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Drittes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 65 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 3):

One of us two must bowen douteless,
And, sith a man is more reasonable
Than woman is, ye [men] moste be suffrable.

Chaucer: Canterbury Tales.


Die Neigung der Menschen, träge im Briefschreiben zu sein, bietet selbst dem rascheren Tempo unseres heutigen Lebens Trotz; was Wunder also, daß im Jahr 1832 der alte Sir Godwin sich nicht beeilte, einen Brief zu schreiben, an welchem Anderen mehr als ihm selbst gelegen war. Fast drei Wochen des neuen Jahres waren bereits vergangen und Rosamunde sah sich in ihrer Erwartung einer Antwort auf ihre liebenswürdige Bitte täglich getäuscht, und Lydgate, der von ihren Erwartungen keine Ahnung hatte, mußte, als die Neujahrsrechnungen eine nach der andern sich einstellten, fürchten, daß Dover von seinem Pfandrechte ehestens Gebrauch machen werde.

Er hatte seines in ihm reifenden Planes, nach Quallingham zu gehen, gegen Rosamunde noch nie Erwähnung gethan; er wollte ihr nicht eher als im letzten Augenblick eingestehen, was ihr nach seinen früheren Aeußerungen der Entrüstung als eine Concession an ihre Wünsche würde erscheinen müssen; in der That aber gedachte er demnächst abzureisen. Die Benutzung einer Strecke Eisenbahn würde ihn in den Stand setzen, die ganze Reise hin und zurück in vier Tagen abzumachen.

Aber eines Morgens traf, nachdem Lydgate fortgegangen war, ein an ihn adressirter Brief ein, welchen Rosamunde alsbald als von Sir Godwin herrührend erkannte. Sie war voll Hoffnung; vielleicht enthielt der Brief ein besonderes Billet für sie; aber natürlich hatte Sir Godwin in Betreff der Unterstützung in Geld oder etwas Anderem an Lydgate direkt geschrieben, und die Thatsache dieses direkten Schreibens, ja gerade die Verzögerung des Schreibens schien es zu verbürgen, daß dieselbe durchaus günstig lauten werde.

Rosamunde war durch diese Gedanken zu aufgeregt, um etwas Anderes thun zu können, als sich mit einer leichten Handarbeit, die Adresse dieses gewichtigen Briefes auf dem Tische vor sich, in eine warme Ecke des Eßzimmers zu setzen. Gegen zwölf Uhr hörte sie Lydgate's Schritte auf dem Vorplatz; rasch öffnete sie die Thür des Zimmers und rief ihm entgegen:

»Komm herein, Tertius, hier ist ein Brief für Dich.«

»So?« sagte er ohne den Hut abzunehmen, indem er sie sanft bei Seite schob, um nach dem Tisch zu gehen, auf welchem der Brief lag. »Von meinem Onkel Godwin?« rief er aus, während Rosamunde sich wieder niedersetzte und ihn, als er den Brief öffnete, beobachtete. Sie war darauf gefaßt, daß er überrascht sein würde.

Während aber seine Augen den kurzen Brief rasch überflogen, sah sie wie seine gewöhnliche blasse, aber bräunliche Gesichtsfarbe sich in ein kaltes Weiß verwandelte; mit zitternden Nasenflügeln und Lippen schleuderte er den Brief vor sie hin und rief leidenschaftlich aus:

»Das Leben mit Dir wird geradezu unerträglich, wenn Du immer hinter meinem Rücken und gegen meinen Willen handeln und es mir verheimlichen willst.«

Er hielt inne und kehrte ihr den Rücken, wandte sich dann wiederum und ging auf und ab, setzte sich wieder, stand aber, die Hände in die Taschen drängend und die auf dem Grunde derselben befindlichen Dinge krampfhaft packend, ruhelos wieder auf. Er fürchtete sich, etwas unheilbar Grausames zu sagen.

Auch Rosamunde hatte beim Lesen des Briefes die Farbe gewechselt. Der Brief lautete wie folgt:

 

»Mein lieber Tertius!

