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Band I

Vorwort


Wir sind überzeugt, daß der sternlöschende Engel der Morgenröthe, als er vor mehr als viertehalbhundert Jahren, im Hochfrühling des Jahres 1492, aus langsamen, weiten Schwingen vom Morgenland zu den Säulen des Herkules, und von den Höhen des Kaukasus über alle schneeigen Alpenrücken zur dunklen Kahlheit der westlichen Inseln dahinschwebte, dieselben Umrisse von festem Land und unbeständiger See, dieselben großen Bergesschatten über den nämlichen Thälern erblickte, wie er sie heute sieht, – daß er Olivenhügel, Fichtenwaldungen und die weiten, von jungem Korn oder regenerfrischtem Grase grünen Ebenen, daß er die Dome und Thürme von Städten, die sich am Flußufer erhoben, oder zwischen schilfähnlichen Masten an der vielbuchtigen Seeküste verstreut waren, an demselben Fleck sah, wo sie sich noch heute erheben. Und als das matte Licht seines Fluges in die Wohnungen der Menschen drang, so fiel es, wie noch jetzt, auf die rosige Wärme neugeborener Kinder, auf die verstörte Schlaflosigkeit von Kummer und Krankheit, auf das frühe Aufstehen des rauhhändigen Arbeiters, und auf den späten Schlummer des nächtlich Studirenden, welcher die Sterne, oder die Weisen, oder seine eigene Seele um jene geheime Wissenschaft befragte, welche die Schranken des kurzen Menschenlebens durchbricht, und zeigt, daß sein dunkler Pfad, der in's Wesenlose zu führen scheint, nur der Bogen in einem unermeßlichen Kreise von Licht und Glanz sei. Die großen Flußströmungen, welche das Leben der Menschen gestaltet haben, sind wol schwerlich verändert, und jene anderen Ströme, die Lebenswogen, welche im menschlichen Herzen ebben und fluthen, pulsiren bei denselben Bedürfnissen, bei den gleichen Bewegungen von Liebe und Angst. Wie unser Gedanke das langsame Erwachen des Morgens begleitet, empfangen wir den Eindruck der vollkommenen Gleichheit des Geschicks, welches unwandelbar dasselbe ist in den Hauptmomenten seiner Lebensgeschichte – Hunger und Arbeit, Aussaat und Ernte, Liebe und Tod.

Selbst wenn unsere Phantasie, statt dem Tagesgrauen zu folgen, an einem gewissen historischen Fleck verweilt und den vollen Morgen abwartet, können wir eine weltberühmte Stadt sehen, deren Umrisse seit den Tagen des Columbus kaum verändert sind, und inmitten des Unbestandes aller menschlichen Dinge als ein fast unverletztes Symbol dazustehen scheinen, welches uns daran mahnen soll, daß wir noch immer unseren Vorfahren mehr ähnlich als unähnlich sind, da die großen technischen Principien, nach denen jene Dorne und Thürme gebaut wurden, eine Aehnlichkeit der menschlichen Bauwerke zeigen, welche breiter und tiefer geht, als alle etwaigen Veränderungen. Und gewiß, wenn der Geist eines florentinischen Bürgers – dessen Augen sich zum letzten Male schlossen, als Columbus noch um die drei armseligen Schiffe, mit denen er aus dem Hafen von Palos fahren sollte, handelte und sich abmühte, – aus dem Reich der Schatten zurückkehren und da weilen könnte, wo unsere Gedanken weilen, so würde er glauben, daß noch immer bei den Erben seiner Geburtsstätte Gemeinschaft und Verständniß für ihn zu finden sein müsse.

Nehmen wir an, daß es einem solchen Schatten gewährt worden sei, den Schimmer des goldenen Morgens wieder zu schauen, und daß er nochmals auf dem berühmten Hügel von San Miniato, der Florenz im Süden überragt, stehe.

