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Die Via de' Bardi, eine in der Geschichte von Florenz berühmte Straße, liegt in Oltrarno oder dem Theile der Stadt, welcher das südliche Ufer des Flusses bedeckt. Sie erstreckt sich von dem Ponte Vecchio bis zur Piazza dei Mozzi am Anfang der Ponte alle Grazie; die rechte Häuser- und Mauernreihe lehnt sich an den ziemlich steilen Abhang, welcher im fünfzehnten Jahrhundert als die Anhöhe von Bogoli bekannt war, den berühmten Steinbruch, aus dem die Stadt ihr Pflaster erhielt, und der sehr gefährlich und unsicher war, wenn der Regen ihn erweichte. Die Häuserreihe links stößt an den Fluß und ihr nördlicher Theil bildet eine Linie seltsamer, unregelmäßig durchbrochener Façaden, welche von den Fluthen in milder Färbung widergespiegelt werden, wenn die Sonne sich hinter die westlichen Hügel zu senken beginnt. Aber so seltsam diese Gebäude auch sein mögen, so scheinen einige derselben doch der historischen Erinnerung ein zu moderner Ersatz für die berühmten, in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts von der Volkswuth zerstörten Häuser der Familie Bardi.
Es war ein stolzes und kräftiges Geschlecht, das der Bardi, hervorragend unter denen, welche zur Zeit der ersten weltberühmten Bürger-Fehden zwischen den Florentinern das Schwert führten, als die engen Straßen noch von den hohen Wartthürmen der Nobili verdüstert wurden, und der alte Schutzgott Mars, indem er die Gassenrinnen von Bürgerblut geröthet sah, über das Jahrhundert gelächelt haben möchte, welches seinen Nebenbuhler Johannes den Täufer nur mit den Lippen verehrte. Aber die Hände der Bardi gehörten zu jener Gattung, welche nicht nur den Schwertgriff kräftig zu fassen versteht, sondern auch dem zarteren Vergnügen, mit geprägtem Gelde zu spielen, hold ist. Sie waren auch mit echten florentiner Augen begabt, welche sehr wohl sahen, daß Macht durch andere Mittel als durch Zerreißen und Zerspalten gewonnen wird, und in der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts finden wir sie aus ihrer ursprünglichen Stellung als popolani (Kleinbürger) zu Besitzern von erkauften Ländereien und festen Burgen und zur lehensherrlichen Würde von Grafen von Vernio emporgekommen, und so die Eifersucht ihrer republikanischen Mitbürger erregend. Diese fürstlichen Anläufe werden dadurch erklärt, daß wir die Bardi nur wenige Jahre später nicht sehr rühmlich als an der Spitze des europäischen Handels, Rothschilde der damaligen Zeit, stehend, bezeichnet finden, für die Kriege des englischen Eduard des Dritten Geld anschaffend, und Einkünfte »in natura« erhaltend, besonders in Wolle, der kostbarsten Fracht für florentinische Galeeren. Ihr erlauchter Schuldner ließ sie in einem erlauchten Deficit, und beunruhigte sicilianische Gläubiger forderten zu schnell Bezahlung von Depositen, was dem Credit der Bardi und dem affiliirter Häuser einen Todesstoß versetzte, der an sämmtlichen Küsten des mittelländischen Meeres als eine Handelscalamität gefühlt wurde. Trotz dessen wurden sie, gerade wie Bankerottirer in neueren Zeiten, um kein Haar demüthiger; im Gegentheil, sie scheinen ihre Häupter noch stolzer als je getragen, und zu den anmaßendsten jener Grandi gehört zu haben, welche, unter gewissen merkwürdigen Umständen (die Jedem, der die redlichen Mittheilungen des Giovanni Villani lesen will, klar werden müssen) die Wuth des bewaffneten Volks im Jahre 1343 erregten.
Die Bardi, welche sich in ihrer Straße zwischen den beiden Brücken befestigt hatten, behaupteten diese schmalen Zugänge gleich gehetzten Panthern gegen die anrückenden Fähnlein des Volks, und konnten erst durch einen Sturm von dem Hügel in ihrem Rücken her zum Weichen gebracht werden. Ihre Wohnungen am Flusse, zweiundzwanzig an der Zahl, Paläste und große Häuser, wurden geplündert und niedergebrannt, und viele von den Häuptlingen, welche den Namen Bardi führten, aus der Stadt vertrieben.
