Modell gewesen.

Es war schon soweit gekommen, daß er im Geheimen an ihr herumgekrittelt hatte. War sie eigentlich noch so schön? Besaß sie noch die zauberhafte Grazie der Bewegung, jenen matten Ton der Haut, jenen Duft des Haars, der ihn einst bezaubert hatte? Er wollte und wollte sich einreden, daß es vorüber sei, um es sich leichter zu machen. Aber es war ja so lächerlich. Sie war ja schöner, graziler, liebenswerter denn je. Sie hatte wie keine andere den Charme der Form, die Grazie der feinen Angorakatze. Sie hatte die schönen, schmalen Hände, das undefinierbare Lächeln, die unbewußte Hoheit, die großen Augen unter den hohen Brauen, die die Madonnen des Trecento hatten – – –

»Sag' mir die Wahrheit, Martin. Du liebst eine andere, nicht wahr? das ist's.«

Er verschwor es. Aber sie hörte nicht auf ihn.

Eine Weile jammerte sie still vor sich hin.

»Das ist so schlimm. Man kann uns nehmen, genießen wie eine Frucht und wegwerfen–… Ach, ein Weib ist doch gar nichts.«

Er nahm ihren Kopf zu sich empor und küßte sie auf Stirn, Augen, Wange und Mund. Ohne ein Wort zu sagen.

Da glaubte sie wieder–…

Pronitz hatte Recht: »Für den Mann ist die Sehnsucht, das Nie-Erlangte in der Liebe alles, die Erfüllung wenig; für die Frau ist die Erfüllung alles.« Was für Realisten sind sie doch!

Sie war wieder wie umgewandelt. Und als sie einen neuen lustigen Einfall bekam, klatschte sie vor Übermut in die Hände.

»Ich komme noch mal im Kostüm, ja? Als Bub.«

Beide dachten des Nachmittags, wo sie sich im Nebenzimmer umgekleidet und dann plötzlich in Samthöschen und violettenen Strümpfen vor ihm gestanden hatte. Aus dem großen liebevollen Weib war ein kleiner zierlicher Junge geworden. Sein auf Realismus eingestelltes Malerauge hatte sich wieder baß verwundert, wie die Tracht Wuchs, Größe, Gang verändert. Wie seltsam-unsicher sie ausschritt! Wie wenig doch ein Weib mit seinen Beinen anzufangen weiß, durch die Sklaventracht der baumelnden Tuchmasse bei jedem Schritt gehemmt und behindert! –

Plötzlich wurde sie ernst.

»Ich weiß ja, daß es mal sein muß, daß wir mal auseinander gehen müssen. Und ich will dann kein Kind sein, nicht töricht. Ich verspreche es dir. Ich will dann ein ganz anderes tapferes Weib sein. Glaub' mir, Martin.«

»Ich glaube dir ja.«

»Aber laß es noch nicht jetzt sein!–… Nicht im Winter mich einsam lassen!–… Jetzt kannst du ja auch wohl noch gar nicht fort. Aber im Frühjahr. Dann hast du wohl soviel, daß du nach Paris zurückkannst, zu den Cézanne, Sisley – ach, wer weiß, zu wem. Ich sehe ja ein, daß du das für deine Kunst brauchst,« setzte sie schüchtern hinzu, als er nicht gleich antwortete.

»Ja, erst Geld haben! Geld und kein Talent haben ist eine Barbarei, eine nackte Zwecklosigkeit. Aber kein Geld und Talent haben – ist ein Leim, ist eine unverzeihliche Perfidie des Himmels. – Merk dir diesen Aphorismus, Liebste! Er ist fast so tief wie einer von Pronitz.«

Sie lachte ihr Silberglöckchen-Lachen.

»Ich bin so froh, Martin. Mir ist, als hätte ich Sekt in den Adern. Sei doch auch froh!« Sie legte die Arme um seinen Hals. »Noch ist ja Zeit bis zur Trennung. Wir wollen diese letzte Zeit schnell trinken, als würde uns der Becher jeden Augenblick weggenommen, ja? Noch bin ich bei dir. Nun mach doch deine Liebste froh! Sie hat ja nichts als dich!«

Er küßte sie einmal – noch einmals – – –

Da klopfte es an die Ateliertüre. Mehreremal hintereinander. Heftig und fordernd.