Der Geist ist gekleidet, wie er es im Leben war, die Falten seines wohlgefütterten schwarzen Seidengewandes oder lucco hängen in schweren, geraden Linien vom Halse bis zu den Knöcheln hernieder; seine einfache Zeugkappe mit ihrem becchetto oder herabhängendem Tuchstreifen, um nöthigenfalls als Schärpe zu dienen, überschattet ein, wenn auch nicht schönes, aber geistreiches Gesicht mit einem festen, scharfgeschnittenen Mund, und durch glattrasirte Lippen und Kinn ganz und gar menschliche Art zeigend. Es ist ein Antlitz voll Erinnerungen an ein wildes und bewegtes, dort unten an den Ufern des glitzernden Stromes zugebrachtes Leben, und indem er auf das Schauspiel vor sich blickt, ist der Sinn des Bekanntseins damit so viel stärker, als das Bemerken der vorgegangenen Veränderung, daß er glaubt, es sei möglich, noch einmal in die Straßen hinabzusteigen und das geschäftige Leben da wieder aufzunehmen, wo er es verlassen hat. Es sind nicht nur die Berge und der nach Westen hin strömende Fluß, die er wiedererkennt, nicht allein die dunklen Abhänge des ihm gegenüberliegenden Monte Morello und das lange Arnothal, das seine graue, kleinbuschige Ueppigkeit bis zu den fernen Abhängen von Carrara ausdehnt, oder die steile Höhe von Fiesole mit ihrer Krone von Klostermauern und Cypressen, und alle die grünen und grauen mit Villas besetzten Hügelabdachungen, die er mit Namen nennen kann, wie er sie anschaut. Er sieht andere, seinen täglichen Spaziergängen noch näher befreundete Gegenstände, denn obgleich er die siebenzig und noch mehr Thürme vermißt, welche einst jene Mauern überragten und die Stadt wie mit einem Königsdiadem umkränzten, so verweilen seine Augen doch nicht auf jener Lücke; nein, sie werden unwiderstehlich zu dem einzigen Thurm hingezogen, der wie ein hoher, zur Sonne sich emporrichtender Blüthenstengel aus der viereckigen, mit Thürmchen versehenen Masse des alten, in der Mitte der Stadt gelegenen Palastes hervorragt – zu dem Thurme, der während der vier Jahrhunderte, die verflossen sind, seitdem er an seinem Fuße lustwandelte, kein schlechteres Aussehen gewonnen hat. Auch der große Dom, der größte in der Welt, welcher in seiner frühesten Knabenzeit nur ein kühner Gedanke in der Seele eines kleinen, scharfblickenden Menschen war – da erhebt er noch seine großen gewölbten Umrisse und überragt die Anhöhen umher. Und die wohlbekannten Glockenthürme Giotto's, mit den undeutlichen Spuren reicher Färbung, und die Badia mit dem schlanken Thurm, und all' das Uebrige – er hatte das Alles auf dem Arme seiner Amme gesehen.

Gewiß, denkt er bei sich, Florenz kann noch seine Glocken mit dem feierlichen Hammerstreiche läuten, der sonst an die Herzen der Bürger schlug und ihnen Feuer entlockte. Und hier, rechts, steht das lange, düstere Gemäuer von Santa Croce, wo wir unsere berühmten Todten begruben, den Lorbeer auf ihre kalte Stirn legten, und sie mit dem Hauche des Lobes und dem Wehen der Banner fächelten. Aber damals hatte Santa Croce keinen Thurm; wir Florentiner hatten zu viele großartige Baupläne im Kopfe, als daß wir sie alle in Stein und Marmor hätten ausführen können; wir mußten unsere Fresken und Altäre ja bezahlen, um nicht von raubsüchtigen Condottieri, bestochenen Königen und gekauften Ländereien zu sprechen, und so mußten unsere Thürme und Façaden natürlich warten. Aber welchen Architekten können die frati minori »Franciscaner« übersetzt die englische Verfasserin; aber frati minori heißt: Minoriten. – Anm. d. Uebers genommen haben, der ihnen diesen Thurm baute? Wäre er zu meiner Zeit errichtet worden, so hätten Filippo Brunelleschi oder Michelozzo etwas Anderes ausgedacht, als dieser ist – Etwas, das würdig gewesen wäre, die Kirche Arnolfo's zu krönen. –

