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Sechszehntes Capitel.
Ein florentinischer Scherz.


Früh am nächsten Morgen kehrte Tito von Bratti's Laden in der engen Durchgasse der Ferravecchj zurück. Der genuesische Fremdling hatte den Onyxring, und Tito fünfzig Gulden dafür genommen. Es kam ihm gerade in den Sinn, daß, wenn die Glücksgöttin ihn doch einmal durch einen ihrer schlauen Anschläge von der Nothwendigkeit, Florenz zu verlassen, gerettet hätte, es doch besser für ihn gewesen wäre, den Ring nicht wegzugeben, da man wußte, daß er ihn einer besondern Erinnerung und Vorliebe wegen trug; doch war dies am Ende nur eine Nebensache, auf die kein besonderes Gewicht zu legen war, und in jenen Augenblicken hatte er das Vertrauen auf das Glück verloren. Die fieberhafte Aufregung der ersten Unruhe, welche seinen Geist vermocht hatte, in die Zukunftsferne zu schweifen, war einer dumpfen, reuigen Mattigkeit gewichen. Ihm war so viel an dem Vergnügen gelegen, das ihm nur durch die gute Meinung seiner Mitmenschen werden konnte, daß er jetzt wünschte, er hätte nie die Schande riskirt, indem er sich von dem, was diese Mitmenschen: Verpflichtungen nannten, zurückzog. Unsere Thaten sind aber wie Kinder, die uns geboren werden; sie leben und handeln für sich und unabhängig von unserem Willen. Ja, Kinder werden erstickt, aber niemals Thaten; denn diese haben ein unzerstörbares Leben innerhalb unseres Bewußtseins und außerhalb desselben, und diese furchtbare Lebenskraft der Thaten lastete jetzt zum ersten Mal schwer auf Tito.

Er kehrte zu seiner Wohnung an der Piazza San Giovanni zurück, vermied aber über den Mercato vecchio, was für ihn der kürzeste Weg war, zu gehen, um dort nicht etwa Tessa zu treffen. Er war nicht in der Laune, etwas aufzusuchen, sondern konnte nur noch das erste Zeichen eines Wechsels in seinem Geschick abwarten.

Die Piazza mit ihren schönen Ansichten wurde von dem warmen Morgensonnenlichte beleuchtet, unter dem der Herbstthau noch sichtbar ist und welches zu einem von Ermattung ungedämpften Müssiggehen einladet. Es war noch obendrein ein Festtagsmorgen, wo die milde Wärme den Menschen mit einer besondern Einladung zum Umherschlendern und Umsichschauen beschleicht. Die Anzeichen des Jahrmarkts waren gleichfalls da; in den Räumen um die achteckige Taufcapelle sah man Buden mit Blumen und Früchten, hier und dort standen Maulthiere ruhig in ihre Futtersäcke vertieft, während ihre Treiber vielleicht durch die gastfreien heiligen Thore gegangen waren, um vor der heiligen Jungfrau an diesem ihrem Tage der Geburt zu knieen. Auf den breiten Marmortreppen des Domes standen Gruppen von Bettlern und Stadtneuigkeiten-Plauderern umher; hier ein altes Weib mit grauem Haar und harten, sonnverbrannten Zügen, einen mit einer runden Mütze bekleideten Säugling ermuthigend, die kleinen nackten Füßchen einmal auf dem durchwärmten Marmor zu versuchen; dort ein paar Buben mit zottigem Haar, die sich vorüber beugten, um einem kleinen blassen Krüppel zuzusehen, der auf einem Kirschkern ein Gesicht ausschnitzte, und über ihnen auf der Plattform Männer, die in vorübergehendem, lachendem Geplauder wechselnde Gruppen bildeten, oder aber in dichtgedrängten Haufen zusammenstanden und lebhaft gesticulirten.

Aber die größte und wichtigste Gesellschaft von Müssiggängern war diejenige, welcher Tito sich nähern mußte. Es war für Nello der am meisten in Anspruch genommene Theil des Tages, und in dieser warmen Jahreszeit und zu einer Stunde, da die Kunden zahlreich versammelt waren, zogen es die Mehrsten vor, sich unter dem hübschen roth und weiß gestreiften Zeltdach vor dem Laden rasiren zu lassen, statt zwischen den engen Wänden. Es ist keine erhabene Stellung für einen Mann, mit eingeseiftem Kinn, den Kopf zurückgeworfen und die Nase als Griff dienend, dazusitzen; aber rasirt zu werden, war eine Mode für florentinische Achtbarkeit, und es ist erstaunlich, wie ernsthaft die Leute einander ansehen, wenn alle die Mode mitmachen. Es war auch die Stunde des Tages, wo die Neuigkeitenernte von gestern im frischesten Prangen war, und die Zunge des Barbiers war stets am meisten in ihrem Element, wenn sein Rasirmesser in Thätigkeit war; die flinke Thätigkeit dieser beiden Werkzeuge schien von einer und derselben Springfederkraft in Gang gesetzt zu werden. Tito sah voraus, daß es ihm unmöglich sein würde, diesem Kreise zu entkommen; er mußte lächeln und erwidern, und ganz unbefangen scheinen. Nun, es war ja am Ende doch weiter nichts, als ein Urteil: Brot und Käsepillen zu verschlucken. Der Mann, der sich schon von dem Vorschmack der Entdeckung überwältigen ließ, war einfach nur ein Mann mit schwachen Nerven. In diesem Augenblicke fühlte Tito eine Hand auf seiner Schulter, und kein Belauf vorhergefaßten Entschlusses konnte die höchst unangenehme Empfindung, die ihn bei dieser plötzlichen Berührung durchzuckte, verhindern. Sein Gesicht verrieth, indem er sich umwandte, die innere Erschütterung, aber der Eigenthümer jener Hand, welche einen so bösen Zauber zu enthalten schien, brach in ein helles Gelächter aus. Es war ein junger Mann von ungefähr Tito's Alter, mit scharfen Gesichtszügen, kurzgeschorenem Haar und glatt rasirter Lippe und Kinn, einen so wenig als möglich mit nicht materiellem Stoff beladenen Geist andeutend. Die lebhaften Augen leuchteten voll Hoffnung und Freundlichkeit, wie so viele andere junge Augen, welche sich später in Bitterkeit und Enttäuschung vor der Welt schlossen; denn damals prophezeite man nur Angenehmes von Niccolo Macchiavelli, als von einem jungen, hoffnungsvollen Menschen, der, wie man glaubte, die zerrütteten Vermögensumstände seiner alten Familie wieder herstellen würde.

