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Dreizehntes Capitel.
Der Schatten der Armut.


Es war um die müssige Nachmittagsstunde am siebenten September, länger als zwei Monate nach dem Tage, an welchem Romola und Tito einander ihre Liebe gestanden hatten.

Tito, welcher in Nello's Laden hinuntergestiegen war, hatte den Barbier, mit der Mütze über die Augen gezogen, auf der Bank ausgestreckt liegend gefunden; ein Bein hatte er in die Höhe gezogen, während das andere auf den Fußboden hinabgeglitten war und dabei ein Heft geschriebener Verse, welches mit zertretenen Blättern dalag, mit sich gerissen zu haben schien. In einer Ecke saß Sandro, mit sich selbst Mora spielend, und die langsame Antwort seiner linken Finger auf die arithmetischen Fragen seiner rechten mit feierlichblickendem Interesse überwachend.

Mit allerleisesten Schritten auftretend, ergriff Tito die Laute, und indem er sich über den Barbier neigte, berührte er obenhin die Saiten, während er sang:

» Quant' è bella giovinezza,
Che si fugge tuttavia;
Chi vuol esser lieto, sia!
Di doman non c' è certezza.
« Wie schön ist nicht die Jugend, trotz dessen entflieht sie doch; wer fröhlich sein will, sei es! denn über das Morgen gibt es keine Gewißheit. – D. Uebers.

Nello war so leicht zu erwecken wie ein Vogel. Im Nu war die Mütze von den Augen, und er sprang empor.

»Ah, mein Apollino! Wie es scheint, dauert meine Siesta bei der Hitze etwas lang, das kommt davon, wenn man nicht auf natürliche Art sich schlafen legt, sondern eine Dosis kräftiger Verse einnimmt. Hört, wie passe ich meine Worte mit den Anfangsbuchstaben aneinander, wie ein Trovatore? Das ist eines meiner üblen Symptome; ich fürchte, daß der gute Wein meines Verstandes bei dem Zapfen der Schriftstellerei ausläuft und daß ich zuletzt als ein leeres Faß mit einem Hefengeruch, wie so manches andere unvergleichliche Genie von meinen Bekannten, dastehen werde. Was giebt es denn, mein Orpheus?« Bei diesen Worten streckte Nello seine Arme der vollen Länge nach aus und legte sie dann so rund, bis seine Hände Tito's Locken faßten und sie wie spielend auseinander zogen, »was begehrt Ihr von Eurem wohlgezähmten Nello? denn ich bemerke in Eurer sanften Melodie einen einschmeichelnden Klang. Laßt mich, wie der erhabene Dichter sagt, das Nadelöhr Eures Wunsches sehen, daß ich den Faden hineinstecken kann.«

»Dieses Bild Eures erhabenen Dichters, ist nur das eines Schneiders,« sagte Tito, noch immer die Finger leicht über die Saiten gleiten lassend, »aber Ihr habt den Grund meiner liebevollen Ungeduld, Eure Augen geöffnet zu sehen, richtig errathen. Ich möchte gern einen Extragriff Eurer Kunst – nicht am Kinn, nein, sondern am Haupthaar, das so verwickelt ist wie Eure Florentiner Politik. Ihr habt eine besondere Geschicklichkeit, Euren Kamm hineinzubringen, welche der Haut wohlthut und die Lebensgeister in jener Gegend angenehm aufregt. Auch würde ein wenig von Eurer delicatesten Orangenessenz nicht schaden, denn ich bin in den Palast Scala geladen, um dort in einer glänzenden Gesellschaft zu erscheinen. Der junge Cardinal Giovanni de' Medici wird dort sein und bringt einen jungen Bernardo Dovizi von Bibbiena mit, dessen Witz so schlagfertig sein soll, daß ich gar kein anderes Mittel, ihn zu überbieten, sehe, als durch den Duft von Orangenblüthe.«

Nello hatte seinen Kamm bereits ergriffen und stieß Tito mit einer sanften Bewegung in den Sessel hinein, indem er ihm das Tuch umwarf.

