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Das Motto zu Kapitel 83 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 21):
And now good morrow to our waking souls
Which watch not one another out of fear;
For love all love of other sights controls,
And makes one little room, an everywhere.
Dr. Donne: The Good Morrow
Am zweiten Morgen nach ihrem Besuch bei Rosamunden, fühlte sich Dorothea nach einer in gesundem Schlaf verbrachten Nacht so frisch, daß sie nicht nur keine Spur von Erschöpfung mehr empfand, sondern über einen Ueberfluß an Kraft zu verfügen glaubte, das heißt mehr Kraft in sich fühlte, als sie auf irgend eine Beschäftigung zu concentriren vermochte. Tags zuvor hatte sie einen langen Spaziergang außerhalb ihres Gartens gemacht und zwei Besuche im Pfarrhause abgestattet, aber Niemand erfuhr, warum sie ihre Zeit so nutzlos hinbrachte, und diesen Morgen war sie unzufrieden mit sich selbst wegen dieser kindischen Ruhelosigkeit. Der heutige Tag sollte ganz anders zugebracht werden.
Was konnte sie im Dorfe thun? Du lieber Himmel, gar nichts. Da waren ja Alle wohl und hatten warme Kleider; keinem war sein Schwein gestorben, und es war Sonnabend Morgen,wo überall die Fußböden und die Treppen gescheuert wurden und wo es deshalb unnütz gewesen wäre, nach der Schule zu gehen.
Aber es gab verschiedene Gegenstände, über welche Dorothea mit sich in's Reine zu kommen bestrebt war, und sie beschloß, sich heute energisch auf den schwierigsten aller dieser Gegenstände zu werfen. Sie setzte sich in die Bibliothek vor eine kleine vor ihr aufgestellte Reihe von Büchern über Nationalökonomie und verwandte Materien, aus welchen sie sich über die beste Art, sein Geld zu verwenden, das heißt so, daß man seine Nebenmenschen nicht beeinträchtigt oder, was auf dasselbe hinauslauft, ihnen möglichst viel nützt, zu unterrichten suchte.
Das war ein wichtiger Gegenstand, der, wenn sie ihn zu beherrschen im Stande gewesen wäre, ihren Geist gewiß gefesselt haben würde. Unglücklicherweise wollte sich aber ihr Geist während einer ganzen Stunde nicht fesseln lassen, und am Ende ertappte sie sich darauf, daß sie Sätze zweimal las und dabei lebhaft an vielerlei Dinge, aber durchaus nicht an das, was im Buche stand, dachte.
Auch von dieser Beschäftigung war also nichts zu hoffen. Sollte sie den Wagen beordern und nach Tipton fahren? Nein, sie zog es doch, sie wußte selbst nicht recht, warum, vor, in Lowick zu bleiben. Aber sie empfand die Notwendigkeit, ihren schweifenden Geist wieder zur Ordnung zu bringen, es gab eine Kunst der Selbstzucht.
Wieder und wieder durchwanderte sie die dunkle Bibliothek und dachte darüber nach, durch welche Art von Kunstgriff sie ihre abirrenden Gedanken zur Ruhe bringen könne. Vielleicht war eine rein mechanische Arbeit das beste Mittel, etwas, das sie, wenn auch widerwillig, doch vollbringen müsse. Gab es nicht eine Karte von Kleinasien, für deren mangelhafte Kenntniß sie Casaubon oft gescholten hatte?
Sie trat an den Kartenschrank, nahm eine Karte heraus und rollte sie ab. Jetzt konnte sie sich vielleicht endlich Gewißheit darüber verschaffen, daß Paphlagonien nicht an der Ostküste liege, und konnte das tiefe Dunkel, in welchem sie sich über den Wohnsitz der Chalyber an den Küsten des schwarzen Meeres befand, verscheuchen.
