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Es war in der letzten Woche des Carnevals, und die Straßen von Florenz waren überfüllt und lärmend. Man sah da maskirte Umzüge, welche Lieder sangen, die, einmal von Lorenzo eingeführt, als unumgänglich nothwendig betrachtet wurden; ferner gab es da den rigoletto oder Ringeltanz, der auf der Piazza unter dem kalten blauen Himmel aufgeführt wurde, sowie auch alle Arten handgreiflicher Späße, vom Werfen der Confetti bis zu Steinwürfen; Letzteres besonders. Denn die Knaben und halberwachsenen Bursche, die in den florentiner Zusammenrottungen ein bedeutendes Element bildeten, wurden, indem der Carneval seinen Höhepunkt erreicht hatte, so laut und ungeberdig wie Heuschrecken. Es war ihr althergebrachtes Vorrecht, allen Vorübergehenden den Weg vermittelst Stangen zu sperren, bis ihnen ein Tribut entrichtet ward, welcher diesen Freunden heftiger Aufregung zu Abendbrot und Freudenfeuern verhalf. Den Schluß bildete die stehende Unterhaltung des Steinwerfens, welches nicht ganz und gar einförmig zu nennen war, da die daraus folgenden Verstümmelungen verschiedener Art waren, und nicht immer nur eine einzelne Person getödtet wurde.
Auf diese Art waren die Vergnügungen des Carnevals buntscheckig genug, und wenn ein Maler aufgefordert würde, sie getreulich zu copiren, so müßte er ein Bild entwerfen, in welchem sich so viele Rohheit und Barbarei befände, daß es mit der gemalten Seite nach der Wand zugekehrt werden müßte; oder man wollte es herabnehmen zum ernsten, historischen Zwecke, einen reformatorischen Eifer zu rechtfertigen, welcher, der Thatsachen unkundig, wegen seiner Beschränktheit mit Unrecht verdammt werden möchte. Doch war dabei auch viel von jenen unschuldigeren pittoresken Lustbarkeiten, woran es einem mit lebhaftem Temperament und sinnlichen Empfindungen begabten Volke niemals fehlt; es war nicht die plumpe Schwerfälligkeit, welche dem dickeren nordischen Muth eigenthümlich ist, noch die heimtückische Wildheit, welche in den südlicheren Gegenden der Halbinsel den Streit bis zu Dolchstichen erhitzt.
Es war hoch am Morgen, aber die munteren Geister des Carnevals waren noch immer geneigt zu faullenzen und die Späße der vergangenen Nacht fortzusetzen, als Tito Melema raschen Schrittes seinen Weg nach der Via de' Bardi verfolgte. Der junge Bernardo Dovizi, welcher uns jetzt aus Raphael's Bild als kühnblickender Cardinal da Bibbiena entgegenschaut, begleitete ihn, und während sie so zusammen gingen, waren sie in einem sehr lebhaften Gespräch begriffen, welches augenscheinlich in gar keiner Beziehung zu den Scenen und den Tönen stand, durch welche sie sich die Por' Santa Maria entlang hindurchdrängten. Nichts destoweniger warfen Beide, während sie sprachen, lächelten und gesticulirten, von Zeit zu Zeit rasche Blicke umher, und indem sie sich nach dem Lung' Arno, der zur Rubaconte-Brücke führt, wandten, gewahrte Tito in einem dieser flüchtigen Blicke, daß nicht weit von ihm entfernt Jemand war, von dem in diesem Augenblicke nicht erkannt zu werden er ganz besonders wünschte. Seine Zeit und seine Gedanken waren gänzlich in Anspruch genommen, denn er blickte vorwärts auf eine nur einmal sich in seinem Leben darbietende Gelegenheit: er bereitete sich auf seine Trauung vor, die am Abend dieses Tages vor sich gehen sollte. Man hatte sich eigentlich etwas rasch zur Ceremonie entschlossen; denn obgleich schon seit einiger Zeit Vorbereitungen zur Hochzeit gemacht