»Sprecht nicht von Nebenbuhler, mein schöner Junker; Bernardo Dovizi ist ein gewitzter Bursche, der niemals sein Netz brauchen wird, um den Wind damit zu fangen, aber er hat etwas von dem spitzschnauzigen Aussehen seines Bruders Ser Piero da Bibbiena, jenes Wiesels, das Piero de' Medici bereit hält, um auf seinen Wink für ihn durch die kleinen Löcher zu schlüpfen. O nein, Ihr überragt alle Nebenbuhler, und werdet bald mit dem Zeigefinger bis an den Himmel hinanreichen. Man sagt mir, Ihr hättet sogar Honig genug bei Euch, um den sauertöpfischen Messer Angelo süß zu machen; denn er hat Euch für weniger eselhaft erklärt, als man bei Eurem guten Einvernehmen mit dem Secretarius hätte erwarten dürfen.«

»Und unter uns gesagt, lieber Nello, dieser Messer Angelo hat mehr Genie und Gelehrsamkeit, als ich in allen anderen Florentiner Gelehrten zusammengenommen entdecken kann. Es mag ihnen jetzt recht gut passen, mich für etwas Hohes auszuschreien, da Poliziano von Kummer, Krankheit oder etwas Anderem gebeugt ist; ich kann einen Flug mit solch einem Sperber, wie Pietro Crinito ist, wol wagen, Poliziano aber ist ein starkschnäbeliger Adler, der mich mit Federn und Allem verschlingen würde, ohne daß es ihm etwas machte.«

»Ich will Eurer Bescheidenheit darin nicht widersprechen, wenn Ihr es denn so haben wollt, aber Ihr werdet doch nicht denken, daß wir, die gescheidten Florentiner, eine und dieselbe Sache jeden Tag unseres Lebens wiederholen, wie wir doch thun müßten, wenn wir immer die Wahrheit sagten. Wir reißen Dante herunter und heben Francesco Cei in den Himmel, einzig und allein der Abwechslung wegen, und wenn wir Euch jetzt als einen neuen Polizian preisen, so hat der Himmel dafür gesorgt, daß dies keine so große Lüge ist, als es hätte sein können. Und seid Ihr nicht ein Muster von Tugend in dieser verderbten Stadt? mit Eurem Ohre, doppelt versiegelt gegen alle Sirenenverlockungen, die Euch von der Via de' Bardi und dem großen Werk, welches die Nachwelt in Staunen versetzen soll, abbringen möchten?«

»In Wahrheit, die Nachwelt, die es wahrscheinlich in eben solches Staunen versetzen wird, wie die Schöpfung dies thut, weil bei Beiden die Unmöglichkeit da ist, den Plan zu erkennen.«

»Ja, etwas Aehnliches wurde neulich hier prophezeit. Cristoforo Landino sagte, daß der vortreffliche Bardo zu jenen Gelehrten gehöre, welche unter ihrer Gelehrsamkeit daliegen wie Ritter, die in ihrer schweren Rüstung gestürzt sind und sich dann ärgern, daß sie über den Haufen geritten sind, – eine scharfe Bemerkung, die mir nicht auf seinem Beet gewachsen zu sein scheint, denn von allen Menschen, die die Leute mit leeren Löffeln speisen und durch lange Reden mit eitlen Hoffnungen knebeln, ist Messer Christoforo die Perle. So, jetzt seid Ihr vollkommen,« mit diesen Worten nahm Nello ihm das Tuch ab. »Unmöglich noch mehr Grazie hineinzulegen! aber Liebe kann nicht immer von Gelehrsamkeit leben; wie? Es wird wol nicht mehr lange dauern, bis ich das Haar für die Vermählung frisire – nicht wahr?«

»Vielleicht,« antwortete Tito lächelnd, »wenn nicht etwa Messer Bernardo nächstens Bardo aufträgt, daß er von mir verlangt, ich solle einen Löwen und einen wilden Eber an den Wagen der Zecca spannen, ehe ich meine Alcestis gewinnen kann; obgleich ich zugebe, daß er Recht hat, mich Romola's unwerth zu halten, die eine Pleiade ist, deren Glanz durch die Vermählung mit einem Sterblichen trübe werden kann.«

» Gnaffè! jetzt ist Eure Bescheidenheit am rechten Platz. Aber das Fatum scheint Euch für die Nische zugemessen und gebildet zu haben, welche von dem Sohne des alten Mannes leer gelassen worden ist; beiläufig ist er, wie mir Cronaca sagte, jetzt im Kloster San Marco, wißt Ihr das schon?«

Ein leichter elektrischer Schlag durchzuckte Tito, als er sich vom Stuhle erhob, ohne daß man diese Wirkung äußerlich wahrnehmen konnte, denn er bückte sich rasch, um das hingefallene Buch aufzuheben, und sagte, indem seine Finger die Blätter glätteten:

