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17

Die schon etwas vergilbten Oktavblätter waren mit einer bläulichen Tinte beschrieben. Es war eine saubere, gleichmäßige Schrift mit altmodischen Schnörkeln an den großen Buchstaben – eine Mönchsschrift, deren Ideal die mit farbigen Initialen geschmückte Pergamentsschrift gewesen sein mochte.

Diese ruhige, gleichmäßige Schrift hatte bisweilen bei bedenklichen Stellen gezittert: hier fühlte man den inneren Kampf des Schreibenden zwischen der Pflicht, das Diktat wörtlich aufzunehmen, und dem Abscheu vor irreligiösem Zweifel und Frevel.

Ein Pater Gregoire schrieb zunächst ein lateinisches Gedicht, das Litte Friese nicht verstand: nur an dem ›R. i. P.‹ des Schlusses konnte sie erkennen, daß es sich um das Gebet für einen Verstorbenen handelte. Dann fuhr der Schreiber französisch fort:

»Diese Beichte meines Lebens schreibe nicht ich, George Huygens, selber. Meine Hände sind gelähmt, aber mein Hirn noch nicht.

Pater Gregoire, einer der gütigsten Menschen, die ich kenne, hat sich meiner angenommen, obwohl er mich als Ketzer und Landfremden hätte wegjagen können. Ich liege auf sauberem Linnen und sehe durch das Fenster in die zauberhafte Berglandschaft Savoyens. Aber ich bin ein kranker Mann und dem Tode geweiht.

Das Gift Cobanaro aus dem Saft der schwarzen Spinne, das mir ein rachsüchtiger Indianer einst beibrachte, beginnt wieder zu wirken. Es ist nicht wahr, daß der giftige Stachel des Riesenrochens Manta ein wirksames Gegengift enthält. Es hat mich damals wohl vom sofortigen Tode befreit, aber ich bin seit jener Stunde ein kranker Mann gewesen, in dem das Gift langsam weiter schlich. Die Lähmung hat nach und nach alle Glieder ergriffen und faßt nun nach meinem Herzen, das nur noch schwach schlägt.

Ich spreche nur leise und langsam: Pater Gregoire hat es nicht leicht. Aber ich muß mich beeilen, um mich mit dieser Beichte zu entlasten und um Begangenes vielleicht wieder gut zu machen.

Diese Beichte wird mein Vetter Christoph Uhlenwoldt in Hamburg bekommen, der sie meinem Sohn Detlev an seinem 18. Geburtstag übergeben soll, damit beide nach dem Verschollenen suchen …«

Litte Friese hielt inne. Ihre Blicke glitten über das eingefallene Gesicht des Schlafenden.

Nie hatte er dies Vermächtnis des Toten erfüllt. Detlev wußte von nichts. Er wußte nur, daß sein Vater in Savoyen an den Folgen einer tropischen Krankheit gestorben und dort begraben war. Warum hatte Uhlenwoldt dies Dokument verheimlicht?

Mit klopfenden Herzen las sie weiter.

»... Ich beginne folgerichtig mit meiner Ehe. Noch in dieser Stunde, die vielleicht meine letzte ist, segne ich das Andenken meines Weibes, und wenn es etwas gibt, das mir den Abschied vom Leben erleichtert, so ist es der Gedanke, daß ich ihr vielleicht irgendwo wieder begegne.

Und doch war es möglicherweise mein erstes großes Unrecht, daß ich diese Ehe einging. Ich, der ich zeitlebens ein jäher, von Leidenschaften zerwühlter Mann war, beging vielleicht mein erstes Verbrechen, als ich Gunna Torstenson an mich zog. Ich mußte wissen, daß ihre zarte Blumenschönheit unter dem sengenden Hauch meines Wesens frühzeitig vergehen mußte.

Als einzige Entschuldigung habe ich nur anzugeben, daß ich sie liebte. Ich weiß, daß dies furchtbar banal klingt, dennoch kann ich es nicht anders ausdrücken.