wurden, besonders was die Verwendung von Tito's Gulden behufs der Einrichtung der Zimmer in Bardo's Hause betraf, welche, die Bibliothek ausgenommen, immer sehr dürftig möblirt gewesen waren, so hatte man doch beabsichtigt, die Trauung und die Hochzeit bis Ostern zu verschieben, da zu dieser Zeit Tito's Probejahr, worauf Bernardo so sehr bestand, abgelaufen war. Als aber ein besonderes Anerbieten gekommen war, daß Tito den Cardinal Giovanni nach Rom begleiten solle, um mit seiner außerordentlichen Kenntniß des Griechischen dem Bernardo Dovizi bei Einrichtung einer Bibliothek zu helfen, und da es nicht möglich war, etwas von der Hand zu weisen, was so offenbar zur Beförderung führen mußte, so drang er darauf, daß die Trauung noch vor seiner Abreise stattfinden solle: es würde dann desto weniger Aufschub bei der Hochzeit nach seiner Rückkehr sein, auch würde es ihm weniger schwer fallen, zu scheiden, wenn Romola und er im Innern und auch äußerlich einander gesichert wären, wenn er Ansprüche hätte, welche weder Messer Bernardo noch sonst ein Anderer aufheben könnte. Denn die Trauung, bei welcher Ringe gewechselt und gegenseitig Contracte unterzeichnet wurden, formte mehr als zur Hälfte die Gesetzmäßigkeit einer Ehe, welche wieder bei einer andern Gelegenheit durch die eheliche Einsegnung vervollständigt wurde. Romola's Empfindungen stimmten mit diesem Wunsche Tito's zusammen, und die Einwilligung der Alten ward endlich errungen.
Und jetzt eilte Tito, mitten unter den Vorbereitungen zu seiner morgigen Abreise, noch einen Morgenbesuch bei Romola abzustatten, um noch die letzten etwa nöthigen Worte, vor ihrer Zusammenkunft am Abend bei der Trauung, zu sprechen und zu hören. Es war dies keine Zeit, wo irgend eine Erkennung, die ihn aufhalten könnte, erwünscht war, am allerwenigsten aber eine Wiedererkennungsscene abseiten Tessa's. Und es war nicht möglich, daran zu zweifeln, daß es Tessa gewesen war, die er erblickt hatte, während sie mit schüchternem und traurigem Blick der Krümmung des Lung' Arno zuschritt, um welche er eben jetzt bog. Während er sein Gespräch mit dem jungen Dovizi fortsetzte, hatte er eine unangenehme leise Ahnung, die ihm sagte, daß Tessa ihn gesehen hätte und ihm ohne Zweifel nachgehen würde; es war nicht möglich, ihr auf dieser geraden Straße am Arno und über die Rubaconte-Brücke zu entkommen. Er wußte aber, daß sie es nicht wagen würde, ihm zu nahen oder ihn anzureden, so lange er nicht allein war, deshalb wollte er Dovizi bei sich behalten, bis sie Bardo's Thür erreicht hätten. Er beschleunigte seine Schritte und knüpfte ein neues Gespräch an; allein die ganze Zeit über wurde die Ahnung, daß Tessa hinter ihm war, immer stärker und stärker, obgleich er keinen körperlichen Beweis dessen hatte. Es war in der That höchst aufregend, vielleicht um so mehr, weil eine gewisse Zärtlichkeit und Mitleid mit dem armen kleinen Geschöpf den Beschluß, zu entwischen, ohne sie bemerken zu wollen, eben zu keinem angenehmen Ausweg machte. Aber Tito blieb doch dabei und führte seinen Begleiter bis an die Thür, sein Addio so geschickt anbringend, daß er sein Gesicht gar nicht nach der Gegend hin richtete, wo er möglicherweise ein lästiges Paar blauer Augen erblicken konnte, und als er die steinernen Stufen hinanschritt, suchte er sich unangenehmer Gedanken zu entschlagen, indem er bei sich selbst sagte, daß Tessa ihn am Ende doch wol nicht gesehen hätte oder doch wenigstens ihm nicht nachgegangen wäre.