Dabei läßt der Geist seufzend seine Augen nach den Mauern der Stadt schweifen, und verweilt, staunend über die neuen Zeiten, bei den Veränderungen, die dort Platz gegriffen haben. Warum sind fünf von den eilf so passend angebrachten Thoren abgesperrt, und, vor allen Dingen, warum sind die Thürme, die einst eine Zierde und ein Bollwerk waren, dem Erdboden gleichgemacht worden? Ist die Welt so friedliebend geworden, und leben die Florentiner so einträchtig, daß es keine Verschwörungen: ehrgeizige Verbannte mit ihrem bewaffneten Anhange wieder in die Heimath zurückzurufen, mehr giebt? Das sind schwierige Fragen; es ist leichter und angenehmer, das Alte wieder zu erkennen, als sich Rechenschaft über das Neue abzulegen. Und dort fließt der Arno, mit seinen Brücken, gerade wo sie sonst gewesen waren – der Ponte Vecchio, am wenigsten allen anderen Brücken in der Welt ähnlich, mit denselben curiosen Läden besetzt, wo der Geist sich erinnert, vielleicht auf seinem Wege stillgestanden zu sein, um das Fortschreiten des Baues jenes großen Palastes zu beobachten, welchen Messer Luca Pitti aus großen, aus dem nahegelegenen Berge Bogoli (heute Boboli genannt) gebrochenen Steinen aufführen ließ, oder um irgend ein kleines Geschäft mit den Zeugbereitern in Oltrarno abzumachen. Die ungeheure Länge des Pitti'schen Palastdaches wird von San Miniato verdeckt, aber das Sehnen des alten Florentiners geht nicht dahin, den prunkvollen Palast, den Messer Luca sich selbst erbaute, zu sehen, sondern sich da unten in den engen Straßen und dem geschäftigen Gesumme der Plätze zu befinden, wo er das thätige Leben seiner Väter geerbt hatte. Existirt dort nicht mehr das eifrige Abstimmen mit weißen und schwarzen Bohnen? Wer sind in diesen Monden die Priori, die in dem Palazzo Vecchio die mäßig arrangirten amtlichen Diners aus abgetragenen Kaldaunen und gesottenen Rebhühnern, mit handgreiflichen Späßen gegen die unglückliche Zielscheibe dieser mächtigen Herren, genießen? Wehen die bedeutsamen Banner wol noch von den Fenstern herab – werden sie nicht noch mit geziemender Feierlichkeit alle zwei Monate unter Orcagna's Loggia vertheilt?