Sie erschrak und flüchtete in das Nebengemach, das sie von innen verschloß.

Dann öffnete er.

Draußen stand Lucy Vallentin.

»Sie hier?«

Er vergaß in seinem Erstaunen, sie herein zu bitten.

Sie war ganz aufgelöst. Sie suche einen, dem sie die furchtbare Kunde und ihr Leid mitteilen konnte, und hätte niemand angetroffen. Allmählich erst verstand er, daß sie davon sprach, daß Pronitz sich erschossen habe. Sie verfiel in Weinkrämpfe. Er hielt das zuerst für gemacht und entschloß sich nur schwer, ihr beizuspringen und sie auf den Diwan zu betten.

Sie klammerte sich fest an ihn und beruhigte sich nur langsam.

Melcher sprach kein unnötiges Wort zu ihr, um nicht in Versuchung zu kommen, ihr etwas Böses zu sagen.

Sie behauptete, sie ginge jetzt ins Wasser. Er dachte: Du gehst gewiß zu Eggert und läßt dich trösten –

Beim Fortgehen schrie sie noch einmal auf: »Und um einer anderen willen hat er es getan. Eine andere hat er seit Monaten geliebt. Die Tote. Alle Blätter schreiben darüber. Ach, diese Schande!!«

Das war ihr das Schwerste.

Melcher schloß die Türe und lehnte sich an die Wand. Er war mit einemmal so müde, so müde.

Als Isolde ihn erstaunt ausfragte, sprach er rauh und verstört zu ihr und starrte sie seltsam an. Wie eine Fremde, wie einen feindlichen Eindringling. Sie erschrak. So hatte sie ihn noch nicht gesehen.

Er mußte jetzt zum Kirchhof hinaus, in dessen Leichenhalle der Freund lag.

Vor der Haustüre trennten sie sich.

»Übermorgen komme ich.«

»Ja.«

»Ich komme doch lieber morgen. Du mußt mir alles erzählen. Ich werde es möglich machen.«

»Ja.«

Nun lief er, da sich kein Wagen zeigte, zum Bahnhof. Durch das dichte, wild wirbelnde, kalte Schneegestöber.

Am Bahnschalter hielt ihn der Briefträger auf.

Mechanisch nahm er den großen gelben Brief mit dem schwarzen Aufdruck in der linken Ecke.

Erst als er in der Bahn saß, öffnete er ihn. Darin stand, daß er den Preis bei dem Wettbewerb für das Plakat der Sportausstellung bekommen habe: 3000 (Dreitausend) Mark. In Empfang zu nehmen gegen Vorzeigung dieses Briefes und Legitimation beim Bankhaus – –

Das Schreiben fiel ihm aus der Hand.

Der starke Eindruck der Todesnachricht minderte sich jäh.

Er dachte jetzt nur das eine: er hatte 3000 (Dreitausend) Mark. Das hieß: er konnte ein Jahr und länger davon leben. Er war ein Jahr und länger ein freier Mensch. Er brauchte die Kuliarbeit des Tagesverdienstes nicht mehr. Er konnte wieder nach Paris, wo seine Kunst ihre letzte Weihe bekommen würde. Er ging jetzt den Weg zur Größe. Er stand bald auf dem Gipfel des Berges, der den Tempel der Kunst, der Unsterblichkeit trug–…

Er!

Er allein! Die anderen sah er unten am Fuß des Berges keuchend liegen. Sie kamen nie hinauf. Nie. Sie trugen alle zuviel Bürden mit sich. Nur er hatte alles abgeworfen. Alles. Darum ging es sich auch so leicht!

* * *

Als Isolde am nächsten Tage wiederkam, den kleinen Terrier »Purzel« am Bändchen, empfing er sie vor der Türe.

Sie wußte gleich, was es zu bedeuten hatte, und biß sich auf die Lippen und wagte nicht zu bitten. Er war so seltsam hart und ernst und schwer.

