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8

Nottebohm, der »Wirt vom »Fröhlichen Wandsbecker«, verließ seinen Platz an der Theke und schlurrte langsam auf seinen breitausgetretenen Filzpantoffeln die steile, schmale Treppe empor, die mitten aus dem Schankraum nach dem oberen Stockwerk führte.

Die Gäste, die bei Porter und zum Teil – trotz der Hitze – beim Grog saßen, blickten kurz zu ihm hinüber, aber keiner sagte ein Wort. Nur die Tabakspfeifen qualmten etwas stärker auf.

Er ging mit listigem Lächeln die knarrenden Stufen aufwärts, bis er vor einer der beiden Türen stehenblieb, wo er in bestimmtem Takte klopfte: zweimal kurz nacheinander, dann einmal in längerem Zwischenraum. Als man ihm nicht öffnete, drückte er die Klinke nieder, die zu seiner Verwunderung offen stand, und trat schnaufend ein.

»Hallo, Bruno!« sagte er lachend. Beguckst du dir die Aussicht?«

Der Mann, der hier Bruno Nießen hieß, stand am Fenster, durch eine Ritze der blumigen Gardine starrend, und antwortete nicht.

Der Alte trat neben ihn. »Ein hübsches Kind! Verdirb dir man nicht die Augen.«

Endlich drehte sich der andere um. »Laß deine Witze. Weißt du, was das bedeutet?«

»Die lüttje Deern? Was wird sie schon groß bedeuten?«

»Es bedeutet, daß ich erkannt bin«, entgegnete der andere böse. »Weiter nichts.«

»Den Deibel auch. Ist sie es? Dann wundert es mich nur, daß sie nicht reinkommt. Immer rein in die gute Stube, mein Mädchen.«

»Du bist verrückt. Wenn sie mich erkannt hat, und das hat sie, darauf kannst du Gift nehmen, dann ist mein Spiel hier zu Ende.«

»Abwarten und Tee trinken, mein Jüngling. Der alte Nottebohm ist auch noch da.«

Bruno Nießen schob die Gardine etwas beiseite, um sie dann wieder zurückfallen zu lassen. »Sie steht noch immer da.«

Nottebohm, der sich in einem wackligen Lehnstuhl niedergelassen hatte, fragte plötzlich aufmerksam: »Ist noch jemand bei ihr?«

»Nein. Warum?«

»Es hätte sein können, daß sie sich einen Kriminalen zu Hilfe genommen hat. Dann könnten wir uns den Knaben mal büschen genauer ansehen.« Er wiegte lachend seinen Kopf hin und her. »Und es ist Gottseidank nicht immer so bannig hell wie jetzt.«

»Keine Dummheiten, Nottebohm!«

»Pah, man kann nicht wissen, wozu das gut ist. So 'nen Kierl hätte ich schon lange gern mal zwischen Daumen und Zeigefinger gehabt.«

»Jetzt spricht sie ein junger Mann an«, rief der andere aufgeregt.

»So?« Mit einer Elastizität, die man ihm nicht zugetraut hätte, sprang der Alte auf.

»Aber sie weist ihn ab, und er zieht wie ein begossener Pinscher ab. Nun geht sie auch – –«

»Allein?«

»Ja. Und nun genug davon.«

»Mich interessiert das nun mal. Für kommende Fälle.

Wer ist sie und wie heißt sie?«

»Sie heißt Friese. Litte Friese.« Ein dunkles Leuchten glitzerte in seinen Augen auf. »Merk dir das. Und dem Mädel geschieht nichts, verstehst du?«

Der Alte hatte sich wieder gesetzt. »Eifersüchtig? Sieh mal an. Du hast es gerade nötig.«

»Was meinst du damit?«

»Das werde ich dir sagen, min Söhn. Und zwar in aller Ruhe. Du verdrehst meiner Hanne unten nicht mehr den Kopf. Das war heut das letzte Mal, daß du mit ihr aus warst.« Seine harte Faust schlug auf den Tisch.

»Das wirst du schon mir überlassen müssen.«

»Nöh, das geht nun mich wieder an. Darin bin ich direkt komisch. Hanne ist nämlich mein Enkelkind.«

»Das hast du mir schon öfter erzählt.«

»Heut ist's das letzte Mal«, erklärte Nottebohm bestimmt. »Sonst bist du die längste Zeit hier zu Besuch.«

Bruno Nießen sah ihn zornig an. »Du bist auf mein Stillschweigen genau so angewiesen wie ich. Wenn die Polizei von deinen Gaunereien und Wucherpapierchen erfährt – –«

»Halt's Maul. Ich habe keine Bange. Vor niemanden, verstanden?« Er straffte seine Gestalt; es war klar, daß er einen gefährlichen Gegner abgeben konnte.

