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Lucy

. Lucy Valentin drehte sich einmal um sich selbst, daß die Röcke sich zu einer Glocke blähten, und sagte: »Pfui, Sie sind ein aufdringlicher Mensch, Herr Eggert! Schämen Sie sich!«

Dabei blickte sie den kleinen dicken Schauspieler mit einem pfeilschnellen Seitenblick an, daß der schmunzeln und denken mußte: Na, das nächste Mal!

Lucy verließ das Haus.

Dieser unverschämte Mensch hatte es gewagt, sie ohne weiteres um die Taille zu fassen, und sie zu küssen versucht. Er sollte sich nur unterstehen, das noch einmal zu tun! Wer war er denn überhaupt? Ein Schauspieler. Na, man kennt das ja.

Man kennt diese Herren schon aus den Romanen. Die waren umschwärmt und hatten nur so die Auswahl zwischen den Frauen und Mädchen, die sich ihnen anboten – von den feinsten Damen an. Die achteten ein Ladenmädel gar nicht; und dafür hielt der sie doch gewiß, trotzdem sie beinahe Buchhalterin in ihrem Geschäft war.

O nein, er irrte gewaltig. Sie war klug. Oho, ein Berliner Mädel!

Und wie dick war er. Das ging doch gar nicht auf der Bühne. Da mußte man als Mann groß, schlank, elegant oder heldenhaft aussehen, und als Weib – ja, als Weib etwa wie sie, Lucy Valentin.

Sie blickte verstohlen in die Spiegelscheiben eines Geschäfts, die trotz des Feiertages unverhängt waren.

Nun war sie in den Königskolonnaden. Und da war auch der interessante, große blonde Mensch. Der Dichter.

Er ging nicht halb so elegant wie ihre männlichen Geschäftskollegen. Er sah nicht im geringsten weltmännisch aus. Dem Ideal des »Verehrers« entsprach er jedenfalls keineswegs. Aber er hatte etwas im Gang. So ging keiner ihrer Bekannten. So, als machte er sich gar nichts aus der Umgebung, als stände er wer weiß wie hoch über ihr: als sei er ein König, der inkognito hier umherging.

In ihren dunklen Carmenaugen glommen Fünkchen.

Er stand neben ihr und sagte: »Gnädiges Fräulein, ich glaube, wir haben uns beide verirrt.«

»Verirrt?« sagte sie sehr verblüfft. »Davon weiß ich nichts.«

»Doch, doch!« beharrte er. » Wir haben uns verirrt. Man verirrt sich immer, wenn man bei diesem Wetter draußen herumläuft, anstatt ein Lokal aufzusuchen, wo es hell und warm ist.«

Nun lachte sie, und er bemerkte gleich, daß sie kleine, weiße Zähne hatte.

»Ist Ihnen ein Restaurant lieber oder ein Café?«

»Gott, wenn es nur Musik gibt!«

Das war berlinisch. Es gefiel ihm.

Als sie in dem protzig ausgestatteten Lokal saßen, dessen rauchige Luft die Klänge einer bedenklich »rumänischen« Kapelle durchschrillten, fragte er sie lässig und gemütlich aus.

Es gab solche Schemata, nach denen man den Charakter eines Mädchens ganz gut erkennen konnte. Irgendwer hatte ihn mal darauf aufmerksam gemacht.

»Haben Sie Geschwister?«

»Leider nein!«

»Leider? Warum leider?«

»Ach Gott, so einen kleinen Bruder hätte ich ganz gern gehabt.«

»Die sind aber unbequem, die kleinen Brüder, zumal sie größer werden.«

»O, ich würde schon mit ihm fertig werden. Im guten natürlich.«

Also: es war etwas Mütterliches in ihr drin, etwas, das lenken und für etwas sorgen wollte.

»Tanzen Sie gern?«

»Nein. Leider nicht.«

»Wieder ›Leider‹?«

»Ja. Es entgeht einem doch vieles. Aber, in den Privatgesellschaften ist es so langweilig. Die Familien alle, ach je! Und öffentlich gegen Bezahlung! Nein, nicht um die Welt.«

Gott sei Dank: sie tanzte nicht! Sie hatte also eine Menge Wünsche nicht, die aus diesem merkwürdigen Hopsgelüst der Evastöchter stammen!