»Nein, ich dachte, er sei in Fiesole. Seid Ihr dessen auch gewiß, daß er nach San Marco zurückgekehrt ist?«

»Cronaca ist mein Gewährsmann,« entgegnete Nello, die Achseln zuckend, »er besucht jenes Heiligthum, ich komme nicht dahin. Ah,« fuhr er fort, das Buch aus Tito's Hand nehmend, »meine arme Nencia da Barberino! Es verletzt Eure gelehrten Gefühle, die Seiten so eingeknickt zu sehen. Ich war von dem schöngereimten Zauber dieser bäuerlichen Jungfrau, die schöner ist als Rübsamenblüthe, mit Wangen, duftender als Käse, in den Schlaf gelullt worden; um aber solche wohlriechende Ideen von der Bäuerin zu hegen, muß man auf Sammetkissen in der Via larga liegen, nicht aber die Fierucoloni ansehen, indem sie heute Abend nach Sonnenuntergang nach der Piazza della Nunziata hintappsen.«

»Wer sind denn die Fierucoloni?« fragte Tito gleichgültig, seine Mütze zurecht setzend.

»Das sind die Bäuerinnen, die von den Gebirgen von Pistoja und Casentino oder Gott weiß woher kommen, um ihre Vigilien in der Kirche della Nunziata abzuhalten und ihr Garn und getrocknete Schwämme auf dem Trödelmarkt (oder wie wir es nennen: fierucola) zu verkaufen. Sie sehen wirklich komisch aus mit ihren Papierlaternen, wie sie der heiligen Jungfrau am Vorabend ihrer Geburtsfeier ihre Hymnen vorschreien – wenn Ihr die Zeit hättet, sie anzusehen. Nein? Nun gut, ich selbst habe es satt bekommen, denn das ist eine tolle Wirthschaft auf der Piazza. Man kann da einen oder zwei Steine, ohne daß man es begehrt, an die Ohren oder Schienbeine bekommen, und ich war nie ein besonderer Freund solcher eindringlichen Aufmerksamkeiten. Addio

Tito brachte ein gewisses unbehagliches Gefühl mit sich in die Gesellschaft, die früher zu Ende war, als er erwartet hatte, da der knabenhafte Cardinal Giovanni de' Medici, der jüngste aller rothhütigen Väter, welcher später seine breiten, dunklen Backen der Nachwelt sehr deutlich als Papst Leo der Zehnte präsentirte, sich bei seinem Lieblingszeitvertreib: der Jagd, verspätet hatte und nicht erschienen war. Es war noch eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang, als Tito die Thüre des Palastes Scala hinter sich schloß, um geraden Weges nach der Via de' Bardi zu gehen; aber er war noch nicht weit, als er zu seinem größten Erstaunen Romola, den Borgo Pinti entlang, gerade auf sich zukommen sah.

Sie trug einen dichten, schwarzen Schleier und gleichfarbigen Mantel, aber es war unmöglich, ihre Gestalt und ihren Gang zu verkennen, und neben ihr ging eine kleine, untersetzte Person, welche er sogleich, trotz der ungewöhnlichen Einfachheit ihrer Kleidung, als Monna Brigida erkannte. Romola war nicht zu Andachtsübungen erzogen, und die Gelegenheiten, bei denen sie anderswo als unter der Loggia auf dem Dache ihres Hauses die freie Luft schöpfte, waren so selten und stets so lange vorher vorbereitet, da Bardo nicht ohne sie sein mochte, daß Tito überzeugt war, es müsse eine plötzlich eingetretene und wichtige Ursache zu dieser Entfernung vom Hause vorhanden sein, da er Tages zuvor nichts davon gehört hatte. Sie erblickte ihn durch ihren Schleier und beeilte ihre Schritte.

»Romola, hat sich etwas Besonderes zugetragen?« fragte Tito, indem er umdrehte, um neben ihr zu gehen.

Sie antwortete im ersten Augenblicke nicht, aber Monna Brigida fiel ein:

»Ah, Messer Tito, Ihr thut wohl, umzukehren, denn wir haben Eile. Und ist es nicht ein Unglück? Wir sind genöthigt, wegen des Jahrmarkts einen Umweg um die Mauern zu machen und die Via del Maglio hinaufzugehen, denn die Bäuerinnen, die hereinkommen, sperren den Weg bei der Nunziata vorbei, wo wir sonst in der halben Zeit nach San Marco gekommen wären.«

Tito's Herz hob sich hoch, und begann heftig zu klopfen.