Der Jüngere ging ein paarmal in der engen Stube auf und ab. Wenn er in die Nähe des Fensters kam, spähte er jedesmal vorsichtig hinaus. »Und wenn sie wiederkommt?« fragte er mit aufsteigender Angst. »Wenn sie wiederkommt? In eine Wirtschaft kann jeder kommen, auch wenn es eine Spelunke ist, wie der ›Fröhliche Wandsbecker‹ es ist.«

»Nur wenn der Wirt will. Und ich werd' dann eben mal nicht wollen. Sei keine Bangbüchs!«

Der andere blickte verstört hinaus. »Ich hätte hier nie herkommen sollen«, sagte er bedrückt.

»Als du damals zu mir kamst, hättest du deine Seligkeit für ein Rundstück verkauft, so hast du mich um eine Zufluchtsstätte gebeten.« Er lachte auf. »Zufluchtsstätte! So hast du gesagt! Wie in der Zeitung! Du hast es ja immer mit dem Noblen gehabt.«

Bruno ließ sich ihm gegenüber nieder. »Das Reden hat keinen Sinn. Es wird jetzt sowieso aus sein. Dies Mädchen wird schon dafür sorgen.«

»Hältst du sie für so gefährlich?« Nottebohms Gesicht wurde hart. »Dann sag' ihr, sie soll sich in acht nehmen.«

»Und ich verbiete dir, diesem Mädchen zu schaden. Ich bin zu allem fähig, wenn du es tust.«

Nottebohm erhob sich bedächtig. »Steht es so mit uns? Du bist nervös, min Jung. Dat is alles. Ich will dir mal nen lütten Schnaps holen. Der wird dich wieder klar machen.«

Zu Brunos Erstaunen trat einige Minuten später Hanne ein; sie trug eine Rumflasche und ein Glas in der Hand.

»Sieh mal an! Er läßt dich herauf?«

»Charly ist unten«, flüsterte sie. »Dieser Kerl!« Sie goß ihm mit zitternder Hand ein. »Sie haben wieder was vor, und dein Name fiel auch.«

Bruno trank das Glas aus und schenkte sich ein neues ein.

»Was wollen sie denn?«

»Ich weiß nichts.« Plötzlich veränderte sich der Ausdruck ihres Gesichts, das bat und flehte.

»Was ist denn mit dir los?«

» Tu's nicht!« sagte sie mit gerungenen Händen. »Folge dem Alten nicht! Du bist viel zu schade dafür.«

»Wer weiß?«

»Er wird dich noch ins Unglück bringen. Jeden bringt er dahin.«

Er lachte vergnügt. »Weißt du auch, daß du von deinem Großvater sprichst?«

»Ja«, entgegnete sie trotzig. »Was er macht, geht mich nichts an. Das hat er selber auszufressen. Aber dich soll er nicht reinziehen.«

»Warum denn gerade mich nicht?«

»Weil ich's nicht will«, beharrte sie, mit dem Fuß aufstampfend.

»Sachte, sachte, wenn er das hört, gibt's Prügel.«

Ihre Augen blitzten. »Das ist mir egal. Aber wenn er dir schadet, renne ich weg und zeige alles an. Ich brauche bloß zu warten, bis dies Fräulein wiederkommt. Meinst du, ich habe nicht gemerkt, wie sie dich erschreckt hat?«

»Halt' den Mund«, schrie er wütend auf.

Er hob die Hand zum Schlage; aber ein Blick aus ihren Augen lähmte ihn. Er sah ihr ratlos nach, wie sie, die kleinen Fäuste geballt, langsam hinausging.

Nottebohm kam wieder, er lächelte zufrieden, als er den anderen trinkend fand.

»Habt ihr euch hübsch unterhalten? Darf man fragen, worüber?«

Bruno, der sich ein neues Glas des scharfen Getränks eingoß, antwortete hämisch: »Wir haben eben besprochen, wo wir morgen tanzen werden.«

»Buxtehude«, meinte Nottebohm achselzuckend. »Warum trankst du nicht aus der Buddel. Das flutscht doch besser.«

»Willst du mich betrunken machen?« fragte Bruno argwöhnisch.

»Bewahre. Dazu ist mir mein Schnaps zu schade. Nun hör mal zu. Charly ist unten und hat erzählt, daß sie Arnold geschnappt haben.«

»Arnold?«

»Sie haben seinen Laden in Eimsbüttel ausgehoben. Du weißt, alles war Sohre. Er war zu frech. In Harburg einzubrechen und sich in der Telemannstraße davon einen Laden einzurichten – was zuviel ist, ist zuviel. Mich geht's nichts an. Nun hör aber mal in Ruhe zu. Es ist wegen Charly.«

Bruno Nissen hielt sich die Ohren zu. »Ich will heute nichts davon wissen.«

»Angst? Immer noch dies Fräulein?«

Bruno Nissen wollte auffahren, aber er geriet ins Taumeln, und der Alte nahm ihn in seine Arme.

»Besoffen«, stellte er gemütlich fest. »Leg dich nur 'n büschen aufs Kanapee.«

Er wartete noch, bis der andere nach einigem unwilligen Murmeln und Brummen eingeschlafen war.

Dann nahm er Flasche und Glas und verließ mit einem verächtlichen Blick auf den Daliegenden den Raum.


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