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16

Als Litte Friese ihr Haus verließ, stieß sie auf Herrn Janowski, den sie schon fast vergessen hatte. Er schien auf sie gewartet zu haben.

»Haben Sie mir wieder etwas mitzuteilen?« fragte sie spitz.

Sein Gesicht war ganz Trotz und Entschlossenheit. »Ja. Ich betrete die Huygens'sche Bude nicht mehr.«

»Man hat Ihnen gekündigt?«

»Nein, ich habe der Firma gekündigt«, sagte er stolz.

»Dann haben Sie mehr Charakter, als ich dachte.«

Sie wollte an ihm vorüber; aber er stellte sich ihr in den Weg. »Ist es wahr, daß Sie auch gekündigt haben? Alle sagen es im Geschäft.«

»Ist denn keiner auf den Gedanken gekommen, daß ich beurlaubt bin?«

»Beurlaubt? Außerhalb der Zeit?« Seine kleinen Schellfischaugen starrten sie an, als ob sie einen Witz gemacht hätte, dessen Pointe er nicht verstand. Endlich setzte er hinzu: »Natürlich haben Sie das Recht, mich zu verkohlen. Aber im Ernst: bleiben Sie nicht länger dort; es tut nicht gut.«

»Zerbrechen Sie sich nicht über mich den Kopf, Herr Janowski.«

»Es ist eine Räuberhöhle, und Sie sind viel zu schade dafür, Fräulein Friese. Jawohl, Räuberhöhle. So hat es gestern unser Chef selber gesagt.«

Nun blieb sie doch stehen. »Wer hat das gesagt?«

»Herr Huygens«, erklärte er triumphierend. »Zu Herrn Uhlenwoldt hat er es gesagt, und sie sind sich beinahe in die Haare geraten.«

Litte Friese schwang sich auf eine herankommende Elektrische und verschwand im Innern. Dieser junge Mann hatte einmal die ganze Lawine ihrer Sorgen und Ängste in Bewegung gebracht, und sie hatte ein beklemmendes Gefühl, daß er auch diesmal ein Unglücksrabe sei.

Aber sie schüttelte den dummen Gedanken ab; es gelang ihr leicht, da sie glücklich war. Alles war anders gekommen, als sie nach jenem aufregenden Besuch im »Fröhlichen Wandsbecker« hatte ahnen können.

Sie hatte Uhlenwoldt seitdem nicht mehr gesehen; er hatte ihr einen Brief zugehen lassen, der sie auf vierzehn Tage beurlaubte, und jetzt war er verreist.

Diese Mitteilung von seiner Reise hätte sie mit Unbehagen erfüllt, wenn sie den Grund und die Folgen geahnt hätte. Einstweilen war sie froh, daß sie frei war und daß Detlev Huygens, über die unerwartete Wandlung seines Onkels doppelt froh, sich ihr widmete, soweit das Geschäft es irgend zuließ. Nichts war in diesen Tagen geschehen, was ihre Stimmung trüben konnte. War der Spuk vorüber? War Detlev an ihrer Liebe gesundet?

Sie waren durch die Lüneburger Heide gestreift, hatten inmitten von Heidschnuckenherden gefrühstückt und wortkarge Schäfer beim Stricken ihrer Strümpfe gestört. Sie hatten vor den Steinblöcken der Hünengräber gestanden, wo König Ringelhaar und all die anderen unter phantastisch geformten Wachholderbüschen schlummerten. Sie waren zusammen auf Helgoland gewesen, und nur ihnen zuliebe hatte die Nordsee jeden Gedanken an Sturm aufgegeben. Nie hatte sie gedacht, daß das Leben so schön sein könnte.

Das sagte sie auch Dr. Bendix, der zufällig ein paar Haltestellen später einstieg.