Laß Deine Frau nicht für Dich schreiben, wenn Du mich um etwas zu bitten hast. So eine Art von Versuch, auf Umwegen etwas von mir zu erreichen, hätte ich Dir nicht zugetraut. Ich habe noch in meinem Leben nicht in Geschäftssachen an ein Frauenzimmer geschrieben.Daran, Dir tausend Pfund oder auch nur die Hälfte dieser Summe zu geben, kann ich gar nicht denken. Meine eigene Familie preßt mir den letzten Heller aus. Daß ich bei zwei jüngern Söhnen und drei Töchtern nichts übersparen kann, wird niemand wundern. Du scheinst mit Deinem eigenen Gelde sehr geschwinde fertig geworden zu sein und Dir eine hübsche Suppe eingebrockt zu haben; je rascher Du einen anderen Wohnort aufsuchst, desto besser. Aber ich habe keine Beziehungen zu Leuten von Deiner Profession und kann Dir dabei nicht behülflich sein. Ich habe als Dein Vormund nach besten Kräften für Dich gehandelt und habe Dich gewähren lassen, als Du Medizin studiren wolltest. Du hättest ja Militär oder Geistlicher werden können. Dein Geld würde dazu auch ausgereicht haben, und Du hättest dann eine sichrere Carriere vor Dir gehabt. Dein Onkel Carl hat es Dir übel genommen, daß Du nicht seine Profession gewählt hast, nicht ich. Ich habe es immer gut mit Dir gemeint, aber Du mußt jetzt ganz auf eigenen Füßen stehen.

Dein Dich liebender Onkel

Godwin Lydgate.«

 

Als Rosamunde den Brief zu Ende gelesen hatte, saß sie, die Hände vor sich auf dem Schoß gefaltet, ganz still da; sie hütete sich, ihre bittere Enttäuschung durch irgend ein äußeres Zeichen zu erkennen zu geben, und verschanzte sich gegen das leidenschaftliche Gebahren ihres Mannes in eine ruhige Passivität.

Lydgate stand wieder still, sah sie an und sagte in einem schneidend scharfen Ton:

»Genügt das vielleicht, Dir zu zeigen, was Du durch Dein geheimes Einmischen für Unheil anrichten kannst? Hast Du Verstand genug, um jetzt zu begreifen, wie wenig Du berufen bist, über die Rathsamkeit einer Handlung, die Du in meinem Namen zu thun unternimmst, zu urtheilen und Dich in Deiner Unwissenheit mit Dingen zu befassen, über die mir allein eine Entscheidung zusteht?«

Das waren harte Worte; aber es war auch nicht das erste Mal, daß sie Lydgate getäuscht hatte. Sie sah ihn nicht an und erwiderte nichts.

»Ich war so gut wie entschlossen, selbst nach Quallingham zu gehen. Es würde mir schwer genug geworden sein, es zu thun; aber es hätte mir doch vielleicht etwas nützen können. Aber Du hast bis jetzt Alles, woran ich gedacht habe, vereitelt. Du hast immer im Geheimen gegen mich agirt. Du täuschest mich durch eine scheinbare Zustimmung, und dann bin ich ganz in Deinen Händen. Wenn Du Dich jedem meiner Wünsche widersetzen willst, so sage es grade heraus und biete mir Trotz. Dann werde ich wenigstens wissen, was ich zu thun habe.«

Es ist ein schrecklicher Moment in dem Leben junger Eheleute, wenn die Erkaltung der Liebesbande sich in einen solchen Grad zu Bitterkeit verwandelt hat. Rosamunden's Selbstbeherrschung vermochte doch einer stillen Thräne nicht zu wehren, die ihr über die Wange rollte. Sie schwieg noch immer; aber unter dieser Ruhe barg sich ein tiefer Eindruck. Ihr Mann war ihr so gründlich zuwider geworden, daß sie wünschte, sie hätte ihn nie gesehen. Sir Godwin's Unhöflichkeit gegen sie und sein gänzlicher Mangel an Gefühl stellten ihn für sie auf eine Stufe mit Dover und allen andern Gläubigern, unangenehmen Menschen, die nur an sich dachten und sich nicht darum kümmerten, wie fatal sie ihr seien. Selbst ihr Vater war unfreundlich und hätte mehr für sie thun können.