Eine Karte ist ein schönes Ding zum studiren, wenn man gern an etwas Anderes denken will, weil es aus Namen besteht, die wie die Töne eines Glockenspiels immer wiederkehren und sich so unserer Erinnerung einprägen. Dorothea ging, den Kopf über die Karte gebeugt, eifrig an die Arbeit und sprach die Namen in leisem, aber vernehmbarem Tone, der sich oft zu einer Art von Melodie gestaltete, vor sich hin. Sie sah bei diesem tiefen Studium reizend mädchenhaft aus, nickte mit dem Kopf und zählte die Namen mit gespitztem Munde an den Fingern her, unterbrach sich aber dann und wann, um die Hände an die Seiten des Kopfes zulegen und auszurufen: »O du lieber Gott!«
Es war bei dieser Beschäftigung so wenig abzusehen, wo sie ihr Ende finden würde, wie bei der Umdrehung eines Karoussels; aber sie wurde endlich unterbrochen, als sich die Thür öffnete und Fräulein Noble gemeldet wurde. Dorothea hieß die kleine alte Dame, die ihr mit ihrem Hut kaum bis an die Schulter reichte, herzlich willkommen, aber während sie ihr die Hand gab, machte sie ihr uns bekanntes biberartiges Geräusch, wie wenn sie etwas auf dem Herzen habe, das ihr zu sagen schwer werde.
»Nehmen Sie doch Platz,« sagte Dorothea, indem sie einen Stuhl für sie heranrückte. »Bedürfen Sie meiner zu irgend etwas? Es würde mich ungemein freuen, wenn ich etwas für Sie thun könnte.«
»Ich will Sie nicht aufhalten,« sagte Fräulein Noble, indem sie ihre Hand in einen kleinen Korb steckte und einen Gegenstand in demselben krampfhaft ergriff: »Es wartet ein Freund draußen auf dem Kirchhof auf mich.« Sie verfiel in ihre unarticulirten Laute und zog mechanisch den Gegenstand, den sie zwischen den Fingern hielt, hervor. Es war die schildpattne Bonbondose, und Dorothea fühlte wie ihr das Blut in die Wangen stieg.
»Herr Ladislaw,« fuhr die schüchterne kleine Dame fort. »Er fürchtet, er habe Sie beleidigt und hat mich gebeten, Sie zu fragen, ob Sie ihn auf einige Minuten empfangen wollen.«
Dorothea antwortete nicht sogleich; es fiel ihr ein, daß sie ihn nicht in dieser Bibliothek empfangen könne, an welcher das Verbot ihres Mannes zu haften schien. Sie sah nach dem Fenster. Konnte sie hinausgehen und ihn im Garten treffen? Am Himmel standen schwere Wolken und die Bäume hatten angefangen, sich wie bei einem drohenden Sturme unruhig hin und her zu bewegen. Ueberdies scheute sie sich, zu ihm hinauszugehen.
»Empfangen Sie ihn, Frau Casaubon,« sagte Fräulein Noble eindringlich, »sonst muß ich wieder hinausgehen und nein sagen und das würde ihn kränken.«
»Ja, ich will ihn sehen,« sagte Dorothea, »bitte, fordern Sie ihn auf, herein zu kommen.«
Was sollte sie anders thun? Ihre ganze Sehnsucht ging in diesem Augenblick dahin,Will zu sehen; die Erlangung der Möglichkeit, ihn zu sehen, hatte sie beharrlich unter Ausschließung jedes anderen Interesses beschäftigt: und doch klopfte ihr das Herz und fühlte sie sich seltsam aufgeregt und beunruhigt; sie konnte sich nicht verhehlen, daß sie um seinetwillen ein kühnes Wagniß unternehme.
Als die kleine Dame, nachdem sie sich ihres Auftrages entledigt hatte, davon getrippelt war, stand Dorothea, die Hände vor sich gefaltet, in der Mitte der Bibliothek und machte keinen Versuch, eine Haltung unbefangen gesammelter Würde anzunehmen. Woran sie am wenigsten in diesem Augenblick dachte, das war ihre äußere Erscheinung.Sie dachte an das, was wahrscheinlich in Will's Innerem vorgehen werde, und an das harte Urtheil, das Andere über ihn gefällt hatten.
