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Achtundfünfzigtausend Kronen

Bereits draußen im Vorraum wurden Billington und Krag mit der freudigen Mitteilung empfangen:

»Reismann ist wieder da!«

Billington gab sich Mühe, gleichgültig auszusehen, aber es glückte ihm nur teilweise.

»Was Sie sagen!« rief er. »Ich glaubte schon, er sei tot. Wo ist er gewesen?«

»Wer das wüßte! Der ganze Klub platzt vor Neugierde. Hören Sie nur den Lärm!«

Und wirklich. Aus den Klubräumen klang wildes Stimmengewirr, mit Gelächter und lauten Ausrufen untermischt.

»Er behauptet, es sei ein Geheimnis, von dem keiner etwas vor morgen erfahren soll,« berichtete der Portier weiter, während er die Mäntel aufhängte. »Aber Gott weiß,« fügte er mit jenem allwissenden Lächeln hinzu, das alte erfahrene Klubdiener anzunehmen pflegen, »ob nicht doch Frauenzimmer mit im Spiel waren. Wir kennen ja Reismann, nicht wahr?«

Auf diese reichlich familiäre Bemerkung antworteten die Herren nichts, sondern begaben sich schnell in den Klubraum. Man konnte der dort versammelten Gesellschaft ansehen, daß die größte Sensation sich bereits um Reismann verflüchtigt hatte. Alle waren natürlich froh, daß sie ihn wiederhatten, denn Direktor Reismann war eine sehr populäre Persönlichkeit in der Stadt. Nachdem die Freunde ihn aber mit der Ursache zu seinem Verschwinden weidlich geneckt hatten, ließ man ihn in Frieden. Denn hier waren ernsthafte Herren versammelt, die an ganz andere Dinge zu denken hatten. Die Karten kamen bereits hier und dort auf den Spieltischen zum Vorschein, und der Kreis um den Helden des Abends lichtete sich.

Reismann stand gegen den Kamin gelehnt. Die lange Autofahrt hatte den letzten Rest des Champagnerrausches aus ihm herausgerüttelt, er fühlte sich der Situation vollkommen gewachsen. Die erforderlichen Vereinbarungen mit den Nachtredaktionen waren bereits getroffen, jetzt wartete er nur auf den dicken Stenesen, der sich telephonisch bereits angemeldet hatte. Seine Rolle gefiel ihm. Er fühlte sich wie ein Held aus Jules Vernes Romanen, der im letzten Augenblick unerwartet aus dem Weltenraum auftaucht und die Wette gewinnt. Allen Fragen gegenüber bewahrte er tiefen Ernst und antwortete kurz und offen: »Ich kann noch nichts darüber sagen. Es ist unmöglich, meine Herren. Aber ich kann Ihnen versichern, es ist das merkwürdigste Erlebnis, das ich je gehabt habe.«

Da kam der dicke Stenesen.

Krag interessierte sich nicht sehr für Kartenspiel, am wenigsten für Hasard. Außerdem kannte er ja Reismanns Karten. Sie waren nicht zu übertrumpfen. Vier Asse. Der Gewinn war ihm sicher. Auf solche Karten hätte er jedweden Betrag setzen können. Das Spiel hatte also keinen Reiz mehr für Krag und anstatt dem Schauspiel zuzusehen, schlenderte er durch die Räume und wechselte hier und dort einige Worte mit Bekannten. Krag ging selten unter Menschen, er hatte nur wenig Freunde, und die wenigen respektierten seinen Wunsch, allein zu sein.

