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12

Lesley erhob sich und schlenderte langsam durch das Kaffee. Der erste Geiger, der in ihm instinktsicher den besseren Herrn witterte, tänzelte, die Geige unter dem Kinn, dicht vor ihn hin. »Haben Herr Baron einen besonderen Wunsch?«

Da er nicht auffallen wollte, bestellte er den neuesten Blue, und er warf ihm einen Schein zu, der blitzschnell verschwand.

Während die Musik jäh abbrach, und seine bestellte Melodie aufschrillte, umschritt er den Halbkreis um die Kapelle herum und blieb endlich hinter einer reichverschnörkelten Säule stehen.

Alle Zweifel, ob es der gesuchte »Bruno« war, verschwanden, als er den Mann erblickte, der dort gelangweilt die Likörkarte studierte.

Er sah Huygens bis ins Letzte ähnlich, nur, daß es eben nicht Huygens sein konnte: sie hatten ausgemacht, daß er im linken Rockrevers eine kleine unscheinbare Perlnadel tragen sollte.

Und jener Bruno trug die Perlnadel nicht!

Er überlegte eine Weile und ging dann, vom Dirigenten begeistert begrüßt, zurück und stellte den Geschäftsführer.

»Haben Sie hier nicht einen Detektiv bei der Hand?«

Der kleine, fette Herr hob entsetzt die Augenbrauen. »Wo denken Sie hin, mein Herr! In unserem Etablissement ist dergleichen nicht üblich und auch nicht notwendig.«

»Vielleicht. Aber was mache ich, um die Identität einer Ihrer Gäste feststellen zu können?«

»Das kann ganz unauffällig geschehen«, meinte der Geschäftsführer zögernd. Er musterte vorsichtig diesen großen Herrn, der so sicher auftrat, daß er nicht zu widersprechen wagte.

»Mir liegt für heute nur daran, seinen Namen und seine Adresse zu erfahren. Das Übrige besorge ich – oder ein anderer gelegentlich schon selber.«

»Der Herr ist Engländer?« fragte der andere plötzlich.

Lesley, der immer auf sein tadelloses Deutsch stolz gewesen war, wollte ärgerlich werden, aber er besann sich darauf, daß er auf das Wohlwollen des fetten Herrn angewiesen war, der ihn schließlich nicht zu dulden brauchte, und nickte bedeutsam. »Es handelt sich unter Umständen um eine kriminelle Sache. Ich bin überzeugt, daß Sie mir keine Schwierigkeiten machen werden. Jedenfalls könnte das nicht in Ihrem Interesse liegen.«

»Selbstverständlich.« Der fette Herr rieb sich vor lauter Ergebenheit die Hände. Offenbar hielt er den langen Engländer für einen Abgesandten von Scotland Yard.

»Vielleicht kennen Sie den Herrn zufällig?«

»Möglich, mein Herr, aber recht unwahrscheinlich. Auf alle Fälle stehe ich natürlich zu Diensten.«

»Ich werde ihn Ihnen zeigen. Kommen Sie.«

Sie gingen zur Säule. »Dort der Herr, der eben etwas bestellt. Kennen Sie ihn?«

»Nur vom Ansehen, mein Herr.«

»Gut. Nun gehen Sie zu ihm und sagen Sie, daß ein Herr ihn zu sprechen wünscht. Ich trete dann gleichzeitig hervor.«

»Aber keine Szene, bitte!« Der Geschäftsführer bebte vor Nervosität.

»Seien Sie unbesorgt. Er wird keinen Wert auf Krach legen.«

Seine Blicke folgten dem kleinen Herrn, der sich verwirrt an den Gast wandte, der sich darauf erstaunt umwandte.

Und dann erlebte John Lesley die größte Enttäuschung seines Lebens.