»Was für einen bösen Traum habt Ihr denn diese Nacht gehabt, Tito Melema, daß Ihr meine leichte Berührung für die eines Sbirren oder für noch etwas Schlimmeres haltet?«

»Ah, Messer Niccolo!« rief Tito, sich schnell fassend, »es muß ein außergewöhnliches Maß von Schwerfälligkeit heute in meinen Adern liegen, welches beim Herannahen Eures Witzes zusammenbebte, aber ich habe wirklich eine schlechte Nacht gehabt.«

»Das ist Schade, denn man erwartet Euch heute in den Gärten von Rucellai, wo Ihr ohne verhüllende Nebel leuchten sollt. Ich nehme es für ausgemacht an, daß Ihr dort sein werdet.«

»Messer Bernardo erwies mir die Ehre, mich einzuladen,« sagte Tito, »aber ich werde schon anderswo versagt sein.«

»Ach ja, ich entsinne mich, Ihr seid verliebt,« entgegnete Macchiavelli achselzuckend, »sonst würdet Ihr nie so unpassende Einladungen haben. Wir sollen ja einen Pfau und Ortolanen in der Loggia unter Bernardo Rucellai's seltenen Bäumen verzehren; die feinsten Köpfe und die feinsten Weine in Florenz werden zugegen sein. Nur, da Piero de' Medici auch da sein soll, so können die feinsten Köpfe in dem Aufsetzen von Impromptüversen ertrinken. Ich hasse diese Spielerei; es ist ein Anschlag, um den kleinen Geistern, die stets am meisten von der kleinsten Gelegenheit begeistert werden, einen Triumph zu verschaffen.« –

»Was sagt Ihr da von Piero de' Medici und kleinen Geistern, Messer Niccolo?« fragte Nello, dessen schlanke Figur die herkulische Gestalt Niccolo Caparra's überragte. Dieser berühmte Eisenarbeiter, den wir vor Kurzem mit bloßen muskulösen Armen und einem Lederschurz auf dem Mercato vecchio gesehen haben, war heute in seinen Feiertagskleidern, und wie er so unterwürfig dasaß, während Nello um ihn her schwärmte, ihn einseifte, bei der Nase packte und mit magischer Schnelligkeit bartkratzte, sah er einem Löwen gleich, wenn ein solcher Leinenwäsche und eine Tunika hätte anlegen und sich vorbereiten können, in Gesellschaft zu gehen.

»Ein Privatsecretär wird es nie zu etwas in der Welt bringen, wenn er Große und Kleine auf diese Art in einen Topf wirft,« fuhr Nello fort; »wenn hohe Herrschaften ihre Söhne und Töchter nicht verheirathen dürfen, wie sie möchten, so dürfen kleine Leute nicht daran denken, ihre Worte zu verbinden, wie sie Lust haben. Habt Ihr schon die Neuigkeiten gehört, die uns Bernardo Cennini da so eben bringt? Daß Pagolantonio Soderini dem Ser Piero da Bibbiena eine Ohrfeige gegeben hat, weil er den Piero de' Medici aufhetzte, die Hochzeit des jungen Tommaso Soderini mit Fiammetta Strozzi zu hintertreiben, und daß er deshalb zur Strafe als Gesandter nach Venedig geschickt wurde?«

»Ich weiß nicht, um was ich ihn am meisten beneiden soll,« sagte Macchiavelli, »um die Beleidigung oder um die Strafe dafür. Die Beleidigung wird ihn zum populärsten Manne in Florenz machen, und die Strafe ihn zu den einzigen Leuten in Italien führen, die ihre Angelegenheiten gut zu besorgen verstanden haben.«

»Ja, wenn Soderini lange genug in Venedig bleibt,« sagte Cennini, »so kann er vielleicht die venetianischen Moden lernen und sie mit hierher bringen. Die Soderini sind zuverlässige Freunde der Medici gewesen, aber das, was sich zugetragen hat, wird dem Pagolantonio wahrscheinlich die Augen über das Gute unseres alten florentinischen Kunstgriffs: einen neuen Harnisch anzulegen, wenn uns der alte drückt, öffnen, wenn wir diesen Pfiff nicht während der letzten fünfzig Jahre vergessen haben.«