»Romola,« fragte er halb leise, »geht Ihr nach San Marco?«

Sie waren jetzt außerhalb des Borgo Pinti und an den Stadtmauern, wo sie zu ihrer Linken große Gärten hatten und wo Alles ruhig war; Romola schlug ihren Schleier zurück, um die Luft einzuathmen, und er konnte auf ihrem Antlitz die unterdrückte Aufregung lesen.

»Ja, mein Tito,« sagte sie, ihn geradezu und traurig anblickend, »zum ersten Male in meinem Leben thue ich etwas, um das mein Vater nicht weiß. Es gewährt mir Trost, daß ich Euch getroffen habe, denn Euch wenigstens kann ich es sagen; falls Ihr aber zu ihm geht, so wird es gut sein, wenn Ihr ihm verschweigt, daß Ihr mir begegnet seid. Er glaubt, daß ich zur Base gegangen bin, weil sie nach mir geschickt hat. Ich habe meinen Pathen bei ihm gelassen, der weiß, wohin ich gehe, und warum. Ihr entsinnt Euch jenes Abends, als der Name meines Bruders genannt wurde, und mein Vater mit Euch von ihm sprach?«

»Ja,« antwortete Tito mit dumpfer Stimme. In seinem Geiste herrschte ein seltsames Durcheinander von Ideen. Der Muth entsank ihm angesichts der Möglichkeit, daß in seinen Aussichten ein großer Wechsel eintreten möchte, während seine Gedanken zugleich über hundert Einzelheiten des Weges, den er einschlagen würde, wenn der Wechsel stattgefunden hätte, dahinstürmten – und doch erwiderte er Romola's Blick mit einer lechzenden Ahnung, es möchte das letzte Mal sein, daß sie denselben je wieder mit vollem, hingebendem Vertrauen auf ihn richtete.

»Die Base hatte gehört, daß er zurückgekehrt sei, und am Abend zuvor, es war am Abend des St. Johannisfestes, war er, wie ich später erfuhr, von unserem guten Maso nahe bei der Thür unseres Hauses gesehen worden. Als aber Maso, um sich zu erkundigen, nach San Marco ging, war Dino; – das ist mein Bruder; er wurde nämlich nach unserem Pathen Bernardino getauft, jetzt aber nennt er sich Fra Luca – nach dem Kloster in Fiesole gebracht worden, weil er krank war. Heute Morgen erhielt Maso aber die Botschaft, daß er nach San Marco zurückgekehrt sei, und so ging Maso dorthin. Er ist sehr krank und hat mich beschworen, ihn zu besuchen. Ich kann ihm das nicht abschlagen, ob ich ihn gleich für schuldig halte; ich erinnere mich noch, wie ich ihn liebte, als ich ein kleines Mädchen war, ehe ich wußte, daß er meinen Vater verlassen würde. Vielleicht hat er ein Wort der Reue durch mich zu senden. Es kostete mich einen harten Kampf, den Gefühlen meines Vaters, die ich immer für gerecht hielt, zuwider zu handeln. Ich bin überzeugt, Ihr werdet es glauben, Tito, daß ich recht gehandelt habe, denn ich habe bemerkt, daß Euer Charakter weniger starr ist als der meinige, und daß Euch nichts in Zorn versetzt. Es wird Euch daher auch weniger schwer fallen, zu vergeben; obgleich auch Ihr, Tito, es schwer finden würdet, zu verzeihen, wenn Ihr gesehen hättet, daß Euer Vater von Einem, dem er den größten Theil seiner Liebe geschenkt, auf den er alle seine Hoffnung gesetzt, alle seine Mühe verwendet hat, verlassen worden wäre, wo er seiner am nöthigsten bedurft hätte.«

Was konnte er sagen? Er war nicht Heuchler genug, um Romola zu antworten, daß solche Unthaten keine Vergebung verdienten, und den Muth, ihr abzurathen, hatte er gleichfalls nicht.

»Ihr habt recht, theure Romola, Ihr habt immer recht, außer wenn Ihr zu Gutes von mir denkt!«

In diesen letzten Worten lag allerdings einige Offenheit, und Tito sah sehr schön aus, als er sie mit einer ungewohnten Blässe im Gesicht und einem leisen Beben der Lippen aussprach. Im Auge Romola's, die alle Dinge von dem weiten Standpunkte einer an das Hohe glaubenden Seele auffaßte, schwamm eine lichte Zähre, indem sie ihn, von der innigen Freude, daß er ihre Gefühle so lebhaft nachempfinde ergriffen, anblickte.