Aber eine alte florentiner Familie war immer vielverzweigt, und wir finden die Bardi in wichtigen Stellungen und auf eine mehr oder minder achtbare Weise immer wieder auf die Oberfläche der florentinischen Angelegenheiten emporkommend, eine unbekannte Familiengeschichte in sich schließend, welche noch mehr Wechselfälle und Gegensätze von Würde und Schmach, von Armuth und Reichthum enthielt, als man gewöhnlich auf dem Hintergrunde weitausgebreiteter Verwandtschaften sieht. Einen Beweis, daß solche Contraste besonders häufig in Florenz waren, liefert der Umstand, daß Sant Antoninus, Prior von San Marco und nachheriger Erzbischof, in der ersten Hälfte jenes fünfzehnten Jahrhunderts die Gesellschaft der » Buonuomini di San Martino« (guten Leute von St. Martin) mit dem Hauptzwecke, die poveri vergognosi, oder mit anderen Worten die Armen von guter Familie, zu unterstützen, gründete. In den Annalen der bekannten Familie Panciatichi findet sich zu jener Zeit ein gewisser Girolamo, der so sehr heruntergekommen war, daß er die öffentliche Mildthätigkeit in Anspruch nehmen mußte, um nur das nackte Leben zu fristen, während andere Mitglieder dieser Familie ungeheuer reich waren. Die Bardi aber hatten nie wieder ihr Eigenthum in der alten am Flußufer gelegenen Straße erlangt, welches im Jahre 1492 schon lange Zeit an andere bekannte Namen gekommen war, besonders an die Familie Neri, welche eine bedeutende Reihe Häuser an der Hügelseite besaß. In einem dieser Neri'schen Häuser lebte jedoch ein Abkömmling der Bardi, und zwar von dem Zweige der Familie, welcher vor anderthalb Jahrhunderten Grafen von Vernio geworden war – ein Abkömmling, der den alten Familienstolz, die alte Energie, die alte Herrschsucht und die alte Begier: eine dauernde Spur seiner Schritte aus dieser sich so rasch drehenden Erde zu hinterlassen, besaß. Aber die Familienleidenschaften lebten in ihm unter anderer Gestalt fort. Dieser Nachkomme der Bardi war kein im Straßenkampfe gewiegter Mann, oder einer, der gern den hohen Herrn spielte, Burgen befestigte und das Recht beanspruchte, Vasallen hängen zu lassen, oder ein kühnspeculirender Kaufmann und Wucherer, der sein Vergnügen an der Oberleitung großer Handelsunternehmungen hatte; sondern Einer mit einer hochadrigen, von vielem Manuscriptcopiren zusammengekrampften Hand, der ärmliche Mittagsmahle hielt und fadenscheinige Kleider trug, zuerst aus freier Wahl und zuletzt aus Noth; der zwischen seinen alten Büchern und Marmorfragmenten saß, und sie nur in dem Licht seiner längst verflossenen Jugendzeit, die noch in seiner Erinnerung widerstrahlte, sah, denn er war ein armer, blinder, alter Gelehrter, dieser Bardo de' Bardi, bei welchem Nello, der Barbier, den jungen Griechen Tito Melema einzuführen versprochen hatte.
Das Haus, in welchem Bardo wohnte, lag an der dem Hügel zunächst stehenden Seite der Straße, und war eines jener finsteren, großen Steingebäude mit verhältnißmäßig kleinen Fenstern, und von einer Art bedachter Terrasse oder Loggia überragt, wie man deren noch heute viele in der ehrwürdigen Stadt sehen kann. Häßliche Thüren mit sichtbaren Rollangeln, hoch oben an jeder Seite ein kleines von Eisenstangen geschütztes Fenster zeigend, führten zu einer gewölbten Eingangshalle, in der sich nichts als ein von der Mitte des Gewölbes herabhängendes massives Lampeneisen befand.
Eine kleinere, schmutzige Thüre links führte zu der steinernen Treppe und den Zimmern im Erdgeschosse. Dieses letztere wurde, eben so wie der erste Stock, vom Eigenthümer als Magazin benutzt, und beide enthielten kostbare Waaren, einige vielleicht bestimmt, nach dem Ufer der Schelde, andere an die afrikanischen Küsten, wieder andere nach den Inseln des ägäischen oder den Gestaden des schwarzen Meeres verschifft zu werden.
Maso, der alte Diener, welcher vom Markte mit seiner Ladung wohlfeiler Gemüse zurückkehrte, mußte seinen Weg langsam nach dem zweiten Stocke nehmen, um zur Thüre seines Gebieters Bardo zu gelangen, durch welche wir einige wenige Tage nach Nello's Unterredung mit dem Griechen eintreten wollen.
Wir folgen Maso durch das Vorgemach bis an die Thüre links, durch welche wir, indem er sie öffnet, treten. Er blickt nur hinein und winkt, während eine klare, jugendliche Stimme sagt: »Ah, da bist Du ja zurück, Maso! es ist gut – wir haben nichts gebraucht.«
Die Stimme kam von dem äußersten Ende eines langem geräumigen, mit Brettern, auf denen in sorgsamer Ordnung Bücher und Alterthümer geordnet waren, ringsherum versehenen Zimmers. Hier und da standen den Brettern gegenüber auf besonderen Gestellen ein schöner weiblicher Torso, eine Statue ohne Kopf, mit einem erhobenen muskulösen, ein Schwert ohne Klinge schwingenden Arm, runde, schwellende, jugendliche Glieder vom Rumpf getrennt, und die Lippen einladend, den kalten Marmor zu küssen, einige gut erhaltene römische Büsten, und zwei oder drei Vasen aus Großgriechenland. Ein großer Tisch in der Mitte war mit antiken Bronzelampen und kleinen irdenen Gefäßen bedeckt. Die Farbe dieser Gegenstände zwar hauptsächlich matt oder düster; die Pergamenteinbände mit ihren tiefgefurchten Rücken stachen von dem durch das lange Vergrabensein bleifarbigen Marmor wenig ab; das einstmals glänzende Stück Teppich am letzten Ende des Gemachs war längst bis zur Farblosigkeit abgenutzt. Die dunklen Bronzen brauchten Sonnenschein, um ihr grünliches Colorit hervortreten zu lassen, und die Sonne stand noch nicht hoch genug, um Strahlen des Lichts durch die engen Fenster zu werfen, welche auf die Via de' Bardi hinausgingen.