Der angeredete Herr erhob sich bei seinem Anblick freudig, ging auf ihn zu und sagte strahlend: »Gottseidank, Lesley, Sie!«

»Sie sind es selber, Huygens?«

»Zweifeln Sie immer noch?«

Mit dem letzten schwachen Versuch, die Situation zu retten, erinnerte Lesley an die verabredete Perlnadel.

»Die Nadel«, wiederholte Huygens, suchend über den Rockaufschlag gleitend. »Die muß sich jemand angeeignet haben, der sie für wertvoller hielt, als sie in der Tat war.«

Lesleys verdutztes Gesicht war so komisch, daß Huygens vor Lachen herausplatzte, und es blieb dem anderen nichts übrig, als einzustimmen. Auch der Geschäftsführer ging schmunzelnd fort.

»Und denken Sie, ich war eben im Begriff, Sie verhaften zu lassen.«

»Sie hielten mich für den anderen?«

»Ja, und nicht nur ich allein.« Er berichtete seine Erlebnisse und die Frage nach Bruno an dem Tische drüben.

»Und nun gleich das Allerneuste. Lesen Sie!« Er reichte das Blatt herüber, das ihm der geheimnisvolle Alte gegeben hatte.

Huygens las kopfschüttelnd. »Hoffentlich haben Sie nichts davon geglaubt?«

»Wie sollte ich nicht? Die Idee war sehr geschickt ausgebrütet. Und Ihre Handschrift ist nur zu gut nachgemacht.«

»Darum ist dieser Schuft in meiner Wohnung gewesen! Darum!« Er griff nach der Hand des Freundes. »Was wird nun noch alles kommen?«

»Sie meinen, es ist nur ein kleiner Versuch?«

»Ich denke an Wechselfälschungen. Zum mindesten denke ich daran.«

»Das können Sie durch eine Vereinbarung mit Ihrer Bank verhindern. Keinen Wechsel ohne Nachfrage bezahlen! Oder so. Am Ende werden die Herren – denn es sind bestimmt mehrere – dazu nicht den Schneid gehabt haben; sonst hätten sie sich nicht hiermit begnügt.«

Huygens schlug hart auf den Tisch. »Sie nehmen mir mein Äußeres, sie nehmen mir meine Schrift – worauf haben sie es nun abgesehen? Wissen Sie, daß diese Ungewißheit das Schlimmste ist? Meine Nerven sind keine Schiffstaue, Lesley.«

Er drängte dem anderen das Geld auf und setzte mit einem schlecht gelungenen Versuch zum Scherz hinzu: »Es wäre zweckmäßiger gewesen, die schönen Scheine in Porter mit Sekt anzulegen.«

»Was nicht ist, kann noch werden«, meinte Lesley lachend.

Aber die fröhliche Stimmung, die die erste Überraschung geschaffen hatte, war gründlich verflogen.

Huygens saß düster da, nervös um sich blickend. Erst nach einer Weile wagte Lesley, ihn aus seinem Grübeln zu wecken.

»Sie waren heute nicht im Klub?« fragte er vorsichtig. »Ich habe Sie gesucht.«

»Es war mir nicht möglich, einzutreten«, gestand Huygens. »Denken Sie, ich stand schon vor dem Eingang und machte wieder kehrt.«

»Wie falsch! Sie sollten täglich erscheinen. Sie müssen sich das wie eine Aufgabe vornehmen.«

»Ich weiß. Aber ich ertrage diese faustdicke Diskretion nicht, mit der man mich dort in letzter Zeit behandelt. Ich fühle doch, was in der Luft liegt, und ich fürchte, daß meine Nerven mal richtig durchgehen, und ich etwas anrichte, das nicht wieder gut zu machen ist.«

»Kein Mensch spricht mehr von dieser Geldgeschichte. Nur Ihr Fernbleiben kann wilden Gerüchten Nahrung geben.«

»Also gibt es Gerüchte«, unterbrach ihn Huygens fast heftig. Womöglich hält man mich, da man mich nicht für einen Betrüger halten kann, für verrückt, wie?«