Das Leben hatte seinen Reiz für den alten Florentiner, als auch er noch jene Marmorstufen betrat und an jenen Würden einen Antheil hatte. Seine Politik hatte ein eben so weites Feld wie sein Handel, welcher sich von Syrien bis England erstreckte; sie besaß aber auch jenes leidenschaftliche Uebermaß, das nur einem engeren Gebiete corporativer Thätigkeit, nur den Mitgliedern einer, von Bergen und Mauern von ungefähr einmeiligem Umkreis eingeschlossenen Gemeinde eigenthümlich sein konnte, wo die Leute, wenn sie einander in den Straßen vorbeigingen, sich gegenseitig kannten, jeden Tag die Bücher ihres Gemeindewesens einsahen, und wußten, daß sie nicht nur das Recht, zu wählen, sondern auch die Aussicht, gewählt zu werden, hatten. Er liebte seine Ehrenstellen und seinen Verdienst, das Geschäft seines Comptoirs, seiner Zunft und des öffentlichen Rathssaales; er liebte auch seine Feindschaften, und handhabte die weiße Bohne, welche einen verhaßten Namen von der Borsa fern halten sollte, wohlgefälliger, als wäre sie ein Goldgulden. Er mochte seine Familie gern durch eine gute Verbindung stärken, und ging mit triumphblitzenden Augen heim, wenn er ein passendes parentado (eine Partie) für seinen Sohn oder seine Tochter geschlossen hatte unter seiner Lieblings-Loggia in der Abendkühle; er machte gern sein Schachspiel in derselben Loggia, so wie auch seinen beißenden Witz und seine groben Späße, die er nicht unter der Würde eines zu den höchsten Stellen der Magistratur wählbaren Mannes hielt. Er hatte einen Einblick in alle einheimischen und auswärtigen Angelegenheiten erworben; er hatte zu den »Zehnen« gehört, welche das Kriegsdepartement verwalteten, zu den »Achten«, welche die inneren Angelegenheiten leiteten, zu den Signori oder Priori, welche die Häupter der Executivgewalt waren, er hatte es bis zu dem hohen Posten eines Gonfaloniere gebracht, er war einer der Gesandten an den Papst und die Venetianer gewesen, so wie auch Commissär der Miethstruppen der Republik, und hatte die ruhmlosen, unblutigen Schlachten geleitet, in welchen Niemand an tapferen Wunden auf der Brust ( virtuosi colpi), sondern an einem zufälligen Sturz und Zertretenwerden umkam. Auf diese Weise hatte er gelernt, ohne Bitterkeit den Menschen zu mißtrauen, das Leben hauptsächlich als ein Geschicklichkeitsspiel betrachtend, aber darum nicht abgestorben für Traditionen von Heldenmuth und unbefleckter Ehre. Die Menschenseele ist ja gastfrei und beherbergt widersprechende Gefühle und entgegengesetzte Meinungen mit großer Unparteilichkeit. Außerdem war er stolz darauf, daß er den gehörigen Anstrich von der Gelehrsamkeit seiner Zeit besaß, und daß sein Urteil nicht mit dem des großen Haufens, sondern mit dem der Alten harmonirte; er hatte sich auch in seinen jüngeren Jahren um die correctesten Manuscripte bemüht, und manchen Gulden bezahlt für antike Vasen und ausgegrabene Büsten der unsterblichen Alten – einige vielleicht defect an den Nasen ( truncis naribus), aber darum nicht weniger echt, und in seinen alten Tagen hatte er sich beeilt, sich nach den ersten Bogen der schönen Ausgabe von Homer, welche zu den ersten rühmlichen Leistungen der florentinischen Druckerpresse gehörte, umzuthun. Trotz alles dessen hatte er es aber nicht verabsäumt, ein wächsernes Bild oder ein Portrait seiner selbst unter dem Schutze der Madonna Annunziata aufzuhängen, oder durch reiche Gaben an die Altäre von Heiligen, deren Leben nicht nach dem Studium der Alten geregelt war, Buße für seine Sünden zu thun; ja, er hatte sogar nicht unterlassen, großartige Schenkungen für die Wohnungen der Mönche, gegen die er so manchen Witz losgelassen hatte, zu machen.

Waren ja doch die Unsichtbaren mächtig! Wer wußte, wer konnte wissen, daß ihnen irgend ein Name gegeben wurde, hinter dem nicht eine zürnende Macht zu beschwichtigen, eine vermittelnde Barmherzigkeit zu gewinnen war? Waren nicht Edelsteine heilkräftig, wenn sie auch nur den Finger berührten? Waren nicht alle Dinge voll geheimer Kräfte? Lucretius konnte Recht haben – er war ein alter und ein großer Dichter. Luigi Pulci sogar, den man im Verdacht hatte, daß er an Nichts glaube, was über die Dächer ging ( dal tetto in sù), schien am Abendtisch, wenn der Wein und die riboboli Späße, Witze. – Anm. d. Uebers. freier kreisten, wirklich auch Recht zu haben, obgleich er nur ein Dichter in der Volkssprache war. Es gab selbst gelehrte Leute, welche behaupteten, daß Aristoteles, der weiseste der Menschen (wenn nicht am Ende Plato weiser war), ein durch und durch irreligiöser Philosoph war; und ein freisinniger Gelehrter muß allen Speculationen Raum gewähren. Aber die Regirenden konnten doch vielleicht im Irrthum sein; ja, sie schienen ihm offenbar fehl zu gehen, je mehr die kreisenden Stunden an ihm vorüberflogen und ihn immer ernster anblickten. War denn nicht die Welt christlich geworden? War er nicht in San Giovanni getauft, dessen Kuppel finster herabschaut mit den Symbolen des kommenden jüngsten Gerichts, und dessen Altar ein Bildniß des Gekreuzigten trägt, das die vollkommene Selbstgefälligkeit und Weltliebe beunruhigen kann? Unser wiedererstandener Geist war kein heidnischer Philosoph oder philosophirender heidnischer Dichter, sondern ein Mann des fünfzehnten Jahrhunderts, ein Erbe von dessen seltsamem Gemisch von Glauben und Unglauben, von epikuräischem Leichtsinn und fetischistischer Angst, von pedantischer, unwahrer, mechanisch nachgesprochener Moral, und rohen, mit kindischem Drang wirkenden Leidenschaften, voll Neigung zu einem gegen sich selbst nachsichtigen Heidenthum und zu einer unausweichlichen Unterwerfung unter jenes menschliche Gewissen, welches in der Unruhe eines neuen Heranwuchses die Luft mit seltsamen Prophezeiungen und Ahnungen füllte.