Den einzigen Lichtpunkt im Zimmer bildete das Haar eines schlanken Mädchens von siebenzehn bis achtzehn Jahren, welches vor einem ausgeschnitzten leggio oder Lesepult, wie man oft in der Emporkirche der italiänischen Gotteshäuser antrifft, stand. Dieses Haar war von einer röthlichen Goldfarbe, von einer ununterbrochenen sanften Wellenlinie, wie man sie bei einem herrlichen Herbstsonnenuntergang an den Abendwolken sieht, verschönt; es wurde von einer schwarzen Filetbinde über ihren kleinen Ohren zurückgehalten, und kräuselte sich von da wieder abwärts und bildete einen natürlichen Schleier für ihren Hals oberhalb des viereckig ausgeschnittenen Gewandes von schwarzem Rasch. Ihre Augen ruhten auf einem großen vor ihr liegenden Buche, eine schmale weiße Hand lehnte auf dem Lesepulte, und die andere hielt die Rücklehne am Stuhle ihres Vaters umfaßt.
Der blinde Vater saß mit erhobenem und seitwärts gegen seine Tochter gewendetem Haupte da, als betrachtete er sie. Seine matte Blässe, die gegen die schwarze, sein herabfallendes weißes Haar bedeckende Sammetkappe abstach, zeigte noch deutlicher die Aehnlichkeit zwischen seinen alten Zügen und denen des jungen Mädchens, auf deren Wangen gleichfalls keine Rosen blühten. Es war dieselbe Zartheit von Stirn und Nase, von einem vollen aber festgeschnittenen Mund und starken Kinn, welches ihnen den Ausdruck stolzer Beharrlichkeit und verborgener Heftigkeit verlieh, abstechend, ein Ausdruck, der sich in der rückwärtsgeworfenen Haltung des Hauptes und den großartigen Conturen des Halses und der Schultern des jungen Mädchens zeigte. Der Typus ihres Gesichts war der Art, daß man nicht sagen konnte, ob er Liebe oder nur die mit Scheu gemischte erzwungene Bewunderung einflöße; diese Frage mußte von den Augen entschieden werden, welche oft unmittelbare Boten der Seelen sind. Aber die Augen des Vaters waren schon längst stumm, und die der Tochter ruhten auf den lateinischen Zeilen der Miscellanea Polizian's, aus denen sie das achtzigste Capitel folgenden Inhalts laut vorlas:
»Es war einst eine thebanische Nymphe, Namens Chariklo, ein besonderer Liebling der Pallas, und diese Nymphe war die Mutter des Teiresias. Als aber einstmals in der Gluth des Sommers Pallas in Gesellschaft Chariklo's ihre entkleideten Glieder in der helikonischen Hippokrene badete, begab es sich, daß Teiresias, als Jäger seinen Durst an der nämlichen Quelle löschen wollend, unabsichtlich Minerva ganz entblößt sah, und unmittelbar darauf erblindete. Denn es ist in den saturnischen Gesetzen vorgeschrieben, daß, wer die Götter gegen ihren Willen erblickt, einer schweren Strafe verfallen ist. Als Teiresias von diesem Unglücke getroffen war, beschenkte ihn Pallas, von Chariklo's Thränen gerührt, mit der Gabe der Weissagung und langem Leben, und machte, daß seine Klugheit und Weisheit noch fortdauerte, nachdem er zu den Schatten hinabgestiegen war, so daß aus seinem Grabe ein Orakel sprach. Sie gab ihm auch einen Stab, mit dem er wie mit einem Führer gehen konnte, ohne zu straucheln; daher läßt Nonnus im fünften Buche seiner Dionysiaka den Actaion jenen Teiresias glücklich preisen, daß er, ohne zu sterben, sondern nur mit dem Verlust seines Augenlichts, Minerva unverhüllt gesehen hatte und so, obgleich erblindet, ihr Bild für immer in seiner Seele tragen konnte.«
Bei dieser Stelle des Buches angelangt, glitt die Hand der Tochter von der Sessellehne herab und faßte die ihres Vaters, welcher dieselbe eben erhoben hatte. Sie hatte sich aber nicht umgeblickt und wollte, obgleich mit einer von einer unterdrückten Regung bewegten Stimme, fortfahren, das griechische Citat aus dem Nonnus vorzulesen, als der Greis sagte:
»Halte inne, Romola, gieb mir meine Abschrift des Nonnus her, sie ist correcter als irgend eine von denen, die Poliziano besitzt, denn ich brachte Verbesserungen darin an, die noch Niemandem mitgetheilt sind. Ich habe sie im Jahre 1477 beendigt, als es mit meiner Sehkraft anfing zu Ende zu gehen.«
Romola ging an das andere Ende des Zimmers, mit jenem königlichen Gang, der ihrer hohen edelgestalteten Figur ureigenthümlich war, ohne daß sie der geringsten absichtlichen Vorbereitung dazu bedurft hätte.
»Ist das Manuscript an seinem richtigen Platze, Romola?« fragte Bardo, der sich stets zu vergewissern suchte, daß die äußere Sache mit dem Bilde, welches bis auf die kleinsten Theile vor seinem Innern stand, übereinstimmte.
»Ja, Vater; am westlichen Ende des Gemachs auf dem dritten Bort von unten, hinter der Büste des Hadrianus, über dem Apollonius Rhodius und dem Kallimachus und unter dem Lucanus und dem Silius Italiens.«
Bei diesen Worten Romola's hätte ein geübtes Ohr in ihrer klaren Stimme und deutlichen Aussprache eine leise Spur von Ungeduld, mit ihrer gewöhnlichen Geduld kämpfend, entdecken können. Als sie sich aber dem Vater näherte und seinen Arm ein wenig mit nervöser Aufregung ausgestreckt sah, um das Buch zu ergreifen, trat das Mitleid in ihre lichtbraunen Augen; sie beeilte sich, den Band auf seinen Schoos zu legen, und kniete neben ihm nieder, indem sie zu ihm aufblickte, als glaubte sie, daß die Liebe, die von ihrem Gesichte strahlte, sich einen Weg durch das dunkle Hinderniß, das alles Uebrige ausschloß, brechen müsse. In diesem Augenblicke verwandelte sich die zweifelhafte Anziehungsfähigkeit von Romola's Antlitz, in welchem Stolz und Leidenschaft in der Waage gegen angeborene Freiheit und Geistesschärfe zu schweben schienen, in die lieblichste Weiblichkeit halb voll Mitleid, halb voll Liebe. Es war unzweifelhaft, daß der tiefste Quell ihres inneren Gefühls noch nicht seinen Weg bis zu den minder wechselvollen Gesichtszügen gefunden hatte, sondern nur aus den Augen strömte.