Laut bedauerte er es aber und renommierte mit seinen Kenntnissen der Vororts-Tanzlokale. Er sprach von Halensee und Schramm und Pankow, als sei er dort Stammgast, und schnitt furchtbar auf. »Das ist aber alles nichts gegen Paris. Moulin rouge – La Galette – ach, ich sage Ihnen!«

»Waren Sie in Paris?«

Er ließ die Frage unbeantwortet. »Da gibt es eine Vorschrift, wonach die Tänzerinnen die Fußspitzen nicht höher als bis zum Kinn heben dürfen.«

Wie würde sie lachen?? Kichernd, schmatzend, verlegen, atemlos?

Nichts von allem. Sie sah ihm groß ins Gesicht und sagte unter leichtem Augenzwinkern: »Wollen Sie das in Berlin einführen?«

Allmählich wurde er warm. Sie sprach nicht viel. Aber immer überlegt und meist witzig. Und ihre Stimme war beinahe schön: sie sprach wie Landmädchen, die am lauen Sommerabend in das Geraune der Felder und des Waldes hineinsprechen, nicht wie diese Großstädterinnen, die gegen Gekreisch der Straßenbahnen und Gebrüll der Motorwagen ankämpfen müssen.

Er wurde warm und wurde sich dessen mit einer gewissen Unruhe bewußt.

… Steh fest, Jens Peter! Du bist lange einsam gewesen und du unterliegst der »Gefahr des Einsamsten, alles zu lieben, das lebt«. Hatte der Prophet ihn nicht gewarnt?

Er übersah die Skala dieser seiner neuen Gefühlsepoche mit der Schärfe des gewiegten Diagnostikers.

Es kamen nun die Seelenwallungen. Der Kessel würde überkochen von der brodelnden, heißen Flut. Und das würde solange dauern, bis alle Flut verdunstet war, bis der Kessel selbst zu sengen begann: stinkend und brenzelnd. Denn das Feuer hielt länger vor –

Wirst du mir immer treu sein, wenn ich's dir auch bin??

Ach, ehe der Hahn dreimal kräht, wirst du mich dreimal verraten haben!

War sie denn eigentlich schön? Das konnte man nicht ohne weiteres bejahen. Manche ihrer Bewegungen waren zu kindlich für sie. Denn schließlich mußte sie doch Mitte Zwanzig sein.

Aber um die Augen lagen ganz kleine Fältchen. Sie sprachen von erlittenem Schmerz. Das machte einen weich. Das weckte den Poeten in ihm auf.

Und die Hände waren klein und zart.

Es mußte gut tun, von ihnen gestreichelt zu werden – –

Steh fest, Jens Peter! Laß dich nicht beirren! Bleib du selbst! Wer sich verliebt, gibt sein Bestes auf: seinen Willen.

»Nicht Vaterland, noch Eigentum und Haus, sind meine Herren. Beugen muß ich mich vor keiner Knechtschaft, die im Herzen thront.«

Das hatte Otto Erich, der König der Bohème, gepredigt. Aber im gleichen Moment, wo er es sich zitierte, fragte er sich auch gleich: war dies wirklich Emanation starken Menschseins? Oder – war es »Literatur«?

Bei Poeten ließ sich das nie mit Bestimmtheit sagen: die » mélancolie de métier« erstickt zu leicht die Wahrheits-Instinkte. – Der Teufel hole die Literatur!

Leben! Leben auf alle Gefahr hin! Nein, gerade um der Gefahr willen!

Beim Abschied an der Haustüre zog sie den Handschuh ab und reichte die nackte Hand zum Kuß.

Er küßte erst den Rücken, dann die Innenfläche und bog die Hand schnell zur Faust.

»Schön festhalten so! Und auf Wiedersehen morgen!«

»Auf Wiedersehen, Herr Pronitz! Schönen Dank und gute Nacht!«

»Gute Nacht!«

Aber es wurde keine gute Nacht für ihn.

Er hatte einen schweren, wunderlichen Traum: eine riesengroße, hundertfüßige Spinne hockte über ihm. Jeder Fuß saugte sich fest an seine Adern. Sie hatte ein menschliches Gesicht: einen wilden, verführerischen Carmenkopf; er sah deutlich die blauschwarzen Haarsträhnen und die Goldfünkchen in den Augen. Bald umarmte sie ihn kosend. Bald sog sie fest an ihm, daß es schmerzte.

Als er erwachte – er hatte erst eine Viertelstunde geschlafen – dachte er über den Traum nach. Die Spinne – das war verkrüppelte Erinnerung an die seltsamen Beleuchtungskörper im Lokal. Das übrige kam ganz einfach vom Trinken.

Was Zelewski auch sagen mochte, – es regte die Nerven mehr auf, als es beruhigte. Nein wirklich, man sollte das Trinken einstellen –

Und er schlief wieder ein.


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