Welche Pflicht konnte sie zur Härte zwingen? Von Anfang an hatte sich das Sträuben gegen ungerechte Verunglimpfung bei ihr mit ihren Gefühlen für ihn vermischt, und jetzt, wo ihr Herz nach durchlebter Angst wieder freudig schlug, regte sich dieses Sträuben in ihr stärker denn je.
»Wenn ich ihn allzusehr liebe, so kommt das daher, daß man so schlecht mit ihm umgegangen ist,« sprach eine Stimme in ihr zu einer unsichtbaren Zuhörerschaft in der Bibliothek, als sich die Thür öffnete und Will vor ihr stand.
Sie rührte sich nicht, und er trat schwankender und schüchterner, als sie ihn je gesehen hatte, auf sie zu. Er befand sich ihr gegenüber in einem Zustand der Unsicherheit, die ihn fürchten ließ, daß ein Blick oder ein Wort sie ihm auf's neue entfremden möchte; und Dorothea fürchtete sich vor ihrer eigenen inneren Bewegung. Sie sah aus, wie wenn ein Zauber sie gebannt halte und sie hindere, sich zu rühren und ihre Hände zu trennen, während sich in ihren Augen ein tiefernstes Sehnen malte.
Als Will sah, daß sie ihm nicht wie gewöhnlich die Hand entgegen streckte, blieb er einige Schritte vor ihr stehen und sagte verlegen:
»Ich bin Ihnen so dankbar, daß Sie mich empfangen.«
»Es verlangte mich, Sie zu sehen,« erwiderte Dorothea, die nichts anderes hervorzubringen vermochte. Es fiel ihr nicht ein, sich zu setzen, und Will fand diese königliche Art, ihn zu empfangen, nicht gerade versprechend; aber er fuhr fort, das auszusprechen, was er zu sagen entschlossen war.
»Ich fürchte, Sie finden es thöricht und vielleicht unrecht von mir, daß ich schon so bald wiederkomme; ich bin für meine Ungeduld bestraft worden. Sie wissen, – jedermann weiß es ja jetzt –, die peinliche Geschichte in Betreff meiner Familie. Ich wußte die Sache schon, bevor ich fortging, und ich wollte Ihnen immer davon erzählen, wenn – wenn wir uns je wieder begegnen sollten.«
Dorothea bewegte sich etwas und nahm ihre Hände auseinander, faltete sie aber sofort wieder.
»Aber die Sache ist jetzt in aller Leute Munde,« fuhr Will fort. »Ich wünschte Sie wissen zu lassen, daß etwas damit Zusammenhängendes, etwas, was geschah, ehe ich fortging, mit dazu Veranlassung gab, daß ich wieder hergekommen bin. Ich glaube damit mein Kommen entschuldigen zu können. Es war der Gedanke, Bulstrode zu vermögen, eine gewisse Summe für einen gemeinnützigen Zweck zu verwenden, eine Summe, die er mir hatte geben wollen. Vielleicht gereicht es Bulstrode eher zur Ehre, daß er mir eine Entschädigung für ein altes Unrecht bot, er offerirte mir ein gutes Einkommen, um die Sache wieder gut zu machen; aber Sie kennen vermuthlich die unangenehme Geschichte?«
Will sah Dorothea mit unsicherem Blick an, aber in seinem Wesen sprach sich wieder etwas von jenem trotzigen Muth aus, der ihn immer beseelte, wenn er an diesen Moment in seinem Leben dachte.
Er fügte hinzu:
»Sie begreifen, daß mir die ganze Sache peinlich sein muß.«
»Ja ja, ich begreife,« sagte Dorothea hastig.
»Ich hielt es für richtig, ein derartiges Einkommen nicht anzunehmen. Ich war überzeugt, daß Sie nicht gut von mir denken würden, wenn ich es gethan hätte,« sagte Will. Warum sollte er sich jetzt noch scheuen, ihr etwas derart zu sagen? Sie wußte, daß er seine Liebe zu ihr eingestanden hatte. »Ich fühlte, daß –«
Bei diesen Worten brach er gleichwohl ab.