Der Vater aber, der keine Ahnung von dieser sanften Ausstrahlung hatte, sah erhitzt und aufgeregt aus, während seine Hand Ecken und Rückseite des großen Buchs betastete.
»Das Pergament ist in diesen dreizehn Jahren vergilbt, Romola!«
»Ja, Vater,« antwortete sie milde, »aber Eure Buchstaben auf der Rückseite sind noch schwarz und vollkommen; schöne römische Lettern, und,« fügte sie hinzu, das Buch offen auf seine Kniee hinlegend, »die griechischen Charaktere sind schöner als die in irgend einem Eurer gekauften Manuscripte.«
»So ist's, mein Kind,« sagte Bardo, mit dem Finger über das Blatt fahrend, als glaubte er die Zeilen und Ränder unterscheiden zu können, »welcher gemiethete Amanuensis kann sich mit dem Schreiber messen, welcher die Worte liebt, wie sie unter seiner Hand sich gestalten, und dem ein Irrthum oder eine Undeutlichkeit im Text schmerzlicher ist, als eine plötzliche Dunkelheit oder ein Hinderniß in seinem Wege? Und selbst diese mechanischen Drucker, die aus der Gelehrsamkeit ein gemeines und niedriges Ding zu machen drohen, müssen sich auf das Manuscript verlassen, welches wir Gelehrte mit jener Einsicht in die Meinung des Dichters, die der mens divinior des Dichters selbst nahe kommt, durchstudirt haben, wenn sie nicht die Welt mit grammatikalischen Fehlern und unerklärlichen Anomalien, welche selbst die Quellen des Parnassus in eine Sündfluth giftigen Schlammes verwandeln könnten, überschwemmen wollen. Doch jetzt suche einmal die Stelle im fünften Buch auf, auf die sich Poliziano bezieht, ich kenne sie wohl.«
Indem Romola sich auf einen niedrigen Stuhl, dicht neben ihren Vater setzte, nahm sie das Buch auf ihren Schoos und las die vier Verse, in welchem der Ausruf Actaion's enthalten ist.
»Es ist wahr, Romola,« sagte Bardo, als sie geendet hatte, »es ist dieses eine richtige Idee des Dichters, denn was ist jenes gröbere, beschränktere Licht, wodurch die Menschen nur den engen Schauplatz um sich her sehen, im Vergleich mit jenem weithin strahlenden, ewigen, welches sich über Jahrhunderte des Gedankens, über das Leben von Nationen ergießt und uns die Geister der Unsterblichen zeigt, die die große Saat geerntet und uns nur die Nachlese in ihren Furchen übriggelassen haben? Ich meinestheils habe, selbst als ich noch sehen konnte, mit den großen Todten gelebt, Romola! während die Lebenden mir oft wie Gespenster, wie Schatten ohne wahrhaftes Gefühl, ohne Geist erschienen; und, unähnlich jenen Lamien Eine Art Hexen oder Gespenster, welche sich von Kindern nähren. – D. Uebers., – mit welchen Poliziano in seiner oberflächlichen Offenheit, die ich ihm nun einmal nicht absprechen kann, unsere neugierigen Florentiner vergleicht, weil sie ihre Augengläser aufsetzten, wenn sie ausgingen, und sie wieder abnahmen, wenn sie heimkehrten – habe ich mich von dem Verkehr auf den Straßen, wie von einem vergessenen Traume, zurückgezogen, und mich unter meine Bücher gesetzt, und mit Petrarca, demjenigen unter den Neueren, der am wenigsten unwürdig ist, noch nach den Alten erwähnt zu werden, gesagt: » Libri medullitus delectant, colloquuntur, consulunt, et viva quadam nobis atque arguta familiaritate junguntur.« Bücher erfreuen (den Menschen) im Herzen, sie reden mit ihm, ertheilen ihm Rath und sind mit uns durch ein gewisses lebendiges und geistreiches freundschaftliches Verhältniß verbunden. – D. Uebers.