»Ich dachte mir gleich, daß Sie glücklich sind, Fräulein Litte. Glückliche Leute haben keine Zeit für andere.«

Jetzt erst fiel ihr ein, daß sie sich die ganze Zeit nicht um die lieben alten Leute in der Claus-Groth-Straße gekümmert hatte, und sie lachte verlegen. »Ich bin wohl recht undankbar?«

»Schrecklich. Aber Gott sei Dank für Sie. Und ich atme auf, denn ein bißchen Sorge hatte ich schon.«

»Kein Grund, Doktor. Gar keiner. Alles ist vorüber, Sie wissen, was ich meine?«

Der alte Herr nickte freundlich und nachsichtig; seine Informationen lauteten ganz anders.

Er hatte die Angaben seines Detektivs nicht an Litte weitergeleitet, um sie nicht mehr zu erregen. Es schien ihm besser, daß Männer so etwas in die Hand nehmen. Nun sah er an ihrem glücklichen Gesicht, daß er unbewußt richtig gehandelt hatte, und er hütete sich, dieses Glück zu trüben.

Diese Zeit war so schön, daß sie täglich einen Rückschlag fürchtete; und er trat auch prompt ein.

Am nächsten Morgen läutete Detlev Huygens sie in ihrer Wohnung an. »Du mußt Krankenschwester spielen, Liebe, nur ein paar Tage. Der Onkel ist krank heimgekommen. Ich erzähle dir alles. Er will keinen Fremden um sich haben, und man kann ihn doch trotz allem nicht sich selbst überlassen …«

Christoph Uhlenwoldt war krank heimgekehrt, d. h. er war im Krankenwagen heimgefahren worden und lag nun mit ziemlich verfallenem Gesicht und wechselnden Fieberkurven.

Anfangs protestierte er beständig dagegen, daß man ihm fremde Aufpasser aufdrängen wolle, und er sprach »fremd« so gehässig aus, als ob es gleichbedeutend mit »feindlich« sei. Er hatte sich in sein Arbeitszimmer betten lassen, das Telephon neben dem Divan. Er konnte es nicht selbst bedienen, aber er konnte alle Gespräche mit anhören.

Litte Friese seufzte, als sie das Undankbare ihrer Aufgabe erkannte. Aber der kranke Mann, dessen Gesundheit vor kurzem noch so unverwüstlich schien, tat ihr leid, und sie ergab sich drein.

Was geschehen war, erfuhr sie von Detlev Huygens und noch deutlicher aus den Zeitungsberichten. Und es war schlimm und abenteuerlich genug.

Uhlenwoldt war, trotz der Abneigung des Juniorchefs, am Spritschmuggel nach Finnland beteiligt gewesen. In den Schären zwischen den Aalandsinseln und Abo, im Skiftesund, besaß er eine Reihe verborgener Verstecke.

In stiller Nacht kamen seine schnellen Schiffe, voran der »Pikbube«, der einst ein nicht abgenommener Torpedobootzerstörer gewesen und auf Umwegen von ihm angekauft war. Manche schwere Fahrt war über die Ostsee gemacht worden. Auf den hunderten Inselchen, oft nur Felsenklippen, warteten die Abnehmer, die funkentelegraphisch nach einem eigenen Code unterrichtet waren.

In harmlosen Fischerkuttern, in Booten oder luxuriösen Yachten, denen lange Zeit niemand ihre Nebenbestimmung ansah, wurde das Gut aufgenommen und zu gelegener Stunde an Land gebracht. Es gab großen Gewinn, aber auch großes Risiko.

Wie groß es war, sollte Uhlenwoldt an seinem eigenen Leibe erfahren. Die finnischen Zollkreuzer stellten eines Nachts den »Pikbuben« und jagten ihn aus seinem Schlupfwinkel. Zunächst halfen die starken Maschinen dem verfolgten Schiff aus dem Bereich der fremden Geschütze.

Aber dann setzte ein Nebel ein, als seien hundert der mitgebrachten Nebelbomben an Bord geplatzt. Anfangs hatte man über den Nebel frohlockt, aber in dem gefährlichen, klippenreichen Gewässer hörte er bald auf, ein Bundesgenosse zu sein. Er wurde Feind.

Sturm setzte ein und das Steuer zerbrach, das in mühseliger Arbeit durch ein Notruder ersetzt wurde. Uhlenwoldt, der die ganze Zeit über neben dem Kapitän auf der Kommandobrücke gestanden hatte, wäre um ein Haar von einer Sturzwelle über Deck gespült worden.