Viele Frauen haben in meinen Armen gelegen, ehe ich Gunna kannte. Und nachher – – aber über dies fürchterliche Nachher spreche ich später. Solange Gunna an meiner Seite war, existierte keine andere Frau für mich. Ich lachte ihnen ins Gesicht, wenn sie mir schöne Augen machten. Ich lachte alle Männer aus, wenn sie von anderen Frauen sprachen und schwärmten. Zweimal habe ich mich wegen solcher Beleidigungen geschlagen, und das eine Mal wäre es mir beinahe schlecht ergangen, da der Gegner die Regeln des Duells nicht achtete.

Meine Leidenschaft für Gunna war derart, daß ich sie keinem anderen zeigen wollte. Jeder Männerblick, der sie streifte, brachte mein Blut zum Sieden. Denn ich sah nur das Begehren darin und den Raub an meinem Eigentum. Wahrlich, ich war nicht wie jener sagenhafte asiatische König, der seine Frau nackt zeigte, um sich seines Besitzes zu rühmen und sich damit zu brüsten. Am liebsten hätte ich sie eingeschlossen, in einen goldenen Käfig, aber doch in einen Käfig.

Es ist möglich, ja, es ist wahrscheinlich, daß ich Gunna mit meiner eifersüchtigen Liebe gequält habe, obwohl sie nie darüber klagte. Ich kenne die Frauenseele wohl auch nicht genug. Vielleicht war ihr meine Narrheit auch nur die Bestätigung meiner Liebe. Vielleicht war sie auch zu gütig, um mir ihre Leiden zu zeigen. Denn sie war eine Heilige. (Hier hatte der Schreibende sichtlich gezögert, als ob ihn diese Wendung eine große Überwindung gekostet hätte.)

Es war mir klar, daß ich sie in Europa nicht abschließen konnte. Ich hatte gesellschaftliche Verpflichtungen, die nicht zu umgehen waren. Wir hätten Verkehr haben müssen, und – unserer Stellung und unserem Reichtum entsprechend – großen Verkehr. Wer sich da ausschließt, schließt viele Verbindungen aus, ohne die ein Kaufmann nicht bestehen kann.

So blieb nur eins: zu reisen. Auf Reisen kann man sich abschließen. Man kann Bekanntschaften, die unvermeidlich sind, abbrechen, ohne zu verletzen: man braucht bloß weiterzureisen.

Ich übernahm die Exportabteilung ganz für mich und überließ meinem Vetter Uhlenwoldt das Hamburger Geschäft.

Wir reisten, und ich stöberte alle unsere Agenten auf. In allen Weltteilen. Unsere Basis sollte vergrößert und verbreitert werden.

Eine Weile dachte ich an Tierhandel für die großen Zoos der Welt. Warum sollte Hagenbeck ein Monopol haben? Die Jagd begann, die große Jagd. Nur Wilde um uns herum, die selber Tiere schienen. Immerhin blieb mir auch hier Erbitterndes nicht erspart.

Ich beobachtete einen Boy, als er Gunna, die nur mit einem Seidenhemd bekleidet war, im Schlaf betrachtete. Seine Augen stielten sich vor Gier, und seine Brust keuchte. Ich peitschte ihn mit dem Shambock, ich peitschte, bis er als Klumpen von Fleischfetzen liegen blieb, der am nächsten Morgen verröchelte.

Er war vom Stamm der Wahahebe, einem stolzen, herrischen Stamm, und sie wollten mich vor ihr Gericht ziehen. Nur der grausige Gedanke an Gunnas Schicksal nach meinem Tode hinderte mich am Kampf. Wir flohen mit einigen treu gebliebenen Trägern, die einem anderen Stamm angehörten. Aber ich mußte all meine Lasten den Wahahebe lassen und verlor ein kleines Vermögen.

Wir hatten unsägliche Strapazen zu erdulden, Hunger, Durst und Moskitos und die giftigen Pfeile von Zwergvölkern. Stundenlang trug ich Gunna in meinen Armen. Ich hatte übermenschliche Kräfte damals, und die Wilden betrachteten mich scheu. Ich glaube, sie verehrten und fürchteten mich wie einen Gott. (Auch hier hatte die Hand des Schreibenden gezittert.)

Es fanden sich immer wieder Wasser oder Pflanzen, an deren saftigen Stengeln wir sogen. Ich schwöre, daß ich mir eher das Blut aus den Adern geschlagen hätte, ehe ich Gunna hätte dürsten lassen.