»Wir nicht,« rief Niccolo Caparra, froh, seine Lippen wieder frei zu haben; »eßt Eier um die Fastenzeit, und der Schnee wird schmelzen. Das sage ich immer unseren Leuten, wenn sie bei ihren Bechern in San Gallo zu lärmen beginnen und einen Krawall anfangen wollen. Heckt nie, so pflege ich zu sagen, den Plan zu einem Krawall aus. Ihr könntet eben so gut den Arno mit Schöpfeimern füllen wollen; wenn Wasser genug da ist, so wird der Arno schon voll sein, und dies ist nicht eher der Fall, als bis der Strom fertig ist.«

»Caparra, diese orakelmäßige Rede verdankt Ihr meinem trefflichen Rasiren,« sagte Nello; »Ihr hättet sie nie zuwege gebracht mit dem dunklen Rost auf Eurem Kinn. So, Messer Bernardo, jetzt bin ich zu Euren Diensten. A proper, mein schöner Gelehrter,« fuhr Nello fort, als er Tito sich der Thür nähern sah, »der alte Maso war hier und hat nach Euch gefragt, aber Ihr wart bereits ausgeflogen. Er wird gleich wiederkommen. Der alte Mann sah sehr betrübt aus und schien große Eile zu haben. Es wird doch hoffentlich in der Via de' Bardi nichts Unangenehmes sich ereignet haben?«

»Ohne Zweifel weiß Messer Tito bereits, daß Bardo's Sohn todt ist,« sagte Cronaca, der eben herbeigekommen war.

Tito's Herz pochte laut; war er gestorben, ehe Romola ihn gesprochen hatte?

»Nein,« sagte er, nicht mehr außer Fassung gebracht scheinend, als der Gelegenheit angemessen war, sich dabei umwendend und an den Thürpfosten lehnend, als ob er seine Absicht, fortzugehen, aufgegeben hätte; »ich weiß nur, daß seine Schwester ihn besucht hatte. Starb er, ehe sie kam?«

»Nein,« sagte Cronaca, »ich war gerade in San Marco und sah sie aus dem Ordenshause mit Fra Girolamo herauskommen, der uns sagte, daß der Odem des Sterbenden wie durch ein Wunder erhalten worden sei, damit er seiner Schwester eine Enthüllung machen könne.«

Tito fühlte, daß sein Schicksal entschieden sei. Von Neuem überflog sein Geist alle Umstände seiner Trennung von Florenz, und er entwarf einen Plan, sein Geld von Cennini zurückzubekommen, ehe jene Enthüllung in die Oeffentlichkeit drang. Hatte er einmal sein Geld, so brauchte er nicht lange zu bleiben, um die versengenden Blicke und beißenden Worte zu ertragen. Er wollte jetzt hier warten und mit Cennini gehen, um das Geld sogleich von ihm abzuholen. Mit diesem Plane im Kopfe stand er bewegungslos da, die Hände im Gurt, und die Augen starr auf den Boden geheftet. Nello war, als er ihn anblickte, überzeugt, daß er in Besorgniß Romola's wegen versenkt war, und hielt ihn für ein so herrliches Bild selbstvergessenden Kummers, daß er eben mit dem Rasirmesser auf ihn deutete und dem Piero di Cosimo, dem er es nie verzeihen konnte, daß dieser keine Spur von Charakter in den Zügen seines Lieblings erkennen wollte, einen herausfordernden Blick zuwarf. Piero, der gegen den andern Thürpfosten dicht neben Tito lehnte, zuckte mit den Achseln; die häufige Wiederkehr solcher Herausforderungen abseiten Nello's hatte die erste Neutralitätserklärung des Malers in eine positive Absichtlichkeit, von dem vielgepriesenen Griechen alles Schlechte zu denken, verwandelt.

»So habt Ihr also Euren Fra Girolamo wieder, Cronaca?« fragte Nello, »ich denke, er wird nächsten Advent wieder hier predigen.«

»Und nicht, ehe es nothwendig ist,« antwortete der Angeredete ernst, »wir haben seit der letzten Fastenzeit das beste Zeugniß für seine Worte gehabt, denn selbst den Schlechten ist die Schlechtigkeit zur Plage geworden, und die Reise des Lasters verwandelt sich zur Fäulniß selbst in den Nasen der Lasterhaften. Es hat seit der Fastenzeit weder in Rom, noch in Florenz eine Veränderung stattgefunden, die nicht auf's Neue die Aussprüche des Frate besiegelt hätte: daß die Ernte der Sünde reif ist, und daß Gott kommen wird, sie mit dem Schwerte zu mähen.«

»Ich hoffe doch, daß er eine neue Vision gehabt hat,« sagte Francesco Cei höhnisch, »denn die alten sind etwas abgenutzt. Kann Euer Mönch nicht irgend einen Dichter aufgabeln, der ihm mit seiner Phantasie aushilft?«

»Es fehlt ihm nicht an Dichtern,« sagte Cronaca mit verachtender Ruhe, »es sind aber große Dichter, und keine kleinen; deshalb begnügen sie sich, von ihm belehrt zu werden, und halten die Wahrheit, die Gott ihm in den Mund legt, für eben so wenig abgenutzt wie das Licht des Mondes. Vielleicht möchten aber gewisse hohe Prälaten und Fürsten, welche die Anschuldigungen des Mönchs nicht lieben, gern hören, daß, obgleich Giovanni Pico und Poliziano und Marsilio Ficino und die meisten anderen ausgezeichneten Männer in Florenz den Fra Girolamo verehren, der Messer Francesco Cei ihn verachtet.«