Morgens um vier Uhr lief das Schiff auf Strand. Die überanstrengten Maschinen arbeiteten unregelmäßig; zu allem anderen stellte sich heraus, daß das Schiff leck war. Die überarbeitete Mannschaft konnte das Wasser nicht mehr herauspumpen.

Als mit aufsteigender Sonne die See ruhiger geworden war, verließ man schweren Herzens den »Pikbuben«, der 24 Stunden später von finnischen Verfolgern entdeckt und beschlagnahmt wurde. Jetzt lag sie im Dock und sollte als Zollkreuzer »Sastmola« glorreiche Auferstehung feiern.

Uhlenwoldt hatte mit einem Dutzend anderer in einem Boot die wogende See überquert und war nachts nach Riga gekommen, von da in einem Danziger Schiff nach Danzig. Hier erst brach er zusammen, um, nach mehrtägigem Liegen, im Flugzeug über Berlin nach Hamburg zu kommen. Alle seine finnischen Pläne waren in Luft aufgelöst.

Er lag zähneknirschend da, die Fäuste geballt, leise in allerlei Sprachen vor sich hin fluchend. Aber seine zähe Natur begann langsam mit der schweren Erkältung fertig zu werden.

Ein Arzt aus der Nachbarschaft, der wenig Praxis hatte, kam zweimal am Tage; der Kranke hatte sich geweigert, einen der bekannten, teuren Ärzte an seinem Lager zu sehen.

Da er ständig fror, war ein elektrischer Ofen aufgestellt worden. Die Luft im Arbeitszimmer war zum Ersticken und zwang Litte Friese, von Zeit zu Zeit das Zimmer zu verlassen und am offenen Fenster frische Luft zu schöpfen. Es fiel ihr auf, daß der unruhige Kranke ruhig war, wenn er den Blick auf den altmodischen Wandschrank richten konnte. Wahrscheinlich blickte er auch in seinen schlaflosen Nächten so auf den Schrank. Sie dachte an Molières Harpagon: mit dieser gleichen Energie des Geizigen starrte er auf das Gehäuse.

Dabei war so wenig Bargeld drinnen, daß sie bei größeren Ausgaben immer erst zu Langelüddecke gehen mußte. Und dann zahlte eine Firma wie Huygens & Huygens doch mit Schecks. Was konnte ein kleiner Wandschrank so Wertvolles oder Geheimnisvolles enthalten? In der Langeweile des Tages wurde diese Frage immer wichtiger. Der Gedanke an Detlev, den sie jetzt nur auf Minuten sah, erhellte sie nicht. Er war ernst und sorgenvoll. Hatte Uhlenwoldts gewagtes Spiel die Firma schwerer getroffen, als sie ahnte? Krachte es im Gebälk des alten Hauses am Buthenfleeth?

Erbittert blickte sie auf den Kranken, der unter halbgeschlossenen Lidern zu dem Schrank hinüberstarrte. Das also war das Ende der ewigen Geheimniskrämerei: was er nicht seiner Sekretärin und kaum dem Neffen anvertraut hatte, war Stoff für die Zeitungen geworden.

Es würde eine schwere Zeit für Detlev werden, jetzt, wo alle Blätter über das finnische Abenteuer berichteten. Es gab hübsche Feuilletons über den neuen Störtebecker und ernste Artikel, die nach den Schuldigen fragten.

» Die Schuldigen«, hieß es überall. Niemand wußte besser als sie, daß Detlev von Anfang an gegen diese abenteuerliche Sache gewesen war, aber würde die Öffentlichkeit das glauben? Und das mußte gerade in dieser Zeit geschehen, wo endlich seine Stirn wieder hell und faltenlos geworden war, wo er sein gutes Jungenlachen wiedergefunden hatte! »Woran denken Sie?« fragte Uhlenwoldt plötzlich mit seiner etwas rasselnder Stimme.

