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In die Dunkelheit hinein

»Allein?« fragte Doktor Ovesen.

»Ganz allein,« antwortete Krag, »nur auf diese Weise kann unser Vorhaben glücken.«

Doktor Ovesen lachte plötzlich nervös auf.

»Mir fällt eben ein,« sagte er erklärend, »daß die Situation eigentlich urkomisch ist.«

»Ja, einen Zug von Komik hat sie,« sagte Krag, »aber warum entdecken Sie das jetzt erst?«

»Weil ich anfange, die Erfindungskunst der Herren Absender der blauen Briefe zu bewundern.«

Rechtsanwalt Davidsen brauste auf.

»Nennen Sie diesen Brief erfinderisch?« rief er ärgerlich. »›Komm sofort! Wir brauchen einen vierten Mann.‹ Als ob sie einen Vierten zum Bridge einladen wollten. Ich weiß nicht, was Jos getan hätte, wenn ihm dieser Brief ausgehändigt worden wäre, aber ich kann mir nicht denken, daß er dem Wink gefolgt und augenblicklich auf und davongegangen wäre. Ich hätte es jedenfalls nicht getan. Wenn die Briefe, die von Brakel und Oedegaard so erschreckt haben, von derselben Art waren, dann muß ich sagen, daß die Herren sehr schreckhaft sind.«

»Es ist nicht gesagt, daß die Worte an und für sich etwas besagen,« wandte Krag ein, »vielleicht haben sie eine heimliche Bedeutung für denjenigen, an den sie gerichtet sind. Aber ich verstehe Doktor Ovesen. Sie meinen, daß es eine Falle sein soll. Gesetzt, diese Menschen wollen mich in ein Netz locken, so ist die Sache recht hübsch arrangiert. Meinten Sie nicht so, Herr Doktor?«

»So ungefähr,« antwortete Doktor Ovesen. »Sie müssen zugeben, wenn Sie nun auch verschwinden, nachdem Sie einen hellblauen Brief bekommen haben, dann ist unsere Lage mehr als komisch.«

»Kommen Sie mit,« schlug Krag vor.

»Meinetwegen gern. Aber glauben Sie, daß der Mann, der draußen im Auto wartet, damit einverstanden ist?«

»Kaum. Aber Sie brauchen ja auch nicht sein Auto zu benutzen. Wir bestellen einen anderen Wagen. Ich fahre mit meinem Unbekannten davon, und Sie können in passender Entfernung folgen.«

Dieser Vorschlag sagte Rechtsanwalt Davidsen sehr zu, und nach einiger Ueberlegung ging auch Doktor Ovesen darauf ein. Das Abenteuerliche daran gefiel ihm nicht, aber er fand schnell einen Grund für seine Beteiligung.

»Vielleicht ist ein Arzt nötig,« sagte er.

»Müssen wir Waffen bei uns haben?« fügte Ovesen ganz streitlustig hinzu.

Krag zuckte die Achseln.

Da aber erhob Rechtsanwalt Davidsen sich in seiner ganzen Länge und Kraft. Er schien fast den ganzen Raum auszufüllen. Und indem er seine Muskeln reckte, sagte er:

»Ich bin gewappnet.«

Krag verließ zuerst das Restaurant. In angemessener Entfernung folgten ihm Ovesen und der Rechtsanwalt. Letzterer erregte jetzt viel weniger Aufsehen im Speisesaal als vorhin.

Draußen im Schnee warteten mehrere Autos. Einige Chauffeure trabten vor ihren Wagen auf und ab, um sich warm zu halten. Krag musterte die Reihe der Autos genau. Nur ein einziges Privatauto schien darunter zu sein. Der Chauffeur saß am Steuer, der Motor war in Gang und arbeitete leise.

»Das scheint es zu sein,« dachte Krag.

Der Schneesturm kam um die Ecke geheult, die Laternen brannten verschwommen im Schneegestöber. Die wenigen Menschen, die auf der Straße gingen, wurden förmlich vorwärts getrieben.

Krag schlug den Kragen seines Ulsters hoch, so daß nur noch seine Augen zu sehen waren. Er wartete einen Augenblick, und als er seine Freunde die Treppe des Hotels herunterkommen sah, rief er:

»Jos Christensens Auto!«

»Hier!« Der Chauffeur des Privatautos antwortete, und gleichzeitig streckte er die Hand aus und öffnete die Wagentür. Krag stieg ein und der Chauffeur schlug die Tür mit einem Knall zu. Er wartete keinen Bescheid ab, wohin er fahren sollte.

Krag hatte nur einen Schimmer von seinem Gesicht zu sehen bekommen. Ein Mann in den Dreißigern, blond, mit rötlichem Vollbart, eigentlich ganz vertrauenerweckend, kein Gesicht, das man mit verbrecherischen Manövern in Verbindung bringen würde.

