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Jonassen

Billingtons Worte wurden mit unheimlichem Schweigen aufgenommen. Reismann erhob sich.

»Erklären Sie sich näher,« sagte er. »Was sollte unserem lieben Freund zugestoßen sein?«

Herr Billington blickte sich im Zimmer um und konnte sein Mißfallen über die seltsame Umgebung kaum unterdrücken. Als sein Blick auf von Brakels Plakat fiel, murmelte er:

»Oh, diese ewigen Narrenstreiche!«

Von Brakel stand auch auf und sagte:

»Sie meinen, mein Herr?«

Die zierliche Gestalt des Malers drückte formvollendete, aber kalte Höflichkeit aus, die ganz drohend wirkte. Billington sah ein, daß seine schlechte Laune ihn zu weit geführt hatte.

»Verzeihen Sie,« sagte er, »ich bin so nervös. Den ganzen Nachmittag bin ich im Auto herumgefahren.«

Er griff nach einer Flasche und einem Glas.

»Ist das Kognak?« fragte er. Und ohne die Antwort abzuwarten, goß er das Glas bis an den Rand voll und leerte es in einem Zuge.

»Das hat geholfen,« sagte er, »ich bin schon viel ruhiger geworden.«

Er wandte sich jetzt mit freundlicherer Miene zu den anderen.

»Ich bin in Sorge um Jos,« sagte er. »Seit ich ihn um drei Uhr sprach, hat er nichts wieder von sich hören lassen. Ich dachte natürlich, daß er hier draußen säße und Reklamen und Anzeigen verfaßte; anstatt seine wichtigen Geschäfte zu erledigen.«

Herr von Brakel fühlte sich wieder verletzt und bemerkte:

»Sind Sie nicht von Jos angestellt? Mich dünkt, Sie äußern sich ziemlich ungeniert über Ihren Chef?«

Direktor Reismann besänftigte den Maler.

»Ruhe!« ermahnte er. »Du kennst die Verhältnisse nicht, Karl-Erich. Herr Billington ist eher Jos' Kompagnon als sein Untergebener. Soweit ich weiß, hat Jos augenblicklich mehrere große Geschäfte im Gange, und Herrn Billingtons Nervosität ist verständlich.«

Reismann stellte Asbjörn Krag vor und sagte:

»Seltsam genug hat auch Herr Krag von einem Brief gesprochen, den wir Jos um drei Uhr geschickt haben sollen. Ich wiederhole, was ich bereits Herrn Krag gesagt habe: Diesen Brief haben wir nicht gesandt. Sofern nicht einer von euch –«

Er wandte sich fragend an von Brakel und Oedegaard, beide aber schüttelten energisch den Kopf.

»Sie werden also begreifen, lieber Billington, daß dieser Brief uns ein völliges Rätsel ist. Vielleicht hat Jos ihn als Vorwand gebraucht, um irgendwoanders hinzufahren?«

»Wie die Sache jetzt aber liegt, meine Herren,« fuhr er nach einer kurzen Pause fort, »möchte ich Ihnen die Mitteilung machen, daß die Aktiengesellschaft der 7. Dezember in genauer Uebereinstimmung mit ihrem Programm heute abend ihre Vorbereitungen beendet hat. Bereits morgen früh werden die Zeitungen die ersten Mitteilungen bringen – ich halte gerade diese Notiz in der Hand – und morgen abend wird halb Christiania zur ›Blauen Eule‹ strömen, um das Geheimnis zu erfahren. Oedegaard hat ein Protokoll verfaßt, das von unserem Schicksal Rechenschaft ablegt, vom ersten Verschwinden bis jetzt. Es bringt eine Menge feierlicher Paragraphen, und ich darf wohl behaupten, daß noch nie in Christiania ein so witziger Vortrag gehalten wurde. Mit der Sensation im Rücken ist uns ein großartiger Erfolg gewiß. Sie werden zugeben, meine Herren, wenn der vornehmste Varieté-Direktor der Stadt – das bin ich, meine Herren – der eleganteste und witzigste Causeur – das ist der Herr dort mit den großen Augen – und der allermodernste Maler – das ist der zierliche Herr dort, der die ganze Zeit gähnt – von dem tüchtigsten Geschäftsmann der Stadt unterstützt, eine Wohltätigkeitsvorstellung arrangieren, dann kann man auf das Großartigste gefaßt sein.«

»Auf wieviel rechnen Sie netto?« fragte Billington trocken und geschäftsmäßig.

»Auf dreißigtausend Kronen,« antwortete Reismann schnell.

»Eine ganz hübsche Summe,« gab Billington zu, »dreißigtausend aber hätte Jos ohne weiteres stiften können. Neulich abend hat er diesen Betrag im Poker gewonnen.«

Direktor Reismann schlug ärgerlich mit seinen Papieren auf den Tisch.

»Natürlich!« rief er. »Was ist ein Scheck auf dreißigtausend Kronen heutzutage! Aber es kommt hier nicht allein aufs Geld an. Die Leute sollen begreifen, daß wir einen persönlichen Einsatz gegeben haben, um den Notleidenden zu helfen. Das ist mehr wert, als einen Scheck auf den Tisch zu werfen, denn es stimuliert andere, sich auch ins Zeug zu werfen.«

»Für Jos' Ansehen als Geschäftsmann aber wäre es besser gewesen, er hätte sich nicht an dieser Zirkusnummer beteiligt.«

»Ach was, wenn das Ansehen eines Geschäftsmannes solchen Einsatz in einer schwierigen Zeit nicht vertragen kann, dann ist es nicht viel wert,« sagte Reismann entschieden und abschließend.