»Poliziano?« rief Cei mit höhnischem Lachen, »ja, sicherlich glaubt er an Euren neuen Jonas, davon zeugt die schöne Rede, welche er für die Abgesandten von Siena schrieb, um Alexander dem Sechsten zu sagen, daß Welt und Kirche nie so gut daran waren, als seitdem er Papst wurde.«

»Nun, Francesco,« fiel Macchiavelli lächelnd ein, »ein so vielseitiger Gelehrter muß auch vielseitige Ansichten haben. Was nun aber den Mönch betrifft, so mögen wir von seiner Heiligkeit denken wie wir wollen, aber seine Predigten beurteilt Ihr von einem zu engen Gesichtskreise aus. Das Geheimniß der Redekunst liegt nicht darin, neue Dinge zu sagen, sondern sie mit einer gewissen Energie vorzutragen, welche die Zuhörer ergreift, sonst verdient der Redner, wie der alte Filelfo gesagt hat, ›non oratorem, sed aratorem‹ Nicht Redner, sondern Ackersmann. – Der Uebers. genannt zu werden. Und nach diesem Ausspruch ist Fra Girolamo ein großer Redner.«

»Das ist wahr, Niccolo,« sagte Cennini vom Rasirsessel her, »aber ein Theil des Geheimnisses liegt in den prophetischen Visionen. Unser Volk, ich will Euch damit nicht zu nahe treten, Cronaca, läuft nach Jedem, der wie ein Prophet aussieht, besonders wenn er ihnen Schrecknisse und Plagen prophezeiht.«

»Sagt lieber,« erwiderte Cronaca, »das Hauptgeheimniß liegt in dem reinen Lebenswandel und dem starken Glauben des Mönchs, die ihn zu einem Sendlinge des Herrn stempeln.«

»Ja, ja, das gebe ich gern zu,« sagte Cennini, seine Hände öffnend, indem er sich vom Sessel erhob, »sein Leben ist makellos, das hat kein Mensch geläugnet.«

»Er freut sich an dem schmeichelnden Vergnügen der Anmaßung,« rief Cei mit Bitterkeit, »ich sehe das an seiner stolzen Lippe und seinem selbstgefälligen Blicke. Er hört die Luft von seinem Namen widerhallen: Fra Girolamo Savonarola von Ferrara, der Prophet, der Heilige, der gewaltige Prediger, vor dem die Säuglinge von Florenz voll Angst ihr sündiges Spielzeug niederlegen.«

»Kommt, kommt, Francesco, Ihr seid vor lauter Warten übler Laune,« sagte der beschwichtigende Nello, »erlaubt, daß ich Euch den Mund mit etlichem Seifenschaum stopfe. Ich will nicht, daß man meinen Freund Cronaca erzürne, denn ich habe Respect vor seinem Kinn, und das hat sich in keinerlei Beziehung geändert, seitdem er ein piagnone geworden ist. Was mich betrifft, so bekenne ich, daß ich, als der Frate zur vorigen Adventzeit im Dome predigte, einen solchen Drang fühlte, hineinzuschlüpfen, um ihn zu hören, daß ich selbst hätte zum piagnone werden können, wäre ich nicht von dem freisinnigen Charakter meiner Kunst und von der Länge der Predigten abgehalten worden, die mitunter etwas lange brauchen, ehe sie zum Punkte der Bewegung kommen. Aber wie Messer Niccolo hier so eben sagte, der Mönch ergreift die Leute durch eine Macht, außer seinen prophetischen Gesichten. Prophezeiende Mönche und Nonnen sind eben nichts Seltenes; denn was sagt Luigi Pulci: ›Dombruno's scharfschneidendes Schwert hat den Ruf, verzaubert zu sein, aber,‹ sagt Messer Luigi, ›ich meine eher, daß es scharf schnitt, weil es von gut gehärtetem Stahl war.‹ Ja, ja, Paternosters mögen rein barbiren, aber sie müssen über einem guten Rasirmesser aufgesagt werden.«

»Seht Nello,« rief Macchiavelli, »was ist das für ein Doctor, der da auf seinem Bucephalus herankommt? Ich dachte, Eure Piazza sei frei von diesen pelzverbrämten, scharlachbekleideten Lakaien des Todes. Der Mann sieht ja aus, als hätte er ein nächtliches Abenteuer wie Boccaccio's Maëstro Simone gehabt, wobei seine Mütze und sein Mantel ein bischen im Rinnstein eingemacht worden sind, obgleich er selbst so glatt wie eine Müllerratte aussieht.«

»Ah! aah!« sagte Nello mit dumpfem, langgezogenem Tone, als er nach der herannahenden Gestalt emporblickte. Diese Person hatte einen dicken Kopf, einen dicken Bauch und saß auf einem ungerittenen jungen Pferde, das seine Nase mit einer Miene drohenden Eigensinns vorwärts streckte, und durch fortwährende Bemühungen, zu bocken und seitwärts zu springen, sehr freie, seinem Zeitalter vorausgeeilte Ansichten über Autorität zu entwickeln schien.