Als der Spuk Afrikas vorüber war, atmeten wir auf. Es kamen ruhigere Zeiten in Nord- und Südamerika.

Mein Schmerz war groß, als Gunna mir eingestand, daß sie sich Mutter fühlte. Ich zitterte um ihr Leben von der ersten Stunde an. Der Gedanke war mir unerträglich, daß dieser zarte Leib unter Schmerzen zerbrechen sollte, daß er verunstaltet und vielleicht entstellt bleiben würde. So wahnsinnig war meine Liebe, daß mir das, was jedem Manne Freude und Stolz ist, nur Qual und Pein bereitete. Von da an reisten wir nicht mehr. Wir blieben in Rio, das eine der schönsten Städte der Welt ist. Wie schön waren die Stunden im Teehäuschen auf dem Corcovado! Wir fuhren fast täglich hinauf und blickten auf das bezaubernde Bild unten: Stadt, Meer, Palmen. Es waren die Abschiedsstunden unserer Liebe, und sie endeten schlimmer, als ich ahnen konnte.

In einer Dämmerstunde fuhren wir zurück. Ob der Chauffeur, ein Mestize, getrunken hatte, ob der Wagen defekt war (die Autos waren damals noch primitiver), genug, wir kamen ins Schleudern. Bis heute sehe ich die Szene vor mir: den wilden Kopf des Mischlings, die entsetzten, weit aufgerissenen Augen meiner geliebten Gunna, der Fels, auf den der Wagen hinschoß, und wo er aufprallte. Wir wurden herausgeschleudert. Mein linkes Bein schlug an etwas Hartes, und ich fühlte, nein, ich hörte es brechen.

Eine kurze Ohnmacht verhüllte meine Sinne; dann war ich plötzlich wach. Ich lag in einer jener armseligen Hütten der Eingeborenen, die in dieser widerspruchsvollen Stadt oft das Ende der Prachtstraßen bilden. Zuerst empfand ich nur einen wilden Schmerz am Bein, das mit einem Stück Baumrinde und einem schmutzigen Tuch verbunden war. Aber der Schmerz war nicht groß genug, daß ich mich nicht erhoben und nach Gunna geschrien hätte.

Die alte Indianerin – sie sah wie eine leibhaftige Hexe aus – brachte zwei winzige Körperchen heran und legte sie in meine Arme. Es waren meine Söhne. Gunna war tot.

Ich weiß noch heute nicht, wie ich diese Stunde überlebt habe. Vielleicht lag es nur daran, daß ich selber verletzt war und ins Krankenhaus, die casa della Misericordia, transportiert wurde. Es war Schmutz ins Blut getreten, und die Ärzte fürchteten eine Blutvergiftung. Sie fragten mich nicht, ob ich leben wollte. Sie gaben mir Morphiumspritzen, die mich wehrlos machten. Sie heilten mich, vielleicht, weil sie wußten, daß ich ein reicher Mann war. Sie gaben mich meinem Leben zurück, das ich verfluchte.

Ich erfuhr, daß Gunna längst begraben sei und daß zwei zarte, aber gesunde Knaben lebten. Ich haßte diese beiden Kinder, die mir die geliebte Frau genommen hatten, von der ersten Stunde an.

Eine zufällige Bekanntschaft entschied über das Schicksal dieser Kinder, und es war eine böse Stunde, da dies geschah.

Es war in einer Hafenbar, wo ich wieder einmal Vergessen suchte. Es gab da Kerle, mit denen ich boxte und mit denen ich mich dann betrank. Ganz betrunken konnte ich nie werden, da ich mittlerweile Alkohol zu regelmäßig genossen hatte. Aber verwirrt konnten meine Sinne schon werden.

Damals traf ich Leverhuus, einen blonden, ältlichen Mann, den ich als deutschen Landsmann erkannt hatte. Er war einmal Kaufmann gewesen, irgendwie entgleist und lebte von Gelegenheitsarbeiten, die man ihm mehr aus Mitleid gab.

Zwei Dinge waren mir an dem Menschen aufgefallen: er schmeichelte nie meinem Reichtum und bückte sich nie, wenn ich meine Geldstücke unter die Menge warf. Und das andere war mir noch verwunderlicher: er liebte Kinder. Sobald sich einer der schmutzigen Rangen zeigte, beschenkte er sie mit jenen klebrigen Süßigkeiten, die man dort so liebt.