»Sie haben gehandelt, wie ich es nicht anders von Ihnen erwartet haben würde,« sagte Dorothea, indem ihr Gesicht glänzte und ihr Kopf sich auf ihrer schönen Gestalt noch höher aufrichtete.
»Ich konnte nicht glauben daß irgend ein meine Herkunft betreffender Umstand bei Ihnen ein Vorurtheil gegen mich erwecken würde, wenn es das auch sicherlich bei Anderen thun mußte,« sagte Will, indem er auf seine alte Weise seinen Kopf in den Nacken warf und ihr mit dem Ausdruck eines feierlichen Appells in die Augen blickte.
»Wenn dieser Umstand neues Ungemach über Sie brächte, so könnte das für mich nur ein neuer Beweggrund sein, Ihnen meine Anhänglichkeit zu bewahren,« sagte Dorothea feurig. »Nichts hätte meine Gesinnung für Sie ändern können, als –« Ihr Herz schwoll und es wurde ihr schwer fortzufahren; aber sie nahm sich gewaltsam zusammen und sagte mit leiser zitternder Stimme: »– als wenn ich hätte denken müssen, daß Sie anders – daß Sie nicht so gut seien, wie ich es von Ihnen geglaubt hatte.«
»Sie halten mich gewiß in jeder Beziehung für besser als ich bin, nur in einer nicht,« sagte Will, indem er jetzt, wo sie ihre Gefühle so offen zu erkennen gegeben hatte, auch seinen Gefühlen freien Lauf ließ. »Ich meine, in meiner Treue gegen Sie. Als ich einen Augenblick glauben mußte, daß Sie an meiner Treue zweifelten, war mir alles Uebrige gleichgültig. Ich glaubte, es sei ganz mit mir vorbei, es gebe nichts mehr für mich zu erstreben – nur noch zu dulden.«
»Ich zweifle nicht mehr an Ihnen,« sagte Dorothea, welche sich durch eine unbestimmte Besorgniß für ihn zu einem Ausdruck ihrer unaussprechlichen Liebe gedrängt fühlte, indem sie ihm die Hand entgegenstreckte.
Er ergriff die Hand und führte sie mit einem unterdrückten Seufzer an seine Lippen. Aber er hielt seinen Hut und seine Handschuhe in der anderen Hand und hätte als Modell zu dem Bilde eines Royalisten dienen können. Und doch war es schwer, die Hand loszulassen, und Dorothea, welche in einer Verwirrung, die ihr selbst leid that, ihre Hand los machte, wandte sich ab und blickte weg.
»Sehen Sie doch, wie dunkel der Himmel geworden ist und wie der Wind die Bäume schüttelt,« sagte sie, indem sie ans Fenster trat, bei ihren Bewegungen und Worten aber nur ein schwaches Bewußtsein von dem hatte, was sie that.
Will folgte ihr in einiger Entfernung, lehnte sich gegen den hohen Rücken eines ledernen Sessels und wagte es jetzt, seinen Hut und seine Handschuhe auf denselben zu legen und sich so von den Fesseln unerträglicher Formen frei zu machen, von denen er sich zum ersten Mal in Dorothea's Gegenwart beengt sah. Wir wollen nicht verhehlen, daß er sich in diesem Augenblick, als er sich gegen den Sessel lehnte, sehr glücklich fühlte. Er fürchtete sich nicht mehr sehr vor dem, was sie jetzt empfinden möchte.
Schweigend standen sie beide da, ohne einander anzusehen, die Blicke auf die immergrünen Büsche gerichtet, welche vom Winde geschüttelt die blasse Seite ihrer Blätter dem dunklen Himmel zukehrten. Nie hatte Will sich so sehr über ein heraufziehendes Gewitter gefreut; es überhob ihn der Nothwendigkeit fortzugehen. Blätter und kleine Zweige wirbelten umher, und das Rollen des Donners kam immer näher. Die Luft verfinsterte sich mehr und mehr, plötzlich aber erhellte sie ein Blitz, bei dem die Beiden zusammenfuhren und sich ansahen und dann lächelten.