»Ich habe noch einige Abenteuer für ihn in der Sauce eingemacht liegen,« fuhr Nello mit gedämpfter Stimme fort, »die seine schnuppernde Nase in ein anderes Stadtviertel treiben sollen. Es ist ein Doctor von Padua; die Leute sagen, er sei drei Monate lang in Prato gewesen und jetzt nach Florenz gekommen, um zu sehen, was er hier in's Garn locken kann. Sein Hauptkniff besteht aber darin, daß er Rundreisen unter den Bauern macht. Seht Ihr wol den großen Sattelranzen, den er mit sich führt? Dahinein legt er die fetten Kapaunen, Eier und das Mehl, das er von den dummen Bauern, bei denen bares Geld rar ist, erhebt. Er verkauft seine eigenen geheimen Arzneimittel, deshalb hält er sich auch von den Thüren der Droguisten fern; die ganze letzte Woche über hat er sich jeden Tag zwei oder drei Stunden lang hier auf der Piazza niedergelassen, und dieselbe zu einem Versammlungsplatz für Asthmatiker und Schreihälse von Kindern gemacht. Es regt mir förmlich die Galle auf, diesen Quacksalber mit seinem Krötengesicht die schmutzigen Quattrinistücke zählen oder eine Taube für seine Pillen und Pulver einsacken zu sehen. Aber ich werde ihm einige Dornen in seinen Sattel stecken, oder ich will kein Florentiner sein. Gottlob! er kommt hieher, um sich barbiren zu lassen, darauf habe ich nur gewartet. Messer Bernardo, geht noch nicht weg, und Ihr werdet einen köstlichen Spaß erleben, den ich mir vor zwei Tagen ausgedacht habe. He, Sandro!«

Nello flüsterte Sandro etwas in's Ohr, worauf dieser seine ernstblickenden Augen rollte, nickte und, diesem Zeichen des Einverständnisses mit einem Anflug von Lächeln folgend, mit erstaunender Geschwindigkeit sich auf die Beine machte.

»Wie steht's mit Euch, Maëstro Tacco?« fragte Nello, als der Doctor mit vieler Mühe den Kopf seines Pferdes nach dem Laden des Barbiers herumgeworfen hatte, »ein hübsches Pferd das, aber etwas hartmäulig, wie?«

»Es ist eine verfluchte Bestie, der vermocane Vermocane ist der Kopfwurm; der Ausdruck che gli venga lo vermocane! ist ein gemeiner Fluch, der unserem: daß ihn der Teufel hole! oder: daß er die Schwerenoth kriege! entspricht. – Der Uebers. soll es holen,« rief Maëstro Tacco zornig, aus dem Sattel steigend, und den alten, mit einem Strick ausgebesserten Zaum an einen eisernen Krampen in der Mauer befestigend. »Nichtsdestoweniger,« fügte er sich besinnend hinzu, »ein tüchtiges und für Jemanden, der es kaufen und durch seine Dressur etwas gewinnen möchte, sehr werthvolles Thier. Ich habe es wohlfeil gehabt.«

»Ihr reitet doch wol etwas zu scharf für einen Mann, der Euer schweres Gewicht von Gelehrsamkeit zu tragen hat; wie, Maëstro? Ihr scheint sehr erhitzt zu sein,« bemerkte Nello.

»Ja, wahrscheinlich bin ich zu erhitzt,« antwortete der Doctor, seine Mütze abnehmend und eine niedrige, kahle Stirn, ein flaches, breites Gesicht mit hohen Ohren, lippenlosem Munde, runden Augen und tiefgefurchten Linien über den hervorragenden Augenbrauen den Blicken Aller darbietend, was die Bezeichnung Nello's, »Krötengesicht,« als ein höchst zweifelhaftes Compliment für den makellosen Fröschler erscheinen ließ. – »Von Peratola hereinreiten, wenn die Sonne hoch steht, das ist ganz etwas Anderes, als die Hacken auf einer Bank im Schatten zusammenschlagen, wie Eure Florentiner Doctoren thun. Außerdem hatte ich ein schweres Stück Arbeit, durch alle die Karren und Maulthiere auf dem Markt durchzukommen, um den Mann einer gewissen Monna Ghita ausfindig zu machen, die einen schlimmen Anfall gehabt hatte, ehe ich herbeigeholt wurde, und wäre es nicht gewesen, daß ich mein Honorar zu fordern hatte …«

»Monna Ghita!« rief Nello, als der schwitzende Doctor innehielt, um seine Stirn und sein Gesicht, abzuwischen. – »Friede sei mit ihrer bösen Seele! Der Markt braucht jetzt eine Geißel mehr, wenn ihre Zunge zum ewigen Schweigen gebracht ist.«

Tito, der sich aus seinem Brüten emporgerafft hatte und dem Gespräche zuhörte, fühlte einen neuen Andrang der unbestimmten, halbentworfenen Pläne wegen Tessa's, die am Abend vorher ihm durch den Kopf gefahren waren. War Monna Ghita wirklich aus dem Wege geräumt, so würde es ja für ihn desto leichter sein, Tessa so oft zu sehen, wie es ihm gerade beliebte.

» Gnaffè, Maëstro,« fuhr Nello in theilnehmendem Tone fort, »Ihr seid der Sclave roher Sterblichen, die ohne Euch wie das liebe Vieh sterben, und der Hülfe von Pulver und Pillen entbehren würden. Es ist wirklich jammervoll, die gelehrte Lymphe aus Euren Poren hervorbrechen zu sehen, als wäre es blos eine gewöhnliche Feuchtigkeit. Ihr glaubt, es wird Euch kühlen und leichter machen, wenn ich Euch rasire? Nur noch einen Augenblick, und ich werde mit Messer Francesco fertig sein. Ich kann die Zeit gar nicht erwarten, einen Mann zu bedienen, der die gesammte Wissenschaft Arabiens in seinem Kopf und Sattelranzen mit sich herumträgt. – So!«

Nello hielt das Barbiertuch wie einladend in die Höhe, und Maëstro Tacco näherte sich und setzte sich, mit seiner Hitze und Selbstgenügsamkeit dermaßen beschäftigt, daß er die Ironie in Nello's diensteifrig freundlichen Worten ganz überhörte.