Vielleicht gefiel mir am besten an ihm, daß er mich einmal energisch zur Rede stellte, mich, an den sich keiner heranwagte! Er warf mir vor, daß ich mich nicht um meine Kinder kümmere und daß ich meine Gesundheit vertat, die jenen gehörte.

»Willst du eins haben, Landsmann?« schrie ich in meinem Rausch. »Es sind Zwillinge, und eins reicht für mich.«

Natürlich habe ich das damals nicht wörtlich gemeint. Aber die anderen gröhlten und lachten.

»Deine Kinder brauchen dich auch nicht. Sie sind reich von Geburt an«, schrie der Wirt.

»Du meinst, sie bringen es nur zu etwas, weil sie einen reichen Vater haben?« rief ich zornig zurück. Denn ich empfand dunkel eine Kränkung meines Blutes, des Huygens-Blutes.

Der Wirt versuchte, mich zu beruhigen; aber ich war so erhitzt, daß ich nicht zurück konnte. Ich winkte Leverhuus und forderte ihn auf, mich zu begleiten.

Ich zeigte ihm die Knaben, die ich einer englischen Familie in Pflege gegeben hatte, und sagte: »Es soll sich erweisen, wer recht hat. Wir wollen ein Experiment machen. Der eine soll aufwachsen, wie es sich für meinen Sohn geziemt, der andere in Bescheidenheit. Wir wollen sehen, wie sich mein Blut durchsetzt.«

Leverhuus starrte mich ungläubig an und warnte; aber sein Widerspruch bestärkte mich nur in meiner Verrücktheit, und endlich stimmte er zu.

Noch heute sehe ich, wie er das Kind, das auf den Namen ›Erik‹ getauft war, behutsam auf den Arm nahm. »Also bis zum achtzehnten Jahr soll es in mir und meiner Frau seine Eltern sehen?«

Ich erfuhr damals zum ersten Male, daß er überhaupt eine Frau hatte, und stimmte sofort zu. »Erst dann soll er erfahren, wer er ist, und daß er einen Bruder Detlev hat, der andere Wege geht.«

Er sah mich noch einmal fragend und, wie es mir schien, bekümmert an. Dann ging er fort, ohne sich noch einmal nach mir umzusehen. Vielleicht verachtete er mich in jenem Augenblick; aber es wäre nicht gut für ihn gewesen, das zu äußern.

Ich sorgte dafür, daß Leverhuus von meinem Bankhaus ein regelmäßiges, bescheidenes Einkommen erhielt, und schickte das andere Kind, das ich nach meinem Urgroßvater nannte, der noch Seemann gewesen war, nach Hamburg. Jede Möglichkeit eines frühzeitigen Wiedersehens war aufgehoben.

Drei Tage später war ich auf der Fahrt, da mich ein Ekel vor den Kerlen in der Hafenbar ergriffen hatte, die um mein Geheimnis wußten.

Wo ich dann später auch überall war, gehört nicht hierher. Die Stürme und Abenteuer, die ich überstand, der unfreiwillige Aufenthalt auf einem Korallen-Atoll in der Südsee, wo ich mich von rohen Fischen ernähren mußte – all das und anderes würden ein dickes Buch ergeben. Mein Leben war wie die Frucht Durian geworden, die zum Himmel stinkt und betäubende Räusche gewährt.

Aber dann kam das Entsetzliche. In Peking bekam ich einen Brief meines Bankhauses in Rio, der schon lange herumgewandert war, und der mir mitteilte, daß Leverhuus und Frau einem gastrischen Fieber erlegen seien. Ich schickte Depeschen auf Depeschen, die nach dem Sohn der Verstorbenen forschten. Ich bekam eine niederschmetternde Antwort: er sei verschollen und unauffindbar. Er habe nicht gut getan, wie man so sagt, er hätte die Opferkasse einer Kirche erbrochen, sei gefaßt worden, aber aus dem Gefängnis ausgebrochen.