»Und in einer Sache seid Ihr glücklicher als Euer Liebling Petrarca, Vater!« sagte Romola, die Neigung des Greises sich in dieser Richtung eines Breiteren auszulassen, liebevoll befriedigend, »denn er pflegte auf seine Handschrift des Homers zu sehen und dabei zu bedauern, daß das Griechische todte Buchstaben für ihn waren; insofern litt er an der inneren Blindheit, die, wie Ihr fühlt, schlimmer ist, als Eure äußere.«
»Sehr wahr, mein Kind, denn ich trage in mir die Früchte des eifrigen Studiums, mit dem ich die griechische Sprache unter der Leitung des jungen Chrysoloras, Filelfo's und Argyropulo's trieb; obgleich das große Werk, in welchem ich, wie in einem festen Gewebe, alle die Fäden, die meine Forschungen mühsam entwirrt haben, sammeln wollte, und welches die Lese meines Lebens gewesen wäre, durch den Verlust meines Augenlichts und den Mangel an einem passenden Mitarbeiter vernichtet worden ist; denn der unablässige Eifer und die unbesiegbare Geduld, die man von Denjenigen verlangt, welche die angebahnten Pfade des Wissens beschreiten wollen, vertragen sich noch weniger mit der unstäten und unbeständigen Neigung des weiblichen Geistes, als mit den schwachen Kräften des weiblichen Körpers.«
»Vater,« rief Romola, mit einer plötzlichen Aufwallung und in einem Ton des Gekränktseins, »ich lese, was ihr wünscht, daß ich Euch vorlesen soll, und ich will Euch jede beliebige Stelle aufsuchen, oder jede Anmerkung machen, die Ihr begehrt.«
Bardo schüttelte das Haupt und lächelte mit einer mitleidigen Bitterkeit: »Du könntest eben so gut versuchen, ein Pentathlos Penthlos (Fünfkämpfer) hieß der Derjenige, welcher die fünf in der Ringschule (Palästra) gelehrten Uebungen, nämlich das Discuswerfen, Wettlaufen, Weitspringen, Ringkämpfen und das Schleuderwerfen beherrschte. – D. Uebers. zu sein und, mit den Gliedern einer Nymphe, alle fünf Uebungen der Palästra durchmachen wollen. Habe ich etwa vergessen, wie Du schon dabei ohnmächtig wurdest, als Du die betreffenden Stellen suchen solltest, die ich zur Erläuterung eines einzelnen Citats aus dem Kallimachos brauchte?«
»Aber Vater, das kam von der Schwere der Bücher, und Maso kann mir wol helfen; es war keineswegs aus Mangel an Aufmerksamkeit oder Geduld.«
Bardo schüttelte abermals das Haupt. »Ich bedarf nicht nur der körperlichen Organe, sondern der Schärfe eines jugendlichen Geistes, um meinen etwas abgestumpften Kräften den Weg zu bahnen. Blindheit ist wie ein Damm, der die Gedankenströme die schon ausgearbeiteten Kanäle entlang zurücktreibt und das Vorwärtsfließen verhindert. Hätte mich mein Sohn nicht verlassen, verblendet von herabwürdigenden, fanatischen, nur eines unter Gräbern wohnenden Besessenen würdigen Träumereien, so würde ich haben vorwärtsschreiten können, und mein Pfad hätte sich bis an mein Lebensende vor mir immer mehr ausgebreitet, denn er war ein vielversprechender Jüngling – – aber,« fuhr der alte Mann nach kurzem Schweigen fort, »der Pfad ist abgeschlossen bis auf das schmale Gleis, das er mir übrig gelassen hat – einsam in meiner Blindheit.«
Romola sprang von ihrem Sitze auf und trug das große Buch wieder an seinen Platz; sie war von ihres Vaters letzten Worten zu tief getroffen, um regungslos sitzen zu bleiben und zu schweigen. Als sie vom Bücherbort wieder zurückkehrte, blieb sie in einiger Entfernung vom Greise stehen, ihre Arme herabsinken lassend und ihre Hand ballend, während sie mit melancholischer Trauer in ihrem jugendlichen Antlitz auf die leblosen Gegenstände umher, auf die Pergamenteinbände, die ewiggleichen, verstümmelten Marmorstücke und die Fragmente veralteter Bronzen und Thonarbeiten, blickte.
Bardo war jetzt, obgleich gewöhnlich auf Romola's Bewegung aufmerksam und sie eifrig studirend, dennoch zu sehr von dem Schmerz nagender Erinnerungen befangen, als daß er ihre Entfernung bemerkt hätte.
»Ja,« fuhr er fort »mit meinem Sohne, mir zur Seite, hätte ich meinen gebührenden Antheil an den Triumphen dieses Jahrhunderts gehabt; der Name der Bardo, Vater und Sohn, wäre mit Ehrfurcht von den Gelehrten künftiger Zeiten genannt worden, nicht etwa wegen frivoler Verse oder philosophischer Abhandlungen, die doch weiter nichts sind, als überflüssige und anmaßende Versuche, das Unnachahmliche nachzuahmen, so wie sie eitle Menschen, gleich Panhormita, verlocken, und von denen selbst der bewundernswürdige Poggio nicht ganz frei war, sondern weil wir eine Leuchte geliefert hätten, an der man die erhabenen Werke der Vergangenheit hätte studiren können. Denn warum soll ein junger Mann, wie Poliziano, der noch nicht einmal geboren war, als man mich schon würdig hielt, mit Thomas von Sarzana zu disputiren, ein rühmliches Andenken als Commentator der Pandecten haben? warum soll Ficino, dessen Lateinisch mir ein Gräuel ist, und der kurzsichtig zwischen den abergläubischen Phantasien, welche den Verfall der Kunst, der Literatur und Philosophie bezeichneten, herumwandert, als ein Hohepriester des Platonismus zur Nachwelt gelangen, während ich, der ich höher stehe als Beide, nur Bruchstücke liefern konnte, welche Andere sich aneignen werden? warum? nur deshalb, weil mein Sohn, den ich erzogen hatte, um meine reife Gelehrsamkeit durch jugendlichen Unternehmungsgeist zu ergänzen, mich und alle freie Künste verließ, um sich zu geißeln und um Mitternacht mit bethörten Mönchen zu heulen, um Pilgerfahrten zu unternehmen, die sich nur für Menschen schicken, welche keine Vergangenheit kennen, die älter ist als Missale und Crucifix! – der mich verließ, als die Nacht sich schon auf mich herabzusenken begann.«
Bei diesen letzten Worten sank die Stimme des Greises, die sich zuerst wie in zorniger Verwahrung laut erhoben hatte, zu einem so klagenden und bebenden Tone herab, daß Romola, indem sie ihre Blicke auf das alte, blinde Antlitz warf, ihr Herz vor vergebungsreichem Mitleid überschwellen fühlte. Sie setzte sich wieder zu ihrem Vater und legte ihre Hand auf sein Knie, zu stolz, ihm Trost in Worten aufzubringen, die eine Vertheidigung ihres Werthes scheinen konnten, und doch von dem Wunsche beseelt, ihm durch ein Zeichen ihrer Gegenwart Trost einzuflößen.