»Es ist nicht mehr als passend,« sagte Nello, das Tuch zurechtlegend, »daß ein so großer Medicus wie Ihr mit demselben Messer rasirt werde, welches den berühmten Antonio Benevieni, den größten Meister in der chirurgischen Kunst, rasirt hat.«

»Chirurgische Kunst?« unterbrach ihn der Doctor mit einer Art verächtlichen Widerwillens, »das ist Eure Florentiner Methode, die Meister in der Arzneiwissenschaft mit den Leuten, welche das Zimmerhandwerk an gebrochenen Gliedmaßen ausüben, welche Wunden zusammen nähen wie Schneider, und Geschwulste schneiden, wie ein Schlachter Fleisch zurecht hackt, auf eine Stufe zu setzen. Bah! eine Handarbeit, wie sie jeder Handwerker lernen kann, und mit der sich gewöhnliche Barbiere, gleich Euch, beschäftigen, auf einer Stufe mit der edlen Wissenschaft des Hippokrates, des Galenus und Avicenna, welche in die geheimen Einflüsse der Sterne, Pflanzen und Steine dringt, einer Wissenschaft, die dem gemeinen Volke verschlossen ist!«

»Nein, in Wahrheit,« antwortete Nello, seinen Seifenschaum vorsichtig anwendend, als wollte er die Operation so sehr als möglich in die Länge ziehen, »ich habe nie daran gedacht, sie auf eine Stufe zu stellen; ich weiß ja, daß Eure Wissenschaft, was das Mysteriöse betrifft, den Wundern der heiligen Kirche am nächsten kommt. Aber,« und hierbei verfiel er in einen Ton bedauernden Mitgefühls, »das ist eben das Traurige bei der Sache; Eure erhabene Wissenschaft ist dem gemeinen Volke und den Uneingeweihten verschlossen, und deshalb werdet Ihr zum Gegenstande des Neides und der Verleumdung. Ich bedauere, es sagen zu müssen, es giebt in unserer Stadt gemeine Kerle, wahre Skandalmacher, die in Nachtmützen und langen Bärten herumgehen und sich ein Geschäft daraus machen, jedem Menschen, dem es gut geht, Galle in die Bouillon zu gießen. Gestattet mir, Euch zu sagen, denn Ihr seid ein Fremder, dies hier ist eine Stadt, wo Jedermann einen großen Nagel bei sich tragen müßte, um ihn an das Glücksrad, wenn seine Seite oben ist, zu schlagen. Es fangen schon gewisse Geschichten, sicherlich nur Märchen, über Euch an sich zu verbreiten, welche machen, daß ich wünsche, ich hörte schon, Ihr wäret wohlbehalten auf Eurem Wege nach Arezzo. Ich möchte beileibe nicht, daß ein Mann Eures Schlages gesteinigt würde, denn obgleich San Stefano gesteinigt wurde, so war er doch nicht so berühmt in der Arzneikunde, wie San Cosmo und San Damian – –«

»Was für Geschichten? was für Fabeln?« – stammelte Maëstro Tacco, »was wollt Ihr damit sagen?«

»O weh! ich befürchte, Ihr seid für Euern Käse in die Falle gegangen, Maëstro! Es ist hier nämlich eine Gesellschaft junger Taugenichtse, welche die Häuser unserer Mitbürger, mit scharfen Werkzeugen in den Taschen, umkreisen; keine Thüre, kein Fenster, kein Laden ist vor ihnen sicher, daß sie sie nicht anbohren. Sie besitzen eine satanische Geduld, das Treiben von Leuten, die sich unbelauscht glauben, zu erspähen. Sie müssen es gethan haben, sie müssen die Geschichten von Euch und Euren Arzeneien ausgebracht haben. Habt Ihr vielleicht zufällig eine kleine Oeffnung in Eurer Thüre oder dem Fensterladen entdeckt? Nein? nun, so rathe ich Euch, nachzusehen, denn man spricht allgemein davon, daß Ihr in Eurer Wohnung am Canto di Paglia belauscht würdet, wie Ihr Eure geheimen Specifica bei Nacht zubereitetet; wie Ihr getrocknete Kröten in einem Mörser zerstampft, eine Salbe aus zerquetschten Würmern, und Pillen aus gedörrten Rattenlebern, die Ihr mit einem, während des Hersagens gotteslästerlicher Zaubersprüche ausgeworfenen Speichel mischtet, gemacht habt, was diese Zeugen Alles aussagen zu können behaupten.«

»Das ist ein Lügengewebe,« schrie der Doctor, sich abarbeitend, um die Worte hervorbringen zu können, und sogleich beim Herannahen des Rasirmessers wieder aufhörend.