Dorothea fing an auszusprechen, worüber sie inzwischen nachgedacht hatte:
»Sie hatten Unrecht zu sagen, daß Sie nicht gewußt haben würden, was Sie erstreben sollten. Wenn wir auch unser Bestes verloren haben, bleibt doch noch immer das Beste Anderer übrig, und dafür zu streben lohnt es sich immer. Einige können glücklich sein. Das glaubte ich deutlicher, als je zu erkennen, als ich am unglücklichsten war. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich mein Ungemach hätte ertragen können, wenn nicht dieses Gefühl über mich gekommen wäre und mir Kraft verliehen hätte.«
»Ihr Unglück ist doch nie dem meinigen vergleichbar gewesen,« sagte Will, » dem Unglück, zu wissen, daß Sie mich verachten müßten.«
»Aber ich habe noch Schlimmeres erduldet, es war noch härter, schlecht von Ihnen denken – –«
Dorothea hatte diese Worte mit Ungestüm ausgesprochen, aber sie brach ab.
Will erröthete. Er glaubte noch immer, daß, was sie auch sagen möge, unter dem Zwange der Vorstellung ausgesprochen werde, daß ein Verhängniß sie für immer von einander scheide. Er schwieg einen Augenblick und sagte dann leidenschaftlich:
»Lassen Sie uns wenigstens uns des Trostes erfreuen, offen mit einander zu reden. Da ich fort muß, da wir für immer von einander getrennt bleiben müssen, können Sie an mich wie an einen Menschen denken, der am Rande des Grabes steht.«
Während er sprach, zuckte wieder ein Blitz auf, der sie beide für einander scharf beleuchtete, und dieser Blitz erschien ihnen beiden wie das Schreckbild einer hoffnungslosen Liebe.
Dorothea trat sofort rasch vom Fenster zurück; Will folgte ihr und ergriff ihre Hand mit einer krampfhaften Bewegung, und so standen sie mit zusammengefalteten Händen wie zwei Kinder und blickten auf das Gewitter hinaus, während ein furchtbarer Donnerschlag über ihren Häuptern erdröhnte und der Regen niederzuströmen anfing. Dann kehrten sie ihre Blicke, in denen sich noch die Erinnerung an seine letzten Worte malte, gegen einander, ohne sich los zu lassen.
»Es giebt keine Hoffnung für mich,« sagte Will, »selbst wenn Sie mich liebten, wie ich Sie nein, selbst wenn ich Ihnen Alles wäre! – Ich werde höchst wahrscheinlich immer sehr arm sein; wenn man nicht auf besondere Glücksfälle rechnen will, muß man sich auf ein dürftiges Loos gefaßt machen. Es ist unmöglich, daß wir je einander angehören. Es ist vielleicht niedrig von mir, daß ich Sie gebeten habe, mir ein Wort zu sagen. Ich wollte schweigend davon gehen, aber ich fühlte mich außer Stande, das, was ich wollte, zu thun.«
»Das brauchen Sie nicht zu beklagen,« sagte Dorothea mit ihrer zärtlichen Stimme. »Ich möchte lieber den ganzen Kummer unserer Trennung mit Ihnen theilen.«
Ihre Lippen zitterten wie die seinigen. Wessen Lippen sich denen des Anderen zuerst näherten, wußten sie selbst nicht; aber sie küßten sich zitternd und trennten sich dann wieder.
Der Regen peitschte gegen die Fensterscheiben wie von einem bösen Geiste getrieben, und dazu heulte der Sturm; es war einer jener Augenblicke, in welchen Alle, Geschäftige und Müßige, wie von banger Ehrfurcht erfaßt inne halten.
Dorothea setzte sich auf den ihr nächststehenden Sitz, eine lange niedrige in der Mitte des Zimmers stehende Ottomane, und blickte, die Hände auf dem Schoß gefaltet, in die traurige Welt hinaus.