In Wahrheit gab es in Rosamunden's Welt nur eine Person, die ihr nicht tadelnswerth erschien, und das war das anmuthige Geschöpf mit blonden Flechten und mit kleinen auf dem Schoße gefalteten Händen, das sich nie unpassend benommen und immer auf's Beste gehandelt hatte; denn das Beste gefiel ihr natürlich immer am Besten.

Als Lydgate jetzt wieder still stand und Rosamunde ansah, sing jenes fast wahnsinnig machende Gefühl der Hülflosigkeit sich in ihm zu regen an, welches leidenschaftliche Menschen überkommt, wenn ihre Leidenschaft einem unschuldig aussehenden Schweigen begegnet, dessen sanfte duldende Miene ihnen Unrecht zu geben scheint und das schließlich selbst die gerechteste Entrüstung an ihrer Berechtigung irre werden läßt. Er mußte, um sich selbst wieder mit der Ueberzeugung, daß er im Rechte sei, zu durchdringen, sich in seinen Worten mäßigen.

»Siehst Du nicht ein, Rosamunde,« fing er wieder an, indem er sich bemühete, nur ernst und nicht bitter zu sein, »daß nichts so verhängnißvoll sein kann wie der Mangel an Offenheit und Vertrauen zwischen uns? Es ist nun schon wiederholt vorgekommen, daß ich einen entschiedenen Wunsch ausgesprochen habe und daß Du mir anscheinend zugestimmt und doch nachher im Geheimen gegen meine Wünsche gehandelt hast. Auf diese Weise weiß ich nie, worauf ich mich verlassen kann. Wir dürften noch hoffen, wenn Du nur das zugeben wolltest. Bin ich denn eine so unvernünftige wilde Bestie? Warum willst Du nicht offen gegen mich sein?«

Sie schwieg noch immer.

»Willst Du nicht wenigstens erklären, daß Du geirrt hast und daß ich mich darauf verlassen kann, daß Du künftig nichts im Geheimen vornehmen willst?« fragte Lydgate dringend, aber in einem halb bittenden Tone ,der Rosamunden nicht entging.

Sie erwiderte kühl:

»Nach solchen Worten, wie Du sie gegen mich gebraucht hast, kann ich Dir unmöglich Zugeständnisse oder Versprechungen machen. Ich bin an eine solche Sprache nicht gewöhnt. Du hast mir ›geheime Einmischung‹ und ›anmaßende Unwissenheit‹ und ›täuschende Zustimmung‹ vorgeworfen. Ich habe mich nie solcher Ausdrücke gegen Dich bedient, und Du müßtest Dich bei mir entschuldigen. Du hast auch gesagt, es sei unmöglich, mit mir zu leben. Du hast mir wahrlich mein Leben in letzter Zeit nicht angenehm gemacht. Ich denke, es kann sich niemand darüber wundern, wenn ich es versucht habe, etwas von dem Ungemach, das unsere Heirath über mich gebracht hat, abzuwenden.«

Bei diesen Worten rann ihr wieder eine Thräne die Wange herab, und sie trocknete sie so ruhig wie die erste.

Lydgate warf sich in dem Bewußtsein, daß er schachmatt sei, in einen Stuhl. War sie denn für alle Vorstellungen absolut unzugänglich? Er setzte seinen Hut nieder, warf einen Arm über die Lehne seines Stuhls und blickte einige Augenblicke schweigend zu Boden. Sie war zwiefach im Vortheil gegen ihn durch ihre Unempfindlichkeit sowohl gegen das, was an seinen Vorwürfen berechtigt war, als gegen die unläugbaren Bedrängnisse, welche ihre Ehe jetzt über sie gebracht hatte. Wenn auch ihre Doppelzüngigkeit in der Hausangelegenheit noch über das, was Lydgate wußte, hinausging und sie in Wahrheit die Plymdales verhindert hatte, etwas über das Haus zu hören, so hatte sie doch kein Bewußtsein davon, daß ihr Verfahren mit Recht unredlich genannt werden könne.