»O das braucht Ihr mir und dieser achtbaren Gesellschaft nicht erst zu sagen, Doctor! wir haben keine Köpfe, in die sich dergleichen Rüben einpflanzen lassen. Aber was nützt das? Was ist eine Handvoll vernünftiger Männer gegen einen Haufen, die Steine in den Händen haben? Es giebt einige unter uns, die der Ansicht sind, daß Cecco d'Ascoli ein schuldloser Weiser war, und doch wissen wir Alle, daß er bei lebendigem Leibe verbrannt wurde, weil er klüger war als seine Mitmenschen. Dadurch, daß Ihr in Padua lebt, könnt Ihr die Florentiner nicht kennen lernen; die würden, glaube ich, selbst den heiligen Vater steinigen, wenn sie einen passenden Vorwand dazu fänden, und sie sind überzeugt, daß Ihr ein Schwarzkünstler seid, der den Versuch macht, die Pest dadurch einzuführen, daß Ihr geheime Arzeneien verkauft, und ich habe mir sagen lassen, daß Eure Specifica in der That einen üblen Geruch haben.«

»Das ist nicht wahr!« schrie der Doctor, als Nello sein Rasirmesser wegnahm, »es ist eine Lüge! Ich werde diesen ehrenwerthen Herren die Pillen zeigen, und die Pulver, und die Salbe, die einen vortrefflichen Geruch hat, einen wahren Geruch von – von Salbe.« Er sprang empor, mit dem Seifenschaum am Kinn, und dem Tuch um den Hals, um in seinem Ranzen die verleumdeten Arzeneien zu suchen. Rasch und gewandt schob Nello den Barbierstuhl, bis derselbe dicht neben dem Kopf des Pferdes war, während Sandro, der jetzt eben zurückgekehrt war, sich auf einen Wink seines Lehrherrn neben den Zaum stellte.

»Seht, meine Herren!« rief der Doctor, eine kleine Arzeneibüchse hervorlangend und sie vor ihnen öffnend, »laßt einen von den Herren diese Schachtel an seine Nase führen, und er wird einen ehrbaren Arzeneigeruch spüren, freilich nicht von zerstoßenen Edelsteinen, oder seltenen Pflanzen aus dem Orient, oder aus Steinen, die sich in den Körpern von Vögeln vorfinden; denn ich behandle die Krankheiten der gemeinen Leute, für die der Himmel billigere und weniger kräftige Mittel, ihrer Stellung angemessen, hervorgebracht hat. Ja, es giebt sogar Mittel in unserer Kunst, welche ganz frei von Kosten sind, wie z. B. der neue Husten, der bei den Armen, welche keine Specifica zahlen können, dadurch geheilt wird, daß sie entschlossen den Athem an sich halten. Hier ist auch noch ein Teig, der sogar sehr gut riecht und unfehlbar bei Melancholieanfällen ist, da er bei der planetarischen Zusammenkunft des Jupiter und der Venus gebraut ward – und ich habe gesehen, wie er Krämpfe beruhigte.«

»Halt, Maëstro,« rief Nello, während der Doctor sein eingeseiftes Gesicht gegen die der Thür zunächst stehende Gruppe gewendet hatte, und ihnen seine Büchse, aus der er eine Arzenei nach der andern hervorlangte, eifrig entgegen hielt – »da kommt eine weinende Bäuerin mit ihrem Säuglinge. Wahrscheinlich sucht sie Euch auf; vielleicht ist hier eine Gelegenheit, vor dieser ehrenfesten Gesellschaft eine Probe Eurer Kunst abzulegen. Hier, gute Frau, hier ist der berühmte Doctor! Was ist's denn mit dem süßen Kleinen?«

Diese Frage war an eine stämmige, breitschultrige Bäuerin gerichtet, die ihre Kopfbedeckung so um das Gesicht geschlagen hatte, daß nichts davon zu sehen war als eine kupfrige Nase und ein Paar schwarze Augen und Augenbrauen. Sie trug ihr Kleines in der steifen, mumienartigen Umhüllung, in welcher italiänische Säuglinge seit undenklichen Zeiten in die menschliche Gesellschaft eingeführt wurden; dabei drehte sie das Gesichtchen etwas nach ihrem Busen zu, und schnitt die traurigen Grimassen, welche Frauen gewöhnlich wie eine Art Gewicht brauchen, um Thränen, die nicht fließen wollen, herauszuziehen.

»O, um der heiligen Jungfrau willen!« rief das Weib mit klagender Stimme, »wollt Ihr nach meinem armen Kindlein schauen? Ich weiß, daß ich Euch nicht dafür zahlen kann, aber ich nahm es heute Nacht mit in die Kirche Nunziata, und nun hat es noch ein schlimmeres Aussehen bekommen als vordem; es sind die Krämpfe. Als ich es aber der heiligen Nunziata eutgegenhielt, erinnerte ich mich, daß man mir von einem neuen Doctor gesprochen hatte, der Alles curirte, und so dachte ich, es möchte der Wille Madonna's sein, daß ich es zu Euch bringen solle.«

»Setzt Euch, Maëstro, setzt Euch,« sagte Nello, »hier bietet sich Euch eine Gelegenheit dar, hier sind ehrenwerthe Zeugen, welche vor dem hohen Rathe der Achte aussagen werden, daß sie Euch das Kind einer armen Frau ehrlich behandeln und heilen gesehen haben. Und dann, wenn Euer Leben in Gefahr sein sollte, so werden die hochweisen Achte Euch eine kleine Weile einsperren lassen, nur um Eurer eigenen Sicherheit wegen, und nachher führen Euch die Sbirren bei Nacht aus Florenz fort, wie sie es mit dem eifernden Minoritenmönch gemacht haben, der gegen die Juden predigte. Nun, unser Volk hat eine Vorliebe für das Steinwerfen, dafür haben wir aber einen Magistrat.«

Der Doctor, welcher sich nicht weigern konnte, setzte sich, halb vor Furcht und halb vor Wuth zitternd, in den Barbiersessel, und hatte dabei ganz den Seifenschaum vergessen, mit dem Nello ihn so reichlich bedacht hatte. Er nahm seine Arzeneibüchse auf die Kniee, zog seine kostbare Brille (eine wunderbare Florentiner Erfindung) aus dem Sack, setzte sie sorgfältig auf seine flache Nase und hohen Ohren, und wandte sich, die Stirne in die Höhe ziehend, gegen die Hülfesuchende.