»Huygens! Wo geraten Sie hin!«

»Ich weiß längst, daß sie nicht an einen Doppelgänger glauben – ich täte es an ihrer Stelle auch nicht. Aber was bleibt dann übrig? Unser Russe – wie heißt er doch gleich? – stellte mich neulich an der Schönen Aussicht und sprach lang und breit von einem mysteriösen Doppelleben, sowas wie nachtwandeln, wissen Sie. Er tat so harmlos, daß es die Hunde am anderen Alsterufer gemerkt haben müssen. Ein Unsinn, nicht wahr? Aber was tut man dagegen?«

»Auslachen!« riet Lesley.

Die Erregtheit des Freundes hatte sich ihm mitgeteilt. Zum ersten Male sah er den »Fall Huygens« aus anderer Perspektive. Es war nicht klug von jenem, gerade jetzt dies Motiv anzuschlagen. Zum ersten Male kam ihm der schreckliche Gedanke, daß er den »Anderen« niemals fassen würde, weil es ihn gar nicht gab. Seine Jagd würde ihn immer auf die Fährte von Detlev Huygens führen. Huygens nippte an seinem Glas Danziger Goldwasser. »Daß er Bruno heißt, haben Sie also herausbekommen. Aber der Mensch wird doch noch einen Vatersnamen haben. Es muß doch einen, wenn auch scheinbar geringfügigen Unterschied geben. Vielleicht trägt er Goldzähne. Denken Sie daran, Lesley. Mit meinem Gebiß kann ich Nägel aus der Wand ziehen.«

»Darauf muß man achten.«

Huygens' Eifer, den »anderen« von sich im Abstand zu halten, war verdächtig, wenn man wollte. Aber er konnte auch ganz natürlich sein. Lesleys nüchterne Natur suchte nach neuen Beweisen für das Natürliche, das er weit besser verstand als alle Nachtseiten der menschlichen Psyche, die er nur vom Hörensagen kannte, und die ihm im Grunde unglaubwürdig schienen.

»Sie haben doch einen Hund, Huygens? Warum lassen Sie ihn bei solchen Gelegenheiten zu Hause?«

»Er ist ziemlich scharf, und er hätte bei meinen heutigen dunklen Wegen leicht Unheil anrichten können. Übrigens ist mir Ihr Rat schon von anderer Seite gegeben worden.«

»Warum auch nicht? Bobby ist keine unbekannte Größe.«

Huygens beugte sich vor. »Auch darauf, daß dieser Schuft mir alles nachmachen kann, nur nicht den Hund, ist schon jemand gekommen.«

»Sie sagen das so schrecklich geheimnisvoll. Wer war es denn?«

»Fräulein Friese.«

»Dann ist sie eine sehr kluge Dame.«

»Sie ist so klug wie schön«, sagte Huygens halblaut, verträumt, und Lesley nahm sich vor, dies Geständnis zu überhören. Aber der andere fuhr im gleichen Ton fort:

»Übrigens – sie ist meine Verlobte.«

»Dann gratuliere ich von Herzen!« rief Lesley. »Nun muß ja alles gut werden.«

Das glückliche Lächeln, das einen Augenblick über Huygens' Züge gehuscht war, verschwand sofort. »Was wird gut?« fragte er scharf und fast gehässig. »Was soll dadurch gut werden?«

Lesley hatte zu spät bemerkt, daß er seine geheimen Gedanken preisgegeben hatte, und ihm war nicht wohl zumute. »Ist es denn nicht gut für Sie, einen solchen Freund gewonnen zu haben, der nun auf Tod und Leben mit Ihnen verbunden ist? Das muß doch alles leichter machen!«

»Sie meinen etwas ganz anderes«, erwiderte Huygens kopfschüttelnd. »Sie weichen mir jetzt aus.«