Aber (vielleicht weil diese Möglichkeit doch wol nicht ganz zuverlässig war) als der Besuch vorbei war, trat er raschen Schrittes aus dem Thorweg, und schien ganz unbekümmert um Alles, was etwa zu seiner Rechten oder Linken sein könnte. Unsere Augen sind aber so eingerichtet, daß sie einen großen Winkel umfassen, ohne unseren Willen um Erlaubniß zu fragen, und Tito wußte, daß eine kleine Gestalt in einer weißen Kapuze neben dem Thorweg stand; er wußte es ganz genau, noch ehe er eine Hand fühlte, die sich auf seinen Arm legte. Es war wirklich ein fester Griff, und keine leise, schüchterne Berührung, denn die arme Tessa war, als sie seine raschen Schritte gewahrte, mit verzweifelnder Anstrengung vorwärts geeilt. Als er aber stehen blieb und sich nach ihr umwendete, sah sie ganz erschrocken aus, als ob sie die Wirkung ihrer Kühnheit fürchte.
»Tessa!« rief Tito heftiger, als sie je zuvor von ihm gehört hatte, »warum bist Du hier? Du sollst mir nicht folgen, Du sollst nicht an den Thorwegen stehen und auf mich warten.«
Ihre blauen Augen quollen von Thränen auf, und sie sagte nichts. Tito fürchtete etwas Schlimmeres als die Lächerlichkeit, wenn er in der Via de' Bardi mit einer Bäuerin gesehen wurde, die ihn schwärmerisch anblickte. Es war keine Geschäftsstraße, sondern eine mit hohen, still aussehenden Häusern, aber Bernardo del Nero oder sonst Jemand, der eben so gefährlich sein mochte, konnte jeden Augenblick kommen. Selbst wenn es nicht der Tag seiner Trauung gewesen wäre, hätte dieser Zufall unangenehm und widrig sein können. Und doch wäre es eine Rohheit, es wäre ihm unmöglich gewesen, Tessa mit harten Worten zu verscheuchen. Der vertrackte thörichte Streich mit dem Marktschreier; daß er Monate lang unentdeckt geblieben war und gerade jetzt vor sie trat, zu dieser unpassenden Zeit der Störung! Er konnte nicht hart zu ihr reden, aber er sprach eilig:
»Tessa, ich kann und darf hier nicht mit Dir sprechen. Ich werde nach der Brücke gehen und Dich dort erwarten. Folge mir langsam.«
Er wandte sich, ging raschen Schrittes der Rubacontebrücke zu und lehnte sich dort an die Mauer eines jener schmucken Häuschen, die in gemessenen Distanzen auf der Brücke stehen, indem er nachdem Weg sah, den Tessa kommen mußte. Es würde ein viel härteres Herz, als das Tito's war, erweicht haben, das kleine Geschöpf mit ihrem so runden, seitdem er aber von ihr an der Kirchenthür von Nunziata Abschied genommen hatte, bleich gewordenen und abgehärmten Gesichtchen sich nähern zu sehen. Zum Glück war diese Brücke eine von den am wenigsten besuchten, und in diesem Augenblick war sie fast ganz leer. Er verlor keine Zeit, sondern redete sie, sobald sie ihm nahe genug war, sogleich an.
»Also, Tessa! Ich habe nicht viel Zeit. Du mußt nicht weinen. Warum bist Du mir vorhin nachgegangen? Das mußt Du nicht wieder thun.«
»Ich glaubte nicht,« antwortete Tessa flüsternd und gegen ein Schluchzen ankämpfend, das eben bei diesem, ihr ganz neuen Tone Tito's aufsteigen wollte, »Ihr würdet so lange ausbleiben, um Euch meiner wieder anzunehmen. Der Stiefvater schlägt mich immer, und ich kann es nicht mehr aushalten. Und immer, wenn ich frei bin, gehe ich umher, Euch zu suchen, ohne Euch aber zu finden. O bitte, schickt mich nicht wieder von Euch! Es hat so lange gewährt, und ich weine jetzt so viel, weil Ihr Euch gar nicht sehen laßt. Ich kann mir nicht helfen, denn die Tage sind so lang, und ich habe gar keinen Sinn mehr für die Ziegen und ihre Kleinen oder für sonst etwas, und ich kann nicht –«
Hier nahm das Schluchzen überhand, und die Thränen rollten in großen Tropfen herab. Tito fühlte, daß er sie nothwendig trösten müsse. Sie wegschicken, ja, das mußte er, und zwar alsbald, aber desto unmöglicher ward es ihm, ihr etwas zu sagen, was sie in hoffnungslosem Kummer lassen könnte. Er sah im Hintergrunde wieder neue Verlegenheiten, aber die des Augenblicks waren zu dringend, als daß er entferntere Folgen jetzt hätte erwägen können.