Während Krag so mit einem dieser Freunde sprach, ging ein Herr vorbei und grüßte den Freund. Es war keine ganz junge, aber elastische Gestalt. Das Merkwürdigste war sein Gesicht, das Krag auch sofort auffiel. Es war eigentlich nicht besonders ausgeprägt, aber es wirkte dennoch fremd und eigenartig, weil in der Gesichtsform Andeutungen einer fremden Rasse waren. Die Züge waren kräftig, die Stirn breit, das Haar gelockt. Die Augen waren so hell, daß sie fast steingrau wirkten. Als er grüßte, lächelte er leicht, und das Lächeln war gewinnend. Doch war es nicht sein Aeußeres, das Krag fesselte, sondern mehr der Umstand, daß er ihn schon mal gesehen hatte. Eine flüchtige Erinnerung schoß dem Detektiv durch den Kopf, diese Erinnerung aber war so vage, daß er sich nicht einmal darauf besinnen konnte, ob er den Mann kürzlich oder vor langer Zeit gesehen hatte.

»Wer war das?« fragte er.

»Suron heißt er,« antwortete der Freund, »ein Finne. Prächtiger Mensch, sehr beliebt. Auch soll er ein tüchtiger Geschäftsmann sein.«

»In welcher Branche?« fragte Krag.

»Man sagt, daß er im Norden Gruben besitzt. Uebrigens soll er auch mit Erfolg spekulieren.«

Der Freund verabschiedete sich, und bald darauf kehrte Krag zu dem Zimmer zurück, wo Reismann und der dicke Stenesen sich am Spieltisch niedergelassen hatten, von einem Haufen neugieriger Zuschauer umgeben. Dazwischen war auch Suron. An den vielen Begrüßungen und Händedrücken, die er austauschte, sah man, daß er viele Freunde hatte. Krag hatte den Raum betreten, weniger um das Spiel zu verfolgen, als um den Finnen zu beobachten. Es reizte ihn rein sportsmäßig, daß er sich nicht darüber klar werden konnte, wo er ihm schon früher begegnet war.

Krag nahm auf einem Stuhl in der Nähe Platz. Und jetzt begann das Schlußspiel zwischen Reismann und Stenesen, dieses Spiel, das durch seinen überraschenden Ausgang lange den Gesprächsstoff im Klub bilden sollte.

Der Spielinspektor des Klubs, der aller Zutrauen besaß, hatte die versiegelten Karten aus dem brandsicheren Geldschrank des Klubs genommen. Die Karten lagen in einem kleinen Holzschrein, der auf den Tisch gestellt wurde. Der Inspektor hob den Deckel, und darunter lagen ganz richtig die drei Kuverts mit den Karten und die übrigen Karten des Spiels.

Nachdem der Spielinspektor die drei Siegel sorgfältig geprüft hatte, legte er die Kuverts vor sich auf den Tisch und sagte:

»Wie Sie alle wissen, meine Herren, blieb uns neulich, als Herr Reismann den Klub so plötzlich verließ, nichts anderes übrig, als die Karten zu versiegeln. So lauten unsere Klubregeln, und es ist nicht das erstemal, daß so etwas vorgekommen ist. Dieselbe Regel kommt ja auch zur Anwendung, wenn einem Spielteilnehmer Gelegenheit gegeben wird, Deckung für seinen Einsatz herbeizuschaffen. Ich stehe dafür ein, daß die Karten versiegelt wurden, ohne daß ein Unbefugter Einblick darin bekam. Wie Sie sehen, meine Herren, sind die Siegel unberührt. Hier, Herr Reismann, sind Ihre Karten, dies sind Ihre, Herr Stenesen, und dies sind die übrigen zweiundvierzig Karten des Spieles. Wünschen Sie, meine Herren, daß ich die Pakete öffne?«

»Ich schlage vor,« sagte Reismann, »daß die Siegel nicht erbrochen werden, bevor das Spiel abgeschlossen ist. Wir kennen ja beide unsere Karten. Ich jedenfalls kenne meine.«

Der Koloß Stenesen ließ ein beifälliges Grunzen hören. Er hatte schon zwei Grogs hinter die Binde gegossen und war jetzt beim dritten.