»Ja, Romola,« sagte Bardo, seine linke Hand mit den massiven, prophylaktischen Ringen Ringe, die, wie das Beiwort prophylaktisch (bewachend, hütend) andeutet, gegen Krankheiten oder Vergiftungen schützen sollten. – D. Uebers. automatisch etwas zu schwer auf die zarte, blaugeäderte Rückseite ihrer Rechten fallen lassend, so daß sie sich in die Lippen biß, um nicht aufzuspringen, »selbst wenn Florenz meiner gedenkt, so kann dies nur aus dem nämlichen Grunde geschehen, wie es Niccolo Niccoli's gedenkt, weil ich das gemeine Haschen nach Reichthum durch den Handel aufgab, um mich dem Sammeln der kostbaren Ueberreste alter Kunst und Weisheit zu widmen, und sie, nach dem Beispiele der großmüthigen Römer, meinen Mitbürgern als ewiges Eigenthum zu hinterlassen. Aber warum spreche ich nur von Florenz? Wenn Florenz meiner gedenkt, wird nicht die Welt das Gleiche thun? Doch,« fuhr er nach kurzem Schweigen mit einer auf's Neue von Traurigkeit gedämpften Stimme fort, »Lorenzo's unerwarteter Tod hat eine neue Schwierigkeit hervorgerufen. Ich hatte sein Versprechen, ich sollte es schriftlich haben, daß meine Sammlung stets meinen Namen behalten und niemals verkauft werden sollte, selbst wenn die Harpyen auch alles Andere an sich rissen – aber es ist genug für sie da, mehr als genug, und auch für Dich, Romola, wird hinreichend da sein. Ueberdies wirst Du ja heirathen. Bernardo macht mir immer Vorwürfe darüber, daß ich keine passende Familienverbindung für Dich suche; wir wollen das auch nicht länger aufschieben, und wir werden die Sache in Erwägung ziehen.«
»Nein, nein, Vater! was könntet Ihr dabei thun? es ist ja auch ganz unnöthig; wartet, bis Jemand um mich anhält,« antwortete Romola hastig.
»Nein, Kind, das ist nicht die Pflicht des Vaters; die Alten hielten es nicht so, und in dieser Hinsicht sind die Florentiner nicht von den Gebräuchen ihrer Ahnherren abgewichen.«
»Aber ich will fleißig studiren,« warf Romola ein, indem ihre Augen sich angstvoll erweiterten, »ich will so gelehrt werden wie Cassandra Fedele, ich will versuchen, mich Euch so nützlich zu machen, als wäre ich ein Knabe; dann wird vielleicht ein großer Gelehrter um meine Hand anhalten, ohne nach meiner Mitgift zu fragen, und er wird dann gerne kommen und mit Euch leben, und die Stelle meines Bruders bei Euch vertreten, und es wird Euch nicht leid thun, daß ich eine Tochter war.«
Es lag eine aufsteigende Thräne in Romola's Stimme, als sie die letzten Worte sagte, welche die väterliche Seite in Bardo's Herz berührten. Er streckte seine erhobene Hand nach ihrem goldenen Haar aus, und als sie ihren Kopf unter seine Hand legte, streichelte er ihn, indem er sich gegen sie hinneigte, als könne er dort einen Schimmer sehen.
»Nein, Romola nein, das sagte ich nicht; wenn ich ein Anathem über einen ungerathenen und undankbaren Sohn ausgesprochen habe, so meinte ich damit nicht, daß ich Dich anders als die liebe Tochter wünschte, die Du mir gewesen bist. Denn welcher Sohn könnte mich bei den Krankheiten, von denen ich seit letzterer Zeit so oft befallen wurde, so liebevoll gepflegt haben? Und selbst was die Gelehrsamkeit betrifft, bist Du, nach Maßgabe Deiner Kräfte, nicht zu verachten. Allerdings bliebe noch etwas, Deiner, selbst mit dem weiblichen Geiste nicht unverträglichen Fähigkeit des Aufmerkens und Gedächtnisses zu wünschen übrig; aber wie Chalkondylas, als er mir beistand, Dich zu unterrichten, bezeugte, Du hast schnelle Auffassung und sogar einen weitschauenden Verstand. Auch hast Du den Seelenadel eines Mannes, und hast mich nie, wie Deine Mutter es that, mit kleinlichen Wünschen behelligt. Freilich war ich bemüht, Dich von dem entwürdigenden Einflusse Deines Geschlechts mit seiner spatzengleichen Frivolität und zu Sklaven machenden Leichtgläubigkeit fernzuhalten, ausgenommen von dem Einflusse unserer Muhme Brigitta, die wirklich als Warnung und Vogelscheuche dienen kann. Und obgleich – da ich mit dem erhabenen Petrarca übereinstimme, wenn er sagt, indem er die Aulularia des Plautus citirt, der seinerseits diese Wahrheit dem hohen griechischen Verstande verdankt: › optimam f?minam nullum esse, alia licet alia pejor sit‹ Daß keine Frau die beste sei, obgleich die eine schlechter ist, als die andere. – D. Uebers., – ich nicht mit Stolz behaupten kann, daß Du gänzlich über jenen niedrigen Rangstufen stehest, in denen die Natur