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Etwas später am selben Nachmittag saß Hansten-Jensen an der Bar im Trocadero und genoß in aller Stille einen Cocktail. Er hatte auf einem Taburett neben der Wand Platz genommen und unterhielt sich leise mit einem der Barmädchen. Nur wenige Gäste befanden sich im Lokal, man sparte Licht, und der Raum lag darum im Halbdunkel. Die anderen Räume, die man hinter einer grünen Portiere liegen sah, waren wie schwarze, leere Abgründe, aus denen kein Laut kam. Das ganze Etablissement mit den vielen leeren Tischen und Stühlen und den symmetrisch geordneten, hochbeinigen Taburetts bot ein Bild vollkommener Sinnlosigkeit. Es sah aus, wie ein menschenleerer, halb dunkler Zirkusgang vor der Vorstellung. Alles war auf den munteren Lärm später Abendstunden eingestellt, wenn rauschende Musik, Alkoholgenuß, ohrenbetäubender Lärm und flatternder Tabakrauch die gähnende Langeweile zu vertreiben vermochten. Die wenigen Gäste, die anwesend waren, befanden sich noch unter dem behaglichen Einfluß eines Nachrausches, der alles verzieh und sogar das Gähnen der Mädchen übersah.
Niemand kann so überlegen und gründlich wie eine Bar-Dame ihrem Entsetzen über die Extravaganzen eines frohen Lebemannes Ausdruck geben. Wenn sie sich über den Tisch legt und ihre Meinung über Dinge und Geschehnisse zum besten gibt, entwickelt sie dabei eine unvergleichliche, vertrauliche Allwissenheit und fast imponierende Würde. Ihre Aeußerungen sind immer mit einer Mannigfaltigkeit von Parenthesen gespickt, wie zum Beispiel: »Und das will ein feiner Herr sein« – »das geht doch wirklich nicht an« – »man muß sich doch in acht nehmen« und dergleichen. Sie äußert sich mit echter Ueberzeugung und reicher Sachkenntnis. Eine leichtsinnige Frau spielt meistens gern die Rolle einer Madonna mit Augenaufschlag. Und sie glaubt selbst daran.
Auf diese Weise erfuhr Hansten-Jensen allerhand über das Fest am vorhergehenden Abend. Valborg oder wie sie hieß, begriff nicht, wie so'n feiner älterer Herr sich so unglaublich benehmen konnte. Denn daß er ein wirklich feiner Herr war, hatte er durch das Heer von Champagnerflaschen bewiesen, das er auffahren ließ. Aber Gott, wie taktlos hatte er sich benommen, als er den Champagner über die ganze Bar goß. Daß Valborg selbst ihm behilflich gewesen war, einen Zylinder mit Champagner zu füllen, hatte sie total vergessen.
Und noch etwas anderes hatte Valborg mißfallen. Daß Jos seine gespickte Brieftasche beständig zeigte. Wieder und wieder hatte er sie hervorgezogen und gezeigt, wie sie förmlich mit Tausendkronenscheinen gespickt war. So was tut doch kein feiner Herr! Und Valborg feuchtete ihre Lippen mit Portwein und fühlte mit der Zunge nach, ob der Puderrand auf der Oberlippe auch keinen Schaden genommen habe.
»Bist ja höllisch vornehm geworden,« sagte Estella, die sich zufällig in der Nähe befand und die letzten Worte gehört hatte.
»Halt den Schnabel,« antwortete Valborg und gab der Freundin einen hinten drauf.
Hansten-Jensen merkte, daß er seit längerer Zeit von einem Herrn beobachtet wurde, und jetzt trafen sich ihre Blicke. Es war Suron. Er saß zwischen zwei anderen Herren an der Bar. Sie tranken Champagner mit einigen Mädchen, die hin und her gingen und die Flaschen für den Abend ordneten.
Suron sah nicht fort, sondern schien verständnisvoll zu lächeln, als Hansten-Jensen ihn musterte. Gleich darauf machte der Finne ihm ein Zeichen zu, und sie ließen sich in zwei bequemen Lehnstühlen mitten zwischen den öden Tischen nieder.
Der Detektiv sah den Finnen zum erstenmal in der Nähe. Seine Augen blitzten wie die eines Jünglings, und seine Erscheinung hatte etwas Elastisches und Energisches, als ob er beständig auf dem Sprunge sei. Wie alle anderen, die Suron zum erstenmal trafen, war auch Hansten-Jensen von dieser gesunden und kräftigen Persönlichkeit frappiert. Er wirkte außerdem sympathisch, sein Lächeln war geradezu gewinnend.
Er nannte seinen Namen und auch Hansten-Jensen stellte sich vor. Worauf Suron bemerkte:
»Es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich sah Sie neulich bei Nimb mit meinem Freund Krag, und ich kann mir denken, daß Sie ein Kollege von ihm sind. Ich hörte, Daß Sie mit Valborg von Schiffsreeder Christensen sprachen. Ist er wieder aufgetaucht?«
»Woher wissen Sie, daß er verschwunden ist?« sagte Hansten-Jensen.
»Durch seine Sekretärin, Fräulein Aino Erko, eine Landsmännin von mir. Ich war gestern nacht eine Zeitlang mit ihm zusammen und machte mir Sorge um ihn, denn er ist ein guter Freund von mir und in solcher Verfassung hatte ich ihn noch nie gesehen, er war ganz hysterisch.«
Er heftete seine ruhigen, kalten Augen forschend auf den Detektiv. Und dann lächelte er. Hansten-Jensen sah dieses Lächeln, er fing es gleichsam mit seinen Nerven auf, und ein unfreiwilliges Gefühl von Unbehagen überschlich ihn.
»Ich versuchte ihm beizustehen,« fuhr er fort, »aber es war nicht möglich. Schließlich wurde er unverschämt gegen mich und forderte mich auf, mich zum Teufel zu scheren, er sei kein Wickelkind, erklärte er. Na gut, dachte ich, wenn du absolut fünf bis sechs von deinen Tausendkronenscheinen loswerden willst, dann ist der Schaden wohl auch nicht groß. Er verdient sie ja im Handumdrehen wieder. Darum überließ ich ihn sich selbst.«
»Fünf bis sechs,« murmelte Hansten-Jensen, »das langt nicht.«
»Na, sagen wir zehn-, zwölftausend. Obgleich, so viel wird er wohl kaum losgeworden sein.«
»Auch zehn-, zwölftausend reichen noch nicht,« sagte der Detektiv.
Suron hob seine Augenlider ein wenig, und jetzt erst wurde es Hansten-Jensen klar, daß es diese seltsamen Augen waren, die dem Gesicht die ungewöhnliche Intensität verliehen.
»Das ist doch viel Geld,« sagte Suron.
»Fünfzigtausend aber sind noch mehr,« antwortete der Detektiv.
Es entstand eine augenblickliche Pause. Dann fragte Suron plötzlich:
»Woher wissen Sie, daß Christensen so viel Geld bei sich hatte?«