»Daran, daß Ihr so sorgsam gehütetes Geheimnis nun von jedem Zeitungsjungen ausgerufen wird.«

»Mein Geheimnis?« erwiderte er mit einem kurzen Auflachen. »Was weiß ein Küken wie Sie von Uhlenwoldts Geheimnis?«

Der höhnische Ton seiner Stimme empörte sie. »Ich bin überzeugt, daß Sie auch noch andere auf Lager haben.«

Sie folgte seinen Blicken, die wieder den Wandschrank umfaßten, und überhörte sein spöttisches Lachen. Was lag dort? Etwas, das dieser undurchsichtige Mann verbergen mußte? Aber dann mußte es gefährlicher sein als diese finnische Seeräubergeschichte.

Litte Friese war von Natur aus nicht neugierig. Aber das ängstliche Schielen des Mannes nach dem Wandschrank und sein überlegener Ton reizten sie. Wenn je die Gelegenheit kam, ihn zu überrumpeln, so war jetzt die Stunde dazu.

Sie erhob sich und sagte so gleichmütig wie möglich: »Suchen Sie etwas? Ich hole es Ihnen gern.«

Er antwortete nur mit einem ärgerlichen Kopfschütteln. Sie ging, als hätte sie nichts bemerkt, auf den halb geöffneten Schrank zu. »Wo ist es denn?«

»Nicht dort suchen!« krächzte er. »Nicht dort. Was fällt Ihnen ein?« Er versuchte, sich zu erheben, glitt aber in die aufgestapelten Kissen zurück.

Litte Friese blieb vor dem Schrank stehen. Die Türöffnung zeigte nur die gewohnten und ihr bekannten Papierbündel und Bücher. Wo konnte dort etwas versteckt sein, das er nicht zeigen wollte?«

Der Tintenstift, den sie in der Hand gehalten hatte, entfiel ihr, und sie hob ihn auf. Als sie sich aufrichtete, sah sie in einem flüchtig vorüberhuschenden Sonnenstrahl etwas aufblinken: einen winzigen metallischen Knopf in der linken Seitenwand, den sie bis dahin nicht bemerkt hatte.

Nun, wo sie aufrecht stand, sah sie ihn nicht mehr; aber sie wußte nun doch die Richtung, in der sie zu suchen hatte.

Sie spürte die mißtrauischen Blicke des Kranken und entfernte sich unter einem Vorwand. Was für ein Geheimnis schlief da drinnen? Uhlenwoldt hatte selber mal von dem »Skelett im Hause« gesprochen. Sie mußte dahinter kommen, um diesen zwiespältigen Mann ganz in der Gewalt zu haben. Sie traute seiner Freundlichkeit nicht mehr.

Sie kam mit dem Arzt, einem kleinen, behenden Fünfziger, ins Krankenzimmer zurück.

»Darf ich weiter rauchen, Gnädigste?« fragte der kleine Herr mit seiner ewigen altmodischen Galanterie. »Sollen Engelsköpfchen nicht auf Wolken schweben?«

»Bitte, Herr Doktor, wenn es dem Patienten nichts schadet –«

»Rauch vertreibt die Bazillen.«

Sie hustete. »Wenn Sie sich bloß ein besseres Kraut angewöhnen wollten!«

Der Doktor schmunzelte. »Meine Kundschaft ist zu gesund. Glauben Sie übrigens, daß ich an Herrn Uhlenwoldt soviel verdienen werde, daß ich mir Upmanns leisten kann?«

»Ausgeschlossen«, knurrte Uhlenwoldt. »Bin ich für Sie da? Oder Sie für mich?«

»Notabene haben meine Zigarren den Vorzug, daß alle Fliegen im Raketentempo flüchten.«

»Also Hygiene?« fragte Litte Friese lächelnd. Dieser Schwätzer mit seinen ewig gleichen Witzen war ihr greulich, aber sie nahm sich vor, ihn heute gut zu behandeln.

»Unsere blonde Schönheit ist nicht auf das Köpfchen gefallen. Beneidenswert, unser Patient! Welcher Kranke hat soviel Schönheit immer vor Augen?«

»Sie sollten saufen«, krächzte Uhlenwoldt vom Bett her.