Er hatte vielleicht dazu gelächelt und zweifelnd das Haupt geschüttelt, als er schlichte Leute von einem Papst Angelicus reden hörte, welcher später kommen und eine neue Ordnung der Dinge einführen würde, um die Kirche von der Simonie, und das Leben der Geistlichen vom Skandal zu befreien – ein Zustand, zu sehr von dem verschieden, der unter Innocenz dem Achten herrschte, als daß ein kluger Kaufmann und Politiker es der Mühe werth gehalten haben könnte, auf solch eine Aussicht zu bauen. Er fühlte aber nichtsdestoweniger die Gebrechen der Zeit, denn er war ein Mann des Gemeingeistes, und der Gemeingeist kann niemals ganz unsittlich sein, da seine Hauptwesenheit in der Sorge für das allgemeine Beste besteht. Noch zur Fastenzeit des Jahres 1492, in welcher er in noch kräftigem Greisenalter starb, hatte er in der Kirche San Lorenzo nicht ohne eine gewisse Freude die Predigt eines Dominicanermönchs Anspielung auf Girolamo Savonarola (1452-98), der in den letzten vier Jahren seines Lebens faktisch die Herrschaft über Florenz innehatte, bevor er als angeblicher Ketzer hingerichtet wurde. Im weiteren Text wird von ihm zunächst nur als »Fra Girolamo« gesprochen. - Anm.d.Hrsg. mit angehört, der mit einer seltenen Kühnheit die Weltlichkeit und das sündige Gebahren des Clerus offen darlegte, und darauf drang, daß es die Pflicht von Christen sei, nicht zu ihrer eigenen Gemächlichkeit zu leben, wenn in den oberen Kreisen das Unrecht triumphirte, und ihren Reichthum nicht für äußere Pracht, und sei es selbst in Kirchen, zu vergeuden, während ihre Mitbürger von Mangel und Krankheiten heimgesucht wären. Für Leute in älteren Jahren trieb der frate seine Lehren doch zu sehr auf die Spitze, aber es blieb immer etwas Merkwürdiges, zu sehen, wie ein Prediger seine Zuhörer dermaßen in Aufregung versetzte, daß die Weiber sogar ihre Schmucksachen abnahmen und sie zum Besten der Nothleidenden dahingaben.