»Warum glauben Sie das?«

Die Hand drüben schlug schwer auf den Tisch. »Weil ich es die ganze Zeit fühle. Ich bin hellsichtig geworden in dieser Zeit. Überfeine Ohren habe ich bekommen, Lesley. Auch Sie zweifeln schon an mir. Auch Sie glauben an diese Verrücktheiten.«

»Säße ich dann hier? Hätte ich dann diesem Bruno nachgespürt?«

Huygens' Züge entspannten sich etwas. »Sie haben recht«, gestand er leise. »Ich will mich nicht in neue Zweifel hineinsteigern. Ich kann das nicht brauchen.«

Lesley schwieg. Ängstlich wartete er auf das Kommende. Wie verstört und zergrübelt sah dieser Mann aus! Mußte man nicht auf den Gedanken kommen, er sei krank?

»Das Fürchterlichste ist«, begann der andere nach einem langen Schweigen, »daß ich bald selber an mir zweifle. Mir kam zufällig ein Buch in die Hand, das solch einen Fall zergliederte. Eine psychologische Studie über einen früheren Senator, der solch Doppelleben geführt hat. Und da kam die Frage, diese fürchterliche Frage über mich wie ein Einbrecher in der Nacht.«

Er hielt inne, und Lesley war dicht daran, ihm zu sagen, daß diese Art Lektüre die allerletzte sei, die er in seinem aufgewühlten Nervenzustand gebrauchen konnte.

Ringsum lärmte die Jazzband. Lebejünglinge pfiffen die Melodie mit und winkten den Kokotten. Die Beleuchtung des Kaffeehauses wurde jäh auf Grün, dann auf Rot umgestellt. Begeisterte Juchzer schrillten auf. Und hier saß der Mann, dem das Glück zugefallen war, Litte Friese zu bekommen, mit müdem, freudlosem Lächeln und sah sich scheu um, als wolle jemand sein tiefstes Geheimnis belauschen.

»Welche Frage?«

»Sie werden mich auslachen, Lesley, obgleich es eigentlich nicht zum Lachen ist. Es ist die Frage, ob ich nicht wirklich all das getan habe, was dieser andere getan hat.«

Lesley schüttelte das Grauen ab, das ihn überkam. »Sie sind verrückt, Mensch.«

»Ich glaube es manchmal auch. Sie beleidigen mich gar nicht mal damit.«

»Nehmen Sie sich um Himmelswillen zusammen! Sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann!«

»Das ist es eben. Kein anderer kann mir helfen als ich. Und hier ist der wunde Punkt.«

»Das verstehe ich nicht.«

Huygens beugte sich über den Tisch, um gegen den Lärm der Umgebung anzukommen.

»Ich ertappe mich mitunter auf dem Wunsch, dieser andere zu sein. Begreifen Sie das?«

»Ich will es nicht begreifen«, sagte Lesley fest.

»Überlegen Sie einmal. Ich bin in diesen Tagen und Nächten soviel auf seinen Wegen gegangen, daß ich mich fast in ihn hineingelebt habe.« Ein sonderbares, rätselhaftes Lächeln umspielte seine Züge.

»Das ist eine fixe Idee. Schütteln Sie sie ab!«

»Und dann denke ich, daß ich an seiner Stelle ebenso handeln würde.«

»Das würden Sie nie.«

»Ich weiß nicht«, fuhr Huygens mit dem gleichen merkwürdigen Lächeln fort. »Es muß für einen vom Schicksal Enterbten ein großer Reiz sein, die Rolle des anderen zu spielen, dem er so ähnelt, oder dem er sich so ähnlich machen kann. Es muß eine Art Forderung an das Geschick sein. Einen Wechsel, den man präsentiert. Und in diesen Augenblicken verfliegt mein Haß.«

»Sie haben recht viele Entschuldigungen für diesen Verbrecher«, stieß Lesley erbittert hervor.