»Meine liebe kleine Tessa,« sagte er in seinem früheren einschmeichelnden Tone, »Du mußt nicht weinen. Halte es lieber noch ein Weilchen mit dem bösen Stiefvater aus. Ich werde wieder zu Dir kommen. Jetzt reise ich aber nach Rom, weit weg von hier. In einigen Wochen bin ich wieder hier, und dann, das verspreche ich Dir, komme ich und besuche Dich. Versprich mir also, artig zu sein und auf mich zu warten.«
Das war wieder die liebe, wohlbekannte Stimme, und schon ihr Klang reichte hin, Tessa halb zu beruhigen. Sie sah zu ihm empor mit den großen, gläubigen Augen, in denen noch Zähren schimmerten, und dabei, trotz aller Mühe, die sie sich gab, ihm zu gehorchen, fortwährend schluchzend. Er wiederholte mit sanfter Stimme:
»Versprich es mir, meine liebe Tessa!«
»Ja,« flüsterte sie, »aber Ihr werdet doch nicht so lange fortbleiben?«
»Nein, durchaus nicht lange. Jetzt muß ich aber gehen. Und vergiß nicht, was ich Dir gesagt habe, Tessa: Niemand darf wissen, daß Du mich je siehst, sonst verlierst Du mich für immer. Und nun, wenn Du von mir gehst, begieb Dich geraden Weges nach Hause und schleiche mir nie wieder nach, sondern warte, bis ich zu Dir komme. Lebe wohl, meine liebe Tessa; ich werde jedenfalls kommen«
Da war nichts zu machen; er mußte sich abwenden und sie verlassen, ohne hinter sich zu sehen, wie sie es ertrug, denn er hatte keine Zeit zu verlieren. Als er um sich blickte, war er schon in der Via de' Benci, von wo aus man nicht bemerken konnte, was auf der Brücke vorging; aber Tessa war auch zu vertrauensvoll und gehorsam, nicht zu thun, was er ihr aufgetragen hatte.
Also für heute war die Verlegenheit vorüber, dennoch war diese Wiederkehr Tessa's in einem Augenblicke, wo es ihm unmöglich war, der peinlichen Lage ein Ende zu machen, indem er sie enttäuschte, ein unangenehmer Zufall, an den er denken mußte. Seine Seele war aber eben jetzt zu voll von einer ersten glücklichen Liebe und den daran sich knüpfenden, seinem Ehrgeiz schmeichelnden frohen Aussichten, und die künftige Nothwendigkeit, Tessa zu betrüben, war für ihn kaum mehr in's Gewicht fallend, als der entfernte Schrei eines leidenden kleinen Thieres im Waldesdickicht für eine fröhliche Reiterschaar auf einer sonnigen Ebene. Als Tito nun zum zweiten Male an diesem Morgen über die Rubacontebrücke eilte, verminderte der Gedanke an Tessa seine Glückseligkeit nicht sonderlich. Er war tief in seinen Mantel gehüllt, weniger um sich vor der Kälte zu schützen, als um dem größeren Aufsehen, das sein prunkvoller Anzug erregen konnte, zu entgehen. Er sprang immer zwei Stufen der steinernen Treppe zugleich hinauf, und fragte Maso, der ihm begegnete, eilig:
»Wo ist das Fräulein?«
»In der Bibliothek; sie ist schon ganz fertig, Monna Brigida, Messer Bernardo und Messer Braccio sind gleichfalls da, sonst aber noch Niemand von der Gesellschaft.«
»Ich lasse sie bitten, mir ein paar Augenblicke allein zu schenken; ich werde sie im kleinen Salon erwarten.«
Tito trat in ein Zimmer, welches im schreiendsten Contrast zu den halb verblaßten, halb düsteren Farben der Bibliothek hergerichtet war. Die Wände waren mit glänzenden Fresken, Capriccio's von Nymphen und Liebesgöttern, die unter blauem Himmel zwischen Vögeln und Blumen tändelten, bemalt. Das einzige Geräth, welches sich außer den rothen Ledersesseln und dem Tische in der Mitte daselbst befand, waren zwei große weiße Vasen und ein junger, die Flöte blasender Faun, von einem vielversprechenden Jüngling, Namens Michelangelo Buonarotti modellirt. Es war ein Zimmer, welches den Eindruck machte, als ob man sich in der sonnenerhellten freien Luft befände.