Jahrelang fand sich keine Spur von ihm. Dann las ich seinen Namen auf der Verlustliste einer Reederei. Das Schiff ›Rio Sacramento‹ war mit Mann und Maus an der irischen Küste untergegangen. Nur ein Steward namens Potrykus, ein Danziger, wurde aufgefischt. Ich habe – –«

Hier brach das Bekenntnis ab.

Es folgten noch einige Sätze des Paters.

»Nach dem Diktat dieses ist George Huygens gestorben. Sein letzter Seufzer galt seiner Ehefrau. Dies Bekenntnis sende ich pflichtgemäß noch heute an die angegebene Hamburger Adresse. Möge Gott, der Allmächtige, alles zum Guten lenken und auch dieser verirrten Seele zum Frieden verhelfen! Amen.

Pater Gregoire von .der Minoriten-Kongregation.«

Litte Friese saß noch eine Weile starr, wie gelähmt. Langsam wuchs draußen Grauen auf, das sie schüttelte und weckte und an das Fenster trieb, das sie aufriß. In tiefen, durstigen Zügen trank sie die frische Luft; sie stand zitternd, die Hände an die klopfenden Schläfen gepreßt.

Ihr erster Gedanke – als sie wieder denken konnte – war, zu Detlev zu laufen, der irgendwo im Hause sein mußte, und ihm das Entsetzliche zu berichten. Aber sie fühlte, (daß sie dazu nicht imstande sein würde: ebensogut hätte man von ihr verlangen können, auf ihn zu schießen. Der ganze Bau seines Lebens konnte zusammenbrechen, wenn er dies erfuhr.

Aus dem wilden Chaos ihrer Gedanken trat der eine leibhaftiger heraus: hier war ein Verbrechen begangen worden, ein vielfaches Verbrechen, wenn es auch nach menschlichen Gesetzen keine Sühne finden würde. Und der, der dies Verbrechen geheim gehalten und ein zweites hinzugefügt hatte, war der Mann, den sie hier betreute. Sie wußte, daß sie keine Minute länger hier bleiben konnte. Sie mußte hinauslaufen … hinaus …

Ein Geräusch im Zimmer ließ sie zusammenfahren. Als sie sich umwandte, sah sie Uhlenwoldt, der mit offenen Augen zu ihr herüberstarrte. Hatte ihn die Kühle des Lufthauchs geweckt, oder war für seine Bärennatur die Dosis zu schwach gewesen?

»Was haben Sie für Papiere auf dem Tisch?« fragte er leise.

Sie riß sich zusammen. Alle Furcht vor dem unheimlichen Manne war verschwunden.

»Ich las von einem Verbrechen«, entgegnete sie, zu ihm tretend. »Von einem Verbrechen, das an Erik Huygens begangen wurde, und an dem Sie Anteil haben.«

Litte Friese war auf einen wilden Gefühlsausbruch gefaßt gewesen. Zu ihrer großen Verwunderung blieb Uhlenwoldt ganz ruhig.

»Sind Sie doch dahinter gekommen?« sagte er unnatürlich leise. »Aber was faseln Sie von einem Verbrechen? Erik Huygens ist tot. Wecken wir ihn nicht auf.«

Sie stand dicht an seinem Lager.

»Uhlenwoldt, ich habe einen entsetzlichen Gedanken: es ist nicht so, wie Sie sagen, er lebt noch!«

»Der ›Rio Sacramento‹«, murmelte er undeutlich.

»Ich weiß. Aber wenn es der Gerettete gewesen ist, der vielleicht einen anderen Namen angenommen hat?«

Er lachte kurz auf.

»Sie sind ein phantastisches kleines Mädel. Womöglich glauben Sie, daß er im ›Fröhlichen Wandsbecker‹ haust, oder wie die verdammte Bude da heißt? Unsinn, sage ich Ihnen. Ich erkläre Ihnen das ein andermal. Jetzt will ich schlafen.«

Verstellte er sich, um die peinliche Aussprache zu vermeiden? Wirkte das Mittel? Er hatte den Kopf zur Seite gelegt und atmete in regelmäßigen Zügen. Kein Zweifel, er schlief den Schlaf der Genesung.

Litte Friese lächelte bitter. Am Ende hatte sie ihm mit ihrem Schlafpulver eine Wohltat erwiesen?


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