»Habe ich auch, ja. Vielleicht hat man das für jeden, in dessen Leben man sich hineindenkt?«

Lesley trank sein Glas leer und setzte es mit einem Ruck hin. »Sie wären mir, offen gestanden, sympathischer, wenn Sie ihn von Polizeihunden jagen und stellen ließen.«

Er fühlte das Rätsel Huygens gelöst; aber es war eine traurige, unmenschliche Lösung, gegen die sein gesunder Verstand sich sträubte. »Arme Litte Friese!« dachte er. »Polizeihunde!« wiederholte der andere verächtlich. »Immer sind es die groben Lösungen, an die man glaubt.«

»Auf alle Fälle sind es die radikalsten. Man muß Gespenster anreden, nein, anschreien, dann verschwinden sie.«

»Gespenster? Kennen Sie die Humoreske Ihres Landsmanns Wilde: Das Gespenst von Canterville?«

»Natürlich«, erwiderte Lesley verwundert. »Eine sehr lustige Geschichte und recht gesund für abergläubische Gemüter.«

»Etwas zu robust. Glauben Sie mir, das Wesentliche des Lebens spielt sich im Halbdunkel ab. Das grelle Licht läßt keine Entscheidung zu.«

»Trotzdem bin ich für Helligkeit. Jener Herr bei Wilde, der die Gespenster einfach auslacht, hat meine volle Anerkennung.«

Ein Zigarrenhändler, ein junger Bursche in einer roten Uniform, trat an den Tisch und bot seine Ware an. Huygens wählte sich eine Zigarre aus, die er mißtrauisch betrachtete.

»Heute keine Zigaretten?« fragte der Boy.

Zerstreut verneinte Huygens. Aber sein Freund hatte aufgepaßt. Hier war wieder ein Fingerzeig.

»Raucht der Herr sonst Zigaretten?« fragte er schnell.

»Hier die kleinen Russen mit Mundstück. Wünschen Sie welche?«

Lesley kaufte ein Paket Zigaretten, die er nie zu rauchen gedachte. »Der Herr bestreitet nämlich«, sagte er mit listigem Lächeln, »daß er schon einmal hier war.«

»Der Herr ist doch hier Stammgast.«

»Sie sind ertappt, mein Lieber. Sie sind als Mitternachtsgast erkannt.«

»Nein«, fiel der Boy ein, »der Herr kommt immer gegen Zehn –« Er stockte, offenbar geniert, daß er einen Kunden verraten hatte. Seine verlegene Miene war so drollig, daß sogar Huygens auflachen mußte.

»Dann werden Sie wohl auch behaupten wollen, daß ich auch gestern hier war, wie?« Beide warteten gespannt auf die Antwort.

»Aber gewiß, Fräulein Lolotte war doch auch da, und es gab doch Krach. Eigentlich«, setzte er verlegen lachend hinzu, »hätte ich nicht geglaubt, daß der Herr heute wiederkäme.«

Lesley gab ihm ein Trinkgeld, dessen Höhe den Zigarrenhändler zu einer Verbeugung veranlaßte. »Sie könnten darauf schwören, daß der Herr gestern um 10 Uhr hier war?«

»Ich weiß es ganz genau, weil ich meinen Dienst zur gleichen Stunde antrat, als der Herr ankam.«

»Gut. Sie können gehen.«

Als er fort war, richtete sich Huygens mit triumphierender Miene auf: »Sie wissen gar nicht, wie ich Ihnen für dieses Verhör dankbar sein muß. Passen Sie auf: um 10 Uhr war ich gestern in Ihrem Hotel und fragte nach Ihnen!«

»Gestern um 10 Uhr? Warten Sie mal. Bis halb Zehn war ich im Klub und machte ein bißchen Bridge mit. Um 10 saß ich im Alsterpavillon und langweilte mich sträflich. Um 11 war ich schon zu Hause. Mit wem haben Sie gesprochen? Mit dem Portier?«