»Und jetzt, Tito, wünschte ich, daß Ihr mich verließet, denn die Base und ich werden weniger beobachtet, wenn wir allein auf die Piazza kommen.«

»Ja, es wäre besser, Ihr verließet uns,« sagte Monna Brigida, »denn in Wahrheit, Messer Tito, Aller Augen richten sich auf Euch, und Romola mag sich noch so sehr einmummen, so wird doch Jeder gern sehen wollen, was hinter dem Schleier steckt, denn sie hat die Art und Weise, einherzuschreiten wie eine Procession. Nicht daß ich sie darüber tadeln will, aber dieser Gang paßt nicht zu dem meinigen. Es wäre mir auch in der That lieber gewesen, wenn wir nicht nach San Marco gegangen wären, und darum bin ich auch angekleidet, als wäre ich selbst eine von den piagnoni und so alt wie Sant' Anna; denn wäre es jemand Anderes gewesen als der arme Dino, dem man verzeihen muß, im Falle er im Sterben liegt, denn wozu soll das, gegen todte Leute einen Groll hegen? Laßt sie fühlen, während sie leben, sage ich – –«

Niemand machte sich ein Gewissen daraus, die Monna Brigida zu unterbrechen, und Tito, der eben Romola's Hand an seine Lippen geführt hatte, sagte jetzt: »ich verstehe und gehorche!« wandte sich dann um und nahm die Mütze ab, ein damals bei den Florentinern selten gebrauchtes Zeichen der Höflichkeit, welches Bernardo del Nero's Verachtung vor Tito, als vor einem fuchsschwänzelnden Griechen erregte, während es ihn in Romola's Augen, welche Huldigungen liebte, in einem besonders angenehmen Lichte erscheinen ließ.

Halb war er froh, entlassen zu sein, halb schien er geneigt, sich an Romola bis zum letzten Augenblicke, in welchem sie ihn verdachtlos lieben würde, anzuklammern. Es schien ihm gewiß zu sein, daß dieser Bruder vor allen Dingen würde wissen wollen, und daß Romola ihm vor allen Dingen anvertrauen würde, was ihres Vaters und ihre eigene Lage, nach den Jahren, die so große Veränderungen herbeigeführt haben mußten, sei. Sie würde ihm dann erzählen, daß sie bald mit einem jungen Gelehrten verlobt werden würde, der den, vor langer Zeit von einem umherstreifenden Sohne leer gelassenen Platz ausfüllen sollte. Er ahnte den Impuls, welcher Romola antreiben würde, bei dieser Aussicht länger zu verweilen, und das, was bei Nennung des Namens des zukünftigen Gemahls geschehen würde. Fra Luca würde Alles offenbaren, was er wußte und was er vermuthete, und Tito sah keine mögliche Lüge vor sich, durch welche er die schlimmsten Folgen seiner früheren Verstellung abwenden konnte. Mit seinen Aussichten in Florenz war es dann zu Ende. Da war Messer Bernardo del Nero, der sich außerordentlich freuen würde, die Weisheit seines Rathes, nämlich: die Verlobung aufzuschieben, bis Tito's Charakter und Verhältnisse durch einen längeren Aufenthalt geprüft werden könnten, bestätigt zu sehen; und die Geschichte von dem jungen griechischen Professor, dessen Wohlthäter in der Sklaverei lebte, würde dann das Tagesgespräch unter jeder Loggia bilden.

Zum ersten Male in seinem Leben fühlte er sich zu bewegt und fieberhaft aufgeregt, um seiner Macht der Selbstbeherrschung zu vertrauen, er stand also von seinem Besuche bei Bardo ab und ging an den Mauern so lange auf und nieder, bis das gelbliche Licht im Westen ganz verschwunden war; dann bog er, ohne einen bestimmten Zweck, in die erste beste Straße ein, welche zufällig die Via San Sebastiano war, die ihn geraden Wegs nach der Piazza dell' Annunziata führte. Er war in einem jener, aller Gesetze spottenden Momente, welche uns Allen begegnen können, wenn wir keinen Führer als die Begierde haben, und der Weg, den diese uns führt, plötzlich aufzuhören scheint; er war bereit, jedem lockenden Winke zu folgen, der ihm einen unmittelbar zu erreichenden Zweck in Aussicht stellte.



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