Dich geboren werden ließ, oder daß Du, was die Gelehrsamkeit betrifft, den gelehrteren Frauen dieses Jahrhunderts gleich kommest, so bist Du doch, Romola mia,« sagte der Greis, indem seine Pedanterie wieder in Zärtlichkeit überging, »meine liebe Tochter, und Deine Stimme ist wie die tieferen Töne der Flöte, › dulcis, durabilis, clara, pura, secans aëra et auribus sedens,‹ Süß, ausdauernd, hell, rein, die Luft durchdringend, und in den Ohren haften bleibend. – D. Uebers. wie Quinctilianus dieses so schön ausdrückt. Bernardo sagt mir, Du seiest schön und Dein Haar gleiche dem Glanze des Morgens, und in der That scheint es mir, als sehe ich einen Schimmer von Dir. Ach, ich weiß, wie alles Andere hier im Zimmer aussieht, aber Deine Gestalt kann ich nur errathen. Du bist nicht mehr das kleine Wesen von sechs Jahren, welches vor mir in Dunkelheit verschwand, Du bist groß und Dein Arm ist nur um ein Weniges unter dem meinigen. Laß uns ein wenig miteinander auf und ab gehen.«
Der Greis erhob sich, und Romola, von diesem Ausbruch der Zärtlichkeit besänftigt, sah wieder glücklich aus, als sie seinen Arm in den ihrigen nahm, und den Stab, der neben seinem Sessel stand, ihn in die rechte Hand gab. Während Bardo saß, schien er kaum über sechszig Jahre zu sein, sein Antlitz, wiewol bleich, hatte jene feine Haut, in welche Furchen und Runzeln nie tief einschneiden; aber jetzt, als er zu gehen anfing, sah er so alt aus, als er wirklich war – etwas über siebenzig; denn seine hohe magere Gestalt hatte die gebeugte Schulterhaltung des Gelehrten und sein unsicherer Gang war der eines Blinden.
»Nein, Romola,« sagte er, vor der Büste des Hadrianus stehen bleibend und mit seinem Stab von rechts nach links fahrend, um die ihm bekannten Umrisse mit »sehender Hand« zu prüfen »nichts wird mein Gedächtniß bewahren und meinen Namen als ein Mitglied der großen Gelehrtenrepublik auf die Nachwelt bringen, als nur meine Bibliothek und meine Sammlung von Alterthümern; und schön sind sie,« fuhr er fort, die Büste fest anfassend und in eindringlichem Tone redend, »ich weiß recht wohl, Niccolo's Sammlungen waren größer; aber nimm irgend eine Sammlung eines einzelnen Menschen, sogar die des großen Boccaccio, welche Niccolo kaufte – die meinige wird sie gewiß übertreffen. Die von Poggio war, gegen meine gehalten, nicht der Mühe werth. Sie wird ein großes Geschenk für noch ungeborene Gelehrte sein – und weiter ist nichts da. Selbst wenn ich dem Ansuchen des Aldo Manuzio Gehör geben wollte, ihm, sobald er seine Presse in Venedig errichtet, die Hilfe meiner mit Anmerkungen versehenen Manuscripte zu gewähren, so weiß ich, was dabei herauskäme; der Name eines andern Gelehrten würde auf dem Titelblatt der Ausgabe stehen – eines Gelehrten, der sich von meinem Honig genährt und dann in seiner Vorrede erklärt hätte, daß er ihn selbst ganz frisch vom Hymettusberge gesammelt habe. Warum hätte ich sonst auch das Darlehen so manches mit Noten versehenen Codex abgeschlagen? warum habe ich mich geweigert, irgend eine meiner Uebersetzungen zu veröffentlichen? warum? nur weil die Gelehrsamkeit ein privilegirtes Raubsystem ist, und der Mann, der in Scharlach und pelzverbrämtem Talare zu Gericht über Diebe sitzt, selbst ein Dieb ist an den Gedanken und dem Ruhm, die seinen Collegen gehören. Aber Bardo de' Bardi wird gegen Räubereien dieser Art ankämpfen, obgleich er einsam und blind ist. Auch ich habe ein Recht, genannt zu werden, und eben so großes Recht wie Pontanus oder Merula, deren Namen vor allen im Munde der Nachwelt sein werden, weil sie Gönnerschaften suchten und fanden, weil sie Zungen zum Schmeicheln hatten und Blut, das gewöhnt war, aus der Tasche ihrer Clienten genährt zu werden. Ja, ich habe ein Recht, genannt zu werden.«
Die Stimme des Greises war laut und zugleich bebend, und eine fliegende Röthe überzog sein stolzes, feines Gesicht, während die stäte erhobene Haltung seines Kopfes ihm den Anschein gab, als sehe er hinter dem Schleier seiner Blindheit ein imaginäres höchstes Tribunal, an welches er gegen die Ungerechtigkeit der Ruhmesgöttin appellirte.
Romola ward von einer sympathetischen Entrüstung bewegt, denn auch in ihrem Charakter lagen die nämlichen hohen Ansprüche, lag derselbe Geist des Kämpfens gegen das Abläugnen jener Ansprüche. Sie suchte ihren Vater durch noch stolzere Worte als die seinigen zu beruhigen.
