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Du!

. Das Zimmer war voller roter Rosen. Sie standen in Vasen allerlei Formats auf dem Schreibtisch, auf dem Vertikow, am Fensterbord. Ihr Duft hing wie eine rote Wolke in der Luft.

Lucys Nasenspitze war verfroren und leuchtete selber wie eine Rose aus dem aufgeklappten Pelzkragen. Sie sah kläglich drein wie ein Kind, das jeden Augenblick losweinen will.

Pronitz mußte lachen, als er sie ansah und küßte sie auf die Nase.

Da sah sie die Blumen und klatschte vor Freude in die Hände.

»Soviel Rosen in dieser Jahreszeit! Sie sind wohl sehr teuer gewesen?«

Sie war mit Aufbietung aller Vorsichtsmaßregeln gekommen. Er hatte ihr draußen entgegengehen müssen, zum Zeichen, daß er an die Verabredung dachte; dann war er vorangegangen und sie war – wiederum allein – die Treppe hinauf ihm nachgehuscht und durch die Türe, die er vorsorglich geöffnet hielt, zu ihm hinein.

Sie hatten soviel Vorsichtsmaßregeln angewendet, daß die Wirtin natürlich alles hatte merken müssen. Aber sie schloß ihre beiden kreisrunden Augen. Denn sie war eine vernünftige Frau, die Frau Kuhnert.

Die Lampe trug einen roten Schirm. Er stand bauschig ab wie ein Ballettröckchen.

Wenn sie den Wein trank, meinte er, ihn durch die feine Haut des Halses schimmern zu sehen. Das war wieder »Literatur«. Aber schöne!

»Agnes Bernauer,« sagte er laut.

»Wer ist das?«

»Ach, nichts von Bedeutung!«

Sie erzählte von ihren Eltern und Verwandten. Alle waren sehr streng und ernst. Mennoniten. Sie hatte als halbverlorenes Schaf gegolten, seit sie ihre Haare nicht mehr im glatten Scheitel trage.

Etwas von Einfachheit war aber noch zu merken: sie trug einen schlichten grauen Rock und schwarze Taftbluse. Die lag aber sehr, sehr eng an.

»Komisch, nicht wahr? Vor zehn Tagen kannten wir uns noch nicht. Und jetzt erzähle ich alles, als müßte ich vor Ihnen eine Beichte ablegen. Eine Beichte!« wiederholte sie lachend. »Gibt's so was denn noch?«

Wie schön war sie doch! Und wie fein und sich selber unbewußt sie ihn umwarb! Ach, es war doch gut, jung zu sein – – –

Beim zweiten Glas duzten sie einander.

Dann wühlte sie in seinen Bücherschätzen. In einem besonderen Karton waren die bunten, länglichen Hefte beherbergt, die auf der ersten Seite den Aufdruck trugen: »Die Glocke. Blätter zur Hebung und Reinigung unserer Kultur. Herausgeber: Ibo Kay.«

Lucy zog eins daraus hervor und wies auf eine Skizze, die Pronitz' Namen als Verfasser trug.

»Daher kenne ich dich schon lange.«

»Du schriebst ja, daß du die ›Glocke‹ liest.«

»Jedes Heft, das bis jetzt erschienen ist, habe ich mir gekauft.«

Das war bißchen gelogen. Sie hatte die Hefte nur in ihrem Papiergeschäft, wo sie zum Verkauf auslagen, eingesehen.

Pronitz war froh darüber: wieviel andere mochten nicht gleich ihr mit seinem Namen einen bestimmten Ideengang, einen Traum verbinden, bei seinem Namen eine innerste Saite tönen hören! Künstlerglück!

Er zog sie an sich und küßte sie auf die Stirn. Ganz keusch.

»Ibo Kay muß ein herrlicher Mensch sein, nicht wahr? Wenn man so liest, wie er für alle Unglücklichen und Enterbten eintritt, für alles Unrecht auf der Welt – ich möchte ihn kennen lernen.«

»Das wird bald geschehen.« Er erzählte von den geplanten Vortragsabenden und seiner Mitwirkung dabei.

»Du auch?«

»Ja. Traust du's mir nicht zu?«

Sie sah ihn einen Moment prüfend an, stellte sich dann auf ihre Fußspitzen und küßte ihn. So antwortete Lucy.

»Bei mir in Hamburg sagen sie, wenn sie verliebt sind: Min littje Söte!«

»Ach, das ist hübsch!« Sie versuchte es nachzusprechen. Ihre Berliner Zunge bekam es aber nicht fertig. Das Weiche der plattdeutschen Worte wurde unversehens spitz.

Sie wußte nichts Genaueres über ihn. Nur daß er aus Hamburg war und daß sein Vater, wie sie aus einem Hamburger Adreßbuch gesehen, Großkaufmann war und daß sie sich miteinander überworfen hatten. Aber dies konnte sich ändern! Ihre Phantasie erging sich in mancherlei Bildern.

Von Hamburg wußte sie nicht mehr, als daß es an der Elbe lag, daß es ein schrecklich interessantes Viertel, St. Pauli, dort gäbe, und daß in der Nähe Blankenese lag, wo sein Vater eine Villa hatte.

»Du mußt mit mir mal nach Hamburg fahren, ja?«

Er suchte ihren Mund. Aber sie hielt ihn solange zurück, bis er »ja« sagte.

Nun sprach sie alle Liebesworte nach, die er vorsagte, und gefiel sich in einem zärtlichen Timbre ihrer Stimme. Ihre Augen bekamen einen feuchten Schimmer. Saßen Tränen darin? In diesem Moment glaubte sie selber alles, was sie sprach.

»Ich glaub', ich hab' dich jetzt noch viel, viel lieber.«

»Viel lieber, bijou? Das ist nicht recht.«

»Warum denn?«

»Nein. Denn dann hast du mich bisher nicht lieb genug gehabt!!«

»Ach du!«

Triumphierend zog sie jetzt Drachmanns »Tausendundeine Nacht« hervor.

»Märchen liest der Dichter! Dann hast du wohl auch Schneewittchen?«

Wie fein ihre Haare dufteten!

»Ja, das habe ich hier.« Und er nahm sie lachend in seine Arme.

Ihre Lippen waren wie reife, halbzerdrückte Erdbeeren.


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