Krag hielt seine warme Hand gegen die gefrorene Fensterscheibe. Nach einer Weile konnte er Ladenfenster, Laternen und Schilder erkennen und mit Hilfe dieser schwachen Merkmale sich orientieren. Anfangs sah es aus, als ob der Bestimmungsort im Westen läge. Plötzlich aber bog das Auto in die Frederiksgade ein und nahm östliche Richtung. Wegen der Schneehaufen, die sich überall auf den Straßen gebildet hatten, war es schwer, vorwärts zu kommen, das Auto fuhr aber doch recht schnell.

Als sie sich dem Ankerplatz näherten, fuhr das Auto langsamer. Krag wunderte sich. Sollte es möglich sein, daß man die Verschwundenen mitten im Zentrum der Stadt in Verwahrung gebracht hatte? Es sah wirklich so aus. Denn jetzt bog das Auto in einen offenen Torweg ein und hielt auf dem Hof. Der Chauffeur stieg aus. Rasch öffnete Krag die Tür und sprang heraus. Der Hof war dunkel und schwarz, auf allen Seiten von hohen Brandmauern umgeben. Die Autolaternen warfen ihren Schein in eine Ecke des Hofes, wo eine Menge Fässer und Tonnen aufgestapelt lagen.

Krag stand abwartend. Er hielt seine Hände in den Taschen des Ulsters, wo sein Revolver lag, den Kragen hatte er noch immer bis über die Ohren geschlagen. Er folgte den Bewegungen des Chauffeurs mit gespannter Aufmerksamkeit.

Der Chauffeur schloß das große Tor, durch das sie gekommen waren, und schob den Riegel vor. Darauf trat er auf Krag zu und sagte:

»Steigen Sie ein, jetzt können wir weiterfahren.«

Krag konnte sein Erstaunen kaum verbergen. Indessen hatte er Geistesgegenwart genug, mit den Füßen aufzustampfen, als ob er der Kälte wegen ausgestiegen sei, um sich Bewegung zu machen. Er stieg wieder ein.

»Weiterfahren!« dachte er. »Wo in aller Welt sollen wir in dieser Pechdunkelheit und auf diesem engen Hof hinfahren?«

Der Chauffeur schloß dienstwillig die Tür hinter ihm, indem er sagte:

»Das haben wir fein gemacht. Ich glaube, man war hinter uns her.«

Krag dachte an Ovesen und Rechtsanwalt Davidsen in dem anderen Auto. Und wirklich! Jetzt hörte er, daß ein Auto draußen hielt und daß sich Menschen dem Tor näherten. Sie mußten es sein.

Der Chauffeur setzte sich schleunigst auf seinen Platz und fuhr langsam über den Hof. Plötzlich lenkte er das Auto nach rechts und ließ es vorsichtig durch einen engen Gang gleiten. Sie waren offenbar in einem Häuserkomplex, an dessen Ende ein anderes Tor war, das offen stand und in eine andere Straße führte.

»Aha,« dachte Krag, »der bekannte Kniff! Jetzt donnern unsere Verfolger gegen das verschlossene Tor, während wir ruhig auf diesem Wege verschwinden.«

Der Chauffeur machte draußen auf der Straße halt, um auch dieses Tor zu schließen. Bevor er damit fertig war, hörte man von der anderen Seite ein furchtbares Krachen.

Der Chauffeur kam etwas erschrocken zurück und sagte:

»Ich glaube fast, daß sie das Tor gesprengt haben.«

Krag mußte an die Riesenkräfte von Davidsen denken. War er in Tätigkeit?

Der große Hof hallte von dem furchtbaren Krach wider, der von den hohen Mauern vielfach zurückgeworfen wurde.

Krag rief durch das offene Fenster des Autos:

»Los! Fahren Sie zu!«

Der Chauffeur beugte sich ganz ängstlich zu ihm herab.

»Sie sorgen wohl dafür, Herr, daß ich keine Unannehmlichkeiten bekomme. Ich glaube, die Polizei ist hinter uns her.«

»Ich übernehme jede Verantwortung,« sagte Krag. »Fahren Sie nur zu.«

Gleich darauf eilte das Auto wieder durch die schneebedeckten Straßen. Durch das Guckloch, das Krag sich auf dem vereisten Fenster gehaucht hatte, konnte er die Richtung der Fahrt verfolgen. Es dauerte nicht lange, da hatten sie die Stadt hinter sich und befanden sich auf der Landstraße. Der Schnee lag hoch und das Auto glitt beschwerlich weiter. Schließlich bogen sie in einen Wald ein. Verschneite Bäume standen am Wege, und alles wurde dunkel. Das Unwetter ging über den Wald wie über ein Dach hin. Unten auf dem Grunde war es still, nur das Arbeiten des Motors war zu hören. Krag lehnte sich in den Wagen zurück, gleichgültig abwartend wie ein Mensch, der nicht weiß, wohin die Fahrt geht.


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