Er sprach ernst und mit Ueberzeugung.

»Im übrigen«, fügte er hinzu, »sind wir ja darauf eingegangen, daß Jos sich morgen nicht auf der Bühne zu zeigen braucht.«

»Das hätte er auch gar nicht gekonnt,« sagte Billington trocken, »denn am 8. Dezember morgens früh muß Jos in Kopenhagen sein.«

Reismann stutzte.

»Es handelt sich um ein Millionengeschäft,« fuhr Billington fort.

Jetzt griff Asbjörn Krag ein.

»Abgesehen von dem geheimnisvollen Brief um drei Uhr,« sagte er, »finde ich es merkwürdig, daß Sie ihm um sieben Uhr einen Brief schickten, wenn er gar nicht an der Sache beteiligt sein soll.«

»Du vergißt den Inhalt des Briefes,« fiel Oedegaard ein. »Wir brauchten einen vierten Mann zum Bridge.«

»Und außerdem«, sagte Reismann, »hatte Jos versprochen, daß er beim Abschluß des Protokolls dabei sein wollte. Er müsse doch des Wegs, sagte er. Und jetzt verstehe ich, was er meinte, denn dies ist ja der Weg nach Kopenhagen. Wollte er im Auto nach Kopenhagen fahren?«

»Das weiß ich nicht,« antwortete Billington.

»Ist er vielleicht schon abgereist?« fragte Krag.

»Unmöglich,« sagte Billington. »Seine Brieftasche, die er notwendig braucht, liegt im Bureau.«

Billington stand auf und schritt ungeduldig durchs Zimmer. Hin und wieder warf er einen Blick auf von Brakels Gemälde, und es sah aus, als ob er sich nur mit Mühe und Not beherrschte, um ihnen nicht einen Fußtritt zu versetzen.

»Wenn er nur ein einziges Lebenszeichen von sich gegeben hätte,« murmelte er. »Wir haben so verflucht wenig Zeit, und da liegen Briefe, die unterschrieben, und eine ganze Menge Sachen, die besprochen und entschieden werden müssen.«

Im selben Augenblick entdeckte er einen Telephonapparat auf dem Fensterbrett und rief sofort im Bureau an.

»Fräulein Erko?« fragte er. »Nichts Neues? Nichts. Ja, wir müssen warten. In einer halben Stunde bin ich wieder da.«

Mißmutig legte er den Hörer nieder.

»Kein Wort von Jos!« sagte er. »Ich begreife es nicht. Wenn ich nur wüßte, woher der verdammte Brief um drei Uhr gekommen ist! Jos selbst glaubte, daß er von hier sei.«

»Hat er mit Ihnen von dem Brief gesprochen?« fragte Krag.

»Ja. Ich sprach ihn auf der Treppe, als er aus seinem Kontor kam. Er hatte den Brief so früh nicht erwartet. ›Ich fahre nun auf alle Fälle hinaus,‹ sagte er, ›dann ist es gemacht und ich habe den ganzen Nachmittag zu meiner Verfügung.‹ Er war etwas ärgerlich, daß er sich auf diese Komödie eingelassen hatte. Ja, er war sogar sehr ärgerlich. Er fluchte.«

»Fuhr er in einem Auto fort?« fragte der Detektiv.

»Ja.« Billington knipste mit den Fingern und wurde plötzlich ganz eifrig. »Es war ein großes geschlossenes Auto, ein ›Excelsior‹, glaube ich, und Jos kannte den Chauffeur. Wie hieß er doch noch? Ein Mann in den Dreißigern, mit einem roten Vollbart.«

»Jonassen?« fragte Krag etwas unsicher.

»Richtig! Jonassen. Ich hörte, wie Jos ›Guten Tag, Jonassen‹ zu ihm sagte.«

Die drei Direktionsmitglieder sahen sich ratlos an.

»Aber das ist ja ganz unmöglich,« sagte Reismann bestürzt. »Jonassen ist den ganzen Tag hier draußen gewesen. Er ist erst um sechs Uhr zur Stadt gefahren.«

Oedegaard ging hastig auf die Tür zu und rief nach Jonassen, daß es durchs ganze Haus schallte.

Kurz darauf erschien der Chauffeur, derselbe, der Krag gefahren hatte. Er hatte ganz richtig einen roten Bart und schien in den Dreißigern zu sein. Kaum erschien er in der Tür, als Billington rief:

»Da ist er ja!«

»Kennen Sie Schiffsreeder Joh. P. Christensen, auch Jos genannt?« fragte Reismann ihn.

Jonassen zeigte auf Krag.

»Da steht er,« sagte er.

»Der Herr dort behauptet,« fuhr Reismann ganz verzweifelt fort, »daß Sie um drei Uhr mit dem Auto in der Stadt waren.«

»Ich? Das ist 'ne ganz gemeine Lüge. Ich bin doch den ganzen Nachmittag hier gewesen und hab' Champagner serviert. Das müssen die Herren doch selbst wissen.«

»Unmöglich,« rief Billington, »er war es, er ist es. Ich erkenne ihn wieder.«

»Ich kenne ihn auch,« sagte Reismann, »Jonassen lügt nicht.«


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