Tito behielt seinen Mantel um sich geschlagen und blickte nach der Thür. Nicht lange dauerte es, und Romola, ganz in Weiß und Gold und mehr als je einer schlanken Lilie gleich, trat ein. Ihr weißes seidenes Gewand war von einem goldenen Gürtel, der in großen Troddeln herabfiel, gehalten, darüber breitete sich das wallende Gold ihres Haares, über dem der weiße Nebel ihres langen Schleiers wogte, der auf ihrer Stirn durch ein Perlband, ein Geschenk Bernardo's del Nero, befestigt und jetzt über das Gesicht zurückgeschlagen war, so daß er rückwärts herabsank.
»Meine Königin!« rief Tito, ihre Hand ergreifend und küssend, und dabei immer noch in seinen Mantel gehüllt. Er konnte nicht umhin, ein paar Schritte zurückzutreten, um sie immer wieder anzusehen, während sie in stillem Entzücken und mit dem köstlichen, den Blicken bewundernder Liebe entsprießenden Selbstbewußtsein dastand.
»Romola, willst Du mir jetzt das anstoßende Zimmer zeigen?« fragte Tito, sich aufraffend, da er daran dachte, daß die Zeit gemessen sei, »Du sagtest mir, daß ich es sehen solle, wenn Du Alles geordnet haben würdest.«
Ohne ein Wort zu erwidern, führte sie ihn in ein langes, enges Gemach, das wie das andere in hellen Farben, aber nur mit Vögeln und Blumen bemalt war. Das Geräth darin war durchaus alt: gebrauchte und abgeblaßte Gegenstände weiblichen Schmucks und Bedarfs in einem zwischen zwei schmalen Fenstern angebrachten offenen Schrein, über dem Schrein hing das Bild der Mutter Romola's, und darunter oben auf dem Schränkchen stand das Crucifix, welches Romola von San Marco mitgebracht hatte.
»Ich habe Etwas unter meinem Mantel hergebracht,« sagte Tito lächelnd, und zeigte, das weite Gewand abwerfend, das kleine von Piero di Cosimo gemalte Tabernakel. Der Maler hatte Tito's Intentionen reizend ausgeführt, und dies war eine Entschuldigung für die lange Verzögerung. »Weißt Du, wozu Dies dienen soll, meine theure Romola?« fügte Tito hinzu, ihre Hand fassend und sie nach dem Schränkchen führend, »es ist dies ein kleiner Schrein, der dort die Erinnerung an Trauer für immer vor Dir verbergen soll. Du hast jetzt mit der Trauer abgeschlossen, und wir wollen alle Zeichen derselben in einer Freudengruft begraben – sieh, so!«
Ein leichtes Beben überflog Romola's Antlitz, als Tito das Crucifix nahm. Sie hegte aber durchaus keinen Wunsch, seiner Absicht entgegenzutreten, im Gegentheil, sie selbst wollte gern gewisse lästige Erinnerungen und Fragen, die wie unerklärliche Schatten durch ihre froheren Gedanken zogen, unterdrücken.
Er öffnete das Kästchen und legte das Crucifix in dessen mittleren Raum; nachdem er es wieder geschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte, stellte er den kleinen Schrein auf den Platz, wo das Crucifix gestanden hatte, und sagte:
»Jetzt, Romola sieh, ob Du mit unseren Porträts, die der alte Piero gemacht hat, zufrieden bist. Ist das nicht ein reizendes Sujet? und ich habe das Verdienst, die Wahl getroffen zu haben.«
»O, das bist Du – ausgezeichnet gelungen!« rief Romola, mit vor Freude feuchten Augen den Purpurtrauben haltenden Miniaturbacchus anblickend, »und ich bin die Ariadne, und Du bekränzest mich. Ja, Tito, es ist wahr, Du hast mein armes Leben reich mit Kränzen geschmückt!«
Sie hielten einander bei den Händen, während sie so sprach, und Beide betrachteten ihre gemalten Ebenbilder. Die Wirklichkeit war aber viel schöner; sie ganz lilienweiß und goldig, und er in seiner dunkeln Schönheit, die aus der purpurroth gesäumten Tunika hervorglühte.