»Ich fahre morgen nach Paris. Ich habe Geld bekommen. Du weißt ja, daß es sein muß.«

»Nach Paris,« sagte sie nur. Und in ihrem Ton lag das Gefühl eines ungeheuren Abgrundes, der sich auftat, den nichts, nichts, nichts überbrücken würde.

Sie hatte sich oft ausgemalt, wie ihr Abschied, der ja so unvermeidlich war, einmal sein würde. Sie hatte ein ungeheures, tiefbrennendes Weh geahnt. Nun, wo plötzlich die Stunde da war, empfand sie gar keinen rechten Schmerz – wenigstens nicht den Schmerz, den sie erträumt hatte. Es schien alles so selbstverständlich. Auch dieser dumpfe Druck im Kopf, diese Leere um sie herum.

Einen Augenblick lang kam sie sich recht bedauernswert vor, und sie haderte mit ihrem Geschick. Aber sie grollte ihm nicht, sie schmollte nur mit ihm–…

»Und nun? Soll ich gleich wieder zurück?« fragte sie trotzig.

»Wir wollen noch eine Stunde beisammen sein und bis Bahnhof Schmargendorf gehen.«

Sie nickte froh. So lange er noch neben ihr schritt, gehörten sie zusammen.

An einem Zeitungsständer blieb sie einen Augenblick stehen. »Hast du die Berichte gelesen? Ich habe einen bei mir.«

Mit vorwurfsvoller Miene zeigte sie ihm das Blatt.

An der Spitze des lokalen Teils stand es:

 

»Des Dichters Geliebte!
– Ein sensationeller Selbstmord.«

 

Pronitzens Tod war da mit Verschwendung von viel papiernem Gefühl und mit verblüffender Anschaulichkeit beschrieben, als sei der Reporter dabei gewesen.

Der Artikel schloß: »Dieser Tod des jungen hoffnungsvollen Poeten, von dem übrigens das ›Theater des Nordens‹ demnächst ein gewiß allgemein interessierendes Stück zur Aufführung bringt, beweist, wie falsch jene urteilen, die unsere Zeit des Materialismus zeihen. Gab es seit dem Tode des jungen Werther, seit dem tragischen Ende Kleists wohl etwas Rührenderes und Idealeres – wenn auch Bedauerlicheres – als dies Sich-Selbst-Aufgeben eines heranwachsenden Genies am Grabe der Geliebten? Vielleicht starb hier ein Shakespeare–… Sicher ist, daß hier Liebe starb, die groß war, wie die von Romeo und Julia–…«

Martin Melcher ließ das Blatt sinken.

War das alles wahr? Hatte er den Freund so schlecht gekannt, daß er diese, das Überirdische streifende Liebe, nicht gespürt hatte? Wer trug nun Schuld an diesem Sterben? – – – Lauter ungelöste Fragen, die nun nicht mehr beantwortet wurden.

Kenn' einer die Poeten aus! Er wollte nicht mehr fragen. Nein, er hatte keine Zeit dazu.

Dort in der Ferne rief der Tag, das Leben, die Kunst.

»Es muß schön sein, so geliebt zu werden,« sagte Isolde mit schwärmerischem Glanz der Augen. »Ach, es muß wunderschön sein!«

Und ich? Und ich? – fragte sie gleich darauf. Warum werde ich nicht so geliebt? Ich bin doch schön und lieb. Wenn ich jetzt stürbe, würde sich keiner, aber auch keiner die Augen rot weinen, geschweige denn mir in den Tod folgen.

Sie erblaßte.

»Muß es heute sein, Martin?«

»Ja. Morgen reise ich ab. Laß mir ein schönes Andenken an dich: du wolltest doch tapfer sein!«

»Ich will ja auch.«

Sie senkte ergebungsvoll ihr Haupt. Es war ja auch am besten so.

Nur an der nächsten Ecke drehte sie sich noch einmal um. Nach dem breiten, flachen Haus.

Dort, über dem Erker, war sein Atelier. Die hohen Fenster. Da war sie gestern zum letztenmal gewesen. Würde sie je wieder lachen können? Zum letztenmal–…


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