Will stand einen Augenblick still und sah sie an; dann setzte er sich neben sie und legte seine Hand auf die ihrige, die sich umwandte, um sich von der seinigen umfassen zu lassen.
So saßen sie, ohne einander anzusehen, bis der Regen nachließ und ruhig zu fallen anfing. Beide hatten ihren Gedanken nachgehangen, welche keines von beiden auszusprechen vermochte.
Als aber der Regen still geworden war, wandte sich Dorothea nach Will um. Mit einem leidenschaftlichen Ausruf, wie wenn ein Marterinstrument ihn bedrohe, sprang er auf und sagte: »Es ist unmöglich!«
Wieder an den Rücken des Sessels gelehnt schien er mit seinem eigenen Zorn zu ringen, während sie ihn traurig anblickte.
»Es ist eben so verhängnißvoll wie ein Mord oder sonst irgend etwas Furchtbares, das Menschen von einander scheidet,« brach er wieder aus, »ja es ist noch unerträglicher, unser Leben durch elende Zufälligkeiten gelähmt zu sehen.«
»Nein, sagen Sie das nicht; Ihr Leben braucht nicht gelähmt zu sein,« sagte Dorothea sanft.
»Doch, es muß,« entgegnete Will. »Es ist grausam von Ihnen, so zu reden, als ob es irgend einen Trost für mich gäbe. Vielleicht können Sie über das Elend hinaussehen, ich kann es nicht. Es ist ungütig von Ihnen, es heißt meine Liebe für Sie wegwerfen, wie wenn sie ein Nichts wäre, wenn Sie so reden Angesichts der Thatsache, daß wir uns nie heirathen können.«
»Wir könnten es doch vielleicht noch einmal,« sagte Dorothea mit zitternder Stimme.
»Wann?« fragte Will bitter. »Was nützt es auf einen Erfolg für mich zu hoffen. Es hängt rein vom Zufall ab, ob ich es jemals zu etwas mehr als zur Beschaffung eines anständigen Unterhaltes für mich werde bringen können, wenn ich mich nicht entschließen will, meine Feder zu verkaufen und mich zu einem Mundstück für Andere zu machen; das sehe ich ganz klar. Ich könnte nie meine Hand einer Frau anbieten, selbst wenn sie nicht in dem Fall wäre, gewohnten Luxus aufgeben zu müssen.«
Es entstand eine Pause. Dorothea's Herz war voll von etwas, was es sie zu sagen drängte, und doch konnte sie die Worte nicht aussprechen. Sie beherrschten sie ganz; ein stummer Kampf ging in ihr vor. Und es war sehr hart für sie, daß sie nicht sagen konnte, was sie doch so gern gesagt hätte.
Will blickte zornig zum Fenster hinaus. Es schien ihr, daß, wenn er sie angesehen und nicht von ihr gegangen wäre, Alles leichter gewesen sein würde.
Endlich kehrte er sich mechanisch nach seinem Hut aus und sagte in einem etwas erbitterten Tone:
»Leben Sie wohl.«
»O, ich kann es nicht ertragen, mein Herz will brechen,« rief Dorothea von ihrem Sitz aufspringend.
Die Fluth ihrer jungen Leidenschaft durchbrach alle die Dämme, welche ihr bis jetzt Schweigen auferlegt hatten, große Thränen rollten ihr die Wangen herab. »Ich fürchte die Armuth nicht, ich hasse meinen Reichthum.«
In demselben Augenblick stürzte Will auf sie zu und umschlang sie mit seinen Armen, aber sie zog ihren Kopf zurück und hielt den seinigen sanft von sich ab, um weiter reden zu können, und sagte, während ihre großen thränenvollen Augen ihn unbefangen anblickten, schluchzend wie ein Kind:
»Wir könnten ganz gut von meinem eigenen Vermögen leben, es ist noch zu viel, sieben hundert Pfund jährlich; ich brauche so wenig – keine neuen Kleider – und ich will lernen, was Alles kostet.«