»Dann können Sie sie doppelt sehen.«

»Womöglich Ihren finnischen Sprit, wie?« Aber er zuckte unter dem grimmigen Blick des Kranken so zusammen, daß er fast seine Zigarre fallen ließ.

»Wissen Sie nicht, daß man im Hause des Gehenkten nicht vom Strick spricht?«

Der Arzt hatte ihm als erstes Rezept völlige Enthaltsamkeit im Lesen empfohlen. Uhlenwoldt hatte zwar gehöhnt, ob er ein hysterisches Weib sei, daß sich durch Gedrucktes aufregen lasse, hatte aber gehorcht. Vielleicht vermied er auch nur, Unangenehmes lesen zu müssen.

»Es ist schon wieder alles vorüber. In Berlin ist ein Gasometer geplatzt, und im Rheinland läuft ein Jack the Ripper herum. Das lenkt die Leute ab. Wissen Sie übrigens den neuesten Witz? Geht da einer unserer Halbstarken am Bismarckdenkmal vorbei–«

»Soll ich hinausgehen?« fragte Litte Friese.

Der Doktor schlug sich auf die Schenkel vor Lachen. »Das könnte Ihnen so passen, draußen Ihre Phantasie spazieren gehen zu lassen. Sehen Sie nur, wie unsere blonde Schönheit schuldbewußt errötet.«

»Erzählen Sie endlich Ihren Witz zu Ende«, knurrte Uhlenwoldt. »Wahrscheinlich werde ich ihn längst kennen.«

Ob der Witz schlimm oder salonfähig war, kam Litte Friese nicht zum Bewußtsein. Sie war mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Sie wußte nun, daß der Druck auf diesen versteckten Metallknopf in der linken Wand ein Geheimnis preisgeben würde. Vielleicht lag hier der Schlüssel zu dem Geheimnis des Hauses Huygens & Huygens, von dem nicht einmal Detlev etwas wußte. Aber wie konnte sie an das Fach gelangen? Uhlenwoldt hatte einen leichten Schlaf wie ein Hase. Aber plötzlich fiel ihr ein, daß man das ändern konnte.

Der Doktor hatte inzwischen seinen Patienten geprüft und schien unschlüssig.

»Sie gefallen mir nicht so recht. Wie steht es denn mit dem Schlaf?«

»Hundsmiserabel.«

»Aber das ist doch das Wichtigste. Fräulein Friese, ich muß einen ernsten Tadel aussprechen.«

»Aber wenn Herr Uhlenwoldt doch kein Schlafmittel will?«

Das Gesicht des Kranken verzerrte sich zu einer so zornigen Grimasse, daß der kleine Doktor erschrak. »Schlafpulverchen einflößen, wie? Damit man mich im Schlaf seelenruhig ausplündert?«

»Aber was für eine Idee! Ich bitte Sie, wer sollte Sie wohl ausplündern? Sie werden Ihre Schätze doch wohl auf der Bank hinter Stahl und Eisen haben. Oder ist der russische Kronschatz bei Ihnen versteckt?«

»Das verstehen Sie nicht, Medizinmann. Es ist mir ganz recht so, wie es ist. Genau so. Alte Leute brauchen nicht soviel Schlaf.«

»Ohne Schlaf kommen Sie aber nicht in die Höhe. Seien Sie doch nicht so eigensinnig.«

»Unsinn. Trinken Sie einen Schnaps; dann kommen Sie auf bessere Gedanken.«

»Eine treffliche Idee. Ich gehöre nicht zu jener medizinischen Schule, die Alkohol nur als Medizin betrachtet.«

»So holen Sie doch den Stoff, Fräulein, lassen Sie uns nicht warten.«

Der Doktor wiegte mißbilligend den Kopf. Wie konnte man nur ein so hübsches, feines Mädchen so anschnauzen! Nur ein Tolpatsch wie der alte Bursche da war dazu imstande.

Litte Friese holte das Getränk und stellte es mit zwei Gläsern auf den Tisch.