»Der Portier war gerade nicht da; aber ich fragte den Etagenkellner nach Ihnen.«

Lesley, der mit aller Anspannung gefolgt war, schüttelte enttäuscht den Kopf. »Der Kellner ist heute nicht erschienen. Er hat Urlaub genommen; seine Mutter – in Spandau, glaube ich – liegt im Sterben.«

»Vielleicht hat er etwas Schriftliches hinterlassen?«

»Es wäre seine Pflicht gewesen. Wir wollen aufbrechen.«

Beide zahlten und gingen. Am Tisch der Kavaliere saß die Dame, die nach Bruno gefragt hatte, selig betrunken im Arm eines Gent. Keiner achtete auf sie, und sie hielten sich nicht auf.

Als sie im Taxi am Bismarckdenkmal vorüber in die Mühlenstraße einbogen, fragte Huygens plötzlich: »Sieht es nicht so aus, als ob wir hinter mir selber herführen?«

»So ungefähr. Schade, daß Sie mich nicht gleich im Klub anläuteten!«

»Sie waren doch um diese Zeit gar nicht da? Sie sagten es eben selbst.«

Lesley wollte sagen, daß er das nicht hätte wissen können; aber er spürte das erwachende Mißtrauen des anderen und war auf der Hut.

Ihm fiel die Erwähnung der Wilde-Novelle ein, und sie erinnerte an ein Lustspiel desselben Dichters, das ihm viel besser herzupassen schien: »Bunbury«. Wie jener Londoner Lebemann einen Invaliden Bunbury erfunden hatte, um der Kontrolle seiner Verwandtschaft über seine Ausflüge zu entgehen, ebenso konnte auch dieser »Bruno« ein Deckname sein. Aber vielleicht entschied sich im »Großherzog« alles. Wenn der Kellner Huygens' Besuch notiert hatte, waren alle Zweifel behoben. Worüber grübelte er denn eigentlich noch? Das war doch sonst nicht seine Art?

Als der Wagen hielt, sprang Lesley allein heraus, um den Nachtportier zu fragen.

Nein, es sei nichts hinterlassen worden.

Schweren Herzens ging er hinaus.

»Nun?« fragte Huygens gespannt, der eben ausgestiegen war und gerade den Chauffeur entlohnte.

»Er hat die Nachricht hinterlassen«, log Lesley, »aber er konnte es im Augenblick nicht finden.«

Huygens trat zu ihm und schüttelte ihm die Hand, bis sie schmerzte. »Haben Sie Dank, lieber Freund!«

»Wofür?« fragte Lesley bedrückt.

»Für alles. Für den Glauben an mich. Und jetzt vor allem für diese Nachricht. Sie ahnen nicht, wie sie mich befreit.«

»Wollen Sie nicht auf einen Abschiedstrunk zu mir heraufkommen? Ich habe einen Black and White, der Ihre Sympathie finden dürfte.«

»Wo denken Sie hin? Jetzt laufe ich nach Hause. Ich bin todmüde.«

»Aber dann nehmen Sie doch wenigstens den Wagen.«

»Im Gegenteil. Ich muß meine Freude auslaufen – kennen Sie dies Bedürfnis nicht? Ich werde sogar einen Umweg nehmen – über den Hansaplatz nämlich.«

»Warum gerade über den Hansaplatz? Der liegt doch weit von Ihrem Wege ab.«

»Das werde ich Ihnen ein andermal verraten.«

Und, um die Situation zu retten, fügte Lesley lächelnd hinzu: »Eins steht fest, nämlich, daß ich zum Detektiv verflucht wenig Talent habe.«

Noch aus der Ferne tönte Huygens' herzliches Lachen über den menschenleeren Platz.

Ja, das steht fest, sagte er vor sich hin. Aber das ist auch so ziemlich das einzige, was in dieser verwickelten Angelegenheit feststeht.


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