»Nichtsdestoweniger,« rief sie »ist es eine große Gabe der Götter, mit Haß und Verachtung alles dessen, was ungerecht und gemein ist, geboren zu sein. Euer Geschick, Vater, ist ein höheres, niemals gelogen und gekrochen, als Ehrenstellen durch Unehre erschlichen zu haben. In der Verachtung liegt eben so eine Kraft, wie in der Kriegswuth, durch welche die Menschen unempfindlich gegen Wunden wurden.«
»Wohlgesprochen, Romola, das waren prometheische Worte,« erwiderte Bardo nach einer kleinen Pause, während welcher er wieder, auf seinen Stock gestützt, weiter schritt, »und mich werden die Pfeile des Geschicks nicht durchbohren; meine Rüstung ist das ›dreifache Erz‹ eines reinen Gewissens und ein von den Lehren der Philosophie genährter Geist, denn, wie Epiktetos sagt: ›die Menschen werden nicht von den Dingen selbst, sondern von ihren Meinungen oder Ansichten über diese Dinge beunruhigt,‹ und wie er ferner sagt: ›wer frei sein will, darf das, was in der Macht Anderer zu ertheilen oder vorzuenthalten liegt, nicht wünschen oder fürchten, sonst ist er ein Sklave.‹ Und schon seit langer Zeit habe ich, was jene Gaben betrifft, die von den Launen des Geschicks oder der Menschen abhängen, gelernt, wie Horaz (obgleich er in seiner Philosophie zu wankelmüthig ist und zwischen den Lehren des Zeno und den minder achtbaren Grundsätzen des Epikuros schwankt und, wie man zu sagen pflegt, auf zwei Stühlen sitzen will) mit der inhaltsvollen Kürze dieses Dichters zu sagen:
Sunt qui non habeant, est qui non curat habere. Es gibt (Leute), welche (sie) nicht haben, es ist Jemand, der sich nichts daraus macht (sie) zu haben. Horaz (2. Buch, 2. Epistel) spricht nämlich von Edelsteinen, Marmor, Elfenbein, tyrrhenischen Figuren, Gemälden, Silber und getulischen Purpurgewändern. – D. Uebers.
Er spricht von Edelsteinen und Purpur und anderen Gegenständen des Reichthums; ich darf aber seine Worte mit demselben Recht auf den Tribut anwenden, welchen uns die Menschen mündlich und schriftlich zollen, denn auch dieser Tribut ist käuflich, und oft mit schlechtem Metall. Ja, › inanis: leer, hohl‹ das ist das Beiwort, welches man dem Ruhm mit Recht gegeben hat.«
Nach diesen Worten durchmaßen sie schweigend das Gemach; aber Bardo's nur von den Lippen geborene Grundsätze waren so machtlos über die Leidenschaft, die ihn bewegte, als ob sie auf Pergament geschrieben gewesen wären und in einem versiegelten Beutel um seinen Hals gehangen hätten; und er fuhr bald darauf von Neuem mit heftigem Tone fort:
» Inanis? ja, wenn der Ruf lügt, aber nicht, wenn er der gerechte Lohn für Arbeit und einen großen Zweck ist. Ich verlange mein Recht! es ist unbillig, daß das Werk meines Kopfes und meiner – Hände kein Monument für mich sein soll, es ist ungerecht, daß meine Arbeit den Namen eines Andern tragen soll. Es ist ja doch,« fuhr er mit Bitterkeit fort, »so wenig verlangt, daß mein Name über der Thüre stehen soll, daß die Leute sich der ›Bibliothek Bardi in Florenz‹ verpflichtet sehen sollen. Sie werden mit Kälte von mir sprechen, etwa so: ›ein fleißiger Sammler und Copist, und auch nicht ohne kritischen Scharfsinn, aber kaum hervorragend in einem an berühmten Gelehrten so reichen Jahrhundert; dennoch verdient er unsere Theilnahme, denn in den letzten Jahren seines Lebens war er blind, und sein einziger Sohn, auf dessen Erziehung er seine schönsten Jahre verwendet hatte – –‹ Aber mein Name wird doch wenigstens genannt werden, und die Welt wird mich ehren, nicht etwa mit dem Hauch der durch gemeine Bestechung erkauften Schmeichelei, sondern weil ich gearbeitet habe und weil meine Arbeit eine bleibende sein wird. Schulden! ich weiß, daß ich Schulden habe, und daß Deine Mitgift ausgezahlt werden muß, Romola; aber es wird schon genug da sein, oder es kann doch nur eine kleine Summe fehlen, wie die Signoria sie schon zahlen kann – und wenn Lorenzo nicht gestorben wäre, so würde Alles in Ordnung gebracht und abgemacht worden sein, so aber – –«
In diesem Augenblicke öffnete Maso die Thüre und meldete, indem er sich seinem Herrn näherte, daß der Barbier Nello ihm aufgetragen habe, zu sagen, daß er mit dem griechischen Gelehrten, den er bei ihm einführen wolle, da sei.
»Es ist gut,« entgegnete der Greis »führe sie herein!«
Bardo, der recht wohl wußte, daß er beim Gehen gebrechlicher aussah, mochte in Gegenwart von Fremden lieber sitzen, und Romola führte ihn, ohne daß sie dazu aufgefordert zu werden brauchte, zu seinem Sessel. Sie stand, als die Besucher eintraten, neben ihm in ihrer ganzen Größe und in ruhiger, majestätischer Selbstbeherrschung. Der schärfste Beobachter hätte kaum errathen, daß dieses stolze, bleiche Antlitz bei der leisesten Berührung der Fibern des Mitleids oder der Liebe zärtlich erregt werden konnte, oder daß dieses Frauenbild, welches Allen, die ihm nahten, eine gewisse Ehrfurcht einflößte, noch im Stande mädchenhafter Einfalt und gänzlicher Unkenntniß der außerhalb der Bücher ihres Vaters liegenden Welt war.