»Wo ist das dritte Glas? Sie wollen wohl kneifen?«

Sie holte lächelnd ein drittes Glas und schenkte ein. Sie und der Patient nippten nur; aber der Doktor leerte das Glas mit einem kräftigen Schluck. »Pfui Teufel, schmeckt das gut! Vor dem Schnaps 'nen Schnaps und nach dem Schnaps 'nen Schnaps. Sonst bekommt es nicht. Prost. Auf unsere schöne barmherzige Schwester!«

Litte Friese dankte mit so verwirrendem Lächeln, daß der kleine Herr sie ganz verdutzt anblinzelte.

Er trank noch einige Gläser – »nur um zu sehen, wie graziös unsere blonde Hebe einschenkt« –, und er entschloß sich nur schwer zum Gehen, als Uhlenwoldt ihn fragte, ob er keine anderen Patienten hätte.

Als er draußen seinen Hut aufsetzte, stand Litte Friese plötzlich neben ihm. »Ich muß Sie einen Augenblick sprechen, lieber Herr Doktor.«

»Nicht nur einen Augenblick, Kindchen.« Er versuchte spaßhaft eine zärtliche Bewegung, der sie aber geschickt ausbog.

»Ich habe heute keinen Sinn für sowas«, sagte sie mit gut gespielter Verwirrung. »Herr Uhlenwoldt macht mir zuviel Sorge.«

»Der Glückliche!«

»Herr Uhlenwoldt muß schlafen, er muß. Das werden Sie als Arzt doch einsehen. Haben Sie nicht ein Schlafpulver an der Hand, das man ihm unauffällig geben kann? Ich kann seine Schlaflosigkeit nicht länger mit ansehen. Wollen Sie mir diesen Dienst leisten?«

Verwirrt durch die blauen Augen, holte er reichlich ungeschickt zwei gefaltete Papierchen vor. »Das reicht für heute, und morgen wollen wir weiter sehen.«

»Aber nichts verraten, lieber Doktor. Sie wissen, wie eigensinnig unser Patient ist.«

»Wo denken Sie hin! Auf Wiedersehen, Fräulein Friese.«

Sie war schon wieder im Zimmer, als er noch die Hand zum Abschied ausgestreckt hielt.

Uhlenwoldt blickte sie argwöhnisch an.

»Was hatten Sie noch mit dem alten Idioten zu besprechen?«

»Er hatte sein Hörrohr liegen lassen.«

»Davon habe ich nichts bemerkt.«

Sie stellte den Kognak in den Schrank. »Sie sollten den Doktor nicht zum Trinken veranlassen.«

»Wieso, wurde er draußen zärtlich?«

Sie antwortete nicht und vertiefte sich in die Korrespondenz. Als es fünf schlug, erhob sie sich, um Uhlenwoldt die Medizin zu geben, der sie vorher beide Schlafpulver beimischte.

Aufmerksam beobachtete sie, wie er sich unruhig herumwarf und gegen den aufkommenden Schlaf ankämpfte, wie er undeutliche Worte vor sich hin murmelte und die Augen schloß. Die Atemzüge wurden regelmäßiger. Endlich schlief er tief und fest.

Als sie noch eine Viertelstunde gewartet hatte, trat sie an den Wandschrank. Beide Seitenwände trugen eine Reihe kupferner Knöpfe in ornamentaler Linie. Sie mußte eine Weile herumprobieren, bis sie etwas unter ihrer Hand nachgeben fühlte. Eine Klappe fiel herab, und eine schmale, tiefe Schatulle wurde sichtbar.

Litte zog sie vorsichtig heraus. Auch jetzt, wo sie Uhlenwoldt schlafend wußte, vermied sie ängstlich jedes Geräusch.

Die Schatulle war ganz von einer schwarzledernen, verschabten Mappe ausgefüllt. Der Inhalt bestand aus Briefen mit ausländischen Marken, Zeitungsausschnitten und einem langen Schreiben in einem besonderen Umschlag.

Als sie den Namen George Huygens las, den Namen von Detlevs Vater, wußte sie, daß sie am Ziel war.

Ihre ein wenig zitternden Mädchenfinger rüttelten an dem Geheimnis des Hauses Huygens.


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