»Und unser guter wunderlicher Piero hat es gemalt?« fragte Romola, »hast Du ihm die Idee beigebracht, mich als Antigone zu malen, damit er zu diesem Bilde hier mein Gesicht haben konnte?«
»Nein, er war die Ursache, daß ich um die Erlaubniß für ihn bat, Dich und den Vater zu malen, unter der Bedingung, daß er dies hier für mich arbeite.«
»So? jetzt weiß ich auch, warum Du Deinen kostbaren Ring weggegeben hast; ich merkte es gleich, daß Du einen schlauen Plan hattest, mir ein Vergnügen zu machen.«
Tito erschrak nicht; Romola's kleine Illusionen über ihn hatten schon längst aufgehört, eine andere Empfindung als die der Befriedigung in ihm zu erregen; er begnügte sich damit, zu lächeln und zu antworten:
»Ich hätte meinen Ring sparen können; Piero will kein Geld von mir nehmen, denn er hält sich damit, daß Du ihm saßest, für bezahlt. Nun wirst Du aber, während ich fern bin, jeden Tag diese lieblichen Symbole unseres gemeinsamen Lebens ansehen: das Schiff auf dem ruhigen Meere und den nie verwelkenden Epheu und diese Liebesgötter, die uns jetzt nicht mehr verwunden, und Blumenblätter, weich wie unsere Küsse, herniederschütten; und die Leoparden und Tiger, welche den Kummer Deines Lebens bedeuten, der jetzt erloschen ist; und die seltenen Seeungeheuer mit ihren klaren Augen, die sind – warte, was sind sie doch gleich? – richtig, die langweiligen Stellen in den schweren Büchern, welche unterhaltend wurden, seitdem wir neben einander saßen.«
»Mein Tito!« rief Romola in einem halb lachenden Tone der Liebe und zugleich die Hand ausstreckend, »aber Du wirst mir doch den Schlüssel geben?«
»Durchaus nicht!« antwortete Tito mit scherzender Bestimmtheit, indem er seine Gürteltasche öffnete und den Schlüssel hineingleiten ließ, »ich werde ihn in den Arno werfen.«
»Wenn ich aber das Crucifix wieder einmal ansehen will?«
»Gerade deswegen soll es von diesen Bildern der Jugend und Freude verdeckt bleiben.«
Er hauchte einen leisen Kuß auf ihre Stirne, und sie schwieg, bereit nachzugeben wie alle starken Geister, da sie keinen haltbaren Grund zum Widerstand vor sich sah.
Darauf begaben sie sich zu der schon wartenden Gesellschaft, die eine kleine ganz stattliche Procession bildete, indem sie über die Rubacontebrücke nach Santa Croce zog. Sie gingen langsam vorwärts, denn Bardo, der seit Jahren nicht gewohnt war, sein Haus zu verlassen, ging mit unsichereren Schritten als je; und dieser langsame Schritt paßte vortrefflich zu der gichtischen Würde des Messer Bartolommeo Scala, welcher mit seiner Tochter Alessandra die Feier durch seine Gegenwart verherrlichte. Es war ein alter Gebrauch bei der Trauung, lange Reihen von Verwandten und Freunden zu haben, so daß es früher sogar für nöthig befunden worden war, die Zahl gesetzlich auf vierhundert Personen – zweihundert von jeder Seite – zu beschränken; da nämlich die Gäste nach dieser Vorceremonie, so wie auch nach der Hochzeit selbst bewirthet werden mußten, so war diese erste Scene der Ehe eine zu Grunde richtende Ausgabe geworden, wie der gelehrte Leonardo Bruno, in seiner eigenen Angelegenheit, klagt. Bardo aber, der sich bei seiner Armuth in stolzer Unabhängigkeit vom leisesten Anschein: die Vortheile eines mächtigen Familiennamens ausnutzen zu wollen, erhalten hatte, wollte von keinen Einladungen auf Grund der Verwandtschaft etwas wissen, und die bescheidene Procession von zwanzig Begleitern der Verlobten bestand, mit drei oder vier Ausnahmen, aus Freunden Bardo's und Tito's, die wegen persönlicher Rücksichten ausgewählt worden waren.