»Es war ein merkwürdiger Mann, dieser Prior von San Marco,« dachte unser Geist bei sich, »etwas anmaßend und vielleicht zu übertreibend, namentlich in seiner Verkündigung schneller Strafen. Ach, Iddio non paga il Sabato! Gott bezahlt am Sabbath nicht. der Lohn für die Sünden der Menschen bleibt oft lange aus, und ich habe selbst so manche wirkliche Schlechtigkeit in langdauerndem Glücke gesehen. Aber wie konnte auch ein frate predicatore (ein Predigermönch), der das Volk ergreifen will, gemäßigt sein? Er hätte indessen doch wohl etwas weniger herausfordernd und kurzangebunden gegen Lorenzo de' Medici sein dürfen, dessen Familie die Gründer von San Marco gewesen waren! Ist der Streit wohl je beigelegt worden? Und unser Lorenzo selber mit seinen matten äußeren Augen und dem scharfen inneren Blick, ob er wohl jene Krankheit in Coreggi überstanden hat? Er mußte doch ein trauriges und verstörtes Gesicht aus der Welt, die ihm so viel gegeben hat, mitnehmen, und es waren starke Vermuthungen da, daß sein schöner Sohn die Rolle des Rehabeam spielen würde. Was mag aus allem Dem geworden sein? Welche Partei mag sich jetzt wohl vertrieben und ihre Häuser geplündert sehen? Ist irgend ein Nachfolger da für den unvergleichlichen Lorenzo, gegen den der Großtürke so zuvorkommend ist, daß er ihm Geschenke von seltenen Thieren, seltenen Reliquien, seltenen Manuscripten oder flüchtigen Feinden schickt, Geschenke, die dem Geschmack eines christlichen Magnifico, der zugleich gelehrt, fromm und auch ein wenig rachsüchtig ist, zusagen? Und welcher berühmte Gelehrte verfaßt jetzt die lateinischen Briefe der Republik? Welcher feurige Philosoph hält jetzt im Duomo Vorlesungen über Dante, und geht dann nach Hause um bittere Schmähungen gegen den Vater und die Mutter des schlechten Recensenten zu schreiben, der einen Fehler in seiner Orthographie gefunden hat? Neigen sich unsere reiferen Häupter einem Bündniß mit dem Papst und dem Königreich Neapel. zu, oder öffnen sie ihre Ohren den Rednern Frankreichs und Mailands?

»Das Alles wird man wol da unten in den Straßen auf den lieben Marmi vor den Kirchen, und unter den schirmenden Loggien erfahren können, wo unsere Bürger gewiß noch ihre Klatschereien und ihre Streitigkeiten, ihre harmlosen und ihre boshaften Witze wie in früheren Tagen zum Besten geben; denn stehen nicht noch alle die wohlbekannten Häuser da? Die Veränderungen in diesen ungezählten Jahren sind nicht so erheblich gewesen. Ich will also hinuntergehen und hören – ich will das mir so wohlbekannte Pflaster wieder betreten, – will wieder einmal die Sprache der Florentiner hören.« –

Steige nicht hinab, guter Verstorbener! denn die Veränderungen sind erheblich, und die Sprache der Florentiner wird wie ein Räthsel zu Deinen Ohren tönen. Oder wenn Du schon hinabgehst, so laß Dich nicht mit Politikern auf den Marmi, oder sonst wo, ein; erkundige Dich nicht nach Handelsangelegenheiten in der Calimara, mache Dich nicht mit Untersuchungen in gelehrten Dingen, amtlichen oder geistlichen, verrückt. Schaue einzig und allein das Sonnenlicht und die Schatten an den großen Mauern an, die so fest gebaut und in ihrer Größe fest stehen geblieben sind; sieh' Dir die Kindergesichter an, welche auch ein Sonnenblick zwischen den Schatten des Alters sind, blicke, wenn Du willst, hinein in die Kirchen, und höre dieselben Gesänge, sieh' dieselben Bilder, wie vor alten Zeiten – die Bilder freiwilligen Märtyrerthums für einen großen Zweck, mildthätiger Liebe und himmlischen Ruhms; sieh' die Häupter der Lebenden himmelwärts gerichtet, und die Lippen dieselben alten Gebete stammelnd, um Hilfe zu erflehen! Diese Dinge sind keinem Wechsel unterworfen gewesen. Sonnenlicht und Schatten bringen ihre alte Schönheit und erwecken die alten Herzensklänge am Morgen, am Mittag wie am Abend; die Kindlein sind noch immer das Symbol der ewigen Vermählung von Liebe und Pflicht; und die Menschen sehnen sich noch immer nach dem Reiche des Friedens und der Gerechtigkeit, noch immer bekennen sie, daß dasjenige Leben das höchste sei, welches ein selbstbewußtes, freiwilliges Opfer ist – denn der Papst Angelicus ist noch nicht gekommen.



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