»Heiliger Gott! seht nur an,« rief das Weib in noch kläglicherem Tone als zuvor, indem sie die kleine Mumie emporhielt, deren Kopf gänzlich von einem schmutzigen, um diese tragbare Wiege gewundenen Vorhang verdeckt war, die aber unter dieser Verhüllung auf dämonische Weise zu stampfen und zu schreien schien. – »Weh mir! die Krämpfe haben ihn wieder befallen! Ich kenne diese Farbe, die kommt vom bösen Blick, o weh, o weh!«

Der Doctor richtete, indem er sorglich die Kniee zusammendrückte, um seinen Kasten zu halten, seine Augengläser auf das Kind und sagte bedächtig: »es kann dies auch eine neue Krankheit sein; windet doch einmal die Lappen da los, Monna!«

Die Bäuerin riß mit einer plötzlichen Kraftanstrengung das umhüllende Leinen fort, und heraus zappelte, kratzend, grinsend und schreiend, ein Wesen, das der Doctor in seinem Schrecken für einen Teufel hielt, welches Tito aber als Vaiano's Affen erkannte, der durch eine künstliche, muthmaßlich von einem schnellen Anreiben an einem Rauchfang hervorgebrachte Schwärze noch fürchterlicher gemacht worden war.

Auf sprang der unglückliche Doctor, indem er seinen Arzeneikasten fallen ließ, und fort stürzte der nicht weniger erschrockene und zornige Affe, der den ersten Ruheplatz für seine Klauen in der Mähne des Pferdes fand, welcher er sich als einer Art Strickleiter bediente, bis er sein gehöriges Gleichgewicht gefunden hatte, und dann fortfuhr, dieselbe wie einen Zaum fest zu packen. Das Pferd bedurfte unter einem solchen Reiter keines Spornens, und da der bereits von Sandro losgebundene Zügel keinen Widerstand leistete, so schoß es quer über die Piazza mit dem sich anklammernden, grinsenden und blinzelnden Affen auf dem Halse.

»Das Pferd! der Teufel!« so tobten ringsum die müssigen Kerle, die von allen Ecken der Piazza herbeiströmten, und so schrieen in Schreckensrufen die Budenbesitzer nach, deren angelegte Interessen in einiger Gefahr zu schweben schienen, während der ganz außer sich gerathene Doctor in Furcht vor dem Teufel, der möglichen Steinigung und der Flucht seines Pferdes davonrannte, die Brille auf der Nase, das Gesicht eingeseift, das Barbiertuch um den Hals und dabei schreiend: »Haltet! haltet! ein Pulver! einen Gulden, wer es aufhält!« während die Straßenbuben, ihn überholend, in die Hände klatschten, und den Flüchtling durch Schreien ermuthigten.

Der Marktschreier, der keinen Handel darüber geschlossen hatte, daß sein Affe mit dem Pferde durchgehen sollte, hatte rasch seine Unterröcke zusammengenommen, und zeigte ein Paar bunter Hosen über seinen Bauernschuhen, weit dem Doctor vorauseilend. Und so zog sich das groteske Wettrennen den Corso degli Adimari hinauf – das Pferd mit dem seltsamen Jockey, die Bäuerin mit dem merkwürdigen Beinkleide, und der Doctor, eingeseift, die Brille auf der Nase und den pelzbesetzten Mantel hinterherflatternd.

Es war dieses ein Austritt, wie ihn alle Florentiner liebten, von dem gewaltigen und ehrwürdigen Signore, der im Talar zum Rathhaus ging, bis zu dem lachenden Buben, der sich als Herrn jeder Situation fühlte, wenn sein Sack mit glatten Steinen aus dem angemessen trockenen Strombett gefüllt war. Der grauhaarige Bernardo Cennini lachte nicht minder herzlich als die jüngeren Leute, und Nello triumphirte, der allgemeinen Bewunderung sicher.

»Aha!« rief er aus, mit den Fingern schnalzend, als die ersten Ausbrüche des Gelächters sich legten, »so habe ich meine Piazza von dieser widrigen Fliegenfalle erlöst, wie mir scheint. Maëstro Tacco wird hier eben so wenig wieder herkommen und auf Patienten warten, als er den Marmor zu seinem Mittagsmahl belecken wird.«

»Ihr geht nach der Piazza della Signoria, Messer Bernardo,« sagte Macchiavelli, »ich werde Euch begleiten, und wir sehen dann vielleicht, wer von diesen Wettrennern den Kampfpreis verdient hat. Wollt Ihr nicht auch mit uns gehen, Melema?«

Es war gerade Tito's Absicht gewesen, Cennini zu begleiten; ehe er aber einige Schritte gegangen war, wurde er von Nello zurückgerufen, der Maso herankommen sah.

Maso brachte eine Botschaft von Romola. Sie wünschte, daß Tito so bald als möglich nach der Via de' Bardi käme; sie wollte ihn unter der Loggia auf dem Dache des Hauses erwarten, da sie mit ihm allein zu sprechen hätte.



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