Bernardo del Nero schritt als eine Art Vorhut vor Bardo, der rechts von Tito geführt wurde, während Romola ihres Vaters linke Hand hielt. Bardo selbst war in der Santa Croce verheirathet worden und hatte darauf bestanden, daß Romola, statt in der kleinen Kirche von Santa Lucia neben ihrem Hause, dort getraut und vermählt werden solle, weil ihm in seinem Geiste eine vollständige Vision der großen Kirche vorschwebte, in welcher, wie er hoffte, ihm ein Begräbniß zwischen den Florentinern, die sich um ihre Vaterstadt verdient gemacht hatten, eingeräumt werden würde. Zum Glück war der Weg kurz, gerade und fern von dem lautesten Getöse des Carneval; wenn sie nur zurück sein konnten, ehe auf der großen Piazza vor der Santa Croce die Tänze oder Schaustellungen begannen. Der Westen war roth, als sie die Brücke überschritten, und goß ein weiches Licht über die hübsche Procession, welche durch die Anwesenheit des blinden Vaters eine gewisse Feierlichkeit hatte. Als die Ceremonie aber vorbei war, und Tito und Romola, die goldenen Fesseln des Schicksals an ihren Fingern, auf die breite Kirchentreppe heraustraten, war der Abend schon tief hereingedämmert mit seinen hier und da auftauchenden Sternen, und die Diener hatten ihre Fackeln angezündet.
Als sie herauskamen, schlug ein seltsamer trauriger Gesang, wie der eines Miserere, an ihr Ohr, und sie bemerkten, daß am andern Ende der Piazza eine Volksmenge von irgend einem Gegenstand, der von dem Borgo de' Greci herkam, angelockt wurde.
»Wahrscheinlich einer ihrer Maskenzüge,« sagte Tito, der jetzt mit Romola allein war, während Bernardo sich mit Bardo beschäftigte.
Während er so sprach, zeigte sich langsam auf einer Anhöhe, hoch über den Häuptern der Zuschauer, ein hohes und grausiges Bild des geflügelten Zeitgottes mit seiner Hippe und dem Stundenglase, von seinen Kindern, den Stunden, umgeben. Er saß auf einem ganz schwarz beschlagenen Wagen, die Stiere, die diesen zogen, waren gleichfalls schwarz überzogen, und nur ihre Hörner ragten weiß aus dem Dunkel hervor, so daß im düsteren Schatten der Häuser den entfernter Stehenden die Zeit mit ihren Kindern wie eine durch die Lüfte schwebende Erscheinung vorkam. Hinter ihnen schritt eine Procession, die wie eine Schaar Todter in ihren Leichenhemden, welche durch das Dunkel dahinglitten, aussah, und während sie langsam daherschwebten, sangen sie Klageweisen.
Ein kalter Schauder packte Romola, denn im ersten Augenblicke schien es ihr, als ob die Vision ihres Bruders, die nichts aus ihrer Erinnerung verwischen konnte, zur Hälfte in Erfüllung ging. Sie schmiegte sich eng an Tito an, welcher, ihre Gedanken errathend, zu ihr sagte:
»Wie Eure Florentiner doch zuweilen an so traurigen Späßen Gefallen finden! Sicherlich ist das eine Erfindung von Piero di Cosimo, der dergleichen widrige Scherze gern hat.«
»Tito, ich wollte, es wäre nicht geschehen; es wird die Bilder jener Vision, deren ich umsonst loszuwerden suche, mir noch tiefer in's Gedächtnis graben.«
»Nicht doch, Romola, Du wirst von jetzt an nur auf die Bilder unseres Glücks blicken; ich habe alle Trauer von Dir abgesperrt.«
»Aber sie ist noch da, nur verborgen,« antwortete Romola mit leiser Stimme, und kaum wissend, daß sie sprach.
»Siehst Du, nun sind sie Alle fort,« rief Tito, »Du wirst diese häßliche Mummerei vergessen, wenn wir im Hellen sind, und einander in die Augen sehen können. Meine Ariadne darf nicht mehr zurückblicken, sondern nur vorwärts nach Ostern, wo sie mit ihrem Sorgenverscheucher triumphiren wird.«