Der Inspektor markierte mit Spielmarken den Einsatz, der bereits gesetzt war, als das Spiel durch Reismanns Verschwinden unterbrochen wurde.

Der Einsatz war fünfzehntausend Kronen.

»Herr Stenesen hat um fünftausend Kronen erhöht und Direktor Reismann muß erklären, ob er dafür mitgeht,« sagte der Inspektor und zog sich zurück.

»Ich gehe mit und erhöhe um fünftausend Kronen,« sagte Reismann, ohne sich zu besinnen.

Um den Tisch herum wurde gelacht.

Man wußte, daß Reismann ein starker Bluffer war.

Stenesen wühlte mit seinen dicken Fingern im Markenhaufen und sagte:

»Diese fünftausend Kronen und nochmals fünftausend Kronen.«

Jetzt waren fünfunddreißigtausend Kronen gesetzt.

Reismann bedachte sich einen Augenblick. Dann sagte er:

»Ihre fünftausend Kronen und weitere tausend Kronen.«

»Hier sind sie und noch dreitausend Kronen dazu,« grunzte Stenesen.

Jetzt lagen fünfundvierzigtausend Kronen auf dem Tisch, obgleich die Spieler schon nicht mehr das Maximum setzten, sondern sich mit kleineren Beträgen begnügten.

Krag wußte, daß Reismann mit seinen unüberwindlichen Karten das Maximum weiter hätte bieten können, aber er fürchtete wohl, daß Stenesen abspringen würde, und zog es vor, ihn mit kleineren Beträgen zu reizen.

Reismann überlegte wieder und blickte Stenesen durchdringend an, als wollte er dessen innersten Gedanken durchschauen. Auch Stenesen war als starker Bluffer bekannt. Es war wahrlich eine köstliche Komödie.

In diesem Augenblick berührte jemand Krags Schulter. Es war Billington.

»Ich habe eine erfreuliche Nachricht,« sagte er. »Jos ist gefunden.«

»Schade,« sagte Krag, »ich hatte mich schon auf ein Abenteuer gefaßt gemacht.«

»Das ist ja Ihr Geschäft,« lachte Billington. »Jos ist auf dem Wege nach Kopenhagen.«

»Von wem wissen Sie es?«

»Ich habe soeben mit dem Bureau telephoniert. Fräulein Erko hat ein Telegramm von ihm bekommen.«

Asbjörn Krag fing den Namen auf – Erko. Fräulein Erko! ... Ein finnischer Name ... Plötzlich hatte er den Zusammenhang gefunden. Während er in seinem Lehnstuhl saß, blickte er zu Suron hinüber, der am Spieltisch stand, ganz in das Spiel vertieft. Suron – auch ein finnischer Name! Und jetzt wußte Krag auch, wo er den Mann schon einmal gesehen hatte. Suron war vor einer Stunde aus dem Hause gekommen, in dem Jos' Kontor lag, und war in dem »Excelsior«-Auto davongefahren. Er hatte versucht, sein Gesicht zu verbergen, der geübte Detektiv aber hatte genug davon gesehen, um es wiederzuerkennen. Krag kam plötzlich die Ahnung, daß er hier eine Spur gefunden hatte, der er folgen mußte. Er empfand auf seltsame, unerklärliche Weise, daß dieser Mann von einem Geheimnis umgeben war.

»Diese dreitausend Kronen und nochmal fünftausend Kronen.«

»Ich sehe sie für fünftausend Kronen,« sagte Stenesen.

»Und Sie erhöhen nicht?«

»Nein,« antwortete Stenesen.

»Meine Herren, es sind jetzt achtundfünfzigtausend Kronen,« bemerkte der Inspektor trocken.

Einen Augenblick herrschte Totenstille um den Tisch; durch das Schweigen aber tönte plötzlich eine sanfte Stimme:

»Doublieren Sie nicht, Reismann?«

Suron hatte diese Worte gesagt.


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