Niemand kann uns zwingen, unsere Handlungen, so wenig wie die Stoffe unserer Gewürzkrämerwaaren oder unserer Kleider, einer gegebenen Classification genau einzufügen. Rosamunde war überzeugt, daß ihr Unrecht geschehen sei, und daß Lydgate das anerkennen müsse. Er seinerseits fühlte sich durch sein Bedürfniß, sich ihrer Natur anzupassen, welches sich in dem Maße stärker geltend machte, wie es auf ein ablehnendes Verhalten von ihrer Seite stieß, wie gefesselt. Er hatte angefangen, den unwiederbringlichen Verlust ihrer Liebe und das sich daraus für sie beide ergebende traurige Dasein mit Bekümmerniß vorauszusehen. Seine Art, rasch und voll zu empfinden, ließ diese Befürchtung bald an die Stelle seiner ersten leidenschaftlichen Zornesaufwallung treten. Es wäre sicherlich eine leere Prahlerei von ihm gewesen, wenn er sich ihren Herrn hätte nennen wollen.

»Du hast mir wahrlich mein Leben in letzter Zeit nicht angenehm gemacht, … das Ungemach, das unsere Heirath über mich gebracht hat …« Das waren Worte die seine Einbildungskraft wie ein Schmerz, der wilde Träume hervorruft, stachelten. Sollte er nicht nur von der Höhe seiner Entschlüsse herabsteigen, sondern in die schrecklichen Fesseln ehelichen Hasses sinken müssen?

»Rosamunde,« sagte er, indem er sie mit einem melancholischen Blick ansah, »Du solltest Nachsicht mit den Worten eines Mannes haben, der sich enttäuscht und gereizt sieht. Wir beide, Du und ich, können doch unmöglich entgegengesetzte Interessen haben. Es giebt für mich kein Glück, das nicht auch das Deinige wäre. Wenn ich Dir zürne, so ist es nur, weil Du nicht einzusehen scheinst, wie jede Verheimlichung uns trennen muß. Wie könnte ich wohl in Worten oder Handlungen gern hart gegen Dich sein wollen? Wenn ich Dich verletze, so verletze ich einen Theil meiner selbst. Ich würde niemals böse auf Dich sein, wenn Du ganz offen gegen mich sein wolltest.«

»Ich habe Dich nur gern verhindern wollen, uns ohne zwingende Nothwendigkeit ins Elend zu stürzen,« sagte Rosamunde, die durch die sanften Worte ihres Mannes besänftigt, sich wieder der Thränen zu erwehren hatte. »Es ist so hart hier vor den Augen aller der Leute, die wir kennen, einen solchen Schimpf erleben und so elend existiren zu müssen. Ich wollte, ich wäre mit dem Baby gestorben.«

Sie sprach und weinte in jener milden Weise, die solchen Worten und Thränen Allgewalt über das liebende Herz eines Mannes verleiht.

Lydgate rückte seinen Stuhl nahe an den ihrigen heran und drückte ihr zartes Köpfchen mit seiner gewaltigen Hand zärtlich an seine Wange. Schweigend liebkoste er sie; denn was sollte er sagen? Er konnte ihr nicht versprechen, sie vor dem gefürchteten Elende zu schützen.

Als er sie verließ, um wieder auszugehen, sagte er sich, daß es doch zehnfach härter für sie als für ihn sei; er hatte ein Leben außer dem Hause und fortwährende Veranlassung für Andere thätig zu sein. Er wollte gern, wenn irgend möglich, Alles an ihr entschuldigen; aber es war unvermeidlich, daß er sie in dieser nachsichtigen Stimmung wie ein Wesen einer anderen schwächeren Gattung betrachtete.

Gleichwohl hatte sie die Herrschaft über ihn gewonnen.



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